HÄNDEL; Georg Friedrich: TOLOMEO

  • Georg Friedrich Händel (1685-1759):


    TOLOMEO, RE D'EGITTO
    Dramma per musica in drei Akten - Libretto von Niccola Francesco Haym
    nach „Tolomeo ed Alessandro, overo la disprezza“ von Carlo Sigismondo Capece


    Uraufführung am 30. April 1728 im Londoner King's Theatre am Haymarket


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Tolomeo, verstoßener Sohn von Cleopatra III.
    Seleuce, seine Braut aus fürstlichem Stamm
    Alessandro, bevorzugter Sohn von Cleopatra
    Araspe, skrupelloser König von Sizilien
    Elisa, seine habgierige Schwester


    Das Geschehen ereignet sich um 110 v. Chr.auf Sizilien.

    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT


    Felsenlanschaft an Siziliens Küste.


    Der ägyptische Thronfolger Tolomeo, von seiner Mutter Cleopatra zugunsten seines Bruders Alessandro aber verstoßen, ist vor längerer Zeit auf einer Irrfahrt vor Sizilien gelandet. Hier gibt er sich als Schäfer Osmin aus. Er fühlt sich jedoch, fern seiner Heimat und seiner geliebten Seleuce, elendig und verlassen. Sein Entschluß, seinem Leben ein Ende zu setzen, ist gefaßt. Aber hier greift das Schicksal ein: Tolomeo hört Hilfeschreie vom Meer her und rettet einen aus einem gekenterten Boot ins Meer gestürzten Mann das Leben. Schwimmend ans Land gezogen erkennt er in dem Ohnmächtigen seinen Bruder Alessandro. Obwohl diesem nicht freundlich gesinnt, sogar an einen Mord denkend, läßt Tolomeo ihn am Leben:

    Cielo ingiusto, potrai fulminarmi /
    Mich können Haß und Schande vernichten, aber mein ehrliches Handeln und Herz nicht.


    Nach Tolomeos Abgang trifft Elisa mit Alessandro hier am Strand zusammen. Die junge Frau ist die Schwester des sizilianischen Königs Araspe und durch Sturmeswüten an das Gestade gelockt worden. Die beiden machen sich bekannt und Elisa schwärmt gegenüber Alessandro von einem unbekannten Schäfer mit Namen Osmin. Die Frage, warum sie sich gegenüber einem Fremde derartig öffnet, wird nicht beantwortet. Wohl aber wird klar, daß sie beide auf den - letztlich nicht erscheinenden - Araspe warten. Und Alessandro läßt Gefühle für die schöne junge Frau erkennen:

    Non lo dirò col labbro / Was mich bewegt,
    kann ich dir nicht sagen, fühle an meinen Blicken mein wachsendes Entzücken.


    Nach seinem Abgang spricht Elisa zu sich selbst (und läßt dabei ihre Selbsteinschätzung erkennen): sie hat mal wieder eine Eroberung gemacht, wie es ihr schon oft gelungen ist. Aber sie wiederholt ihre Verliebtheit zu dem Hirten Osmin, denn einem Herzen kann man nicht befehlen:

    Quell'onda, che si frange / Gleich rollenden Kristallen seh' ich die Wasser wallen.
    Liebesleiden sende ich hernieder und besinge trübe sehnsuchtsvolle Lieder.


    Verwandlung in eine liebliche Gegend mit Araspes Landsitz; seitlich eine Schäferhütte.


    Wir lernen eine neue Protagonistin dieser Oper kennen, die aus einem Fürstengeschlecht stammende Seleuce. Gleichzeitig erfahren wir von ihr, daß auch sie aus Ägypten floh und jetzt in Sizilien als Schäferin Delia lebt. Sie äußert ihre tiefe Sehnsucht nach dem geliebten Bräutigam Tolomeo.


