HÄNDEL, Georg Friedrich: SILLA

  • Georg Friedrich Händel (1685-1759)


    LUCIO CORNELIO SILLA
    Dramma per musica in drei Akten - Libretto von Giacomo Rossi


    Uraufführung wahrscheinlich im Juni 1713 in Burlington House, London


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG
    Stimmenzuweisung nach dem Autograph


    Silla, Konsul und Diktator (Mezzosopran)
    Metella, seine Frau (Sopran)
    Lepido, Volkstribun und Freund des Silla (Altkastrat)
    Flavia, seine Frau (Sopran)
    Claudio, Senator, Sillas Feind, Geliebter von Celia (Mezzosopran)
    Celia, Jungfrau, Tochter von Catulus (Sopran)
    Il Dio (Baß)
    Scabro, Günstling Sillas, Vertrauter von Metella (Sprechrolle)


    Die Handlung spielt um das Jahr 79 v.Chr. in Rom.


    Argomento (nach Plutarch [50-125 v.Chr.], aus dem Originallibretto, gekürzt)


    Nachdem Lucius Cornelius Silla für das Vaterland viele Völker unterworfen hatte, entfesselte er einen höchst grausamen Bürgerkrieg gegen seinen Rivalen Marius. Nach dessen vernichtender Niederlage zog er mit schwerbewaffnetem Heer in Rom ein. Da er mit dem Titel „Absoluter Herrscher“ nicht zufrieden war, erklärte er sich kraft eigener Machtfülle zum Diktator auf Lebenszeit. Er herrschte grausam, nahm von wem immer es ihm gefiel sowohl das Leben als auch Hab und Gut. Es gab auch keinen weltlichen oder geheiligten Ort, der seinen Feinden als Fluchtstätte dienen konnte; er ermordete sie überall. Dazu trieb ihn, wie er sagte, eine im Traum erschienene Göttin, die ihn mit der Kraft des Blitzstrahls ausgerüstet hatte, um ihn zum Morden anzustacheln. Er trennte sich ohne Grund von vielen Ehefrauen und zwang auch andere Paare dazu. (…) Selbst Metella, die von ihm geliebt wurde, mußte letztendlich ein gleiches Schicksal erleiden. Am Schluß aber, (…) gab er die Diktatur freiwillig zurück, ebenso alle übrigen Ämter, (…) und zog sich ins Privatleben zurück. Dies wird in diesem Drama als Thema dienen, um einen glücklichen Ausgang zu ermöglichen, auch um seinen miserablen Tod auszusparn, der darin bestand, von Läusen bei lebendigem Leib aufgefressen zu werden.


    ERSTER AKT


    Ein öffentlicher Platz mit Triumphbogen in Rom.


    Lucius Cornelio Silla zieht unter einem Marsch auf einem Triumphwagen in Rom ein, wobei ihm Liktoren (hohe Staatsbeamte) mit Faszes (Rutenbündeln mit Beil als Symbol der Amtsgewalt) vorausgehen.


    Metella, Sillas Frau, und Lepido, Volkstribun und Freund Sillas, treten begrüßend auf ihn zu und erfahren in einer kurzen Botschaft, daß der Feldherr die Feinde besiegt habe und als Sklaven mitbringe. Als größten Erfolg bezeichnet Silla den Sieg über seinen Rivalen, den Konsul Gajus Marius (156-86 v. Chr.), dessen abgeschlagenes Haupt er mit sich führt. Auf dem Kapitol, dem Sitz des römischen Senats, verkündet er sofort seinen unbändigen Herrscherwillen. Über diese Rede sind Metella und Lepido entsetzt; Metella äußert sich entschlossen, Silla an seinen Vorhaben zu hindern.


    Lepidos Gattin Flavia tritt zu ihrem allein auf der Szene gebliebenen Mann. Sie erzählt Lepido einen Traum, der sie sehr beunruhigt habe: Trugbilder zeigten ihr das durch ein fürchterliches Monster vernichtete Vaterland. Lepido versucht, seine Gattin zu beruhigen, ehe er abgeht.


