Der Musiker Gräber

  • Hilde Rössel-Majdan - * 30.Januar 1921 in Moosbierbaum - † 15. Dezember 2010 in Wien


    Zum heutigen Geburtstag


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    Der Geburtsort Moosbierbaum liegt etwa 60 Straßenkilometer westlich von Wien entfernt; in einer Heimatzeitschrift ist nachzulesen, dass Hilde Figl dort in einem Fabrikgelände geboren wurde, das heute nicht mehr besteht. »Sie wuchs in einfachen, ja ärmlichen Verhältnissen auf«, ist in dieser Publikation zu lesen. Als Zehnjährige soll sie bereits in einem Kloster in der Nähe ihres Geburtsortes im Chor gesungen und auch Theater gespielt haben.


    Eigentlich ging sie nach Wien, weil sie Lehrerin werden wollte, bekam aber keinen Studienplatz und besuchte dann die Handelsakademie in Wien-Josefstadt. Schon in dieser Zeit war sie als Solistin in Kirchenkonzerten zu hören.


    Während sie beruflich als Chefsekretärin tätig war, wurde sie dann in der Hitlerzeit in eine Fabrik zwangsversetzt.
    Nach Kriegsende folgte die Ausbildung an der damaligen Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, wo sie in dem vielseitigen Bassisten Professor Karl Rössel-Majdan einen ausgezeichneten Gesangspädagogen, der auch Stimmforschung auf psycho-physiologischer Basis betrieb, an ihrer Seite hatte.
    Aber sie wurde an der Akademie auch von so praxiserfahrenen Professorinnen wie Helene Wildbrunn und Bahr-Mildenburg unterwiesen, die zu den Spitzenkünstlerinnen ihrer Zeit gehörten.


    Hildegard Figl heiratete den Sohn ihres Gesangslehrers; als Rössel-Majdan jr. im Internierungslager in der Lobau - wo auch österreichische Widerstandskämpfer untergebracht waren - lebte, brachte der Vater heimlich Lebensmittel ins Lager, die von seiner ›besten Schülerin‹ stammten, das war Hilde Figl.
    Glaubt man dem Österreichischen Musiklexikon, dann war die Heirat im Juli 1945. Man kann Vater und Sohn als geistesverwandt bezeichnen, denn beide waren entschiedene Gegner des Nationalsozialismus.
    Karl Wilhelm Rössel-Majdan hatte mehrfach promiviert: 1939 Dr. jur. / 1949 Dr. phil. und 1951 Dr. rer. pol. Karl Wilhelm Rössel-Majdan hat eine Menge Bücher und Rundfunkbeiträge publiziert, auch über Waldorf-Pädagogik, der er sehr nahe stand.


    Einen Eindruck von der künstlerischen Zusammenarbeit der Familie gewinnt man durch einen Blick auf eine Veranstaltungsvorschau des Konzertbüros der Musikfreunde Wien, das 1948 ein Konzert im Brahmssaal anzeigt:


    »21. Feber1948. Ein Abend ›Lied und Dichtung‹, der von Hilde und Dr. Karl Rössel-Majdan bestritten wird, verspricht freudigen Genuß. Zu Gehör kommen Lieder von Brahms, Grieg, R. Wagner, Mahler, Pfitzner und R. Strauß . Gedichte von Karl Rössel-Majdan (jun.) werden vorgetragen. Begleitung: Prof. Karl Rössel-Majdan.«


    Wenn man sich mit Hilde Rössle-Majdan etwas intensiver befasst, kommt man zu dem Schluss, dass sie in Fachkreisen schon recht früh einen gewissen Bekanntheitsgrad gehabt haben muss; nur so ist 1951 das geradezu sensationell anmutende Einsprigen in Otto Klemperers Zweite Symphonie von Mahler zu erklären, wo der Komponist erstmals Gesang eingefügt hatte und Hilde Rössel-Majdan das ›Urlicht‹ zu singen hatte, die Presse war von dieser Wiener Aufführung am 5. Mai 1951 hell begeistert und viele Musikfreunde sind es heute noch, denn man kann es auf CD hören. Man kann das als Durchbruch zur internationalen Karriere bezeichnen.
    Der Bariton Wolfgang Holzmair, heute selbst lehrend an der Hochschule tätig, war Schüler von Hilde Rössle-Majdan und beschrieb das einmal in einem Booklet so:
    »Und da war noch das Urlicht, das meine Lehrerin Hilde-Rössel-Majdan mit ehrlicher Empfindung so durchlebte, als gelte es, der ganzen Menschheit Mahlers Lebensrätsel zu entschlüsseln.«


    Als im April 1952 Wilhelm Furtwängler im Wiener Konzerthaus an drei hintereinander folgenden Tagen Bachs »Matthäuspassion« aufführte war Hilde Rössle-Majdan für Margarete Klose und Otto Wiener für Josef Greindl eingesprungen.


    Bereits am 18. September 1951 hatte Hilde Rössel-Majdan als Staatsopernsolistin - damals im Theater an der Wien - ihr Debüt in »Les contes d´ Hoffmann« gegeben, (das Archiv weist explizit darauf hin, dass in französischer Sprache gesungen wurde) wo sie die Stimme der Mutter sang.
    Die Stimmlage Alt gibt es eben nicht her die ganz großen Opernrollen wie Aida, Tosca, Traviata ... zu singen, was wohl auch der Grund war, dass Hilde Rössel-Majdan in der Öffentlichkeit sehr stark als Konzertsängerin wahrgenommen und von erstrangigen Dirigenten entsprechend geschätzt wurde.
    In einer Laudatio zu ihrem 70. Geburtstag ist zu lesen:


    »Frau Kammersängerin Hilde Rössel-Majdan wurde wohl meistbeschäftigte Oratoriensängerin. Ihre Kantaten- und Liedinterpretation gilt in amerikanischen Musikschulen als vorbildlich. Seit der Wedereröffnung der Oper, zu deren ständigem Ensemble sie gehörte, sang sie in zehn Jahren an allen internationalen Stätten der Musikkultur alle Oratorien. 1957 konnte sie mit Mahlerliedern unter Kubelik in Israel zuerst den Bann gegen die deutsche Liedsprache aufheben. Umfassend war ihr Rundfunkrepertoire auch an schwierigen modernen Kompositionen.«


    An amerikanischen Musikinstituten werden ihre in den Jahren 1955/56 bei Westminster aufgenommen Bachwerke als Vorbild des reinen Bachstils verwendet.
    Hilde Rössel-Majdans Liedsprachen waren: Italienisch, Französisch, Englisch, Russisch, Ungarisch und Hebräisch.


    An der Wiener Staatsoper sang sie zwischen 1951 und 1976 bei insgesamt 1553 Auftritten 62 Rollen. Die Marcellina in »Le nozze di Figaro« hatte sie 194 Mal gesungen, die Annina im »Rosenkavalier« 172 Mal, sich aber auch in Wagner-Partien bewährt, wenn eine Altstimme oder auch ein Mezzosopran gebraucht wurde. Natürlich konnte sie ihren Namen mit dem Zusatz ›Kammersängerin‹ schmücken, mit diesem Titel wurde sie bereits 1962 ausgezeichnet.
    Auch bei den Festspielen in Salzburg, Edinburgh und Aix-en-Provence war ihre Altstimme zu hören, aber auch an großen Häusern wie der Mailänder Scala und Covent Garden in London.
    Der Entwicklung des kommerzialisierten und technischen Kunstbetriebs stand sie kritisch gegenüber und verabschiedete sich im Alter von fünfundfünfzig Jahren von der Opernbühne, obwohl sie noch im Vollbesitz ihrer Stimme war.
    Am 22. November 1976 verabschiedete sie sich vom Haus am Ring in Schönbergs Opernfragment »Moses und Aron«, wo ihr die ›Kranke‹ zugeteilt war.


    Aber der Abschied von der Staatsoper bedeutete nicht etwa Ruhestand; es folgte ein Fachwechsel hin zu pädagogischen Aufgaben. Schon zehn Jahre vor ihrem Opernabschied war sie einem Ruf der Musikschule Graz gefolgt und wirkte dort als Lehrbeauftragte und wurde drei Jahre später a. o. Professorin.
    1971 kehrte sie dann an die Stelle in Wien zurück, wo sie einst ihre Gesangsausbildung begonnen hatte; nun wirkte sie hier als Lehrende für das Fach Stimmbildung und wurde 1976 zur ordentlichen Professorin ernannt.
    Neben der Hochschulausbildung widmete sich Hilde Rössel-Majdan aber ach der Volksbildung und es sollte auch erwähnt werden, dass sie dem Ehrenkuratorium des Kuratoriums für künstlerische und heilende Pädagogik angehörte und durch Initiative und wesentliche selbstlose Unterstützung humanitär für gesunde und kranke Jugend wirkte.


    Es ist höchst erstaunlich, dass eine Sängerin dieser Qualität, die sich Schüler an der Hochschule hätte aussuchen können, an einem Tag in der Woche mit Büroangestellten, Ärzten, Hausfrauen, Lehrern ... in VHS-Kursen abgab.


    Dazu sollte man wissen, dass Hilde Rössel-Majdans Lehrer und Schwiegervater, Professor Karl Rössel-Majdan (1885-1948), bis zu seinem Tod 1948 geschäftsführendes Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft in Österreich war und sein Sohn (1916-2000) - also der Ehemann der Sängerin - diesbezüglich in die Fußstapfen seines Vaters trat.


    Wie bereits oben erwähnt, war Hilde Rössel-Majdan nicht in den ganz großen Opernrollen zu erleben, aber wenn man sich so durch die Feuilleton-Seiten der 1950er und 1960 Jahre blättert, tritt in Erscheinung, dass sie durchaus verstand auch kleinere Rollen ausdrucksstark zu gestalten; der Einblick in Kritiken unterschiedlicher Gattungen gibt ein recht positives Bild:


    »... das Programm drei der schwierigsten Werke dieses Musikfestes enthielt. Wir hörten die Uraufführung der Neufassung von Karl Amadeus Hartmanns 1. Symphonie für eine Altstimme und großes Orchester.
    Als Solist zeichnete sich Andre Gertler aus, während Hildegard Rössel-Majdan den expressiven Klagegesängen Hartmanns ihre schön-timbrierte Altstimme lieh.«


    »Zweimal J. S. Bachs ›Matthäus-Passion‹: in großer Besetzung unter Heinz Wallberg ...
    von den anderen Solisten bot Hilde Rössel-Majdan die stilistisch beste Leistung.«


    Und Hilde Rössel-Majdan war auch dabei als der Österreichische Rundfunk im großen Sendesaal unter der Leitung von Rudolf Moralt das Oratorium »Ein Kind unserer Zeit« (A Child of Our Time) in Anwesenheit von Michael Tippett aufführte - der Komponist soll sichtlich beeindruckt gewesen sein.


    Als im April 1965 in Strawinskys »The Rake´s Progress« an der Wiener Staatsoper eine Umbesetzung nötig war, schrieb die Presse:
    »Als Türkenbab kann Hilde Rössel-Majdan ihr vehementes Temperament entfalten, was sie natürlich tut. Auch ihre warme Stimme hat die Untertöne, die nicht in der Partitur stehen, aber doch gemeint sind, und in den Augenblicken, wo sie dominieren, hat sie alle Zuhörer auf ihrer Seite, zumal Kostüm und Erscheinung nicht abschreckend, sondern (für diese Rolle) viel zu hübsch waren.«


    Man könnte diese Reihe von Kritikschnipseln noch um einiges erweitern, aber es sollte lediglich aufgezeigt werden, dass es auch wichtig ist ›kleinere Dinge‹ in hervorragender Qualität anzubieten.


    Erwähnenswert ist auch die Erweckung der Ophelia-Lieder von Johannes Brahms, welche dieser eher etwas widerwillig als Freundschaftsdienst komponiert hatte und die nie so recht im Blickpunkt der Öffentlichkeit waren, bis der Musikwissenschaftler Karl Geiringer 1934 die Noten fand und in den folgenden Jahren als Zyklus herausgab, wobei erklärt werden muss, dass dieser Zyklus ja von Brahms nicht als solcher gedacht war, weil es sich um Musik handelt, die während eines Theaterstücks gespielt werden sollte und eine Aufführungsdauer von etwa drei Minuten hat. Diese fünf Lieder wurden vermutlich nur einmal 1873 in Prag bei einer »Hamlet«-Aufführung - ohne die beigegebene Klavierbegleitung - gesungen; und dann nie wieder.


    Diese Geschichte kam dem Wiener Musikpädagogen, Musikschriftsteller und bekannten Liedbegleiter Dr. Erik Werba zu Ohren, der festgestellt hatte, dass diese Lieder noch nie aufgeführt wurden und demnach eine Uraufführung in Wien möglich war - er empfahl sie also Hilde Rössel-Majdan für das Programm ihres nächsten Liederabends und sie sang diese fünf Liedchen. Der Kulturredakteur und Musikkritiker Helmut Albert Fiechtner schrieb 1961 zu diesem Liederabend unter anderem:


    »Dann wurden, soviel wir wissen, die Ophelia-Lieder nie mehr gesungen, und jetzt sind sie, nach fast neunzig Jahren zum ersten Mal öffentlich erklungen ...


    Diese fünf Einminutenlieder, mit einfachster, an Brahmsens Volksliederbearbeitungen erinnernder Klavierbegleitung versehen, sind dem englischen Vokalstil, etwa eines Purcell oder Dowland sehr nahe.


    Hilde Rössel-Majdan hat diese schönen, kostbaren Liedchen mit noblem Ausdruck und dunkeltimbrierter Altstimme vorgetragen und Erik Werba hat, wie immer, sensibel und klangschön begleitet..«


    Im schon betagten Alter gründete Hilde Rössel-Majdan 1990 das Goetheanistische Konservatorium in Wien Hietzing, mit dem sie sich auf Basis von waldorfpädagogischen Grundsätzen der Erwachsenenbildung widmete.


