HÄNDEL, Georg Friedrich: SIROE

  • Georg Friedrich Händel (1685-1759):

    SIROE, RE DI PERSIA
    Dramma per musica in drei Akten
    Libretto von Nicolò Francesco Haym nach Pietro Metastasio


    Uraufführung am 17. Februar 1728 im Theater am Haymarket, London


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Cosroe, König von Persien, verliebt in Laodice (Baß)
    Siroe, Sohn von Cosroe, liebt Emira (Alt, Original Altkastrat)
    Medarse, zweiter Sohn von Cosroe (Alt, Original Altkastrat)
    Emira, Prinzessin von Cambaja (Sopran)
    Araxes, persischer General, Freund von Siroe (Baß)
    Laodice, seine Schwester, verliebt in Siroe (Sopran)
    Chor: Hofstaat, Soldaten, Leibwachen


    Das Geschehen ereignet sich um 560 v. Chr. in Seleucia, Mesopotamien.


    INHALTSANGABE


    Vorbericht
    Cosroes, der andere dieses Nahmens, König in Persien, hatte so große Liebe gegen den Medarses, seinen jüngsten Sohn, der doch ein sehr unartiger Prinz war, daß er ihn zum Mitregenten seines Throns wolte annehmen und seinen ältesten Sohn, den Siroes, der doch ein sehr tapferer und dem Volck sehr beliebter Prinz war, von der Regierung ausschließen wolte; das Volck aber und die Armeè, die sich seiner annahmen, erregten einen Aufstand und zwungen den Cosroes ihm die Regierung zu überlassen. Cosroes war mit seinen sieghaften Waffen in Orient so weit durchgedrungen, daß er dem Asbites, König in Cambaia, Reich und Leben genommen, und wurde von der gantzen Königlichen Familie niemand gerettet, als die Prinzeßin Emira, des Asbites Tochter, welche, nachdem sie lange und unerkandt in Persien herum gereiset, sich endlich in Mannes=Kleidern an des Cosroes Hof begeben, theils aus Liebe gegen den Prinz Siroes, theils aus Begierde an dem Cosroes ihres Vaters Tod zu rächen: Sie verbarg daselbst ihren Haß gegen Cosroes und wußte sich so bey ihm zu insinuiren, daß er sie gar zu seinem Confidenten annahm, indem sie niemand kannte als Siroes. Diese Geschichte, die man aus den Scribenten der Byzantinischen Geschichte genommen, ist der Grund gegenwärtiger OPERA. Der Schau= Platz ist in der Stadt Seleucia. (Zitiert aus dem Braunschweiger Libretto von 1730)


    ERSTER AKT
    Ein prächtiger Tempel mit Altar und Bildnis des Sonnengottes.


    Mit dem gesamten Hofstaat sind Cosroe, Siroe und Medarse in den Tempel gekommen, um des Königs Nachfolger zu bestimmen. Cosroe verlangt vorab von seinen Söhnen einen Schwur, seine Entscheidung in jedem Fall anzuerkennen. Medarse, jüngster Sohn des Königs, stimmt sofort zu, Siroe aber sieht das Verlangen seines Vaters als eine Zumutung an und lehnt den Schwur ab. Siroe ahnt, was sein Vater vorhat. Zur Bekräftigung seines Anspruchs weist er auf seine siegreichen Kämpfe zur Erhaltung von Thron und Reich hin. Cosroe wischt das zornig beiseite und wirft seinem Ältesten dessen Liebe zu Emira, der Tochter des Königs Asbites, den er besiegt und ermordet hat, vor. Seine Äußerung läßt den Schluß zu, daß er von der Ermordung der ganzen königlichen Familie ausgeht und nicht weiß, daß Emira überlebt hat. Dann verläßt er die Szene.


    Siroe versucht, mit seinem Bruder ein vernünftiges Gespräch zu führen, wird aber von Medarse arrogant, fast feindselig abgewiesen. Da kommt Emira in Männerkleidung hinzu; sie stellt sich als Hydaspes vor. Siroe weiß, wer sie ist, denn er hat die Verkleidung gebilligt; Medarse jedoch kennt Hydaspes nicht. Auf jeden Fall gelingt es Emira, den aufgebrachten Medarse zu beruhigen und mit besänftigenden Worten fortzuschicken.