    Gerade in dem Moment, da die Jungfrau Celia, eine Tochter von Sillas Heerführer Catulus, auf Flavia zugeht, trifft ein herniederfahrender Blitz den Triumphbogen, der zu einem Teil in sich zusammenstürzt. Flavia geht nach einer Arie, die Erschütterung und Entsetzen verrät, schnell davon.


    Im Abgang kommt Celia der Senator Claudio entgegen. Aus einem Zwiegespräch wird deutlich, daß sie sich zwar lieben, in der politischen Einstellung aber diametral gegenüberstehen: Celia verehrt Silla, Claudius trauert um den getöteten Marius und hat große Bedenken, fast Angst, vor der Alleinherrschaft des Silla. Celias Auffassung, daß Claudio wegen seiner politischen Meinung ihrer Liebe unwürdig sei, beantwortet der mit der eindeutigen Feststellung, daß seine Beständigkeit in der Liebe zu ihr nicht von der Politik abhängig ist.


    Nach seinem Weggang ist Celia ratlos und gesteht sich in einem Selbstgespräch ein, daß sie, unabhängig von ihrer soeben geäußerten Meinung, Claudio liebt. Sie meint aber auch, diese Liebe aus den politischen Gegebenheiten heraus weder dem geliebten Mann, noch öffentlich äußern zu dürfen. Als Tochter eines Heerführers von Silla hat sie, nach ihren eigenen Worten, Respekt gegenüber dem Vater und dem Diktator zu zeigen.


    Verwandlung in eine Gartenanlage Roms.


    Claudio und Silla treffen aufeinander und werden von der sich verborgen haltenden Celia beobachtet und belauscht. Der Senator äußert sich, durchaus mutig, mit Vorwürfen gegen Silla: Er trete die Rechte und die Freiheiten Roms und der Römer mit Füßen und sei deshalb kein wahrer Römer mehr. Dann beschimpft er Silla als einen arroganten Mann. Bevor der Diktator antworten kann, tritt Celia aus ihrem Versteck hervor, wagt aber aus Respekt vor Silla kein Wort zu äußern. Silla jedoch übergibt ihr einen Brief von ihrem im Felde kämpfenden Vater; er bietet sich außerdem an, Catulus nach Rom holen zu lassen, wobei er selber dann den Kriegseinsatz übernehmen werde. Sillas Äußerungen erregen den Widerspruch Claudios, auf die der Diktator aber nicht eingeht. Celia geht mit Silla ab und stichelt dabei, sie sei seine „Tochter und Dienstmagd“. Claudio, allein auf der Szene, gibt sich in einer Arie kampfentschlossen:

    Mit des Kriegers Trompete lädt der Ruhm mich ein,
    Den Stolz zu betrafen und die standfeste Seele wieder zu erobern.


    Verwandlung in einen Vergnügungsgarten beim römischen Amphittheater.


    Silla tritt mit Flavia und Celia auf die Bühne, um sich einen Gladiatorenkampf anzusehen; beide Frauen hält er an den Händen. Aus einer gebührenden Entfernung beobachten Lepido und Claudio diese vertraut wirkende Szene. Als der Diktator mit Flavia und Celia an ihnen vorbeigeht, äußert Silla seine Freude, ein Phoenix mit doppelter Flamme zu sein: Liebhaber schöner Frauen und gleichzeitig ein diktatorischer Kriegsheld. Lepido und Claudio aber rufen Silla wenig Schmeichelhaftes zu: „Ungetreuer Mann! Arrogante Seele! Unbesonnener Mann!“ Die Zurufe lassen Silla, zumindest äußerlich, völlig kalt, denn er geht ohne weitere Äußerung mit den beiden Frauen in die Arena.


    ZWEITER AKT


    Eine Landschaft mit dem Tempel der Berecinta. Man sieht Männer und Frauen zu diesem Tempel eilen, sich dabei immer wieder verängstigt umsehend.