    Ihren anstehenden runden Geburtstag konnte Hilde Rössel-Majdan nicht mehr feiern, sie starb am 15. Dezember 2010, sieben Wochen vor ihrem 90. Geburtstag; die Beisetzung fand am 23. März 2011 statt.


    Praktischer Hinweis:
    Die gesamte Familie fand hier unter dem mit den Initialen R-M gekennzeichneten Kreuz ihre letzte Ruhe im Bereich der Feuerhalle. Am Eingang des Friedhofsgeländes befinden sich rechts und links Arkaden. Man geht auf das imposante Gebäude der Feuerhalle zu und an dieser rechts vorbei bis zur Abteilung 12, die als Orientierungspunkt dienen kann, denn rechts davon befindet sich die Abteilung 2.
    Die genaue Grabbezeichnung ist: Abteilung 2, Ring 2, Grab 3-15.
    Die Feuerhalle Simmering befindet sich nicht auf dem Gelände des Wiener Zentralfriedhofs, sondern jenseits, Simmeringer Hauptstraße 337.


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  • Der 12. Februar 1948 war für Hanns Eisler ein besonderer Tag ..

    Hanns Eisler - * 6. Juli 1898 in Leipzig - † 6. September 1962 in Berlin

    Hanns Eisler komponierte die Musik zu ›Auferstanden aus Ruinen‹, das war die Nationalhymne der ›Deutschen Demokratischen Republik‹.
    Weniger bekannt ist wohl die 1950 mit Brecht entwickelte ›Kinderhymne‹.
    Er hatte aber auch eine Menge Kampflieder für Arbeiterchöre geschrieben, bewährte sich bestens im Genre der Film-Musik und reüssierte in Hollywood,
    wo seine Kompositionen in den 1940er Jahren für Oscars nominiert waren.


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    Natürlich gehört das Grab von Hanns Eisler in diesen Thread, war er doch einer der wichtigsten Komponisten seines Jahrhunderts. Zum 6. September 2012, seinem 50. Todestag, war der Stein offenbar frisch gereinigt, wie das Foto bei Wikipedia zeigt, und es lagen Blumen auf und vor dem Stein. Das hier verwendete Foto entstand 2019.
    Es ist sehr schwer das so prall gefüllte Leben dieses vielseitigen Musikers zu beschreiben, also kann in diesem Rahmen nur grob und lückenhaft dargestellt werden, wer Hanns Eisler war - auf jeden Fall ein in Leipzig geborener Wiener, der 1925 die österreichische Staatsbürgerschaft erwarb und immer Österreicher blieb.


    Sein Geburtshaus steht in Leipzig; seit 1905 Hofmeisterstraße 14, zu Eislers Geburt war das noch die Gartenstraße 14. Das Haus war im Laufe der Jahre immer mehr vergammelt und stand leer.
    Aber 2015 berichteten die Zeitungen, dass es nun ›gerettet‹ wird. Seit der Renovierung des Hauses gibt es für Musik-Studierende ab 2019 die Möglichkeit für fünf Monate in der Geburtswohnung des Komponisten im Rahmen eines Stipendiums zu wohnen und zu arbeiten.


    Eigentlich lebten die Eltern - der Philosoph und Privatgelehrte Dr. Rudolph Eisler und Mutter Ida Maria - bereits 1898 in Wien, aber zur Geburt des kleinen Johannes - es war das dritte Kind - ging Ida Maria vorübergehend in ihr Leipziger Elternhaus zurück, wo die Mutter und auch eine vertraute Hebamme zur Verfügung standen.
    In einigen Publikationen wird gesagt, dass es nach etwa zwei Monaten wieder zurück nach Wien ging, meist wird jedoch das Jahr 1901 genannt.


    Johannes´ Geschwister waren: Ruth Elfriede *1895 und Gerhart *1897. Die beiden Jungs übermittelten der Nachwelt:


    »Vater saß ständig am Schreibtisch und kannte nur eine Erholung: Klavier zu spielen und zu singen - Hugo Wolf, Schubert, Volkslieder, Opernausschnitte. Vater war Mozartianer, konnte mit Wagner nichts anfangen.«


    In der Familie wurde viel musiziert, aber irgendwann konnte sich der Vater das geliehene Klavier nicht mehr leisten.


    Von 1904 bis 1908 besucht Hanns die Volksschule im dritten Wiener Gemeindebezirk, danach das katholische Rasumofsky-Gymnasium, das von einem Jesuitenpater geleitet wurde, wo sich Eisler auf seine alten Tage noch erinnern konnte, dass dieser Monsignore Schreiner hieß. Als eifriger Schüler fiel er hier nicht auf, seine Zeugnisse waren so, dass es eben gerade reichte, gut waren lediglich die Noten in den Fächern Musik und Turnen; mit dem Abschluss der Obersekunda endet 1916 - ein Jahr vor der Matura - Hanns Eislers Schulzeit.


    Aber nach Eislers eigenem Bekunden begann sein Studium schon weit vor Beendigung seiner Schulzeit, was er so darstellt:


    »Mein Studium begann eigentlich, als ich mir mit zehn Jahren aus Reclams Universal-Bibliothek eine allgemeine Musiklehre von Hermann Wolff kaufte.«


    Besuche von Konzerten und Opern erlebte Hanns Eisler erst als 14-Jähriger; erste Kompositionsversuche fanden ohne eigenes Klavier statt, lediglich bei Freunden konnte mal ein Klavier benutzt werden.


    Als bekennender Atheist und Jude konnte Dr. Rudolf Eisler im Wien der Jahrhundertwende keine Stelle an der Wiener Universität bekommen, sodass ihn sein Bruder Armand, ein Rechtsanwalt, unterstützen musste. Solange das Geld reichte, konnte der Privatgelehrte seine Kinder unterrichten lassen, aber schließlich musste man sich von dem Leihklavier trennen; Erste Kompositionen aus dieser Zeit sind nicht erhalten, frühe erst ab1917.


    Als Hanns Eisler 1916 zum Militär musste, galt seine ganze Familie bereits als politisch verdächtig und wurde von der Geheimpolizei observiert. Das war schließlich auch der Grund, dass er in einem ungarischen Regiment dienen musste, durch die Sprachunterschiede wollte man politische Agitation unterbinden.


    Man sollte hier nur ganz kurz daran erinnern was 1917 in Russland los war; im November 1918 wurde in Wien die erste und älteste Kommunistische Partei Westeuropas gegründet; Elfriede und Gerhart, Hanns ältere Geschwister, waren da rasch Mitglieder geworden, setzten sich aber recht bald nach Berlin ab.


    Nach Kriegsende lebte Hanns Eisler zeitweise mit seiner Lebensgefährtin Irma Friedmann, einer Lehrerin, in einer Barackensiedlung in Grinzing. Das dortige Milieu wurde einmal so beschrieben: ›das halbe ZK der kommunistischen Partei Ungarns.‹ - Georg Lukács und der Schriftsteller Béla Illés wohnten ebenfalls dort und Gelegenheit zum Musizieren gab es auch; Irma Friedmann hatte ein Klavier gemietet und begleitete ihren singenden Freund.


    Einschub:
    Die Singstimme von Hanns Eisler ist auf der ganz unten gezeigten CD (Aufnahme 1958) für knappe zehn Minuten zu hören, wo er am Beispiel von vier Liedern bei Probearbeiten zeigt,
    wie er sich die Interpretation in etwa vorstellt.


    Zu Beginn des Jahres 1919 schrieb sich Eisler am Neuen Wiener Konservatorium zum Studium der Komposition ein und nahm zusätzlich Klavierunterricht. Ein Schulfreund vom Gymnasium, der bei Schönberg Schüler war, konnte vermitteln, dass Hanns als Privatschüler zu Schönberg kommen konnte.
    Es wurde nach klassischen Regeln am Beispiel von Bach, Brahms und Beethoven unterrichtet und Schönberg stellte klar: »Ich unterrichte nicht ›atonale Musik‹ - sondern Musik. In der Literatur kommt Schönberg so zu Wort:
    »... soll hier das stattfinden, was nach meinen Erfahrungen bei meinem Privatunterricht am meisten Erfolg erzielte: ein beständiger und zwangloser Verkehr zwischen mir und meinen Schülern ... Sie werden kommen, wenn sie Lust haben und gerade nur ebensolang bleiben; und es wird an mir liegen, ihre Neigung zu erhöhen, ihre Begabung dadurch zu fördern. Sie sollen nicht fühlen, dass sie lernen, sie werden vielleicht arbeiten, vielleicht sogar sich plagen, aber es nicht merken.«
    Das klingt recht leger, aber an anderer Stelle ist nachzulesen, dass Schönberg ganz selbstverständlich erwartete, dass ihn seine Schüler mit ›Meister‹ anreden, um das plastisch darzustellen:
    Schönberg war zu diesem Zeitpunkt 45, Eisler 21 Jahre alt.


    Aber es ergab sich, dass Eisler zu einem Lieblingsschüler Schönbergs wurde und von Eisler selbst stammt die Information, dass er sogar einige Zeit im Mödlinger Haus Schönbergs wohnte.


    Im Folgenden arbeitete Eisler in einem Musikverlag als Notenkorrektor und übernahm die Leitung von Arbeiterchören, wo im »Karl-Liebknecht-Chor« erstmals revolutionäre Lieder aus dem Osten gesungen wurden.
    Im traditionsreichen ›Café Museum‹ am Karlsplatz, wo sich der Schönbergkreis traf, lernte Eisler die Sängerin Charlotte Demant - eine Spezialistin für Vokalwerke der Zweiten Wiener Schule - kennen und lieben, Ende August 1920 wurde geheiratet, 15 Jahre später - am 14. Mai 1935 - trennte man sich; am Rande sei bemerkt, dass Charlotte Demant auch in der KPÖ tätig war.


    Kurz nach Eislers Eheschließung nahm Schönberg seinen Musterschüler als Assistent mit in die Niederlande, wo bis zum März 1921 Kompositionskurse abgehalten wurden, es aber auch Konzertverpflichtungen im Amsterdamer Concertgebouw gab.
    Bei der Rückreise nach Wien ergab sich für Eisler die Gelegenheit dort seinen Bruder Gerhart zu treffen, der nach dem Krieg von Wien nach Berlin gegangen war.
    Bei einem Künstlerempfang in der Ukrainischen Botschaft, stellte Gerhart seinem Bruder ›einen Dichter aus München‹ vor, das war Bertolt Brecht.


    In Wien begann Hanns Eisler im Wiener »Verein für volkstümliche Musikpflege« seine Lehrtätigkeit, wobei dies hauptsächlich ein musikalischer Grundunterricht für Arbeiter war.
    Musikalisch gab es zwischen Schönberg und Eisler kaum Differenzen, aber weltanschaulich schon. Während Schönberg die Ansicht vertrat, dass Kunst keinen gesellschaftlichen Zweck verfolgen sollte, war sein Schüler da ganz anderer Ansicht, was in seiner Arbeit zum Ausdruck kam, wo immer auch soziale Aspekte mit dabei waren, die von Schönberg aber eher belächelt wurden. Eisler widmete sich intensiv der Komposition von Männerchören des Arbeitermilieus und vertrat die Ansicht, dass Musik die Massen erreichen muss und nicht nur eine kleine elitäre Gesellschaft.
    Dass Eisler mit anderen Schönberg-Schülern für einige Monate an Anton Webern weitergereicht wurde, resultierte aus dem Zeitmangel Schönbergs.
    Aus Empfehlungsschreiben Schönbergs geht 1923 hervor, dass er Hanns Eisler als ehemaligen Schüler bezeichnet, was im positiven Sinne zu verstehen ist.


    Die Anerkennung Schönbergs und die Verleihung des Kunstpreises der Stadt Wien (Richard Strauss saß in der Jury) - im April 1925 - half Eisler zunächst etwas,
    denn 1.000 Schilling war damals ein Riesengeld. Dennoch war auf lange Sicht die wirtschaftliche Gestaltung des Lebens schwierig geworden.
    Als er dann im Winter 1925 am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin einen Lehrauftrag erhielt, blieb der Familienwohnsitz in Wien.
    Hanns Eislers Geschwister waren in politische Querelen verstrickt, was noch weitreichende Folgen haben sollte; 1926 ersuchte Hanns Eisler erfolglos eine Mitgliedschaft in der KPD.
    In dieser Zeit entstanden Lieder, die die Welt verändern sollten, Eisler betrachtete diese Schöpfungen als »Abschied von der bürgerlichen Konzertlyrik.«


    Im Juli 1927 wurde in Baden-Baden das »Mahagonny Songspiel« unter Brechts Regie uraufgeführt, also noch vor Leipzig; hier traf Eisler zum zweiten Mal mit Brecht zusammen.
    In diesen Berliner Jahren widmet sich Eisler nicht nur Kompositionen, sondern wird auch publizistisch tätig, wobei er die Borniertheit der bürgerlichen Kunst angreift.
    Mit der schauerlichen »Ballade vom Soldaten« kommt es zur ersten Eisler-Vertonung eines Brecht-Gedichtes.
    Etwa in diese Zeit fällt auch die erste Begegnung mit dem singenden Schauspieler Ernst Busch, den man auch ›Barrikaten-Tauber‹ nannte; für die Schallplatte »Das rote Wedding« interessierte sich der Staatsanwalt.
    1930 reiste Eisler als Delegierter der kommunistischen ›Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur‹ erstmals nach Moskau. Ende 1930 wurde in der alten Berliner Philharmonie »Die Maßnahme«, mit gewaltigem Choraufwand aufgeführt.


