Nach dem ganzen Trubel um die erste Spielplanpressekonferenz der neuen Züricher Intendanz, habe ich es gestern noch einmal nach Zürich geschafft, um eine der letzten großen Neuinszenierungen der Ära von Alexander Pereira anzusehen. Und diese Aufführung stand noch einmal für das, was Herr Pereira was Herr Pereira 21 Jahre lang in Zürich (mit Ausnahmen) praktizierte: hohes musikalisches Niveau und zurückhaltende Inszenierung, die vollkommen hinter der musikalischen Einstudierung zurücktrat!
Auch in Zürich hatte man sich nach zwei vieraktiken Versionen endlich dazu entschieden, die fünftaktige sog. Modena-Fassung von 1886 in italienischer Sprache zu spielen. Darüber war ich sehr froh, da die oftmals auch an großen Häusern immernoch gespielte vieraktige Fassung für mich sowohl musikalisch als auch von der Handlungslogik wenig Sinn ergibt. Ebenfalls sehr zu begrüßen war die Tatsache, dass die Züricher Aufführung mit dem bereits zur Pariser Uraufführung gestrichenen Chor der hungernden Holzfäller beginnt, bei dem Elisabetta in Fontainebleau während der Jagd auf das unter dem Krieg leidende Volk trifft. Dieser Beginn erklärt, warum sie am Ende dieses Akts von einem Augenblick auf den anderen in die politische Heirat mit Philipp II. einwilligt.
Vor Beginn trat Alexander Pereira vor der Vorhang und verkündete, dass eine Woche vor der Premiere sämtliche Sänger der Aufführung, bis auf den Sänger des Posa erkrankt gewesen seien und Dirigent Zubin Mehta sich zwei Stunden vor Aufführungsbeginn einen Hexenschuss beim Aufstehen geholt hatte. Dies tat der Qualität seines Dirigats aber keinen Abbruch - und so dirigierte Mehta, zu dessen Lieblingsopern der Carlo nach eigenen Angaben gehört, eine überwältigende Vorstellung und holte alles aus dem Orchester raus, was nur ging. Von dem kurzen traurigen Orchestervorpiel des Fotainebleau-Akts, über die feierlichen Gesänge der Mönche und das prächtig-effektvolle Autodafé und die großen Ensemble-Szenen wie das Quartett traf Mehta genau den richtigen Tonfall und erhielt vom Publikum bereits nach der Pause die verdienten Ovationen, die sich am Ende in lauten Jubel steigerten! Ich habe Mehta bereits mehrfach in München den Don Carlo dirigieren gehört und war auch damals schon begeistert.
Bei den Sängern begeisterte erneut Anja Harteros als Elisabetta, die ich zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen in dieser Rolle gehört habe und die für mich einer Idealbesetzung gleichgekommt. Zwar begann sie gestern Abend (erkältungsbedingt?) etwas verhalten, steigerte sich aber in ihrer ersten Arie zu der von ihr gewohnten Form und beeindruckte im fünften Akt durch ihre traumhaft gesungene Arie mit himmlischen Piani!