    Allein mit Siroe fordert sie von ihm die Lösung aller Probleme durch einen einzigen blutigen Streich. Einmal in Fahrt erinnert Emira ihren Geliebten auch die Freveltaten seines Vaters, der ihre gesamte Familie ausgelöscht hat. Seine Antwort ist nicht beruhigend: Cosroe ist momentan selbst gefährdet, weil das Volk mit ihm unzufrieden ist, zumal die Nachfolgeregelung nicht im Sinne der Menschen ist. Dann erfährt der Zuschauer so „en passant“, daß Hydaspes (mit männlichem Habitus) mit Siroes Hilfe sogar Berater Cosroes wurde. Allerdings hat Emira im Augenblick das Gefühl, von Siroe nicht mehr geliebt zu werden - da ist nämlich Laodice, die Schwester des persischen Generals Araxes, die Siroe schöne Augen macht. Und das beunruhigt Emira nicht nur, das macht sie zornig. Sie verlangt eine umgehende Klärung und läßt durchblicken, daß ansonsten „jemand“ bereitstehe, eine „Klärung“ in ihrem Sinne herbeizuführen. Siroe (mit ihm der Zuschauer“) fragt sich, wer damit gemeint wohl sein könne.


    Emira hat Siroe stehen lassen und trifft auf Laodice; als Hydaspes spricht sie mit dem heiratsfähigen Mädchen. Dieses Gespräch hört aus seinem Versteck Siroe mit und ärgert sich über das Liebesgeplänkel: Er fragt sich, was Emira damit bezweckt? Dann tritt er hervor und spricht Emira auf ihre Treue zu ihm an; sie antwortet noch als Hydaspes, bevor sie abgeht.


    Laodice, mit Siroe nun allein auf der Szene, ist überzeugt, daß er weiß, wie sehr sie in ihn verliebt ist und versucht, mit vorsichtigen Fragen seine Meinung zu erfahren. Siroe will sich aber keine neuerlichen Probleme aufhalsen und nimmt Ausflucht zu der Feststellung, daß sie bekanntlich von König Cosroe geliebt wird. Darin sieht er eine gefährliche Lage und will sich nicht weiter äußern.


    Araxes führt mit seiner Schwester Laodice ein Gespräch; sie erfährt, daß Cosroe seinen Zweitgeborenen Medarse dem älteren Siroe vorzieht und wegen der daraus enstandenen schwierigen Situation wütend ist. Araxes fordert seine Schwester dringend auf, Cosroe zu besänftigen und alles zu tun, daß Siroe als Thronerbe dem Reich erhalten bleibt. Laodice ist momentan aber nicht in der Stimmung, weil sie Siroes Äußerungen als eine Absage an eine gemeinsame Liebe aufgefaßt hat. Sie nimmt eine ablehnende Haltung gegen Siroe ein, die sie mit seiner Unbeständigkeit zu erklären versucht.


    Verwandlung: Kabinett mit Tisch und Stühlen, angrenzend an Cosroes Wohngemach.


    Siroe tritt mit einem anonymen Brief auf, in dem der König aufgefordert wird, bei Gefahr die Nachstellung nach Emira aufzugeben. Als Siroe das Schreiben auf den Tisch gelegt hat, hört er seinen Vater kommen und versteckt sich.


    Cosroe kommt mit Laodice auf die Szene; er äußert sich zornig über die Nachricht, daß sein Ältester ihm angeblich Gesetze vorschreiben will. Laodice schürt weiteren Ärger mit der gelogenen Behauptung, daß Siroe ihr nachstelle und damit ein Rivale für ihn sei. Dann sieht Cosroe den Brief, öffnet ihn und wird blaß. So findet ihn Medarse vor, der soeben den Raum betritt. Auf seine Frage, was geschehen sei, antwortet der König mit dem Vorlesen des Schreibens: Ein Freund, so heißt es, wolle gegen ihn einen Streich führen und er solle sich von „besten Freunden“ seiner Umgebung trennen. Mit „Glaube es und lebe“ schließt der Brief. Medarse glaubt, geschickt zu handeln und läßt erkennen, daß er der Schreibende war. Schauspielernd gequält berichtet er von einer (angeblichen) Verschwörung Siroes. Der aber tritt in diesem Augenblick aus seinem Versteck hervor und sagt, er habe diesen Brief verfaßt - allerdings spricht die Situation gegen ihn. Und zu allem Überfluß kommt jetzt noch Emira (wieder als Hydaspes), um in den Chor der Schimpfenden einzustimmen. Siroe lehnt es jedoch ab, sich zu einem Übeltäter stilisieren zu lassen, wenn auch alles gegen ihn spricht.