    Lange kann sie nicht wachträumen, denn Araspe kommt auf die Szene und erklärt Seleuce so en passant, daß er sie anbetet. Er läßt sie in Unmut und Verwirrung zurück. Wiederum spricht sie, bevor sie dann abgeht, mit sich selbst:

    Mi volgo ad ogni fronda, m'arresta / Der Weg, den ich gehe, die Sonne, die ich sehe,
    das Rauschen naher Quellen, der ferne Sog der Wellen, bald leise, bald laut, sie sind auch ihm vertraut. Lieber, wo magst du wohl sein? Du weißt, ich bin dein.


    Vor der Schäferhütte treffen sich Tolomeo als Osmin und Elisa; sie kommen ins Gespräch und Tolomeo ist betrübt über seine aus Ehre (und vielleicht sogar Bruderliebe?) vollzogene Rettung von Alessandro. Elisa meint, ihm über seine Trübsal hinweghelfen zu können und bietet ihm an, in der Dunkelheit zu ihr zum Landhaus zu kommen - sie werde dort warten. Tolomeo weiß zwar dieses eindeutige Angebot zu schätzen, ist sich aber sicher, daß seine Qualen durch dieses Treffen nicht enden werden:

    Tiranni miei pensieri, datemi di roposo / Gedanken sind wie dunkle Qualen.
    Vergessen kann ich nicht, welbst wenn ich nur für Stunden Vergessen fänd' im Licht.


    Nach Elisas Abgang legt sich Tolomeo abseits auf ein Wiesenstück und schläft ein. Seleuce naht und besingt, den Schlafenden zunächst nicht wahrnehmend, abermals ihre traurige Situation. Als sie sich umdreht, sieht sie einen schlafenden Mann auf der Wiese liegen und hofft, ihren geliebten Tolomeo gefunden zu haben. Zwar kann sie sein abgewandtes Gesicht nicht sehen, meint ihn aber an seinem Äußeren unzweifelhaft erkannt zu haben.


    Ehe sie sich durch eine „Gesichtskontrolle“ endgültige Sicherheit verschaffen kann, kommt Araspe gut gelaunt hinzu, beschimpft „seine“ Delia aber sofort, als er, die Situation verkennend, sieht, wie sie sich zu Tolomeo hinunterbeugt. Der durch den Lärm erwachende Tolomeo bekommt dann von Araspe auch noch sein Fett weg, als er nämlich seinen Kopf zu Seleuce hebt und der König diese Bewegung schon wieder falsch deutet. Tolomeo aber versteht, noch ganz verschlafen, die Aufregung nicht, denn er kennt keine Delia; Araspe wiederum weiß nicht, wen er vor sich hat. Der König sieht nur, daß ihm hier ein Rivale erwachsen könnte, gibt sich aber leutselig und will dem Schäfer Osmin das Leben schenken - wenn der Sizilien sofort verläßt.


    Nach dem sowohl Seleuce als auch Araspe die Szene verlassen haben, versucht Tolomeo seine Gedanken zu sortieren. Hatte er nicht soeben Seleuce gesehen? Oder war das Bild vor seinen Augen doch nur ein Traum?

    Torna sol per un momento, ombre cara /
    Wie in Traum mir offenbart, warst du nah und schienst zu leben.
    Mir vor Augen steht ein Bild, und mein Herz fühlt sich erbeben.


    ZWEITER AKT


    Ländliche Gegend mit prächtiger Villa. Abendstimmung.


    Elisa ist nach dem Aufgehen des Vorhangs allein auf der Szene; sie ist erregt und äußert sich eindeutig über körperliche Erwartungen:

    Voi dolci aurette al cor, mostrate / O komm' du zarte Luft und kühle meinen Leib.
    Ich brauch' dich mehr als nur zum Zeitvertreib.
    Du linder Hauch vom Meer, führ' mir den Liebsten her.