    Flavia wird von Silla bedrängt. Sie äußert sich zwar anerkennend über seinen berechtigten Ruhm, weist seine Liebesbemühungen aber zurück und bekennt sich vor ihrem Abgang eindeutig zu ihrem Mann Lepido.


    Silla zeigt sich über Flavias Zurückweisung äußerst betrübt und gesteht sich ein, diese stolze Frau nicht für sich einnehmen zu können. Er wirkt plötzlich sehr müde. In einer Arie bittet er den „süßen Gott der Sterblichen“, in ihm seine „Flügel zu entfalten“. Im Schlaf erscheint ihm die Göttin Hekate auf einem von Drachen gezogenen und von Furien mit brennenden Fackeln begleiteten Triumphwagen:

    Krieg, Gemetzel und Dummheit! Möge das erniedrigte Rom
    deine Macht zwar verehren, deine Lorbeerkränze aber mit Blut besudeln.


    Silla erwacht, aber die Göttin ist mit dem ganzen Spuk verschwunden; trotzdem bildet er sich ein, nur noch Furien und Feinde zu sehen. Er ruft laut nach seiner Wache, die sofort mit gezogenen Schwertern angerannt kommen. Seine Aufforderung, die Feinde und Geister zu töten, lösen ungläubiges Entsetzen bei den Soldaten aus, da sie ja niemanden sehen können.


    Lepido, von Sillas Geschrei aufmerksam geworden, eilt herbei und versucht den Diktator zu beruhigen. Der aber meint, der Besuch der Hekate beweise, daß die Götter ihn schon hier auf der Erde an ihrer Macht beteiligen wollen. Lepido nennt Silla mutig einen „Dummkopf im Mantel eines Usurpators“. Der aufs äußerste angespannte Silla bedroht Lepido wegen seiner Äußerungen mit dem Tode. Der zeigt aber keinerlei Angstgefühle. Silla verlangt nun von Lepido, er solle sich von seiner Frau trennen, damit sie als Gattin des „Herrschers über die Welt“ erhoben werden kann. Lepidos Weigerung überhört der Diktator und sieht sich bereits verzückt als Gatte der Flavia.


    Verwandlung in einen Palastgarten.


    Lepido hat Flavia von seinem Auftritt mit Silla berichtet und denkt laut über eine Rache an dem Herrscher nach. Flavia bleibt ganz ruhig und betont, sie lege eher Hand an sich selber, als die Gattin des Silla zu werden. Gemeinsam geloben sie sich ewige Treue.


    Im Garten treffen Claudio und Celia aufeinander. Das folgende Gespräch macht deutlich, daß ihr diese Begegnung unangenehm ist, denn sie möchte gerne allein sein und nur noch weinen: Sillas Geilheit versetzt sie in Angstzustände. Ihre Verehrung für den Herrscher ist Ernüchterung gewichen. Dann gesteht sie, von ihrer bisherigen Haltung abweichend, Claudio ihre Liebe. Der ist über dieses Geständnis so glücklich, daß er in einen fröhlichen Gesang einstimmt - obwohl der Gedanke an den Wüstling ihm nicht aus dem Kopf gehen will.


    Nach Claudios Weggang trifft Celia im Garten auf Silla und dessen Frau Metella. Ohne Rücksicht auf die Anwesenheit seiner Frau äußert sich Silla gegenüber Celia mit obszönen Wortspielen. Als er schließlich auch noch mit den Händen nach Celia greift, wird es Metella zu bunt und sie bedroht ihren Mann, ohne allerdings konkret zu werden. Nach Sillas wütendem Abgang entschuldigt sich Metella zwar für die Obszönitäten, meint aber, daß Celia an dieser Situation nicht ganz unschuldig ist:

    Deine zwei entzückenden Augen sind Führer dem Gott der Liebe.
    Dein Blick lächelt freundlich und zieht einen jeden an.