    Es ist in diesem Rahmen einfach unmöglich all diese Aktivitäten und Aufgeregtheiten zu schildern - Eislers Freundin bekam eine Stelle beim Moskauer Rundfunk, wurde 1938 zu 18 Jahren Straflager verurteilt und sah Berlin erst 1957 wieder ...


    Bei Hitlers Machtübernahme hielt sich Eisler in Wien auf und Brecht ließ ihn warnen und riet dazu nicht zurückzukehren. Also reiste der Komponist in der der Weltgeschichte herum, zunächst wegen eines Filmauftrags in die Tschechoslowakei, wo er 1933 in der Hohen Tatra Anna Luise Jolesch - die sich Lou nennt - wieder trifft, man war sich vorher schon in Berlin begegnet. Man nähert sich an und wählt zunächst Paris als Mittelpunkt des Exils. Die Ehe von Lou Jolesch wird im Sommer 1935 geschieden, am 7. Dezember 1837 schließt Eisler in Prag mit Lou eine zweite Ehe.


    Der zu dieser Zeit in Dänemark lebende Brecht versorgte Eisler reichlich mit Texten, die ›Svendborger Gedichte‹ sind dort entstanden und Eisler hatte Brecht dort mehrmals besucht; erstmals im Januar 1934 von Paris aus, zusammen mit Lou.
    Bald hatte Eisler in Holland zu tun, dann wieder in London und im Frühjahr 1935 war er sogar auf einer Konzert- und Vortragstournee durch die USA zu erleben.
    Im Januar 1937 fuhr Eisler nach Spanien, um die Internationalen Brigaden im Bürgerkrieg zu unterstützen.
    Die Umtriebigkeit Eislers in dieser Zeit hat Ludwig Renn so zum Ausdruck gebracht:


    Genosse Eisler, wo steckst Du wohl,
    In Moskau, New York oder an ´nem Pol?
    Wir bitten Dich sehr, verton uns das.
    Uns wird es schwer und Dir ist´s Spaß.
    Und schick uns gleich die Kompositiona
    Nach Madrid her und auch nach Barcelona.


    Am 20. Januar 1938 betrat Hanns Eisler mit seiner Frau Lou zum dritten Mal amerikanischen Boden und sie wussten, dass dies keine Stippvisite sein wird. Der Anfang war schwer, weil man nur von den Einkünften der Lehrtätigkeit an der ›New School for Social Research‹ nicht leben konnte; größere Mittel aus Europa mitzubringen war nicht möglich gewesen.
    Die ›New York Times‹ nahm von Eislers Konzerten Notiz und es entstanden recht erfolgreiche Filmmusiken, aber die Aufenthaltsgenehmigung der Eislers stand auf wackligen Füßen, denn die Besuchervisa waren zum Januar 1939 abgelaufen, am 2. März wurde ihnen offiziell die Ausweisung aus den USA verkündet. Man wich nach Mexiko aus, kam wieder zurück, mit dem Ganzen Hin und Her ließen sich mehrere Seiten füllen - als sich Eisler im Sommer 1940 wegen eines Filmprojekts in Hollywood aufhielt, erließ die amerikanische Einwanderungsbehörde offiziell Haftbefehl gegen Eisler.


    Nachdem eine Reihe bürokratischer Hürden genommen waren, durfte Eisler endlich am 22. Oktober 1940 in die USA einreisen. Bertolt Brecht war 1941 mit einem Visum über verschlungene Wege nach Los Angeles gelangt; Ende April 1942 waren Eislers in Los Angeles eingetroffen, wo sie zunächst ein einfaches Hotelzimmer bezogen.
    Die Rockefeller-Stiftung hatte mit der Finanzierung einer wissenschaftlichen Arbeit, die Hanns Eisler leitete, eine finanzielle Lebensgrundlage geboten. Die wirtschaftliche Lage verbesserte sich wesentlich durch sehr erfolgreiche Filmmusik - in Kalifornien schrieb Eisler Partituren für acht Filme - man konnte sich ein Haus in der Nähe von Arnold Schönberg mieten, der schon seit 1936 an der University of California lehrte und mit dessen Unterstützung Eisler 1944 eine Gastprofessur erhält. Bereits 1943 konnte Eisler ein eigenes Haus kaufen, ganz in der Nähe von Thomas Mann und Theodor W. Adorno. Da gab es eine deutsche Künstler- und Denkerkolonie am Pazifik.
    Aber auch das FBI dachte mit, ab 1943 wurden Eisler und sein Umfeld fast lückenlos überwacht, da kam ein Protokoll von mehr als 600 Seiten zusammen, welches aussagt, dass Personen beschattet, Telefonate abgehört und Einbrüche begangen wurden, natürlich hat man auch die Post kontrolliert.


    Vom künstlerischen Standpunkt aus befriedigte da manches nicht, wie zum Beispiel in einem Brief deutlich wird, den Eisler an seinen in England weilenden Sohn schrieb:


    »Jetzt habe ich gerade einen idiotischen Schinken fertiggemacht, er heißt ›Spanish Main‹. Das ist reiner Unsinn, Schwachsinn etc. ich mußte es des Geldes wegen machen.«


    Nach Kriegsende zogen die Eislers in ein bescheideneres Haus direkt am Strand von Malibu; es konnte wieder an ernsthaften Filmprojekten gearbeitet werden und Eisler lehrte nun als ordentlicher Professor an der University of California.


    1946 wurde das Komitee für unamerikanische Umtriebe neu aktiviert und Ruth Fischer (alias Ruth Elfriede Eisler), also die Schwester der Eisler-Brüder, beschuldigte ihren Bruder Gerhart so massiv, dass dieser in ganz ernste Schwierigkeiten kam und letztendlich ergab sich daraus, dass beide Brüder ausreisen mussten. Zu Hanns hatte die Schwester zwar ein besseres Verhältnis, aber dennoch sah sich Hanns Eisler verschiedenen Verhören ausgesetzt, an denen auch der spätere US-Präsident Richard Nixon beteiligt war.
    Charles Chaplins Sicht auf die Dinge war, dass es in der Familie Eisler zugehe wie in den Königsdramen von Shakespeare.
    Chaplin war geradezu rührend um Eisler besorgt; als kaum noch einer mit Eisler verkehren mochte, ließ ihn Chaplin mit seinem Wagen zum Gericht bringen und auch wieder dort abholen, oft begleitete er ihn auch.
    Obwohl es Solidaritätsbekundungen von Albert Einstein, Thomas Mann, Pablo Picasso und anderen Prominenten gab, ordnete das Justizministerium am12. Februar 1948 die Ausweisung von Hanns und Lou Eisler an.
    In der New Yorker Town Hall gab es unter Bernsteins Leitung noch ein letztes Konzert, dann flogen die Ausgewiesenen am 26. März 1948 mit einem Visum der Tschechoslowakei über London nach Prag und am 1, April 1948 war man im zerstörten und viergeteilten Wien angekommen, wo sich Eisler mit seiner ersten Frau und seinem inzwischen 20-jährigen Sohn traf.
    In Wien sah Eisler nichts, worauf er auf längere Sicht aufbauen konnte und entschied sich für Berlin, obwohl sich der in Leipzig Geborene immer als Österreicher sah und auch seine österreichische Staatsbürgerschaft behielt.


    Der erste Wohnsitz der Eislers in Berlin war das ›Hotel Adlon‹, genauer gesagt, ein stehengebliebener Seitenflügel des einstigen Prachthotels.
    Ab März 1950 stand Eisler ein ansehnliches Haus in Pankow-Niederschönhausen zur Verfügung.
    Johannes R. Becher, der Vorsitzende des Kulturbundes, unterstützte die zurückgekehrten Künstler in vielfältiger Weise, er scharte die geistige Elite der Zeit vor 1933 um sich.
    Arbeit gab es für Eisler in Berlin genug, die »Rhapsodie für großes Orchester« entstand anlässlich des 200. Geburtstages von Goethe und wurde am 26. August 1949 im Weimarer Theater Uraufgeführt, da war die DDR noch nicht gegründet; bei dieser Gelegenheit traf Hanns Eisler auch Thomas Mann wieder.
    In dieser Zeit entstand auch Filmmusik für die DEFA - »Unser täglich Brot«, aber die wohl spektakulärste Eisler-Komposition war die Hymne für den am 7. Oktober 1949 neu gegründeten Staat.
    Johannes R. Becher hatte Eisler zu einer Goethe-Feier nach Warschau eingeladen, wo er ihm dann einen selbst verfassten Text übergab, mit der Bitte, dazu eine Musik zu schreiben.
    Beim anschließenden Besuch im Geburtshaus von Chopin ergab sich die Gelegenheit auf dem Flügel Chopins den musikalischen Einfall zu Gehör zu bringen; es war die Geburtsstunde der Hymne »Auferstanden aus Ruinen«.


    Pädagogisch trat Eisler in die Fußstapfen seines Lehrers Schönberg, wie einst dieser, unterrichtete Eisler in seinem Wohnhaus in der Pfeilstraße. Später gab es dann das Staatliche Konservatorium Berlin, ein Vorläufer der heutigen Hochschule für Musik, die seit 1964 den Zusatz Hanns Eisler trägt. Eisler erhielt dort eine Professur für Komposition.


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    Zu dem im Bild gezeigten Buch (13x20,5 cm):
    Das Opernlibretto von Seite 11-144
    Nachbemerkung von Jürgen Schebera, das die Diskussion um Eislers Libretto zum Gegenstand hat, Seiten 147 bis 166.

    Von den Querelen um seinen »Johann Faustus« - ein Werk das über den Fragment-Status nicht hinauskam - war Eisler überrascht. Das Libretto dieser geplanten Oper war Eislers einziges literarisches Werk. Noch etwas unsicher, sandte er den ersten Entwurf zu Thomas Mann und Lion Feuchtwanger nach Amerika, wobei man drüben ein ›Werk von hohem Dichterischen Rang‹ erkannte, aber Thomas Mann bemerkte, dass das Ganze hübsch provokant sei.
    Eislers Manuskript ging an den Aufbauverlag und im Oktober 1952 erschien das Buch. Walter Ulbrich donnerte, dass es die SED nicht zulassen werde, dass eines der großen Werke unseres großen Dichters Goethe zur Karikatur verunstaltet wird; das »Neue Deutschland« meinte, dass Eislers Entwurf dem deutschen Nationalgefühl ins Gesicht schlägt.
    Hanns Eisler erlitt nun praktisch gleich zwei Schicksalsschläge; neben der vernichtenden Kritik vom Zentralkomitee zeichnete sich auch die Trennung von seiner Frau ab, wenn man es etwas volkstümlich formuliert - sie wurde ihm von Ernst Fischer, dem Politbüromitglied der kommunistischen Partei Österreichs ausgespannt, der alles dransetzte, diese Frau zu gewinnen, man kannte sich ja schon seit 1948.
    Als sich Hanns Eisler im Frühjahr 1953 mit seiner Frau in Wien aufhält, beschließt Lou nicht mehr nach Berlin zurückzukehren, sie schreibt einen Brief nach Berlin: ›Hallo, ich komme nicht mehr nach Berlin! Deine Lou.‹ 1955 wird die Ehe geschieden. Hanns Eisler traf diese Trennung hart.


    Eine Trennung für immer brachte der 14. August 1956 als Bertolt Brecht starb, die große politische wie ästhetische Übereinstimmung der beiden war beachtlich. Diese lange Jahre währende fruchtbare künstlerische Partnerschaft war so deutlich, dass man Eisler mit dem Etikett ›Brecht-Komponist‹ versah, auch wurde er stets als ›DDR-Staatskomponist‹ bezeichnet, obwohl der Österreicher zu diesem Staat durchaus ein ambivalentes Verhältnis hatte, und es sei nochmals herausgearbeitet, dass Hanns Eisler - obwohl einst angestrebt - nie Mitglied einer kommunistischen Partei war.


    Unter dem Namen HANNS EISLER steht auf dem Grabstein in etwas kleinerer Schrift STEFFY EISLER. Am 26. Juni 1958 hatten beide geheiratet, Es war Hanns Eislers dritte Ehe; Stephanie Peschl war eine 1919 in Wien geborene Pianistin.


    Am 8. Februar 1960 erlitt Hanns Eisler in Wien einen Herzinfarkt; im März 1961 verbrachten die Eislers einen Genesungsurlaub in Ascona und von dort kam Post mit der Nachricht, dass man auch Venedig und Florenz besucht hatte.
    Von Dieter B. Herrmann, der in den letzten beiden Lebensjahren Hanns Eisler einige Male in der Pfeilstraße besuchte, weiß man, dass die Eislers über einen Wartburg mit Chauffeur verfügten. Herrmann berichtet auch von seinem letzten Treffen mit Eisler:


    »Zum letzten Mal traf ich Eisler am Montag, dem 28. August1962. Er hatte Gäste aus Wien, u. a. die Schauspielerin Maria Emo, eine gute Freundin von Steffy Eisler, und zog mit uns allen in den Pankower Ratskeller. Eisler war bester Laune und wir blieben bis 21:30 Uhr.«


    Einige Tage später erfuhr Herrmann aus der Zeitung, dass Hanns Eisler tot war.


    Der Trauerakt fand am 18. September in der Deutschen Staatsoper Unter den Linden statt, nach der Trauerfeier erfolgte die Beisetzung.


    Eislers letzte Arbeit, die »Ernsten Gesänge für Bariton und Streichorchester« wurden posthum an seinem ersten Todestag in Dresden mit der Staatskapelle unter Otmar Suitner und mit dem Bariton Günther Leib uraufgeführt.
    Hanns Eisler ist damit ein bemerkenswertes Vermächtnis geglückt, aus dem sein vielfältiges Leben herauszuhören ist.