    Trotz der angespannten Situation kann Siroe abgehen; danach aber fallen die Verbliebenen mit bösen Urteilen über ihn her. Nur Hydaspes versucht, Siroe in Schutz zu nehmen, und nährt damit im Zuschauer den Verdacht, daß sie als Emira noch immer etwas für Siroe übrig hat.


    Laodice und Medarse sind allein auf der Szene geblieben. Sie überlegen, was Hydaspes wohl mit der Verteidigung Siroes bezwecken wollte. Sie sind sich insoweit einig, daß Hydaspes, in der Gunst des Königs stehend, gegen andere halt weniger aufrichtig ist.


    Nach Medarses Abgang läßt Laodice, allein auf der Szene, Unsicherheit erkennen, weil sie einfach nicht weiß, wohin sie gehört und wem sie noch vertrauen kann. Ihre Arie

    Bald gebe ich meine Hoffnung verloren,
    Bald ermuntert sie sich und wird erneut lebendig


    beendet den ersten Akt.


    ZWEITER AKT
    Ein Vorhof der Burg von Seleucia mit Blick in einen Tiergarten.


    Siroe ist allein auf der Szene und rechtet mit den Göttern. Laodice kommt hinzu und versucht erneut, mit ihm anzubandeln. Dabei erklärt sie ihm aber auch ihre Anklage gegen ihn bei seinem Vater; sie sei wegen seiner Verachtung für sie zornig geworden. Ihrer Bitte um Verzeihung will Siroe nur entsprechen, wenn sie aufhört, ihn zu lieben. Das, meint sie, kann sie nicht.


    Siroe ist allein und nimmt sich vor, eine Versöhnung mit Emira herbeizuführen, muß aber gleichzeitig auch Laodice beruhigen. Da kommt Emira aufgeregt und erklärt auch sofort den Grund dafür: Als Hydaspes steht sie bei König Cosroe im Verdacht, den in Siroes Brief beschriebenen Verräter zu kennen. Beiden wird plötzlich ihre schwierige, ja dramatische Situation klar: Emira ist das Kind eines von Cosroe getöteten Vaters und daher an einer Versöhnung mit dem König nicht interessiert; sie haßt den Mann sogar und will seine Bestrafung erreichen. Die Schwierigkeit ist die Liebe zu Siroe, von dem sie in gleicher Weise geliebt werden will.


    Gerade, als sie niedergeschlagen gehen will, zieht Siroe seinen Dolch und will sich erstechen; da tritt Cosroe auf - und es geschieht das, was der Zuseher erwartet: Den Dolch in der Hand seines Sohnes kann Cosroe nur als das angekündigte Attentat deuten - interessanterweise aber als Anschlag auf Hydaspes und nicht auf sich selbst. Er ruft nach der Wache, läßt Siroe festnehmen und spricht auch sofort das Todesurteil. Siroe bestätigt ironisch gegenüber dem Vater seine angeblichen Attentatspläne und erkennt die Berechtigung der Todesstrafe an.


    Emira, die Gefahr für ihren Geliebten erkennend, mischt sich mit der Bitte an den König ein, die Todesstrafe nicht jetzt schon ausführen zu lassen, schließlich sei der angekündigte Königsmörder ja immer noch nicht bekannt. Cosroe zeigt sich einsichtig und läßt seinen Ältesten zunächst einmal in den Kerker werfen. Dann, mit Emira allein, eine erneute dramatische Wendung: Sie sieht eine gute Gelegenheit gekommen, den Mörder ihres Vaters Asbites zu rächen und zieht ihren Degen - ehe sie allerdings Cosroe ermorden kann, tritt Medarse auf die Szene. Emira kann sich mit der Bemerkung herauszureden, sie wollte gerade ihren Degen dem König übergeben, weil sie mit Verdächtigungen verfolgt wird. Cosroe zeigt sich überrascht von soviel Treue und bittet Hydaspes, den Degen wieder anzulegen, damit er ihn auch zukünftig verteidigen kann. Nach einer Danksagungs- und Beruhigungsarie geht sie ab.