    Verwandlung in einen Garten mit einer Silla-Statue.


    Flavia und Silla treffen sich vor der gerade neu errichteten Statue des Diktators und die Gattin des Lepido zeigt sich unangenehm überrascht. Silla wird auch sofort seinem Ruf gerecht und meint, er sei krank vor Liebe nach ihr. Eine Heilung sieht er nur in einer Heirat und folgerichtig verspricht Silla Flavia seine Hand. Sie weist abermals seine Avancen zurück, worauf Silla ungehalten reagiert. Sie aber sieht sich durch Silla entehrt.


    Gerade in dem Moment, als Silla die Frau mit Gewalt an sich zieht, schweben aus der Höhe vier gespenstische Gestalten herab; sie umkreisen die Statue und versenken sie dann in die Erde. Sofort wächst an der Stelle eine Zypresse heran. Das merkwürdige Ereigniss wird von Flavia als Zeichen des Himmels für die bevorstehende physische Vernichtung Sillas gedeutet. Ganz anders bewertet der überraschte Diktator diese Szene: Er sieht sich den Göttern gleichgesetzt und mit Lorbeer gekränzt in die elysischen Felder eingehen.


    Silla unternimmt einen neuen Versuch, Flavia an sich zu ziehen, doch sie ruft laut um Hilfe. Lepido erscheint mit gezogenem Schwert auf der Szene. Es folgt ein kurzes, aber wüstes Streitgespräch mit Beschimpfungen. Silla ruft seine Wache und läßt beide mit der Begründung einer offenen Rebellion verhaften und in zwei verschiedene Kerker bringen. Lepido, der sich verteidigen will, wird von Flavia mit der Begründung, der Himmel werde helfen, zurückgehalten. Beide geloben sich nochmals ihre Treue, ehe sie von den Soldaten weggeführt werden.


    Silla will mit den verbliebenen Wachsoldaten abgehen, als Claudio und Celia lustwandelnd in den Garten kommen. Der Diktator stellt sich mit der Wache abseits, um zu lauschen. So erfährt er, daß sich Claudio bei ihr für die Belohnung seiner Treue bedankt und Celia diese Liebe zu ihm als gerechten Lohn ansieht. Kaum, daß diese Liebesworte ausgesprochen sind und das Liebespaar sich umarmen und küssen will, tritt Silla mit der Wache hervor und befiehlt, den Senator zu entwaffnen und in den Kerker zu werfen. Celia bekommt als Strafe für ihre Schuld im Palast Sillas Hausarrest - dort solle sie „mit Tränen büßen“. Die Wache führt Celia ab.


    Allein auf der Szene sinniert Sillia über seine Situation und befiehlt dann seinen Günstling Scabro zu sich. Der Vertraute erhält einen Mordbefehl: Lepido soll mit Pfeilen erschossen werden. Als Begründung gibt der Diktator seine „beleidigte Liebe“ an und fügt sarkastisch hinzu, daß der, „der genießen möchte, für sein Vergnügen auch Opfer bringen“ müsse. Für ihn, Silla, ist die Vergeltung jedenfalls ein „Fest für das Herz“. Mit zufriedener Miene geht er davon.


    Im Weggang trifft Scabro auf Metella, die den Mordbefehl ihres Mannes mitbekommen hat. Sie beschimpft ihren Ehemann als grausamen Verräter, der unschuldiges Blut vergieße. Dann bittet sie Scabro, der nicht nur Sillas Günstling, sondern auch ihr geheimer Vertrauter ist, die eingekerkerten Unschuldigen zu retten und zieht ihn hastig mit sich fort.


    Verwandlung in einen Hof mit Turm und einem Verlies mit Löwen.


    Claudio ist am Fenster des Turmes zu sehen; er ist verzweifelt, weil er sich sicher ist, den schon laut brüllenden Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden:

    Wenn mein Unglück von euch abhängt, warum, o Götter, verhindert ihr es nicht?