    Und Tolomeo kommt tatsächlich; trotz seiner Schläfrigkeit vorhin hat er Elisas Lockruf wahrgenommen. Sie gibt ihm ihr Bedauern über die Trennung von der Schäferin Delia durch ihren Bruder zu verstehen. Aber Tolomeo will Ehrlichkeit und geht insofern mit gutem Beispiel voran, als daß er sich als ägyptischer Prinz Tolomeo zu erkennen gibt. Er fügt hinzu, daß sein rachsüchtiger Bruder Alessandro ihn sucht, um ihn dem sizilianischen König, ihrem Bruder, auszuliefern. Elisa reagiert verstört und traurig zugleich.


    Szenenwechsel in einen Raum der Villa.


    Tolomeo erscheint vor Araspe, für den er allerdings noch immer der Schäfer Osmin ist. Der König, zuerst zornig aufgelegt, weil Osmin noch im Lande ist, verlegt sich strategisch auf skrupellose Scheinheiligkeit, als der Schäfer ihm erklärt, daß er in Wirklichkeit Prinz Tolomeo ist. Hier kommt wieder Elisa ins Spiel, die das Geschehen zu entkrampfen versucht, indem sie sich Tolomeos annehmen will, um durch ihn Seleuce zu finden. Araspe findet diese Idee gut und Elisa wiegt Tolomeo in (scheinheiliger) Sicherheit.


    Nachdem die drei abgegangen sind, tritt Seleuce auf. Ihre Arie drückt Zweifel und Leid aus, weil sie die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Tolomeo aufgegeben hat:

    Aure, portate al caro bene le tante pene /
    Traget ihr Winde der Einsamen Klage, traget geschwinde, was ich ihm sage.


    Plötzlich erscheint Elisa mit Tolomeo und erklärt, daß sie Seleuces Bekanntschaft machen will. Tolomeo freut sich so, seine Braut nach langer Zeit gesund wiederzusehen, daß er völlig verwirrt reagiert, als Seleuce ihn nicht zu erkennen vorgibt. Elisa allerdings glaubt, das Versteckspiel im Schutze des Gastrechts zu verstehen. Sie geht zum Angriff über und fordert für Schutz und Hilfe gegenüber ihrem Bruder Araspe Tolomeos Liebe ein. Das ist für den aber käufliche Liebe und die lehnt er rundheraus ab; er bekennt sich zu Seleuce:

    Se un solo è quel core ch'io chiudo nel petto /
    Immer und ewig gilt mein Versprechen, auf immer die Sehnsucht, auf immer mein Leid.


    Nach Tolomeos Abgang zeigt Elisa sich ebenso stolz wie rachedürstig, eine verlachte und verschmähte Frau, die noch Giftpfeile im Köcher hat. Als sie abgehen will, tritt ihr Alessandro in den Weg und wirbt unmittelbar um sie. Elisa macht einen Giftpfeil zum Abschuß fertig: Tolomeo lebt, sagt sie dem erstaunten Ägypter, und ist gewillt, ihm den Pharaonen-Thron streitig zu machen. Also möge er doch erst einmal dafür sorgen, daß ihm, Alessandro, der Thron auch sicher sei. Hocherhobenen Hauptes geht sie davon, mit der Gewißheit, daß ihr verschossenes Gift wirken wird.


    Alleine geblieben macht Alessandro seine gewonnenen Erkenntnisse deutlich, und dem Publikum wird klar, daß Elisas Gift tatsächlich gewirkt hat. Elisa würde aber vor Wut schäumen, wüßte sie, daß ihr Gift bei Alessandro Heilung bewirkt hat: Er erkennt Elisa als verderbt und sich selbst als einen Usurpator. Sein Entschluß steht fest: er wird Tolomeo als rechtmäßigen Thronerben anerkennen. Seine Erkenntnis ist ehrlich und er bedauert, daß er Bruderliebe in Untreue verwandelt hat. Er fühlt sich elendig und sucht Frieden:

    Pur sento, o Dio, che l'alma in calma / Die Schuld will ich begleichen,
    aus Schwachheit einst getan. Das Unrecht ohne gleichen, fachte die Mutter in mir an.