    Vater und Sohn befinden sich allein auf der Szene; Medarse bietet seinem Vater - so geschickt wie hinterhältig - den Thronverzicht zugunsten Siroes an und sich außerdem noch außer Landes zu begeben. Cosroe ist sehr gerührt, umarmt Medarse und kündigt an, ihn noch heute neben sich auf den Thron zu setzen. Medarses Coup ist also gelungen. Als Cosroe gegangen ist, äußert sich Medarse in einer Arie sehr zufrieden über sich selbst und sieht sich seinem Ziel ganz nahe.


    Verwandlung in ein Gemach mit Blick auf den Garten.


    Siroe erklärt in einem Selbstgespräch, sein Vater habe ihn herbestellt. Als Cosroe mit Hydaspes eintritt, bittet der König ihn/sie, den Eingang zu bewachen; einer anderen Wache gibt er den Auftrag, Laodice zu holen und sie im Nebenzimmer auf seine weiteren Befehle warten zu lassen. Dann verlangt er von Siroe, so lange zu schweigen, bis er seine Rede geendigt hat. In dieser Ansprache zählt Cosroe alle vermeintlichen Vergehen seines Ältesten auf; dann verspricht er ihm die Freiheit, ja sogar die abermalige Thronanwartschaft, wenn er jetzt den Attentäter nennt. Diesen Namen kann Siroe natürlich nicht nennen, ohne Emira zu gefährden.


    Nach Cosroes Handzeichen an die Wache läßt diese Laodice mit Hydaspes eintreten und der König macht ein erneutes Versprechen, daß allerdings seiner Entlarvungssucht zu entspringen scheint: Er will Laodice (die doch sein eigener Liebling ist) Siroe zur Frau geben, wenn nur endlich der Name des gefährlichen Attentäters genannt wird. Ansonsten, so Cosroe weiter, bliebe Siroe nur das dunkelste Verlies und ihn träfe außerdem die alleinige Schuld für das weitere Geschehen.


    Nach Cosroes Abgang, aber im Beisein von Laodice, sagt Siroe, daß er ab sofort die Schuld für künftige Ereignisse nicht mehr übernehmen will. Stadttdessen verlangt er, daß Emira die Aufklärung betreiben soll. Dann läßt er sich in den Kerker zurückbringen. Laodice spricht mit Hydaspes über Siroes Äußerung, die sie nicht verstanden hat, aber sie erfährt nichts. Dafür hört Emira, daß Laodice in Siroe verliebt ist und sie spielt nun als Hydaspes eine Wendung aus, nach der „er“ sich in Laodice verliebt hat; das akzeptiert die Generalstochter aber nicht und erteilt eine deutliche Abfuhr.


    Der zweite Akt endet mit Emiras Soloarie, die Ratlosigkeit erkennen läßt, weil sie nicht weiß, ob sie heiß, also verliebt ist oder kalt, weil immer wieder Haß in ihr hochkommt.


    DRITTER AKT
    Der innere Hof der Burg von Seleucia.


    Cosroe und sein General Araxes beratschlagen, wie gegen Siroe vorgegangen werden soll. Der König besteht auf seinem Todesurteil, der General läßt durchblicken, daß es ihm schwerfällt, dieses Verlangen zu erfüllen, für ihn ist Siroe als ältester Sohn Cosroes der legitime Thronerbe. Bevor er abgeht, äußert er sich in einer Arie dementsprechend.


    Laodice kommt und berichtet aufgeregt, daß sich vor der Burg eine wütende Volksmenge eingefunden habe und nach dem König rufe. Cosroe vermutet die Wut seiner Untertanen in der Entscheidung, Siroe mit dem Tode zu bestrafen. Darüber zeigt sich nun Laodice entsetzt und bekennt dem König, daß sie Siroe aus Verärgerung über seine Liebesverweigerung angeklagt habe. Das wiederum glaubt ihr jetzt Cosroe nicht; er äußert seine Überzeugung, Laodice beschuldige sich nur, um seinen Sohn zu retten.