    Praktische Hinweise:
    Dorotheenstädtischer Friedhof 10115 Berlin, Chausseestraße 126
    Man geht zunächst etwa 50 Meter auf die Luther-Statue zu, biegt bei der ersten Möglichkeit nach links ab und steht nach wenigen Schritten vor dem Grab von Bertolt Brecht/Helene Weigel. Ein paar Schritte weiter hat Heinrich Mann seine Ruhe gefunden, und dazwischen - aber auf der anderen Seite des Weges - befindet sich das EISLER-Grab.


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    Der Eingang zum Friedhof, die Beschriftung am direkt anschließenden Brecht-Haus kann als Wegweiser dienen.


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  • Antonio Salieri - *18. August 1750 in Legnago - † 7. Mai 1825 in Wien


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    Sein Geburtsort liegt in Italien, damals Republik Venedig. Es schlug - zumindest bei den Wiener Kulturinteressierten - wie eine Bombe ein, als die Italiener im Jahr 2005 ihren Salieri wieder zurückhaben wollten.


    Immerhin wurde ein Artikel, der das verwahrloste Grab Salieris auf dem Wiener Zentralfriedhof thematisierte, in der auflagestärksten Zeitung Italiens, ›Corriere della Sera‹, veröffentlicht. In Salieris Geburtsstadt hatte sich ein Komitee (Legnago per Salieri) gebildet, das die Gebeine Salieris vom Wiener Zentralfriedhof in seine Heimatstadt zurückholen möchte. Die in Verona erscheinende Zeitung ›L´Arena‹ schrieb ebenfalls. dass Salieri nach Hause geholt wird.
    Der Bürgermeister von Legnago bekräftigte das Vorhaben und führte aus, dass es das Ziel sei die Überführung der Gebeine des legnagnesischen Komponisten in seine Geburtsstadt anzustreben, um ihm einen würdigen Grabplatz in Legnago zu gestalten.


    Die Wiener Kulturbürokratie beeilte sich nun zu versichern, dass man Maßnahmen zur Sanierung des verwahrlosten Grabes ergreifen werde.


    Antonio Salieri kam bei einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie als achtes Kind abends um halb elf zur Welt, Antonios Mutter, Anna Maria, war die zweite Frau des Vaters. Man konnte es sich leisten den begabten Jungen in die Lateinschule zu geben. Das Elternhaus förderte auch die schon früh erkannte musikalische Begabung ihres Sprösslings. Sein um 13 Jahre älterer Stiefbruder Francesco, der auf vom berühmten Geigenvirtuosen Guiseppe Tartini vermittelten Unterricht zurückblicken konnte, unterwies seinen kleinen Bruder in Violine, Cembalo und Gesang. Den Umgang mit Tastinstrumenten vermittelte der Domorganist von Legnago.
    Als Zwölfjähriger verlor Antonio seine Mutter, der nur 40 Lebensjahre beschieden waren; ein gutes Jahr später verstarb auch der Vater; vier Söhne und zwei Töchter hatten nun keine Eltern mehr. Sie mussten nun für sich selbst sorgen. Antonio ging nach Padua, wo sein um sieben Jahre älterer Bruder als Franziskanermönch lebte.
    1766 nahm sich ein Freund von Antonios Vater des Waisenjungen an und konnte es einrichten, dass Antonio von Giovanni Battista Pescetti - das war der Kapellmeister am Markusdom von Venedig - in Musiktheorie unterrichtet wurde, aber auch von einem Tenor in Gesang. Das Ganze war aber nur eine Episode, denn Pescetti starb überraschend.
    Nun war zunächst geplant den Jungmusiker zur Vervollkommnung seiner Ausbildung nach Neapel zu schicken, aber durch die Zufälligkeiten des Lebens ergab es sich, dass er fast ein echter Wiener wurde.


    Der Komponist Florian Leopold Gassmann war aus Böhmen nach Venedig gekommen, um am berühmten Teatro San Giovanni Crisostomo seine Oper »Achille in Sciro« zur Aufführung zu bringen. Der Kontakt zu diesem Komponisten kam durch Antonios Gesangslehrer zustande. Gassmann hatte an dem jungen Salieri Gefallen gefunden und man war sich einig geworden, dass Gassmann den jungen Mann mit nach Wien nimmt, wo Gassmann 1763 als Ballettkomponist Nachfolger von Christoph Willibald Gluck wurde und ein Jahr später zum Kammerkomponisten des Kaisers ernannt worden war.
    Gassmann hatte fortan die Stelle des ›Ersatzvaters‹ (*1729) eingenommen und nahm es mit der Ausbildung seines Schützlings sehr genau; verheiratet war Gassmann zu diesem Zeitpunkt noch nicht.


    Gassmanns Unterricht war gut geplant und bot eine recht breite Palette. Neben den diversen musikalischen Dingen die gelehrt wurden, also Generalbass- und Partiturspiel, Kontrapunkt und Übungen mit der Violine, kam begleitend Unterricht bei einem deutschen und französischen Sprachlehrer dazu, täglich erteilte ein Priester, das war Don Pietro Tommasi, Unterricht in Latein und italienischer Poesie.
    Antonios außerordentliche Begabung und der gehaltvolle Unterricht trug schon bald insofern Früchte, dass Gassmann seinen Schüler bei einem Kammerkonzert am Kaiserlichen Hof präsentieren konnte. Der Kaiser hatte durchaus musikalischen Sachverstand und spielte selbst Cembalo und Violoncello. Nachdem Gassmanns Schüler einiges vom Blatt gesungen hatte, bestand Joseph II. darauf, dass Antonio Salieri zukünftig bei Hofkonzerten mitwirkt, ein direktes Honorar gab es dafür nicht, aber jeweils zu Neujahr ein großzügiges Geschenk, wovon Gassmann neben der Kleidung auch die zahlreichen Hauslehrer entlohnen konnte.
    Auch die Abläufe am Theater konnte Saliere als Mitwirkender kennenlernen, denn manchmal musste er seinen Meister am Cembalo vertreten. In dieser Zeit begegnete er 1768 auch Christoph Willibald Gluck als dessen Oper »Alceste« am Burgtheater erstmals aufgeführt wurde.
    So allmählich ließ Gassmann nun auch zu, dass sein Schüler erste kleine Kompositionen, fertigte, die zwischendurch immer mal wieder gebraucht wurden.
    Gassmann trat im September 1768 in den Stand der Ehe und ein Jahr später war daraus eine Familie geworden, also benötigte man eine angemessene Wohnung; Salieri zog mit um.


    Während Gassmann anderweitig stark beschäftigt war, kam Giovanni Gastone Boccherini - das war der Bruder des berühmten Luigi Boccherini - mit einem Operntextbuch nach Wien,
    das er von Gassmann vertont haben wollte.
    Da Gassmann wegen anderweitigen Verpflichtungen passen musste, frug man bei Salieri nach, der sich dann mit großer Begeisterung ans Werk machte; es entstand die heitere Oper »Le donne letterate«; nachdem Gluck dazu seinen Segen gegeben hatte, wurde das Erstlingswerk von Antonio Salieri im Januar 1770 erfolgreich aufgeführt und die beiden Nachwuchskünstler Boccherini und Salieri erarbeiteten noch weitere Stücke.


    Weitgehende Übereinstimmung unter Musikfreundenden herrscht darüber, dass Antonio Salieris erstes Meisterwerk seine 1771 komponierte Oper »Armida« ist, ihr liegt ein Stoff zugrunde, der auch von vielen anderen bekannten Komponisten vertont wurde, bis hin zum 20. Jahrhundert wo sich Antonin Dvořák der Sache annahm. Salieri setzte bei seiner »Armida« die Vorgaben der Opernreform von Christoph Willibald Gluck um und war auch weiterhin erfolgreich produktiv; im ersten Halbjahr des Jahres 1772 entstanden drei neue Buffa-Opern. Das erste Stück war »La fiera di Venezia«. Zu dieser ebenfalls erfolgreich aufgeführten Oper könnte man einige positive Stimmen prominenter Musiker der Zeit zitieren, aber damit das Ganze nicht ganz so glänzend daherkommt, sei bemerkt, dass Leopold Mozart von Salieris Musik in »La fiera di Venezia« nicht viel hielt; 1785 - also 13 Jahre nach Erstaufführung - kritisierte er Salieris Musik in einem Brief so:
    »voll der ausgepeitschtesten Gedanken, altväterlich, gezwungen und sehr Leer an Harmonie ...«.


    Salieris Erfolge hatten sich indes bis Stockholm herumgesprochen und König Gustav III. versuchte die besten Musiker Europas an seine Oper zu holen, so auch den 22-jährigen Salieri. Die Musikwissenschaft geht davon aus, dass Salieri auf Betreiben von Joseph II. den Ruf nach Schweden nicht angenommen hat.
    Nach sechsjährigem Aufenthalt in Wien stand Salieri nun als erfolgreicher Komponist inmitten seiner Mentoren Gassmann und Gluck und in Hofkreisen galt er als deutscher Komponist, wie durch Maria Theresia überliefert ist, dennoch wurde er auch bald zum Kapellmeister der italienischen Oper ernannt.


    Florian Leopold Gassmann hatte auf seiner letzten Italienreise einen Kutschenunfall gehabt und starb im Januar 1774 überraschend an den Spätfolgen dieses Unfalls.
    Nun trat Antonio Salieri in die Fußstapfen seines ›Ersatzvaters‹, dem nun 24-Jährigen wurde die Stelle eines ›k. k. Kammer-Compositors‹ übertragen, was mit einem Jahresgehalt von 100 Dukaten und einem kostenlosen Hofquartier verbunden war; die Stellung als Kapellmeister der italienischen Oper wurde mit 300 Dukaten honoriert.


    Aber diese Einkünfte wurden als nicht ausreichend angesehen, um in den Stand der Ehe treten zu können. Beim Musikunterricht in einem Kloster hatte er die Halbweise Eva Maria Helferstorfer, die dort erzogen wurde, kennen und lieben gelernt. Aber Eva Marias Vater starb, bevor Antonio bei ihm um die Hand der Tochter anhalten konnte.
    Nun hatte ein Vormund das Sagen, der selbst ein Auge auf das schöne Kind geworfen hatte und stellte fest, dass Antonio Salieri nicht ausreichende Mittel besitzt, eine Frau aus einer geadelten Familie anständig zu erhalten; der Vormund ließ nur die 100 Dukaten als sichere Einkünfte gelten, seine anderen Verdienste - immerhin 600 Dukaten - bezeichnete er als zu unsicher.
    Die ganze Angelegenheit kam schließlich Joseph II. zur Kenntnis und er erhöhte Salieris Einkünfte so, dass der Eheschließung nun nichts mehr im Wege stand. Die Trauung fand am 10. Oktober 1775 in St. Stephan statt. Die Gattin war vermögend, man konnte die Ehe in einer Zehn-Zimmer-Wohnung beginnen - und es sollte Antonio Salieris lebenslanges Zuhause bleiben.


    Oben ist zwar erwähnt, dass Salieri in Hofkreisen als ›deutscher Komponist‹ galt, aber ganz so deutsch war die Sache nun auch wieder nicht, denn zu dieser Zeit wurde Salieri Mitglied der Italienischen Kongregation, die das geistliche Zentrum der etwa 7.000 Italiener, die in Wien lebten, darstellte.
    1778, nach Gründung des Nationalsingspiels wurden für längere Zeit in Wien keine Opern in italienischer Sprache aufgeführt. Da es nun für Salieri als Kapellmeister der italienischen Oper nichts mehr zu tun gab, machte er sich zu einer Reise in sein Heimatland auf und er hatte einen Auftrag im Gepäck. Der Mailänder Adel hatte bei Gluck wegen einer Oper angefragt, denn man wolle ein attraktives Stück, um das neu erbaute Teatro alla Scala zu eröffnen. Gluck hatte seinen Protegé Salieri empfohlen. Salieri hatte noch etwas darüber hinausgedacht und plante gleich eine Tournee durch sein Heimatland, wozu er zunächst auch die kaiserliche Erlaubnis erhielt, nachdem er in Wien die deutsche Nationalbühne zum Laufen gebracht hatte.
    Am 30. März 1778 reiste Salieri in Wien ab, am 3. August 1778 ging dann in Mailand sein in der Tat spektakuläres Werk »Europa riconosciuta« in allgemeiner Begeisterung über die Bühne. Allerdings war das Stück so auf Mailand zugeschnitten, dass in der Regel nur Teile daraus auch andernorts nachgespielt wurden.
    Von Mailand aus reiste der erfolgreiche Komponist nach Venedig, wo er mit »La scuola de´gelosi« - eine komische Oper - einen nachhaltigeren Erfolg verbuchen konnte. Das am 27. Dezember 1778 im Teatro San Moisé uraufgeführte Stück verbreitete sich rasch in Europa, sogar Herr von Goethe war begeistert und die Oper wurde in mehrere Sprachen übersetzt.