    Szenenwechsel in eine Waldlichtung.


    Seleuce ruft - alleine auf der Szene - die Natur um Hilfe an, den Liebsten zu finden. Diesen Hilferuf hört, zunächst ungesehen, Tolomeo und er bemüht sich, durch stetes Antworten auf Seleuces Rufe, ihren Aufenthaltsort herauszufinden. Aber noch ist es nicht soweit.


    Dafür ist ein anderer sofort zur Stelle: Araspe. Der hat das Rufen auch gehört und er tritt zu Seleuce, die für ihn ja immer noch die Schäferin Delia ist. Auf seine an Delia gerichtete Frage, warum sie den Schäfer Osmin suche, antwortet der hinzukommende Tolomeo: er bekennt sich zu Seleuce als seiner Braut und er gesteht dem König abermals, daß er Tolomeo ist, und ihm insofern auch Thronrang zukommt. Seleuce bestätigt alle Angaben ihres Bräutigams und klärt den sizilianischen König auch dahingehend auf, nicht eine Schäferin mit dem Namen Delia, sondern die aus fürstlichem Geblüt stammende Seleuce zu sein. Sie bittet um Hilfe unter Königen und fleht um Araspes Schutz.


    Araspe, zunächst über die beiden Geständnisse überrascht, reagiert sofort in der ihm eigenen Art: er reibt sich über sein Jagdglück, zumindest innerlich, die Hände und läßt durch seine Wache die beiden festnehmen. Zu Seleuce sagt er:

    Piangi pur, mà non sperare / Flehe nur! Dein Klagen rührt mich nicht.
    Meine Rache wird dadurch befriedigt. Mein Leid entstammt der Eifersucht um dich.


    Verwandlung in einen kleinen Raum von Araspes Palast.


    Seleuce und Tolomeo werden von Soldaten bewacht. In ihnen ist die Erkenntnis gewachsen, daß sie ihre Wiedersehensfreude nur kurz genießen können, denn der Tod ist ihnen sicher. Deswegen aufeinander verzichten wollen sie aber auf keinen Fall. Ihr Duett beendet den zweiten Akt:

    Se il cor ti perde, o caro (cara); in duolo cosi amaro (amara) /
    Ach! Muß ich von dir scheiden, kaum daß ich dir begegnet.
    Und naht nun unser Sterben brennt heiß die Liebe nur für dich.


    DRITTER AKT

    Ein Kabinett in Araspes Palast, angrenzend die Privaträume des Königs.


    Alessandro ist allein im Kabinettzimmer. Er hat die Mitteilung erhalten, daß seine Mutter Cleopatra gestorben ist. Diese Nachricht soll allerdings noch nicht bekannt werden, denn zunächst möchte er seine Schuld gegenüber seinem Bruder Tolomeo sühnen, dabei aber planvoll vorgehen und nichts übereilen.


    Araspe kommt ins Kabinett und teilt Alessandro mit, daß Tolomeo gefangen genommen wurde und somit sein ärgster Feind unschädlich sei. Das sei doch wohl Grund genug für gegenseitige Glückwünsche, meint er weiter. Erst entgeistert, dann ablehnend reagiert Araspe, als er von Alessandro hört, daß dieser seinen Bruder nicht tot sehen, sondern mit nach Ägypten nehmen will. Araspes Reaktionen lassen bei Alessandro die Alarmglocken klingen: seine Sühnepläne will er durchziehen, auf keinen Fall jedoch Araspe diese Pläne verraten. Er denkt auch nicht daran, sich Elisa gegenüber zu äußern - er ist mit ihr fertig. Alessandro muß zugeben, daß die Königs-Schwester zwar wunderschön, vielleicht sogar lieblich zu nennen ist, sich jedoch auf der (imaginären) Charakterleiter ganz unten befindet.