    Emira kommt und erzählt von wachsendem Aufruhr vor der Burg. Als Hydaspes schlägt sie Cosroe vor, Siroe sofort frei zu lassen. Der König lehnt ab, worauf sie ihn an die vielen Heldentaten seines ältesten Sohnes erinnert. Dieses Wissen läßt Cosroe erstaunt aufhorchen, gleichzeitig aber auch überlegen, ob er nicht doch einen Fehler macht. Kurz entschlossen übergibt er dann Hydaspes einen Siegelring, der zur Freilassung Siroes dienen soll. Emira eilt sofort los, um Araxes im Kerker noch rechtzeitig aufhalten zu können - doch der kommt bereits zurück und berichtet, daß Siroe gleich beim ersten Hieb mit seinem Schwert gefallen sei. „Schützt meinen Vater“ habe er noch ausgerufen, sagt der General. Da bekommt Emira einen Tobsuchtsanfall und nennt Araxes einen gemeinen Mörder und Cosroe eine Schande Persiens. Einmal in Fahrt, gesteht sie auch noch ihre wahre Herkunft und wäscht damit Siroe von aller Schuld rein. Cosroe gibt sich zwar entsetzt, läßt Emira aber sofort einkerkern. Vor seinem Abgang urteilt er in einer Arie sehr milde über sich selbst.


    Auf dem Wege zum Kerker beschimpft Emira noch einmal in wüster Weise Araxes als den „boshaften Diener eines noch boshafteren Königs“. Darauf gibt der General zu, daß Siroe nicht tot ist, sondern noch lebe; er habe den königlichen Befehl nur als Vortäuschung ausgeführt. In diesem Moment tritt Medarse hinzu, Araxes macht ihm Platz. Warum kommt Medarse? Hat er vom Todesurteil gegen seinen Bruder gehört und will nur nachsehen, ob das auch stimmt? Oder weiß er nichts von der Entscheidung seines Vaters und will seinen Bruder beseitigen, um endlich freie Bahn zu haben? Seine Äußerungen lassen keine eindeutige Antwort auf diese Fragen zu. Aber Medarse wird auf jeden Fall einer Entscheidung behoben: Hydaspes bietet sich an, Siroe zu töten und eilt davon; Medarse aber triumphiert und hat eine Halluzination:

    Auch wenn die Königskrone mit Bruder-Blut gefärbt,
    Verliert sie doch nichts von ihrem Glanze.


    Verwandlung in ein dunkles Verlies.


    Siroes Klage gegen den ungerechten Himmel eröffnet die Szene; dann erscheint Emira als Hydaspes mit dem Königssiegel, um ihrem Geliebten die Freilassung anzukündigen. Doch ehe es dazu kommt, eilt Medarse herbei und verdächtigt Hydaspes, Siroe schützen zu wollen. Emira spielt jetzt ihre Rolle als Hydaspes weiter und offensichtlich so gut, daß Siroe plötzlich Zweifel an Emiras Liebe zu ihm geweckt werden. Unbeeindruckt von Siroes Äußerungen gelingt es Emira/Hydaspes, den Degen Medarses an sich zu bringen und wirft die Waffe Siroe zu. Der ist zwar überrascht, reagiert aber sofort und hält seinen Bruder in Schach.


    General Araxes kommt mit Soldaten und sofort verlangt Medarse die Vollstreckung des königlichen Todesurteils gegen seinen Bruder. Araxes stellt sich aber eindeutig auf die Seite Siroes und will außerdem versuchen, den sich ankündigen Volksaufstand einzudämmen. Jetzt wendet sich Hydaspes an Medarse und gibt sich ihm gegenüber als Emira zu erkennen. Siroe wiederum sieht ein, daß seine Haltung zu Emira mehr dem Mißtrauen als der Wirklichkeit geschuldet ist. Emira äußert sich zustimmend, weist aber auch darauf hin, daß die Verwandlung in Hydaspes schwierig und belastend war. Dann verläßt sie die Szene.


    Siroe und sein Bruder Medarse befinden sich allein auf der Bühne; in unerwarteter Ehrlichkeit steht Medarse zu seinen Intrigen, nennt sie sogar Verbrechen und ist bereit, für seine Handlungen auch das schärfste Urteil, die Todesstrafe, zu akzeptieren. Dann fordert er Siroe auf, den Thron zu besteigen. Der ist nicht nur erfreut, sondern auch gerührt und gibt Medarse seinen Degen zurück und verzeiht ihm mit einer herzlichen Umarmung.