    Silla ist in den Hof getreten und wird unmittelbar darauf von Scabro mit einem blutigen Mantel konfrontiert. Der Diktator ist, ohne Scabros Bericht angehört zu haben, überzeugt, Lepidos Gewand vor sich zu sehen und er berauscht sich an dieser Trophäe. Er steigert sich weiter in einen wahren Blutrausch, wenn er in Vorfreude an Claudios Tod denkt, der in Kürze von den Löwen hier zerfleischt werden soll.


    Dem wegtretenden Scabro kommt Metella entgegen und fordert ihn auf, sich schützend vor seinen Herrn zu stellen. Silla erkundigt sich nach dem Sinn dieser Anordnung und hört, daß sich aufgebrachte Anhängern des toten Marius vor dem Palast zusammengerottet haben und den Tod des Diktators verlangen. Der vermutet sofort Claudio hinter dem Aufstand, zieht sein Schwert und eilt davon, um, wie er noch laut ruft, das Todesurteil an dem Senator selber zu vollstrecken.


    Scabro ist nach Sillas Abgang zurückgekommen und wird von Metella gebeten, die unschuldigen Männer zu ihr zu bringen. Während Scabro diese Bitte erfüllt, wird durch Metellas Selbstgespräch deutlich, daß sie Silla getäuscht hat. Sie bittet den Himmel, bei der Rettung der Unschuldigen behilflich zu sein. Dann kommt Scabro mit Lepido und Claudio zurück. Metella nimmt beide an die Hand und gemeinsam eilen sie davon.


    DRITTER AKT


    Ein Korridor in Sillas Palast, der die Wohnräume miteinander verbindet.


    Lepido bedankt sich bei Metella für die von ihr inszenierte Befreiungsaktion. Sie antwortet mit der Feststellung, sie habe die Tyrannei ihres Ehemannes vereiteln wollen. Lepidos Angebot, den Diktator zu töten, lehnt Metalla allerdings entschieden ab. Das respektiert Lepido zwar, aber er äußert auch seine große Sorge um Flavia, seine Frau.


    Scabro erscheint mit einem Brief für Metella; sie erfährt daraus, daß Silla seine Flucht aus der Stadt vorbereiten läßt. In diesem Augenblick zeigt sich Metella wieder einmal entscheidungsfreudig: Sie gibt Scabro den Auftrag, Lepido zu Flavias Verlies zu führen und sie freizulassen, sobald ihr Mann aus der Stadt geflohen ist. So froh Lepido über diese Entscheidung auch ist, so traurig ist Metella, daß Silla sich nicht einmal von ihr verabschiedet hat.


    Nach Metellas Weggang sind Lepido und Scabro alleine geblieben und Lepido kann sich endlich bei Scabro für dessen Hilfe aus Todesnot bedanken. Aber, so setzt er hinzu, wenn er sich auch in „deiner Schuld“ sehe, nage doch in erster Linie die Angst um seine Flavia an ihm. Beide gehen davon.


    Von einer anderen Seite kommt Silla in diesen Korridor. Er führt ein Selbstgespräch und so wird sein Plan deutlich: Die Flucht ist vorbereitet, er wird nach Trinarcia segeln und Rom hinter sich lassen - nein, nicht nur Rom, sondern auch Flavia und Celia. Die beiden Frauen waren eine Art Zeitvertreib und der nicht einmal erfolgreich. Also sieht Silla nicht zurück, sondern nach vorne: Ruhm erwerben durch die Schaffung eines Weltreiches!