    Araspe, allein geblieben, hat erkannt, daß er Alessandro nicht zum Brudermord verleiten konnte. Aber er hat keine Probleme damit, diese Aufgabe selber zu übernehmen. Er ist auch immer noch davon überzeugt, daß es sein Schade nicht sein wird, denn die ablehnende Haltung von Alessandro schien ihm mehr königliche Zurückhaltung als innere Überzeugung auszudrücken. Das Lob für den Mord am Bruder wird ihm schon noch erteilt werden.

    Verwandlung in ein Frauengemach im Palast.


    Seleuce und Elisa fechten einen verbalen Kampf aus: Elisa will Tolomeo für sich und nur in dieser Konstellation hat auch Seleuce eine Überlebenschance, ansonsten ist beiden der Tod sicher. Seleuce will alles für das Leben des Geliebten geben, sogar sich selbst zu opfern ist sie bereit. Elisa hört das mit einem Gefühl von Siegesgewißheit und geht ab. Unmittelbar darauf kommt Tolomeo, der das Gespräch mitgehört hat und versucht, seiner Braut diesen Weg auszureden. Lieber sollten sie, wie schon einmal besprochen, gemeinsam in den Tod gehen. Seleuce gibt Tolomeo insgeheim recht und will ihm folgen:

    Senze il suo bene la tortorella sospira /
    Wie du mir eben die Treue geschworen, so will ich dich lieben bis in den Tod.


    Wachen kommen in das Gemach und ergreifen Seleuce, fesseln sie und führen sie hinaus. Tolomeo will rachedürstig reagieren, doch die hinzutretende Elisa verhindert einen Kampf und bietet sich ihm abermals als die bessere Geliebte an, äußert sich aber gleichzeitig recht drastisch:

    Ti pentirai, crudel, d'aver offerro un cor che tanto t'ama /
    Dein Stolz soll dich gereu'n, der mich beleidigt.
    Mein Herz hat dich angebetet und verteidigt. Nun, da du nicht mein, will ich grausam sein.


    Da Tolomeo kein Einlenken auf ihre Forderungen erkennen läßt, ruft Elisa die Wachen, gegen die Tolomeo sofort sein Schwert zieht und feststellt, er stehe da „wie ein Fels, umbraust von Stürmen und umgeben von Haß“. Er kämpft sich den Wegen frei und eilt davon.


    Verwandlung in eine Waldlichtung.


    Alessandro steht unschlüssig und wartet auf Tolomeo. Zu ihm eilt jedoch Seleuce (wie konnte sie sich befreien?), die er nicht auf Sizilien vermutete. Und Seleuce gibt sich erstaunt, daß ausgerechnet der Tolomeo feindlich gesinnte Bruder sie vor den anrückenden Wachen retten will. Erstaunt nimmt sie auch zur Kenntnis, daß Alessandro seine Haltung gegenüber Tolomeo geändert hat und ihr verspricht, ihr treuester Diener zu sein, wenn sie neben seinem Bruder als Königin von Ägypten herrschen wird. Nach seinem Weggang muß Seleuce erst einmal Alessandros Sinneswandel verdauen:

    Torni omai la pace all'alma / Sieh, der Friede kehrt mir wieder,dringt in meine Seele ein.
    Neue Hoffnung schwebt hernieder, Freude und Glück sind mein.


    Tolomeo tritt auf; ihm ist die Flucht nicht gelungen. Mit einem Giftbecher ist er allein auf der Szene und entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen: „Kelch des Leidens sei mir willkommen“. Er kann die Tyrannei nicht mehr ertragen.


    Szenenwechsel: Der Thronsaal im Palast.


    Araspe verkündet, daß Tolomeo tot ist. Elisa mischt sich ein und behauptet das Gegenteil. Sie hat nämlich den Giftbecher mit einem harmlosen Getränk vertauscht. Es wird klar, daß sie das nur für sich getan hat. Elisas Geständnis macht Araspe wütend; als er sich nach Seleuce erkundigt, gesteht seine Schwester, daß sie die Braut Tolomeos längst ins Reich der Schatten geschickt hat. Alessandro widerspricht energisch, hat er doch soeben noch mit Seleuce gesprochen, nachdem er sie vor Araspes Häschern rettete. Hier kommt die Weisheit „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ zum Tragen.