    Nachdem Siroe mit der Wache die Bühne verlassen hat, erkennt Medarse in einem Sebstgespräch seine Fehler ein und meint, daß die „Unschuld der sicherste Wegweiser“ sei. Nun kommt Laodice und wundert sich über die offenstehende Kerkertür; dann erst erblickt sie Medarse und gibt sich ängstlich. Der versucht, sie zu beruhigen und ihr zu verdeutlichen, daß sie vor ihm keine Furcht haben müsse, weil er von Siroe gelernt hat. Er erzählt ihr auch, daß ihr Vater seinen Bruder vor dem sicheren Tode gerettet hat. Medarses weitere Schilderung des Ablaufs im Kerker aber bereitet Laodice Seelenschmerz: daß es sich nämlich bei Emira und Hydaspes um ein und dieselbe Person handelt, verdeutlicht ihr, daß sie keine Chance auf eine Verbindung mit Siroe hat. Medarse sagt zu Laodice:

    „Du verlierst einen Liebsten und ich einen Thron.“


    Alle Beteiligten kommen im Burghof zusammen: Cosroe ernennt mit Siroe den neuen König und will sich ins Privatleben zurückziehen. Gemeinsame Erfahrungen, basierend auf persönlichen Fehleinschätzungen, könnten Medarse und Laodice näher zusammen bringen (eine Spekulation, die in einer neuen Oper geklärt werden müßte). Emira spricht dem bisherigen und dem neuen König ihre Glückwünsche aus, meint aber auch, sie habe nie die Hoffnung an einen glücklichen Ausgang des Dramas aufgegeben (wobei ihre Rachegefühle gegen Cosroe als den Mörder ihres Vater plötzlich keine Rolle mehr spielen). Das Volk aber, gerade noch aufständisch, jetzt schnell befriedigt, jubelt dem neuen König und seiner siegreichen Liebe zu.


    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Antonio Domenico Bonaventura Trapassi, der sich als Dichter und Librettist Pietro Metastasio nannte, schrieb das Opernlibretto zu SIROE, RE DI PERSIA 1726. Es wurde von vielen Komponisten vertont, darunter Giovanni Porta, Giovanni Battista Pescetti, Leonardo Vinci, Baldassare Galuppi, Nicola Porpora, Niccolò Piccini, Giovanni Battista Lampugnani, Pietro Alessandro Guglielmi, Giuseppe Sarti und Johann Adolf Hasse (zwei Vertonungen).


    Nach Metastasios Vorlage schuf Nicola Francesco Haym den Text für Georg Friedrich Händel. Wie im „Daily Journal“ vom 18. Februar 1728 zu lesen war, hatte die gesamte königliche Familie der Uraufführung von SIROE am Tage zuvor beigewohnt. Die Premiere und die nachfolgenden Reprisen fanden mit einer hochkarätigen Besetzung statt, die in Europa ihresgleichen suchte: Senesino als Siroe; Giuseppe Maria Boschi als Cosroe; Faustina Bordoni, spätere Ehefrau von Johann Adolf Hasse, war Emira und Francesca Cuzzoni die Laodice. Trotz dieser Luxus-Besetzung und seinen immerhin siebzehn Wiederholungen wird SIROE in der Literatur als „nicht besonders erfolgreich“ bezeichnet. In den Zeitungen jedenfalls fand sie kaum einen Widerhall. Das könnte möglicherweise an der am 29. Januar 1728 erfolgten Premiere von Pepuschs/Gays „The Beggars Opera“ gelegen haben. Lediglich Mrs. Pendarves, eine Bewunderin Händels, schrieb nach dem Besuch einer Probe:


    Gestern war ich bei der Probe von der neuen Oper von Händel (…) Ich mag sie sehr, aber der Geschmack der Stadt ist so verdorben, daß nichts von der Oper gefallen wird, aber die Burleske „The Beggar's Opera“ siegt ganz über die italiänische.