    Sillas Argumentationskette ist schlüssig. Warum aber schleicht er hier auf dem Korridor in Richtung Celias Zimmer? Warum versucht er, Celia wieder einmal mit Liebesworten und Drohungen herumzukriegen? Ihm müßte eigentlich bewußt sein, daß er bei ihr keine Chancen hat - und tatsächlich weist sie ihn abermals zurück, ja, sie beschimpft ihn als einen eitlen und gewalttätigen Prahler. Gegen Claudio kann er nicht gewinnen und sie wird niemals auf ihren Geliebten verzichten. Silla reagiert natürlich wütend und schreit ihr vor seinem rauschenden Abgang entgegen: „Stolzes Mädchen! Claudio ist tot!“


    Alleine geblieben beschimpft Celia Silla weiter als „grausames Monster“; dann bricht sie plötzlich in Tränen aus. Ihre Arie richtet sie direkt an den (abwesenden) Claudio und läßt darin auch ihren eigenen Tod nicht aus:

    Dein Tod erweckt meine Trauer zum Leben.
    Aber ich werde dir folgen müssen, weil unsere Herzen unteilbar sind.


    Celia sinkt auf einen Stuhl nieder und bemerkt erst nicht, daß Claudio ins Zimmer getreten ist. Als sie plötzlich durch seine Ansprache aufschreckt, meint sie einen Geist vor sich zu sehen. Nur mit Mühe vermag Claudio sie von seiner leibhaftigen Anwesenheit zu überzeugen, dann aber springt sie auf und umarmt ihn. Claudio nennt sie liebevoll „Tyrannin meiner Seele“ und spricht von ihren „leuchtenden Augen“, die ihm Leben und Geist in seine Seele hauchen.


    Verwandlung in die Kerkerzelle der Flavia.


    Die Gefangene besingt ihre trostlose Situation, ist aber überzeugt, daß ein Weiterleben sie nur noch unglücklicher machen würde, weshalb sie sich auf das Wiedersehen mit Lepido im Elysium freut.


    Silla tritt mit einem Soldaten in den Kerker und zeigt Flavia das auf einem großen Tablett liegende blutdurchtränkte Gewand, von dem er glaubt, daß es Lepido gehörte. Ohne einen Reuegedanken zu zeigen, teilt er Flavia mit, ihr Mann Lepido sei tot. Ein erneuter Versuch, wie vorher bei Celia, sie für sich einzunehmen, scheitert: „Für dich werde ich immer nur eine Brust aus Stein haben“ sagt sie. Silla wirft ihr wütend das Kleidungsstück vor die Füße und geht dann ohne ein weiteres Wort mit der Wache ab.


    Silla hat eben die Zelle verlassen, da kommt Scabro mit Lepido auf Geheiß von Metella zur ihr und die Eheleute fallen sich, Flavia zunächst mehr ungläubig, um den Hals und gestehen sich in einer „Aria a 2“ ihre unverbrüchliche Liebe und Treue.


    Verwandlung in einen Meeresstrand mit entfernt liegendem Schiff und einem Boot im Vordergrund. Der Mond bescheint die Idylle.


    Silla und seine Frau Metella kommen und der Diktator macht ihr klar, daß er aus wichtigem Grund und unauffällig abreisen muß. Er besteigt das Boot und wird hinaus zum Schiff gerudert - Metellas Worte, daß sie ein furchtbares Schicksal erleide, trotzdem aber noch immer an die „wieder aufsteigende Flamme Liebe“ glaube, überhört Silla einfach und antwortet nicht.


    „Möge der Himmel meinem geliebten Mann mit Gunst zulächeln“ meint Metella und will abgehen - da kommt plötzlich ein gewaltiger Sturm auf und sie sieht, wie das Schiff in der schweren See durchgeschüttelt wird. Dann verdunkelt sich der Mond und an seiner Stelle wird mit gewaltigen Donnerschlägen ein riesiger Komet sichtbar, der gewaltige Blitze auf das Wasser schleudert. Sillas Schiff wird getroffen und versinkt und der Diktator wird ans Land gespült. Metella ruft entsetzt die mächtigen Götter um Beistand an, rennt an das Ufer und zieht ihren Mann mit letzter Kraft aus dem tosenden Meer.


    Verwandlung: Der Platz mit dem Kapitol und der großen Treppe.