    Tolomeo und Seleuce kommen aus unterschiedlichen Richtungen auf die Szene und geben sich in einem Duett mit Gewißheit als Sieger des stattgefundenen Machtkampfes aus. Und Alessandro nennt hier Tolomeo erstmals „meinen Bruder“; er berichtet, daß ihre Mutter verstorben sei. Sie war zwar, wie er sagt, eine böse Frau, trotzdem bittet er für sie um Verzeihung für die erlittenen Ungerechtigkeiten. Tolomeo gibt sich versöhnlich und vergibt allen ihre Schuld. Der Schlußchor vereinigt alle Protagonisten:

    Applauda ogn' uno il nostro fato /
    Laßt euch gefallen, wie es endet. Hat sich doch allen freundlich gewendet,
    was sie erduldet, was sie getan; was sie verschuldet, rechnets nicht an.


    INFORMATONEN ZUM WERK


    Nicola Francesco Haym schrieb das Libretto zur hier vorgestellten Oper nach einer Vorlage von Carlo Sigismondo Capece, das erstmals von Domenico Scarlatti vertont worden war. Dessen Oper „Tolomeo et Alessandro, overo La corona disprezzata“ wurde 1711 in Rom uraufgeführt. Ob Händel Scarlattis Werk gekannt hat, wissen wir nicht; Einflüsse sind jedenfalls nicht feststellbar. Haym widmete seinen Text dem Second Earl of Albemarle, William Anne Kent, einem Mitglied im Direktorium der „Royal Academy of Music“.


    Der historische Hintergrund der Oper bezieht sich auf Ptolomaios IX., ägyptischer König von 116-110, 109 bis 107 und 88-81 v.Chr., der in verschiedenen Verbindungen mit seiner Mutter Cleopatra III. und seinem jüngeren Bruder Ptolomaios (X.) Alexander (I.) über Ägypten und Zypern herrschte. Cleopatra hielt mehr von ihrem jüngeren Sohn Alexander und vertrieb ihren Ältesten aus Ägypten, der sich nach Zypern begab. Eine Versöhnung zwischen Sohn und Mutter kam nie zustande; Cleopatra starb 101 v.Chr.


    Fest steht, daß TOLOMEO von März bis zum 19. April 1728 komponiert wurde und sieben Aufführungen erlebte. Die Hoffnung der Autoren, daß die Akademie durch das neue Werk gerettet werden könnte, erfüllte sich nicht. Händel muß jedoch das „Dramma per musica“ höher eingeschätzt haben als die im zeitlichen Umfeld entstandenen Opern „Riccardo Primo“, „Siroe“ und „Lotario“. Diese Bühnenwerke kamen nämlich über eine Aufführungsserie nicht hinaus, während TOLOMEO 1730 und 1733 nochmals auf der Bühne erschien.


    Für beide Aufführungsserien hat der Komponist die Erstfassung aber derart stark überarbeitet, daß im zweiten und dritten Akt von der ursprünglichen Musik nicht mehr viel übrigblieb. Für 1733 wurden etliche Änderungen von 1730 wieder rückgängig gemacht und fünf Arien, die aus anderen Opern übernommen worden waren, durch wieder andere ersetzt. Forschungen haben ergeben, daß Händel bei Telemann (Der harmonische Gottesdienst) und bei sich selber (Rodelinda) Anleihen machte und einige Stücke aus TOLOMEO später bei „Jupiter in Argos“ wiederverwandte. Interessant ist zusätzlich, daß für TOLOMEO Fragmente aus einer unvollendet gebliebenen Oper, „Genserico“ (HWV A2), verarbeitet worden sind.