    Aber Salieri war nicht nur in eigener Sache unterwegs, der Kaiser hatte ihn auch beauftragt in Italien nach Tenören Ausschau zu halten. Natürlich war Salieri auch in Rom, wo ihn eine Nachricht erreichte, dass er nach Neapel kommen möge, weil man dort die Opera seria »Semiramide« aufführen wollte, ein Stoff, der von einer Menge an Komponisten vertont wurde. Das war natürlich ein Angebot, denn die hatten da unten am Vesuv mit über 3.000 Plätzen das größte Theater Europas.
    Salieri bat zwar die Wiener Majestät um eine Urlaubsverlängerung, ging jedoch davon aus, dass das lediglich eine Formsache sei und reiste schon mal gen Neapel, um keine Zeit zu verlieren. Man führte ihn in allerhöchste Kreise ein und es hatte den Anschein, dass er auch Neapel im Sturm erobert. In dieser Situation wurde ihm - etwas verspätet - ein Schreiben auf sein Gesuch um Urlaubsverlängerung übermittelt, das es in sich hatte:


    »In Erledigung Ihres, an seine Majestät gestellten Gesuches, um die Erlaubniß, noch länger in Italien bleiben zu dürfen, tragen Allerhöchstdieselben mir auf, Ihnen zu schreiben, daß Sie Herr seyen, so lange dort zu weilen als es Ihnen gefällt und gut dünkt, ja, daß Sie, wenn Sie sich besser dort befinden, als hier, auch für immer dort bleiben mögen.«


    Umgangssprachlich nennt man das einen Wink mit dem Zaunpfahl, das war auch für Salieri nicht zu übersehen und so befreite er sich von den in Neapel schon eingegangenen Verpflichtungen, um schleunigst nach Wien zurückzukehren, er machte auf der Rückreise nur noch einen kurzen Stopp in Bologna, um Martini zu besuchen; am 8. April 1780 traf er wieder in Wien ein, wo er sich unverzüglich an allerhöchster Stelle für sein Fehlverhalten entschuldigte und in Gnaden aufgenommen wurde.
    Joseph II. hatte auch gleich einen Auftrag für den Zurückgekehrten, für die Nationaloper sollte ein Singspiel komponiert werden. Es kam schließlich die Oper »Der Rauchfangkehrer« heraus, wobei weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass das Libretto äußerst schwach ist, aber die Musik genießt noch heute Ansehen; im radebrechenden italienischen Schornsteinfeger konnte Salieri sich selbst erkennen. Salieri hatte das Werk rasch fertiggestellt, aber durch den Tod von Maria Theresia konnte die Oper dann erst im April 1781 uraufgeführt werden, was mit großem Erfolg geschah, es war Salieris erstes deutschsprachiges Bühnenwerk.
    Der damals frisch nach Wien übersiedelte Wolfgang Amadeus Mozart besuchte die neu herausgekommene Oper auch und berappte sechs Dukaten für eine Partiturkopie.
    Aber es kam auch noch ein zweiter Mann, der heute noch in der Opernwelt einen guten Namen hat in die Donaustadt, das war ein gewisser Lorenzo Da Ponte, nur ein Jahr älter als Salieri, der recht bald die Position eines Hofpoeten bekleidete.


    1783 befahl der Kaiser, dass die italienische Oper wieder eingerichtet wird und Salieri setzte sich dafür ein, dass Lorenzo Da Ponte den Posten des Theaterdichters erhielt. Nun kam auch Salieris auf seiner Italienreise erarbeitete Sängerliste zum Einsatz.
    Vermutlich hätte Salieri zur Eröffnung im Burgtheater eine neue Oper beigesteuert, aber Gluck war einerseits gesundheitlich eingeschränkt, hatte aber andererseits einen Opernauftrag für Paris, den er dann einfach an Salieri übertrug, stellte das jedoch seinen französischen Auftraggebern so dar, dass ihm Salieri bei der Ausarbeitung nur assistiert hat, obwohl das fünfaktige Werk allein aus der Feder von Antonio Salieri stammte.


    Die Oper »Les Danaïdes« war Maria Antoinette gewidmet und wurde am 26. April 1784 mit ganz großem Erfolg in Paris uraufgeführt. Nach diesem überwältigenden Theaterereignis ließ Gluck in ›Journal de Paris‹ bekanntgeben, dass Salieri der alleinige Verfasser des Werks sei und Salieri glättete das Ganze etwas indem er sagte, er sei von Glucks Weisheit und Genie geleitet worden. Mit einer Tasche voll Geld - insgesamt 16.200 Livres - trat Salieri die Rückreise nach Wien an.
    Auf diesen Pariser Triumph folgte die weniger erfolgreiche Oper »Il ricco d´un giorno«, wo Lorenzo Da Ponte für das Libretto zuständig war. Daraufhin wendete sich Salieri dem bisher erfolgreicheren Dichter Giovanni Battista Casti zu, woraus letztendlich die ersprießliche Zusammenarbeit Da Pontes mit Wolfgang Amadeus Mozart resultierte.
    Ende Juli 1786 brach Salieri zu seiner zweiten Reise nach Paris auf wo »Les Horaces« zuerst in kleinerem Rahmen in Versailles und danach der Pariser Öffentlichkeit präsentiert werden sollte, die Aufführungen waren in der unfreundlichen Jahreszeit geplant, insgesamt kann man von einem Misserfolg sprechen; aber unmittelbar danach arbeitete Salieri bereits an seiner nächsten Oper »Tarare«, und das unter idealen Bedingungen, denn er war bei Textdichter Beaumarchais einquartiert, der ja auch musikalisch was drauf hatte; aus einem Brief weiß man, dass Salieri im Hause Beaumarchais mit Aufmerksamkeiten überschüttet wurde. Der agile Dichter hatte auch dafür gesorgt, dass im Vorfeld der Uraufführung das Interesse der Öffentlichkeit geweckt war.›Sensationell‹ ist wohl der richtige Begriff, wenn man beschreiben soll was da alles geschah, natürlich war die Aufführung ein großer Erfolg.


    Am 17. November 1787 dirigierte Salieri beim Totenamt für Christoph Willibald Gluck dessen bisher unveröffentlichten Psalm »De profundis«.
    Natürlich wollte der Kaiser das Pariser Erfolgsstück »Tarare« auch an der Wiener Hofoper aufgeführt sehen, allerdings ergaben sich bei der Übertragung des französischen Librettos ins Italienische Schwierigkeiten; man modifizierte das Stück und so wurde aus »Tarare« dann »Axur« und soll die Lieblingsoper von Kaiser Joseph II. gewesen sein und sogar Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich Heine bewunderten das Werk. Der Komponistenkollege Johann Friedrich Reichardt schrieb am Ende seiner Lobeshymne im ›Musikalischen Wochenblatt‹: »Überhaupt macht diese Musik einen Effekt, der sich nur empfinden, nicht beschreiben lässt.«


    Im Februar 1788 hatte Salieri seinen Karrieregipfel am Hof erreicht und war nun Hofkapellmeister. Kaiser Joseph II. kehrte zum Jahresende gesundheitlich schwer angeschlagen vom Türkenkrieg zurück, war aber im Feld stets über die Vorgänge am Theater informiert worden.
    In dieser Zeit hatte Salieri mit »Cosi fan tutte« begonnen, aber die Arbeit aus unbekannten Gründen schon nach zwei Nummern abgebrochen, Da Ponte gab das Libretto an Mozart weiter, der sich sofort an die Arbeit machte, woraus sich eine Verstimmung zwischen Salieri und Mozart ergab, die man jedoch nicht aufbauschen muss, das war danach ein ganz normales kollegiales Verhältnis, wobei man Konkurrenzdenken natürlich nicht ausschließen kann.
    Eigentlich hätte Salieri auch wieder in Paris zu tun gehabt, aber die revolutionären Aktivitäten dort hielten ihn von der französischen Metropole fern.
    Eine ernste Sache war für den Hofkapellmeister, dass sein großer Gönner am 20. Februar 1790 starb; sein Bruder, Leopold II. trat die Nachfolge an, der andere musikalische Vorstellungen hatte und den Komponisten Domenico Cimarosa bevorzugte, aber es war ihm keine längere Regentschaft beschieden, er starb völlig unerwartet am 1. März 1792. Cimarosa reiste wieder nach Neapel zurück. Mit seinem neuen Dienstherrn, Franz II., kam Salieri dann ganz gut zurecht.
    In dieser Zeit war Beethoven zum zweiten Mal und für immer nach Wien gekommen und wurde Schüler von Salieri, Schöpferische Kompositionen traten in den Hintergrund, die Ereignisse in Paris sorgten in ganz Europa für Entsetzen.
    Wenn auch Salieri Paris fern geblieben war und hieraus eine schöpferische Pause resultierte, war ja etwas vorbereitet worden, nämlich die Oper »La princesse de Babylone«; Désiré Martin hatte ein Schauspiel Voltaires adaptiert. Der Dichter Giovanni De Gamerra fertigte dann daraus das Libretto zu einem der ganz großen Opernerfolge Salieris: »Palmira, regina die Persia«; das Werk wurde auf vielen Bühnen Europas nachgespielt.


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    Historisches Bühnenbild zur ›Palmira‹-Aufführung in Frankfurt am Main.
    Die Ausstattungen waren meist sehr aufwändig und mitunter kamen echte Kamele auf die Bühne.


    Bis in unsere Zeit hat sich aus der Oper das Stück »Armonia per un tempio della notte« gehalten, das auch für kirchlichen Gebrauch nutzbar gemacht und eigentlich für einen Musikautomaten komponiert wurde, der im Zauberpark des reichen Fabrikanten Peter von Braun installiert wurde.


    Am 20. Februar 1801 machte sich Salieri nach Triest auf; der Auftrag zur Einweihung des Teatro Nuovo (ab 1901: Teatro Giuseppe Verdi) kam überraschend, weil der ursprünglich vorgesehene Komponist Domenico Cimarosa gestorben war. Die Zeit war so knapp, dass Salieri mit seiner Oper »Annibale in Capua« erst nach einer anderen Oper in das neue Haus einziehen konnte, wobei »Annibale in Capua« ganz groß ankam, aber das war alles so auf Triester Verhältnisse zugeschnitten, dass dem Werk keine weite Verbreitung vergönnt war.


    Im Spätsommer 1803 war Carl Maria von Weber nach Wien gekommen, im November 1805 Napoleon - nun gab es in Wien ganz große ›Oper‹ auf der Bühne des Lebens, Not und Elend waren unbeschreiblich groß.
    Außerhalb der Kriegssituation traf die Familie Salieri ein großer Schlag; drei Tage nach der Kriegserklärung Frankreichs gegen Österreich starb im Alter von 23 Jahren Salieris einziger Sohn; am 30. August 1807 starb nach über dreißigjähriger Ehe Theresa Salieri, die ihrem Mann acht Kinder geboren hatte. Die gerade fertiggestellte Umarbeitung von »Les Danaïdes« zog Salieri zurück, obwohl die Aufführung bereits angekündigt war.
    Man vermutet, dass Salieris Requiem »Picciolo Requiem composto da me, e per me, Ant. Salieri, picciolissima creatura« unmittelbar nach dem Tod seiner Frau entstand und der im Autograph zu sehende Eintrag: ›agosto 1804‹ im hohen Alter nachgetragen wurde und sich Salieri dabei irrte, was man aus einem Zelter-Brief an Goethe herauslesen kann.


    In den Monaten nach Theresias Tod war Maestro Salieri kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen und hielt sich auch von eng Vertrauten fern. Erst am Dreikönigstag 1808, bei der Hochzeit Kaiser Franz I., trat Salieri bei der musikalischen Festgestaltung wieder in Erscheinung. Anlässlich des 76. Geburtstages von Joseph Haydn leitete Salieri eine Aufführung der »Schöpfung«, wo Conradin Kreutzer am Klavier ein auf 60 Personen verstärktes Orchester und 32 Choristen dirigierte; Altmeister Haydn wohnte dem Konzert bei und der 37-jährige Beethoven auch.


    Die ganz großen Sachen hatte Salieri zu diesem Zeitpunkt komponiert, ab und an dirigierte er auch noch und widmete sich dem musikalischen Nachwuchs. Auch an dem Kompositionswettbewerb um den Text »In Questa Tomba« beteiligte er sich und war einer der 63 Komponisten, Salieri vertonte Carpanis Text sogar in zwei Versionen.
    Ansonsten entstanden in der Zeit des wieder entbrannten Krieges unter dem Eindruck grausiger Bilder viele geistliche Werke; insbesondere zwischen 1810 bis 1812 schrieb Salieri viel Kirchenmusik.
    Und er wendete viel Zeit als Lehrender auf, wo es eine beachtliche Namensliste von später ganz bekannten Musikern gibt, da war zum Beispiel neben Beethoven auch noch Franz Schubert, mit dem Salieri schon zu tun hatte als der Knabe Franz sieben Jahre alt war; als ›Francesco‹ 1812 wegen Stimmbruchs aus dem Chor ausschied und sich der Komposition zuwandte, besuchte Franz Schubert Maestro Salieri zweimal wöchentlich, um Lektionen in Partiturspiel, Werkanalyse und Musiktheorie zu erhalten, es entstanden auch erste Kompositionen. Ebenso war Salieri anwesend als Schubert am 25. September 1814 in der Lichtentaler Kirche seine erste Messe in F-Dur D105 aufführte.
    Auch Meyerbeer war nach Wien gekommen und konnte ein Jahr lang Salieris kostenlosen Unterricht genießen und dem Rat des Meisters folgen, nach Frankreich und Italien zu reisen.


    Während des Wiener Kongresses, der sich fast ein Jahr hinzog, war Salieri bei den zahlreichen Veranstaltungen, die zuweilen sehr aufwändig waren, so stark beansprucht, dass erhebliche gesundheitliche Schäden folgten. In dieser Zeit erhielten einige seiner Dirigate schlechte Kritiken.


    Dessen ungeachtet, wurde Salieri 1815 vom französischen König Louis XVIII. zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt und zum fünfzigjährigen Künstlerjubiläum gab es für Salieri in Wien umfangreiche Ehrungen.
    Noch 1819 wurden seine Opern »Les Danaïdes« und »Tarare« wieder sehr erfolgreich in Paris aufgeführt, nachdem man den Text der neuen Zeit angepasst hatte.
    1819 weilte Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter in Wien und besuchte Salieri mehrmals, was er auch nach Weimar berichtete - das las sich dann so:


    »Salieri ist die bravste Haut von der Welt und noch immer fleißig, auf die kindlichste Art. Er hat über vierzig Opern geschrieben. Er ist 69 Jahre alt und hält sich für außerhalb der Mode, was er nicht nöthig hätte; denn sein Talent fließt noch und von seinen Schülern steht keiner über ihm.«


    Es stellten sich gesundheitliche Schwächen ein; da waren Gicht und Augenleiden und man sah den Komponisten immer seltener in der Öffentlichkeit. Trotz der umschleierten Augen komponierte Salieri noch kleine Gesangsstücke und unterrichtete.
    Aus der Schülerzahl ragte ein Ausnahmetalent heraus, dessen Fähigkeiten am Klavier den alten Salieri faszinierten; es war der zehnjährige Franz Liszt, der etwa ein Jahr vom Hofkapellmeister unentgeltlich unterrichtet wurde - dreimal die Woche.