    Claudio und Celia unterhalten sich; von den Ereignissen am Strand wissen sie bisher noch nichts. Celia äußert ihre Angst vor dem mächtigen Diktator, aber Claudio beruhigt sie mit der Ankündigung, daß er am kommenden Tag hier am Kapitol für Freiheit und Ordnung sorgen will.


    Mit dem zusammenströmenden Volk kommt auch Lepido und mit Claudio zusammen fordern er laut das Ende der Tortur und der Grausamkeiten durch Sillas diktatorischen Stil, wobei das Volk immer wieder „Freiheit“! Freiheit!“ ruft.


    Plötzlich schwebt von oben eine Wolke herab, die den ganzen Campodoglio einhüllt. Aus ihr kommt Mars, der Gott des Krieges und des Frühlings. Alles fällt vor der Gottheit auf die Knie und verneigt sich. Dann treten Silla und Metella vor und der Diktator legt sein Schwert auf der Treppe ab; danach richtet er eine Ansprache an die Würdenträger Roms und das Volk mit der Bitte um Verzeihung für seine begangenen Verbrechen. Zuletzt legt er seine Würden und Ehren ab und sagt, er werde sich mit Metella aufs Land zurückziehen und in Frieden leben.


    Alle erheben sich und Silla umarmt Metella. Lepido und Flavia preisen diesen glücklichen Tag und das ihnen freundlich gesinnte Schicksal. Claudio und Celia freuen sich auf eine gemeinsame Zukunft als Ehegatten und das sogar mit dem Einverstädnis Sillas. Das chorische Ende ist sowohl ein Reue- als auch ein Einsichtsfinale:

    Wer sich inmitten von Stürmen befindet, kann den Trost nur vom Himmel erhoffen.
    Wir brauchen einen festen Anker im ruhigen Hafen.


    INFORMATIONEN ZUR WERKGESCHICHTE


    Mit Silla ist (nach unserer heutigen Schreibweise) der Diktator Lucius Cornelius Sulla (138-78 v.Chr.) gemeint. Er hat für Rom viele siegreiche Schlachten geschlagen, darunter die gegen Mithridates Eupator, den Eroberer und König von Pontos. Sulla verhinderte dessen Vordringen auf Rom und erreichte mit dem Frieden von Dardanos (85 v.Chr.) die Wiederherstellung der Rechte und Größe des Römischen Reiches. Da dieser Frieden nicht lange hielt, war es schließlich Pompeius vorbehalten, die Ordnung in Kleinasien im Sinne Roms 63 v.Chr. neu zu regeln. Silla zog sich einer Frau zuliebe 79 v.Chr. aus der Politik zurück und starb ein Jahr später.


    Händel komponierte die Oper in den Monaten März und April 1713, als er Gast des dritten Earl of Burlington, Lord Richard Boyle, in dessen Londoner Palais war - von 1713 bis 1717. Die private Aufführung von SILLA fand wahrscheinlich im Juni 1713 auf der Bühne von Burlington House statt. Früher ging man unter Berücksichtigung von Burlingtons Italienaufenthalt (von November 1714 bis Januar 1715) noch von einer Erstaufführung im Frühjahr 1715 aus. Das aufgefundene gedruckte Textbuch mit der auf den 2. Juni datierten Widmung Giacomo Rossis an Louis-Marie D’Aumont Rochebaron (den Ludwig XIV. Ende 1712 im Verlauf der Friedensverhandlungen als außerordentlichen Botschafter nach England entsandt hatte), ermöglicht jedoch eine Festlegung des Uraufführungsdatums auf Juni oder Juli 1713. Das Libretto nennt ausdrücklich Händel als Komponisten, aber keine Sängernamen. Das „Dramma per musica“ war also von Anfang an nicht für eine öffentliche Aufführung konzipiert worden. Ob die Darbietung 1713 szenisch oder nur konzertant war, ist nicht bekannt.