    Bereits 1730 (dann noch einmal 1735) kam SIROE nach Braunschweig; dem Librettodruck von 1730 ist der oben zitierte „Vorbericht“ entnommen; außerdem stammen die eingefügten Arienzitate diesem Braunschweiger Libretto. Erwähnenswert ist auch, daß der erste und zweite Akt der Braunschweiger Aufführungsserie jeweils mit einem Ballett endete. Es ist aber unwahrscheinlich, daß Händel der Komponist dieser Ballettmusik war; eher ist daran zu denken, daß ein ortsansässiger Musiker hier seine „Zugaben“ abgeliefert hat.


    Frau Dr. Konstanze Musketa vom Archiv des Händel-Haus in Halle an der Saale teilt dazu mit, daß es zu diesem Thema bisher keine genaueren Untersuchungen gibt. Allerdings, so ihre weiteren Erläuterungen, war es nach Auskunft des Braunschweiger Komponisten und Kapellmeisters Georg Caspar Schürmann (1672/73-1751) in Braunschweig üblich, nach dem ersten und zweiten Akt jeweils ein Ballett einzufügen. Möglicherweise stammte also die Musik wie vielleicht auch die deutschsprachigen Texte von eben jenem Schürmann. Von ihm ist ein Brief vom 11. März 1726 an Johann Friedrich von Uffenbach überliefert:


    Die Opera anlangend, so machen wir die teutschen Opern pur teutsch, wann wir aber etliche Mahl italienische Opern ins teutsche übersetzet, so haben wir wohl die Arien mehrenteils italienisch gelassen, wir machen zuweilen lustige Partien hinein, zuweilen nicht, wie sichs denn schicken will. Ballette haben wir ordinair nach dem ersten und zweiten Akt eins.


    (Zitiert nach Gustav Friedrich Schmidt, Die frühdeutsche Oper und die musikdramatische Kunst Georg Kaspar Schürmanns (Regensburg 1933); entnommen der Schrift von Andrew D. McCredie Die frühen Bearbeitungen von Händels Opern für Hamburg und Braunschweig, in: Alte Musik als ästhetische Gegenwart. Bach, Händel, Schütz, Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongreß Stuttgart 1985, Kassel 1987, Band 2, S, 24-33.)


    Das Autograph von SIROE befindet sich in der British Library in London und in Hamburg gibt es eine abschriftliche Cembalo-Partitur für die Ouvertüre und Arien; außerdem existieren zwei Drucke aus den Jahren 1728 und 1732. Chrysanders Notenausgabe erschien 1878 in Leipzig. Unter der Webadresse der Bayerischen Staatsbibliothek
    http://daten.digitale-sammlung…0001//bsb00016919/images/
    ist die Partitur abrufbar.


    © Manfred Rückert für TAMINO-Opernführer 2010
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Reclams digitaler Opernführer
    Die Musik in Geschichte und Gegenwart
    Albert Scheibler: Die 53 Bühnenwerke des Georg Friedrich Händel
    Silke Leopold: Händel, die Opern

    .


    MUSIKWANDERER

    Einmal editiert, zuletzt von musikwanderer ()

  • An dieser Stelle seien die folgenden diskographische Hinweis gegeben:




    Eine weitere Einspielung - ohne Coverbild - ist mit folgenden Interpreten erschienen und wird bei Werbepartner Amazon gelistet:
    Fortunato - Baird - Ostendorf - Matthews - Rickards - Urrey
    Brewer Baroque Chamber Orchestra - Leitung Rudolph Palmer

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    MUSIKWANDERER

  • Es sei nur am Rande vermerkt, dass die Abbildung auf dem Cover von Harmoni mundi stilistisch nicht zum Inhalt der Oper passt.
    Im Pariser Louvre habe ich das Original gesehen. Es wird der Achämenidenzeit zugeordnet. (Könige: Xerxes, Artaxerxex und Dareios.
    685 - 330 vor Christus


    Die Handlung der Oper spielt jedoch in der Sassanidenzeit (Könige: Bahram, Schapur und Chosrau) 226 - 652 nach Christus
    Zwischen Coverbild und Handlung klafft eine Zeitspanne von 500 Jahren.


    (Die Religion war aber beidesmal die Lehre Zatathustras, sie wurde abgelöst durch den Islam.)


    8)


    Ich habe den Iran vor einigen Jahrzehnten mit einem Hotelbus bereist. Der Reiseleiter hat und mit Kultur- und Kunstgeschichte zugepackt. Von vielen historische Stätten und Wandskulpturen habe ich Dias gemacht.


    :angel:
    Engelbert