Vesselina Kasarova, die in dieser Aufführung ihre Rollendebut als Eboli gab, ist nun entgültig im dramatischen Fach angekommen. Die Kasarova spielte, obwohl in ein enges hochgeschlossenes Kostüm regelrecht eingezwängt, mit großer Intensität, wobei es ihr gelang den Wandel von einer sehr leidenschaftlichen, energischen, stolzen (sogar die Mönche verneigen sich zunächst vor der Eboli!) und vielleicht auch etwas zickigen Prinzessin, bis hin zu einer fast gebrochenen Frau zu verkörpern, die am Ende ihre intriganten Taten aufrichtig bereut und am Ende des Don Fatale verzweifelt unter dem Bild eines gekreuzigten Jesus betete. Stimmlich gelangen ihrem Rossini-geschulten Mezzo die Koloraturen des Schleierlieds vorzüglich, wobei sie sich hier viele Freiheiten nahm, um eigene Verzierungen hinzuzufügen. Auch die Gartenszene und das Don Fatale gelangen ihr auf eine so beeindruckende Weise, wie ich es von ihr eigentlich (nach einigen Enttäuschungen mit ihr in den letzten zwei Jahren) nicht erwartet hatte. Zurecht erhielt auch sie Ovationen. In der Titelrolle musste Fabio Satori am Ende auch ein paar Buh-Rufe einstecken, zu Unrecht wie ich finde. Sicher ist der ziemlich adipöse Sänger in seiner darstellerischen Gestaltung eingeschränkt, aber mir hat sein kräftiger Tenor mit schönem italienischen Timbre gut gefallen. Allerdings hatte er vor allem im Liebes-Duett des Fontainebleau-Akts einige Höhenprobleme. Erst im zweiten Duett mit Elisabetta bekam er diese in Griff und sang gemeinsam mit Anja Harteros ein hinreißendes Schlussduett im 5 Akt. Matti Salminen, den ich bereits in München mehrfach als Filippo gehört hatte war bei seinen Auftritten im zweiten Akt, noch deutlich eine krankhaftsbedingte Insisposition anzuhören. Sein herrlicher Bass klang hier kraftlos und brüchig. Dies änderte sich glückicherweise in der Arie des vierten Aktes, wo es diesem großen Sänger auf beeindruckende Weise gelang die Zerissenheit des alternden, einsamen Königs zu verkörpern. Ab hier war Salminen stimmlich und darstellerisch wirklich ganz große Klasse! Das gleiche gilt für den Prachtbariton von Rollendebütant Massimo Cavalletti als Posa, der schnell die Herzen des Publikums gewann und ebenfalls Ovationen erhielt. Die Duette mit Carlo und seine Romanze im 2. Akt waren mit strahlendem Bariton gesungen, während er die Sterbenszene sehr berührend und lyrisch sang! Hoffentlich wird man diesen Sänger noch öfters hören! Alfred Muff orgelte sich mit tiefem schwarzen Bass durch den Grpßinquisitor, während Pavel Daniluk als Mönch seinen Auftritt im Zweiten Akt nur in ungefähr sang und am Ende aber seine Szene mit der notwendigen Intensität gab. Bettina Scheebeli als Tebaldo (vom Regisseur unnötigerweise in die Dienerin Tebaldine (?) verwandelt, sang für meinen Geschmack zu "gedrückt", während Sen Guo die Voce dal Cielo mit wuderbar himmlischen Koloratursopran sang! Auch hervorragend besetzt waren die Flandrischen Deputierten mit den Sängern des züricher Opernstudios! Der Chor sang einstudiert von Ernst Raffelsberger prächtig!
Und nun zur Inszernierung von Sven-Erich Bechtolf. Die gute Nachricht zuerst: Es war eine klassische Inszenierung, die das Werk in seiner Zeit beließ; die schlechte Nachricht ist, ich weiß dennoch nicht so recht weiß,was ich davon halten soll. Bühnenbildner Rolf Glittenberg hatte, ähnlich einem Bilderrahmen ein Passepartout-System eingerrichtet, welches die Bühne für die intimen Szenen geschickt verkleinerte und, wenn nötig dem Chor den nötigen Raum gab. Die Farben waren insgesamt (und zum Charakter der Oper passend) eher dunkel gehalte. So sah man im ersten Akt einen Sternenhimmel über einigen Strohballen, auf denen zunächst das hungerne Volk saß und zwischen denen Carlo und Elisabetta einander lieben lernten, was durchaus angemessen gelöst war. Leider war das Klosterbild völlig idiotisch gestaltet. Zwischen angedeuteten Säulen stand ein hässlicher überdimensionaler Totenschädel auf der Bühne (wozu??) , daneben die Grabplatte von Karl V., die mit einem goldenen Skelett verziert war, welches eine Krone trug. Die Gartenszene atmete dagegen eine der Musik entsprechende Atmosphäre, wobei der Spielort durch drei Zypressen im Hintergrund angedeutet war, während für die Szene mit dem nächtlichen Schleirtausch erneut passenderweise ein Sternenhimmel sichtbar wurde!