    Das Autograph befindet sich in der British Library in London, ist allerdings unvollständig; das gleiche gilt für eine Abschrift aus dem Besitz Bononcinis, die sich in der Barret-Lennard-Collection befindet. Friedrich Chrysander, der die Oper am 30. Januar 1875 als Partitur herausgab, schrieb, daß eine erstmalige Gesamtschau des Notenmaterials aus dem Jahre 1780 als mangelhaft anzusehen sei und seine Arbeit mehr als „mühevoll“ war. Bis heute gibt es auch keine Neuausgabe dieses Dramma per musica. Ganz offensichtlich sind die Schwierigkeiten groß.


    Die Unvollständigkeit des Autographs schließt auch das Fehlen einer eigenständigen Ouvertüre ein, jedenfalls ist bis heute keine aufgefunden worden. Wer die Oper aufführen oder aufnehmen will, muß zu daher zu Ersatzlösungen greifen. So könnte ein Concerto grosso Händels als Vorspiel ausgewählt werden. Albert Scheibler schlägt vor, eine andere Opernouvertüre, beispielsweise jene zu SCIPIONE, zu verwenden. Scheibler hält es auch für möglich, daß Händel selber die zur Zeit der Uraufführung von SILLA bereits in Arbeit befindliche Ouvertüre zu AMADIGI verwandt hat. Als Beleg dafür sieht er die Übernahmen aus SILLA in AMADIGI an. Eine andere, in der Literatur diskutierte Alternative könnte sein, jene Ouvertüre in B-Dur, gelistet im HWV, Band 1, zu verwenden, die mit einem Largo beginnt und die nach einem Allegro-Teil mit einem Menuett endet. Welchen Weg man aber auch wählt: allen Vorschlägen ist gemein, daß die Kompositionen keine dramaturgische Beziehung zum Operninhalt selbst bieten.


    Eine weitere Besonderheit betrifft den Schlußchor: Händel sieht keinen eigenständigen Chor vor, sondern setzt, wie so oft in seinen Bühnenwerken, die Solisten als Chor ein. Dabei darf man sich durchaus wundern, daß dieser Schlußchor nur zweistimmig angelegt ist: in eine helle Violinschlüssel- und eine tiefere Altschlüsselgruppe.


    Neben dem italienischen Originaltext von Giacomo Rossi existiert eine englische Übersetzung von 1713. Diese beiden Libretti waren Grundlage für die Eindeutschung von Helmut Aselmann. Die Zitate in der vorliegenden Inhaltsangabe entstammen dieser Übersetzung.


    © Manfred Rückert für TAMINO-Opernführer 2011
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Albert Scheibler: Die 53 Bühenwerke des Georg Friedrich Händel
    Silke Leopold: Händel, die Opern
    Online-Musik-Magazin: Über SILLA bei den Karlsruher Händel-Festspielen 2003
    Wikipedia über Händel

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    MUSIKWANDERER

  • Es gibt eine Einspielung dieser Oper bei den Tamino-Werbepartnern Amazon und jpc, auf die Interessenten an dieser Stelle hingewiesen werden sollen:



    mit James Bowman, Simon Baker (Countertenöre)
    Joanne Lunn, Rachel Nicholls, Natasha Marsh, Elizabeth Cragg (Soprane)
    Christopher Dixon (Tenor)
    The London Handel Orchestra, Leitung Dennys Darlow

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    MUSIKWANDERER

  • Lucio Cornelio Silla
    Dramma per musica in drei Akten
    Libretto: Giacomo Rossi nach Plutarch
    Musik von Georg Friedrich Händel
    Werkstruktur: 3 Akte, HWV 10
    Sprache: italienisch. Aufführungsdauer: 2 Stunden
    Uraufführung: 2.6.1713 in London


    (Es gibt erhebliche Rätsel um die Entstehung und Aufführung von Händels Silla – wenn sie überhaupt jemals stattfand. )



    Burlington House: Hier fand vielleicht die Aufführung des Silla in privatem Rahmen statt.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)