    Mit Salieris Gesundheit ging es weiter bergab, am 8. Oktober 1823 unterzeichnete er mit zittriger Hand sein Testament. Antonio Salieri starb am 7. Mai 1825 um acht Uhr abends zuhause im Kreise seiner Familie. Die Beisetzung fand auf dem Matzleinsdorfer Friedhof im Süden Wiens statt, den Zentralfriedhof gab es damals noch nicht.
    1903 wurden seine Gebeine exhumiert und auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.


    Der 1984 entstandene Film »AMADEUS« - in dem Antonio Salieri eine wesentliche Rolle spielt - gilt als filmisches Meisterwerk, aber die historisch reine Wahrheit ist das natürlich nicht. Vermutlich kommt Wolfgang Hildesheimer der Sache näher, wenn er sagt:


    »die berüchtigte Rivalität zwischen Mozart und Salieri ist ein Produkt der Literatur und hat literaturfördernd gewirkt.«



    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof; links vom Haupteingang, an der Friedhofsmauer aufgereiht, befinden sich etwa hundert Ehrengräber. Das Grab von Antonio Salieri hat die Nummer 54.


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    Die Lazaruskirche auf dem Zentralfriedhof ist ein markanter Orientierungspunkt;
    ganz in der Nähe an der Mauer befindet sich Salieris Grabstätte.


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  • Der Lehrer Anton Bruckners


    Simon Sechter - *11. Oktober 1788 in Friedberg - † 10. September 1867 in Wien


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    Entlang der Friedhofsmauer befindet sich eine Reihe von fast hundert Ehrengräbern, das Grab von Simon Sechter hat die Nr. 23.


    Sechters Geburtsstadt liegt zwar immer noch im südlichen Böhmen und an der Moldau, heißt aber heute Frymburk und gehört zu Tschechien, nahe der Grenze zu Österreich, etwa drei Autostunden von Wien entfernt.


    Simons Geburtshaus - Nr. 88 - war eines von 146 Häusern des Ortes und stand am Ortsrand von Friedberg; die Einwohnerzahl wird um 1870 mit 1.290 angegeben. Chroniken überliefern, dass es da auch mal eine Gedenktafel mit dieser Aufschrift gab:


    In diesem Hause erblickte Simon Sechter
    am 11. Oktober 1788
    das Licht der Welt


    Simon Sechters Eltern werden als mittellos beschrieben und sollen auch nichts von Musik verstanden haben.
    In einer in Frakturschrift gedruckten Chronik ist zu lesen:


    »Hier in dem stillen Ort mit dem Namen ›Friedberg‹ erblickte Simon Sechter am 11. Okt. 1788 das Licht der Welt, als der Sohn eines geachteten Bürgers und Bindermeisters. In seinem elften Jahre erhielt er von dem Ortsschullehrer und Chorregenten Joh. N. Maxandt den ersten Musikunterricht, und zwar im Singen, Violinspielen und auf der Flöte, später auf dem Klavier. In Ermangelung eines Instrumentes wiederholte er seine Lekzionen zu Hause mittels eines Brettes, auf welches er sich die Tasten gezeichnet hatte. Sein Eifer war ein solcher, wie er musikalischen Naturen gewöhnlich eigen ist. Je mehr er technische Fertigkeiten im Spiel gewann, desto mehr drängte es ihn zum selbständigen Schaffen.
    Kaum dreizehn Jahre alt, fieng der künftige Tonmeister, ohne je eine Partitur gesehen zu haben, schon an, aus innerem Drang zu komponieren., so zwar, daß er eine Messe in einzelnen Stimmen Takt für Takt niederschrieb, und auf diese äußerst unbequeme und mühsame Art im Verlaufe längerer Zeit vier ähnliche Versuche zunPapier brachte, bisihn sein Lehrer den Gebrauch einer Partitur kennen lehrte, so daß ihm durch den gewonnenen Unterrichte die Arbeit des Tonsatzes um vieles erleichtert wurde.«


    Von seinem Lehrer aufgemuntert, komponierte er im Folgenden mehrere Stücke. Aber der junge Mann war nun auch in einem Alter angekommen, wo er über seinen Lebensunterhalt nachzudenken hatte, man wurde in dieser Zeit recht früh erwachsen. So wurde der 14-Jährige bei Schulmeister Stegmann Schulgehilfe zu Pfarrkirchen in Oberösterreich.
    Diese Stellung hatte für den jungen Sechter den großen Vorteil, dass er einen recht beachtlichen Vorrat an Musikalien vorfand. Hier studierte er eifrig Joseph Haydns Oratorien.
    Im folgenden Jahr unterzog er sich in Linz der sogenannten Preparantenprüfung, hatte jedoch seinen ursprünglichen Plan, Schulmeister zu werden, eigentlich schon aufgegeben.


    In Friedberg wurde er mit dem Güterdirektor Hofrat Kowarz bekannt, der ihn 1804 als Korrepetitor für seine Kinder mit nach Wien nahm, wo sich dem nun sechzehnjährigen Sechter eine völlig neue Welt auftat.
    Mit Feuereifer vertiefte er sich nun in die Tonschöpfungen Mozarts, Händels und Bachs.
    Schon in dieser Zeit entwickelte sich seine Vorliebe für den strengen Satz in der Komposition. Bei einem Schüler des Kontrapunktisten Johann Georg Albrechtsberger nahm er relativ kurz Unterricht im Kontrapunkt und ging dann nach bewährter Weise zum autodidaktischen Unterricht über.


    Eine höhere Ausbildung erhielt Sechter von dem bekannten Pianisten Leopold Koželuh und durch italienische Gesangsmeister gelang es ihm ›seinen Geschmack zu läutern und zu verbessern‹, wie in alten Schriften zu lesen ist.
    Simon Sechter hatte sich nun einen Stand erarbeitet, der ihm gestattete nicht nur die Kinder seines Gönners Kowarz musikalisch zu betreuen, sondern auch außerhalb des Hauses zu unterrichten, was etwas Geld einbrachte.
    Kaum auf eigenen Füßen stehend, verlor er 1809 infolge der französischen Besetzung Wiens sein ganzes Vermögen. Da Sechter mit Johann Wilhelm Klein - ›dem Vater der Blinden‹ - befreundet war, übernahm Sechter den Gesang- und Klavierunterricht im k. k. Blindeninstitut, wobei er recht bescheiden auftrat und erst bezahlt werden wollte, wenn er etwas geleistet hat; aber man lud ihn zumindest zu Tisch. Das war im Jahr 1810 oder 1811, die alte Literatur nennt unterschiedliche Daten.
    Sechter musste sich nun darüber Gedanken machen wie Blinden das Klavierspielen am besten beizubringen sei. Das gelang ihm offensichtlich, denn in einem Buch, das für alle Unterrichtsfächer an Blindenschulen herausgegeben wurde, findet man diesen Passus:


    »Bereits der Musiklehrer Simon Sechter, der den musikalischen Theil für das ›Lehrbuch zum Unterrichte der Blinden‹ von J. W. Klein verfasst hat, beschreibt da verschiedene Vorrichtungen, wie man den Blinden das Notensystem der Sehenden beibringen kann.«


    Auch der Pädagoge Matthias Pablasek kam zu der Ansicht, dass Simon Sechters ausführliche Abhandlungen als das Beste empfohlen werden können.
    Sechter komponierte für seine Zöglinge ein- und mehrstimmige Lieder und sogar zwei Messen. Seine Singstunden sollen sehr beliebt gewesen sein.
    Und es gibt auch Berichte über öffentliche Konzerte, die er im Mai 1813 und im November 1815 mit seinen Zöglingen gab. Da stand ein Septett für dreiHarfen, zwei Violinen, Klarinette und Fagott im Programm. Auch Schillers »Die Glocke« - ein Gedicht von 430 Versen - wurde von sämtlichen Schülern gesungen, natürlich von Sechter komponiert. Die adlige Damengesellschaft war von dem so angetan, dass sie Sechter 100 Gulden als Geschenk übergab und ihm ein monatliches Gehalt anwies.


    1816 heiratete Sechter die Beamtentochter Katharina Heckmann; von ihren Kindern trat Sohn Eduard Engelbert in die großen Fußstapfen des Vaters, war jedoch als Musiker weniger erfolgreich.
    Simon Sechter setzte seine theoretischen Studien fort, namentlich waren das Werke von Bach und Mozart, denen er auch bis an sein Lebensende anhing, und komponierte fleißig weiter. Förderung erfuhr Sechter auch durch Franz Xaver Gebauer, der ab 1816 Chorleiter und Musikdirektor an der Wiener Hofpfarrkirche der Augustiner war und Abé Maximilian Stadler, der Sechters Werke dem Hofmusikgrafen Fürst Moritz Dietrichstein empfahl, die dann auch von der Hofmusikkapelle aufgeführt wurden.
    Sechter war Stadler 1820 begegnet - der damals die 70 schon überschritten hatte - und von Sechter selbst stammt die Aussage, dass er von Stadler - der im Wiener Musikleben hochangesehen war - freundlich aufgenommen wurde und dieser die Güte besaß Sechters Kompositionen durchzusehen, die schließlich positiv bewertet wurden. Stadler war es dann auch, der Sechter mit der Kunst der Niederländer und dem Palestrinastil vertraut machte.
    Aussage Sechter: »Er eiferte mich an, reine Kirchencompositionen zu machen, und da meine Neigung von Kindheit an ohnehin auf diese Gattung gerichtet war, so traf er mit meinen Wünschen zusammen.«
    Ab 1824 war Sechter 2. Hoforganist und ein Jahr später dann 1. Hoforganist, eine Stellung, die er schließlich bis zu seiner Pensionierung 1863 innehatte.


    In der Musikliteratur wird Simon Sechters Name sehr häufig in Verbindung mit Anton Bruckner genannt - ›Simon Sechter, der Lehrer von Anton Bruckner‹ - weil hier der Schüler den Meister weit überstrahlt. Auch dass Franz Schubert sich noch 1828, kurz vor seinem Tod, als er bereits ein exzellentes Lebenswerk geschaffen hatte, noch in Sechters Schülerliste eintrug, ist ein Beweis für Sechters guten Ruf, aber ein übliches Schüler-Lehrer-Verhältnis kam hier nicht zustande, weil sich Schubert wegen gesundheitlicher Probleme von einem Mitschüler entschuldigen ließ.


    Bei Anton Bruckner war das Schüler-Lehrer Verhältnis gänzlich anders und bestand über mehrere Jahre. Bereits 1830 war Sechters »Praktische Generalbass-Schule« erschienen, die Bruckner schon während seiner Studien bei Leopold von Zenetti kennengelernt hatte.
    Im Juli 1855 nahm Bruckner mit Simon Sechter in Wien Kontakt auf und legte ihm seine »Missa solemnis« vor. Den Anstoß dazu sollen ihm Probst Mayer und der böhmische Kirchenmusiker Robert Führer gegeben haben. Nach der bereits erwähnten Schrift Sechters war 1853 und 1854 als Ergebnis seiner jahrzehntelangen Lehrerfahrung Sechters dreibändiges Lehrwerk »Grundsätze der musikalischen Kompositionslehre« erschienen, man vermutet, dass Bruckner durch Probst Mayer in den Besitz dieses Lehrwerks kam.


    Mit Kennerblick erkannte Sechter Bruckners Begabung und nahm ihn unverzüglich als Schüler auf und riet ihm: »in größere Verhältnisse zu streben, als sie St. Florian seiner bereits erreichten Stufe und seiner weiteren Entwicklung bieten konnte.«
    Das Studium erstreckte sich über sechs Jahre hinweg, wobei die Unterweisungen zunächst nur schriftlich erfolgten, später kam Bruckner dann zu Sechter nach Wien.
    Als Bruckner in Linz an zwei Kirchen Orgeldienste zu verrichten hatte, studierte er parallel dazu bei Sechter, wobei er in der Regel sieben Stunden pro Tag aufwendete.
    Es gibt keinen Grund an den Angaben Bruckners zu zweifeln, denn der erfahrene Sechter bemerkte natürlich, dass in diesem Fernstudium ertragreich gearbeitet wurde, weshalb er den übereifrigen Bruckner vor Überlastung warnte und am 13. Januar 1860 schrieb:


    »Ihre 17 Hefte mit Arbeiten über den doppelten Contrapunkt habe ich durchgesehen, und mich mit Recht über Ihren Fleiß gewundert, so wie über Ihre Fortschritte, die Sie darin gemacht haben [...]. Damit Sie aber in Gesundheit nach Wien kommen können, ersuche ich Sie, sich mehr zu schonen und sich die nöthige Ruhe zu gönnen. Ich bin ja ohnehin von Ihrem Fleiß überzeugt, und möchte daher nicht haben, daß Ihre Gesundheit durch zu große geistige Anstrengungen zu leiden hätte. Ich fühle mich gedrungen Ihnen zu sagen daß ich noch garkeinen fleißigeren Schüler hatte als Sie.«


    In der Tat, da hatten sich hier die Richtigen getroffen; Sechters Anspruch auf Disziplin und Vollständigkeit entsprach wohl ganz Bruckners Ideal. Bruckner studierte Sechters Bücher und notierte sich am Blattrand Fragen, die er dazu hatte.
    In den ersten Jahren erfolgte das Studium zunächst brieflich; Aufgabestellungen und Lösungen wurden per Post oder durch einen Freund Bruckners ausgetauscht.
    Ab 1858 reiste Bruckner jedes Jahr in der orgelstummen Fastenzeit und im Sommer für sechs bis acht Wochen zu Sechter. Sechter stellte ihm immer wieder Zeugnisse aus, so zum Beispiel im April 1860 über den doppelten, drei und vierfachen Kontrapunkt und bezeichnete ihn »als Meister in diesem Fach«. Die letzte Prüfung seiner Studienzeit bei Sechter erfolgte über die Thematik Kanon und Fuge, das war am 26. März 1861, und 1868 - nach Sechters Tod (1867) - übernahm Bruckner Sechters Stelle in Wien.