    Händels Autograph (Quelle A) befindet sich in der British Library in London und enthält sämtliche Musik dieser Fassung; dazu noch Stücke, die während des Entstehungsprozesses ausschieden. Die Direktionspartitur (Quelle B) enthält neben der Musik von 1728 alle Sätze von 1733 und diejenigen von 1730, die 1733 beibehalten wurden. Diese Partitur befindet sich heute in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek „Carl von Ossietzky“. Weitere Quellen (die Malmesbury- und Aylesford-Partituren (Quellen C und D), die Coke- und Lennard-Collectionen (Quellen E und F) lassen ihre Abhängigkeit von Quelle B erkennen, sind aber offensichtlich zu Zeiten entstanden, als Händel die Versionen von 1730 und 1733 noch nicht vollständig abgeschlossen hatte.


    Friedrich Chrysander zog das Autograph wie auch die Direktionspartitur für seine 1878 veröffentlichte Notenausgabe heran. Sie ist insofern von zweifelhaftem Wert, weil sie zwar hinsichtlich der geschlossenen Musiknummern die Uraufführungs-Fassung bietet, bei den Rezitativen allerdings auch jene Abschnitte oder Varianten bringt, die niemals aufgeführt worden sind. In anderen Fällen sind einander ausschließende Versionen mit „A“ und „B“ bezeichnet, wobei der Benutzer aber nicht erfährt, welcher Fassung die jeweilige Version zuzordnnen ist.


    Auch in diesem Fall bietet die Ausgabe der Partitur des Bärenreiter-Verlages (Herausgeber Michael Pacholke) aus dem Jahre 2000 eine umfangreiche Einführung in die Entstehungsgeschichte von TOLOMEO, einschließlich aufführungspraktischer Hinweise zur Orchesterbesetzung. Der Hauptteil bringt die Version von 1728, zwei Anhänge ermöglichen es, auch die Fassungen von 1730 und 1733 aufzuführen.


    Die Inhaltsangabe in diesem Beitrag nimmt Bezug auf die Erstfassung von TOLOMEO aus dem Jahre 1728. Die deutschen Übersetzungen zu den italienischen Arientexten stammen von Waltraud Lewin.


    © Manfred Rückert für Tamino-Opernführer 2011
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Partiturausgabe von TOLOMEO, RE D'EGITTO, Bärenreiter-Verlag, 2000
    Albert Scheibler: Die 53 Bühnenwerke des Georg Friedrich Händel
    Prof. Dr. Silke Leopold: Händel. Die Opern

    .


    MUSIKWANDERER

    Einmal editiert, zuletzt von musikwanderer ()

  • TOLOMEO, RE D'EGITTO gehört zu den kaum auf Tonträgern dokumentierten Opern Händels. Amazon und jpc, die Tamino-Werbepartner, haben die folgende CD-Einspielung im Angebot:


    In dieser 2006 veröffentlichten Opernaufnahme
    leitet Alan Cutis „Il Complesso Barocco“.


    Die Interpreten sind:


    Tolomeo: Ann Hallenberg
    Seleuce: Katharina Gauvin
    Elissa: Anna Bonitatibus
    Alessandro: Romina Basso
    Araspe: Pietro Spagnoli





    Bei Amazon sind allerdings noch folgende Aufnahmen erhältlich:



    Hier singen
    Seleuce: Brenda Harris
    Elisa: Andrea Matthews
    Alessandro: Mary Ann Hart
    Tolomeo: Jennifer Lane
    Araspe: Peter Castaldi


    Richard Auldon Clark leitet das Manhattan Chamber Orchestra (1986)









    mit Brian Bannatyne-Scott als Alessandro
    Elisa: Romelia Lichtenstein
    King Araspe: Axel Köhler
    Seleuce: Linda Perillo
    Tolomeo: Jennifer Lane


    Es spielt das Händelfestspielorchester Halle
    Howard Arman dirigiert (1996)

    .


    MUSIKWANDERER