Für das Autodafé stand eine Gruppe von abstrankten, riesigen weißen Kreuzen im Mittelpunkt der Szenerie. Die Szene war sehr monumental gestaltet und entsprach nicht zuletzt auf Grund der schwarzen, aber prächtigen Kostümen durchaus Verdis Musik. Natürlich gab es auch eine angedeutete Ketzerverbrennung mit Feuer und Rauch!
Der vierte Akt begann auf schwarzer verkleinerter Bühne, Phillipp saß auf einem goldenen Stuhl unter einem riesigen Jesusbild, bei Erscheinen des gespenstisch kostümierten Großinquisitors wurde die Bühne erweitert und ein zweiter goldener Stuhl wurde für den Großinquisitor auf der anderen Seite der Bühne sichtbar.
Auch gab es es in der Kerkerszene ein richtiges Gefängnis mit Gitterstäben, welche zunächst zwecks Bühnenverkleinerung nur teilweise sichtbar waren und dann beim Volksaufstand durch das Passepartout-System wieder der Situation entsprechend erweitert wurde! Im fünften Akt sah man jedoch wieder auf das unsägliche, oben beschriebene Klosterbild. Die Kostüme von Marianne Glittenberg entsprachen genau der Zeit von Verdis Oper und waren hochstilisiert und wunderschön. In eher dunklen Farben, verziehrt mit goldenen und silbernen Mustern, betonten sie in ihrer Strenge, die am spanischen Königshof herrschende Religiosität und Unfreiheit. In der Darstellung dieser Unfreiheit bestand jedoch leider der große Schwachpunkt der Inszenierung. Regisseur Bechtolf wollte diese in Form von wie eingefroren wirkenden "Tableaux vivants" zeigen, eine Starre, in welche die der Handlung ausgelieferten Figuren verfallen waren. Dies betraf Solisten und Chor leider gleichermaßen! So sang der Chor bereits im Fontainebleau-Akt ohne sich in irgendeiner Weise zu bewegen, die Damen der Königen saßen starr auf ihren Stühlen und fächelten sich Luft zu, nicht einmal im Volksaufstand war Bewegung erlaubt. Dies nahm zahlreichen Situationen ihre Dramatik und Menschlichkeit - das Schicksal der Figuren blieb nichts als Behauptung. Nur in wenigen Szenen, wie der Auseinandersetzung Philipp-Elisabetta im 4. Akt wurde, dieses Konzept glücklicherweise verlassen! Das Ende machte mich ebenfalls ratlos: Die Inquisitoren packen den sich wehrenden Carlos, der Mönch schafft es jedoch sie zu vertreiben, Carlos liegt am Ende jedoch trotzdem regungslos am Boden, der Mönch betet im Hintergrund...Haben sie ihn jetzt doch umgebracht...? Dennoch: Es war eine "normale" Don Carlo- Inszenierung, die sich in den Dienst von Verdis gewaltigem Meisterwerk stellte und der Musik den vollen Vortritt gab, was heute leider sehr selten geworden wird. Auch tat es gut, nach der durchgehend nachtschwarzen Münchner Rose-Inszenierung endlich wieder einen Don Carlo zu sehen, der das Konzept des Einheitsbühnenbildes wieder verließ..... Das Publikum schien auch betreffend der Inszenierung durchaus angetan und spendete auch dem Regieteam freundlichen Applaus, wobei es aber auch zwei, drei Buhrufe gab....
Die Fahrt nach Zürich hat sich auf jeden Fall stark gelohnt, und so fuhr ich glücklich in der Nacht zurüch nach München.
PS: Dem zukünftigen Züricher Ekel-Intendant mit seinen Bieito & Co-Plänen sei dringend geraten einmal mit dem Züricher Publikum zu sprechen, bzw. ein offenes Ohr für dessen derzeitige Verunsicherung zu haben. Hoffentlich hat Herr H. diese Premiere verfolgt und endlich kapiert, wie in Zürich der Hase läuft.....Ein älterer Herr gab sich gelassen: "Den sind wir bestimmt schnell wieder los..."!