    Im Gegensatz zu seinem so berühmt gewordenen Schüler, hielt sich Simon Sechter auch als Komponist an seine Lehre, was dazu führte, dass sich seine Werke im Prinzip nur an der technischen Perfektion orientierten. So vertonte er Texte aus Zeitungen und Lehrbüchern und schrieb täglich eine Fuge; die Beherrschung des Handwerklichen hatte für ihn Priorität.
    Bereits im Jahr 1833 lieferte Sechter ein Beispiel von beeindruckender Ausdauer; die selbstgestellte Aufgabe war: 104 Variationen über ein Originalthema von104 Takten, was Fachleute als ›Selbstgeißelung‹ bezeichneten. Simon Sechter war kein intuitiv-musikantischer Komponist, bei ihm überwog die intellektuelle Komponente bei weitem; auf diese Weise entstanden mehr als 8.000 Werke, darunter ein musikalisches Tagebuch mit 4.000 Kompositionen, das waren zumeist Fugen.


    Der Musikjournalist und Komponist Selmar Bagge, Assistent am Konservatorium, schildert den Unterricht Sechters so:


    »Der Unterricht Sechters war ein derart ins das Detail des musikalischen Satzes vergrabender, dass wer nicht schon vorher auf der freienHöhe des Schaffens gestanden, dabei alle Um- und Aussicht verlieren musste. Sechters Unterricht war demnach nützlich für den, welcher die Disziplinen genau und strenge studieren wollte, ohne sich dadurch aber in seinen Ansichten über das Wesen der künstlerischen Produktion beirren zu lassen; geradezu gefährlich aber für den, dessen Produktivität ohnehin keine allzu starke und zwingende sein mochte: das Wenige ging total unter in dem Meer von scharfsinniger Detailkritik, die sich gewöhnen musste, jede Note zwanzigmal auf ihre gesetzliche Geltung anzusehen, wobei alle notwendige Unmittelbarkeit des Schaffens zugrunde gerichtet wurde.«


    Nach einem sehr arbeitsreichen Leben, das Simon Sechter hohes Ansehen in Form von Ehrenmitgliedschaften und Auszeichnungen einbrachte - zum Beispiel 1863 das goldene Verdienstkreuz der Krone - war Sechters Lebensabend von Not und Vereinsamung geprägt.
    Als nämlich sein Schwiegersohn in finanzielle Schwierigkeiten kam, wurde Sechter, der gebürgt hatte, mit hineingezogen. Sein Gehalt wurde gepfändet und es drohte Kuratel.
    In Anbetracht seines Ansehens kam es zu einer Sammlung, an der sich unter anderen die Gesellschaft der Musikfreunde, Kaiser Franz Joseph I. und Erzherzog Franz Karl beteiligten.


    Am 11.10. 1888 erschien im Wiener Extrablatt anlässlich des hundertsten Geburtstags von Simon Sechter dieser Artikel:


    »Die musikalische und mit ihr die ganze gebildete Welt begeht heute den Gedenktag, da vor 100 Jahren der größte Contrabassist unserer Zeit, der schlichte Simon Sechter in dem böhmischen Städtchen Friedberg geboren wurde. Sechter lernte mit 11 Jahren recht mangelhaft Musik und kam, obwohl er nur nothdürftig gebildet war, als Schulgehilfe nach Pfarrkirchen in Ober-Österreich. Im Jahre 1804 nahm ihn der Güterdirector des Fürsten Starhembeg nach Wien, um seine Kinder zu unterrichten, und von diesem Zeitpunkt an gehörte das Wirken Sechter´s der Stadt, die seine zweite Heimat geworden und die er auch, kurze Ausflüge ausgenommen, nicht mehr veließ.
    Simon Sechter war eine bekannte Wiener Straßenfigur. Er ging stets in schwarzem Anzuge mit weißer Halsbinde. Er war ein Musikgelehrter, wie man vor ihm keinen kannte, gleich groß als Lehrer und als Componist. Die Zahl seiner Schüler dürfte nach Hunderten zählen und unsere größten heute lebenden Meister sind darunter. Wir wollen hier nur anführen:
    Engelbert Eigner, Otto Bach, Anton Bruckner, Fedrigotti, , Friedr. Schnell, Sigm. Thalberg, Theodor Döhler, , Leopoldine Blahetka, , Henselt, Gottfried Preyer, Bibl´s Söhne, Galli, Matteo Salvi, Henri Vieuxtemps, E. M. Ziehrer u. A.
    Trotz der zahlreichen Lectionen, die Sechter täglich ertheilte, entwickelte er auch im Componiren einen fabelhaften Fleiß. Nur der allerkleinste Theil seiner Werke erschien im Stiche. Alles übrige, darunter namentlich Orgelwerke, Messen und verschiedene Kirchen-Compositionen, ist verstreut im Privatbesitze Einzelner. Die größeren Werke schenkte Sechter noch bei Lebzeiten der kaiserlichen Hofbibliothek und dem Archive der ›Gesellschaft der Musikfreunde.‹ Dort ist auch sein musikalischer Nachlaß hinterlegt. Zu seinen veröffentlichten, weitaus bedeutungsvolleren theoretischen Schriften ist auch die von ihm neu bearbeitete ›Abhandlung von der Fuge‹ zu zählen, die im zweiten Theile eine ausgezeichnete Analyse der großen Fuge in Mozart´s ›Jupiter-Symphoni‹ enthält.
    Sein bedeutendstes Werk aber ›Die Grundzüge der musikalischen Composition‹, in drei Bänden (bei Breitkopf und Härtel in Leipzig erschienen), sichert ihm für alle Zeiten einen Ehrenplatz neben den größten Contrapunctisten. Sein Einfluß auf Beethoven und sein Verkehr mit Schubert, an dessen Sterbebette er saß, ist bekannt.«


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Simon Sechter befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof,
    Simmeringer Hauptstraße 234, 1110 Wien
    Man geht durch den Haupteingang - Tor 2 - und wendet sich nach links, wo sich entlang der Friedhofsmauer eine Reihe von fast hundert Ehrengräber befinden, das ist die Ehrengräber Gruppe 0, das Grab von Simon Sechter hat die Nr. 23.

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  • Carl Czerny - * 21. Februar 1791 in Wien - † 15. Juli 1857 in Wien


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    Carl wurde geradezu ins Musikleben hineingeboren, sein Vater, Wenzel Czerny, war als Musiker und Pianist aus Böhmen nach Wien gekommen und es dauerte nicht lange, dann war dieser vielseitige Mann in Wiener Musikerkreisen sehr bekannt: als Pianist, Organist Oboist und Sänger, aber er erteilte auch Musikunterricht, reparierte Musikinstrumente und kopierte Noten. Mit diesen Tätigkeiten verdiente er seinen Lebensunterhalt.
    Der Knabe soll schon im Alter von drei Jahren am Klavier gesessen haben, wo ihm die Grundlagen des Klavierspiels vom Vater auf einem Cembalo beigebracht wurden.
    Der Sechsjährige konnte dann schon Musikstücke nach dem Gehör nachspielen.
    Unter den vielen Musikern, die im Elternhaus - wo tschechisch gesprochen wurde - verkehrten, war auch der Geiger Wenzel Krumpholz, der den Jungen etwas wie Vortrag und Ästhetik lehrte und ihm auch eine Vorstellung vom in dieser Zeit noch jungen Beethoven vermittelte.
    Als Carl zehn Jahre alt war, hielt es Krumpholz für angebracht, den hochbegabten Knaben Beethoven vorzustellen. Nachdem Carl Czerny einige Beethoven-Werke gespielt hatte, meinte Beethoven:
    »Der Knabe hat Talent, ich selber will ihn unterrichten und nehme ihn als meinen Schüler an.«
    Krumpholz hatte Carl auch mit Moritz von Lichnowsky, dem jüngeren Bruder des Fürsten Karl von Lichnowsky, Freund und Mäzen Beethovens, bekannt gemacht, woraus sich ergab, dass der Junge dem Erstgenannten morgens fast täglich einige Stunden auswendig Beethovens Werke vorspielte, wofür er dann monatlich mit einem finanziellen ›Geschenk‹ entlohnt wurde.

    Der Vater hatte eine grundsolide Basis geschaffen, denn Wenzel Czerny legte großen Wert auf technisches Können und Disziplin. Beethovens Unterricht beschränkte sich nicht nur auf das Klavierspiel, er gab auch Anleitungen zur Komposition. Carl Czerny sah seine Entwicklung rückblickend so:


    »Ohne die Anleitung meines Vaters und der künstlerischen Inspiration, die ich von Beethoven und anderen erhielt, wäre mein Weg ein anderer gewesen. Es ist zum größten Teil Beethovens Schuld, dass ich Musiker geworden bin; wie könnte ich meine unendliche Dankbarkeit ausdrücken?«


    Die technische Grundlage war bei dem Jungen sicher schon sehr ausgeprägt als er zu Beethoven kam, aber der Meister sagte seinem Schüler, zumindest ist das so überliefert:


    »Technik ist wichtig, aber das Herz muss mitspielen. Spiel nicht wie eine Maschine.
    Ich möchte, dass du jeden Ton fühlst und verstehst, warum er genau so und nicht anders gespielt werden muss.«


    1800 hatte Czerny in den berühmten Augartenkonzerten als Pianist mit Mozarts c-Moll-Konzert debütiert und 1804 wurde am gleichen Ort mit der Ouvertüre in c-Moll erstmals eine Komposition von ihm aufgeführt.


    Schließlich ging das Lehrer-Schüler-Verhältnis nach etwa zehn Jahren in Freundschaft über. Das waren keine Klavierstunden im üblichen Sinne, sondern ein ganz enges und intensives Lehrer-Schüler Verhältnis. Beethoven nahm Czerny oft zu seinen Konzertveranstaltungen mit und ließ ihn auch an seiner Kompositionsarbeit teilhaben.
    Carl Czerny berichtet auch darüber, dass er einmal unter Aufsicht vom Meister Beethoven das 1. Klavierkonzert in C-Dur op.15 aufführen durfte.
    In der Literatur wird von einem gemeinsamen Meister-Schüler Projekt von 1803 berichtet, nämlich der Aufführung von Beethovens drittem Klavierkonzert in c-Moll, Op. 37, bei der Czerny als Pianist auftrat und Beethoven das Orchester dirigierte.
    Eine weitere musikalische Zusammenarbeit fand bei der ›Missa Solemnis‹ in D-Dur, Op. 123 statt, wo Beethoven Czerny mit der Aufgabe betraute einige Orchesterpassagen zu transkribieren und für künftige Aufführungen vorzubereiten.
    Der 17-jährige Czerny konnte Beethovens Klavierwerke auswendig spielen, eine Leistung die allgemeine Bewunderung fand. Beethoven hatte seinem Musterschüler ein Zeugnis ausgestellt, das beinhaltet, dass Czerny auf dem Pianoforte solche sein 14-jähriges Alter übersteigende, außerordentliche Fortschritte gemacht habe, dass er sowohl in diesem Anbetrachte als auch in Rücksicht seines zu bewunder[n]den Gedächtnisses aller möglichen Unterstützung würdig geachtet werde.
    Diese Empfehlung war eigentlich dazu gedacht dem jungen Mann auf einer geplanten ›Wunderkind‹-Reise durch Europa Türen zu öffnen, aber wegen der Koalitionskriege mit Frankreich kam diese Reise dann nicht zustande.


    Im weiteren Verlauf seines Lebens trat er relativ wenig als Klaviervirtuose in Konzertsälen in Erscheinung, er soll unter starkem Lampenfieber gelitten haben. Als Klavierpädagoge hatte sich Czerny einen sehr guten Ruf erworben; er war einer der ersten Komponisten die die Bezeichnung Etüde als Titel wählten, und diese Czerny-Etüden sind heute noch weltweit im Einsatz und spielen in der pianistischen Ausbildung immer noch eine große Rolle.
    In Wien war Carl Czerny ein Klavierpädagoge der beim höchsten Adel und den ersten Familien unterrichtete; sogar Beethoven vertraute ihm seinen Neffen Karl als Schüler an.
    Carl Czerny war also in die Fußstapfen seines Vaters als ›Klavierlehrer‹ getreten.


    1816 hatten Carl Czernys Eltern die damals achtjährige(?) Anna Caroline de Belleville bei sich aufgenommen, die dann für drei Jahre Czernys Schülerin war; man muss das Geburtsdatum mit einem Fragezeichen versehen, weil Eltern von ›Wunderkindern‹ oft des Geburtsdatum manipulieren, damit das Wunder ein bisschen länger dauert.
    Carl Czerny übermittelt das Ereignis so:


    »Im Jahr 1916 nahmen meine Eltern die kleine, damals zehnjährige Ninette Belleville in Kost und Wohnung und ich zur musikalischen Ausbildung. Es war eines der seltensten musikalischen Talente, und da sie sich nach dem Willen ihres Vaters der Musik widmen sollte, so hatte ich nun eine Schülerin, welche auch durch zahlreiches öffentliches Produzieren meinen schon ohnehin bedeutenden Lehrerruf vermehrte.«


    Sein berühmtester Schüler dürfte wohl Franz Liszt gewesen sein, der als Elfjähriger am 1. Dezember 1822 mit dem Einverständnis seines stolzen Lehrers zum ersten Mal in Wien auf einer öffentlichen Bühne spielte.
    Als Liszt dann schon im folgenden Jahr in die Postkutsche stieg und Richtung Paris rollte, war Czerny davon nicht gerade begeistert und fragte brieflich bei Liszts Vater an ob der Junge auch fleißig mit dem Metronom üben würde und schob die Mahnung nach, man möge sich durch übertriebenes Lob nicht irre machen lassen.


    Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, wollte man auf alle Czerny-Schüler eingehen, die später bedeutend wurden, aber Theodor Leschetizky sollte noch genannt werden, der 1841 mit einem Klavierkonzert von Carl Czeny in Lemberg debütierte und später selbst ein bedeutender Lehrer wurde.


    Nach mehr als drei Jahrzehnten stellte Carl Czerny 1836 das Unterrichten ein und lebte als freischaffender Komponist. Carl Czerny war ja nicht besonders reisefreudig und kam den Einladungen von Liszt und Moscheles nach Paris oder England nicht nach. Sprachschwierigkeiten hätte er nicht gehabt, denn er beherrschte Französisch, Englisch, Italienisch und Tschechisch.
    1836 besuchte er Leipzig, 1837 war er dann doch noch in London und Paris. Schließlich ist 1846 auch eine Reise nach Mailand und der Lombardei bekannt; man darf vermuten, dass Czerny in den genannten Städten seine Verleger besuchte.
    Sein Freundeskreis war überschaubar und er mied auch große Gesellschaften. Aber er besaß eine große Bibliothek und galt allgemein als gebildeter Mensch. In dieser Bibliothek spielten die Werke von Walter Scott eine besondere Rolle, denn Czerny vertonte vier dieser Werke; diese ›Romantischen Fantasien‹ sind Klavierduette von epischer Breite, wo Czerny populäre schottische Melodien einfließen lässt.


    Schließlich war er auch als Komponist tätig und bienenfleißig. Abends und nachts komponierte er nicht nur Klavieretüden und Klavierschulen für seine Schüler, sondern auch Klaviersonaten, Kammermusik, Sinfonien, Violinsonaten, Kirchenmusik, Streichquartette und Opernparaphrasen, wobei sich Letztere in Wien damals großer Beliebtheit erfreuten.
    Insgesamt soll Carl Czerny mehr als 2000 Werke komponiert haben und Eduard Hanslick merkte damals schon an, dass man Czernys kompositorische Vielseitigkeit nicht unterschätzen sollte.


    Bedeutend war auch seine 1838 erschienene Klavierschule Opus 500 mit dem allesumfassenden Titel: »Vollständige theoretisch-practische Pianoforte-Schule, von dem ersten Anfange bis zur höchsten Ausbildung fortschreitend«.
    Und da war noch mehr ›Vollständiges‹, Carl Czerny übersetzte Anton Reichas »Vollständiges Lehrbuch der musikalischen Composition« vom Französischen ins Deutsche und machte Anmerkungen dazu. Um den Titel wirklich vollständig zu zitieren muss man noch hinzufügen:
    »Ausführliche und erschöpfende Abhandlung über die Harmonie (den Generalbass) die Melodie, die Form und Ausarbeitung der verschiedenen Arten von Tonstücken, den Gebrauch der Gesangsstimmen, die gesammte Instrumentirung, den höheren Tonsatz im doppelten Contrapunct, die Fuge und den Canon, und über den strengen Satz im Kirchenstyl.«
    Carl Czerny war auch einer der maßgeblichen Herausgeber Bachscher Klavierwerke im 19. Jahrhundert.


    Der aus eher ärmlichen Verhältnissen kommende Carl Czerny war ein vermögender Mann geworden, lebte aber sehr bescheiden. Die hauswirtschaftlichen Dinge regelte seit vielen Jahren ein Ehepaar. Neben seiner musikalischen Arbeit konnte Czerny keine Partnerin finden, um eine Familie zu gründen.
    Er war Frühaufsteher; im Sommer begann für ihn der Tag um 5 Uhr, im Winter um 7 Uhr.
    Der frugale Mittagstisch wurde von Wasser begleitet, ein Souper soll nie stattgefunden haben.


    Aber der 66-Jährige machte sich Gedanken um seinen Nachruhm; zehn Tage vor seinem Tod schrieb er an einen Verleger, der mal wieder Etüden von ihm erbeten hatte:


    »Auch schrieb ich Ihnen, wie schwer es ist, in dieser beschränkten Form immer etwas neues und hübsches zu finden, und wie höchst zuwider mir das Fabrizieren von solchen Kindereyen ist, da dergleichen für meinen Künstlerberuf nur nachtheilig sein kann. Durch ernste Compositionen, denen ich jetzt seit Jahren meine Zeit widme (Quartette, Sinfonien, Kirchenwerke etc.) hoffe ich, wenn mir Gott noch so langes Leben schenkt, diesen Fehler wieder zu verbessern, den ich immer nur aus Gefälligkeit gegen die Herren Veleger beging ...«


    Die ursprüngliche Beisetzung fand am 18. Juli auf dem Matzleinsdorfer Friedhof statt.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof; links vom Haupteingang, an der Friedhofsmauer aufgereiht, befinden sich etwa hundert Ehrengräber. Das Grab von Carl Czerny hat die Nummer 49.


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  • Zum heutigen Todestag von Hermin Esser


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    Hermin Esser - * 1. April 1928 Rheydt - † 17. April 2009 Wiesbaden


    Als Hermin Esser in Rheydt geboren wurde, war das noch eine eigenständige Stadt, die aber seit 1974 zu Mönchengladbach gehört.
    Der etwas seltene Vorname soll, wie man in der Familie erzählt, eine Fehlleistung des Standesbeamten gewesen sein und man verweist auf das spaßige Geburtsdatum des 1. April; ursprünglich sollte der Knabe nämlich Erwin heißen.


    In WESTDEUTSCHE ZEITUNG vom 16. Mai 1964 findet man einen Beitrag, der mit der Headline »Vier Brüder - vier Tenöre« überschrieben ist und im weiteren Text erfährt man:


    »Klein und unscheinbar liegt das Haus der Eheleute Adolf und Gertrud Esser an der Steinfelder Straße 21 in Geistenbeck. Vier Sängerbrüder nennen es ihre Heimat. Zwei wirken als Solisten an bekannten Bühnen, zwei sind Tenöre in Rheydter Chören, und Vater Esser singt seit Jahrzehnten in der Sanssouci Rheydt.«; dieser Quartettverein, ein Meisterchor des Sängerbundes NRW, war zu dieser Zeit einer der besten Männerchöre Deutschlands.


    In der Familie wurde Radiomusik gehört und alles nachgesungen was da aus dem Lautsprecher kam, wobei sich natürlich Tenorstimmen besonderer Beliebtheit erfreuten, aber Vater Esser hatte auch schon ein Gesangsverbot angedacht, weil es ihm, trotz eigener Sangeslust, zu viel wurde.


    Adolf Esser glaubte, dass er und seine vier Söhne ihre guten Stimmen der Mutter beziehungsweise der Großmutter verdanken, denn die beiden sollen von früh bis spät Volks- und Kirchenlieder gesungen haben.


    Hermin Esser hatte eine künstlerische Doppelbegabung und hätte auch Kunstmaler werden können; Kopien von namhaften Künstlern wie Dürer, Cézanne, Thoma, Renoir, Modersohn-Becker und Picasso ... waren für ihn kein Problem.
    Entsprechend diesem Talent verdiente er seinen Lebensunterhalt zunächst als Graveur,
    was seiner zeichnerischen Begabung entsprach und seine Brüder waren auch in diesem Metier tätig.
    Er machte sich aber gleichzeitig als Tenor einen guten Namen in seiner heimatlichen Umgebung, dem traditionell sangesfreudigen Rheinland.
    Allmählich reifte die Idee einer anderen beruflichen Orientierung, Hermin Esser hatte den Entschluss gefasst Architekt zu werden, wobei jedoch vorher eine Maurerlehre zu absolvieren war, weshalb er als Umschüler bei einer Baufirma anfing und hier Karriere als Geselle und Polier machte. Also wurde künftig auch am Bau aus purem Vergnügen gesungen, größere Auftritte gab es bei Richtfesten.
    Durch gelegentlich kleine Solopartien beim Chor und bei Festen wurde man auf seine Stimme aufmerksam und riet ihm bei einem Gesangspädagogen vorzusingen.
    Obwohl er schon als Kind mehrmals in der Oper gewesen war, verschwendete er keinen Gedanken daran mal selbst auf der Bühne zu stehen, weil er Hemmungen hatte und sich das nicht zutraute.
    Als er aber beruflich in Düsseldorf zu tun hatte, konfrontierte ihn eine befreundete Dame mit einem Zeitungsausschnitt:
    ›Morgen Aufnahmeprüfung des Schumannkonservatoriums in Düsseldorf‹ - Da fährst Du hin!
    Er fügte sich widerstrebend.


    Man hatte den 16-Jährigen in den letzten Kriegsmonaten 1944/45 noch zur Heimatverteidigung eingezogen, 1946 wurde er aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen.
    Deutschland lag in Trümmern, was Essers Chef fragen ließ: »Wat willste hier jetzt Kunst machen? Die Zukunft liegt im Bau«.
    Aber schließlich stellte sich heraus, dass Hermin Essers Zukunft am Robert-Schumann-Konservatorium Düsseldorf lag, wo Franziska Martienßen-Lohmann - eine Gesangspädagogin von legendärem Ruf - von 1949 bis 1969 eine Meisterklasse für Gesang leitete; von Weimar kommend, hatte sie mit 62 Jahren in Düsseldorf nochmals einen Neustart gemacht.


    In der Rückschau meinte Esser, dass die Martienßen-Lohmann etwas der Welt entrückt war:
    »ein bisschen von ´ner anderen Welt, mit viel Theorie, die nicht immer hinhaute in der Praxis. Etwa wenn sie uns beibrachte: ›Der Sänger bestimmt das Tempo!‹ Aber versuch das mal bei ´nem Karajan«.
    Esser sah ganz klar, dass er damals noch ein grober Klotz war, der aus Spaß und Freude drauf los sang, aber ihm seine Gesangslehrerin Kultur beibrachte, etwa wenn sie mit ihm Lieder von Hugo Wolf sang, mit ganz genauer Detailarbeit an Text und Artikulation.
    »Damals habe ich gelernt, dass gute Sänger wissen, was sie singen«, meinte der große Tenor im Rückblick auf seine sängerischen Anfänge des professionellen Singens.
    Aber man darf sich vorstellen, dass sich die große Dame des Gesangs auch aus ›mütterlichen‹ Gefühlen des jungen Mannes in besonderem Maße annahm, zumindest lässt sich das aus Essers Äußerungen so herauslesen. Aber da war auch eine Menge Selbstbewusstsein, denn Esser stellt nüchtern fest: »In kurzer Zeit war ich da´n Star.«


    Trotzdem hatte weder die Wiener Staatsoper noch die Mailänder Scala angerufen, zum ersten Engagement ging es ans neu erbaute Krefelder Stadttheater. Bei seinem ersten Auftritt kann er studieren, wie der Radames seine Rolle bewältigt, Esser selbst war als Bote tätig. Da für ihn zunächst keine tragenden Rollen vorgesehen waren, trieb er seine Selbststudien und verbrachte die Tage damit bei Proben aller Art zuzusehen und die neue Welt des Theaters in sich aufzunehmen. Dies zahlte sich bald aus, nämlich als Hendrikus Rootering den Fenton in »Die lustigen Weiber von Windsor« absagen musste.
    Esser bot sich an den Part zu übernehmen, weil er den gesamten szenischen Ablauf aus dem ff kannte und hatte den Erfolg, dass er zukünftig mit Rootering alternierte, nicht nur als Fenton, sondern auch als Belmonte und Narraboth.
    Hermin Essers Monatsgage betrug damals 380 D-Mark. Als der nächste Arbeitsvertrag unterschrieben werden sollte, war der Jung-Tenor zu der Ansicht gelangt, dass das fortan 100 D-Mark mehr sein sollten, was Intendant Erich Schumacher nicht akzeptieren mochte.


    Hermin Esser konnte dem Intendanten Schumacher dankbar sein, denn es war ihm möglich nach Gelsenkirchen zu wechseln, wo er dann mit einem Monatssalär von 700 D-Mark weit besser gestellt war.
    Aber der Aufstieg ging gleich weiter - bei einem Vorsingen an der Kölner Oper hörte auch der später so berühmt gewordene Joachim Herz mit, der unverzüglich und einigermaßen aufgeregt nach der Ostberliner Komischen Oper berichtete: »Hier ist ein Tenor, so was habt ihr noch nicht in der Sammlung!«
    Prompt folgte eine Einladung nach Berlin, wo Walter Felsenstein über acht strapaziöse Tage hinweg mit Esser immer nur die erste Szene aus der »Zauberflöte« probte. Ab 1957 ist dann Felsenstein sein Chef.
    Von wegen ›Heldentenor‹ - an der Komischen Oper Berlin singt er neben Tamino auch Belmonte, den Alfred in »La Traviata«, den Rudolf in »La Bohéme« und - ganz besonders spektakulär - den Kalaf in »Turandot«, wo das Haus tobte, wenn er ›Keiner schlafe‹ gesungen hatte. Natürlich wurde da noch in deutscher Sprache gesungen, auch im Schallplattenquerschnitt unter dem Dirigenten Horst Stein.


    Essers Verhältnis zu Felsenstein war insofern zwiespältig, dass der Tenor zwar klar erkannte, dass er in dieser Zeit sehr viel gelernt hatte, aber der Chef sich in der Regel sehr dominant produzierte und keinerlei Widerspruch duldete. Esser selbst berichtete aus dieser Zeit, dass Felsenstein auf andere Theater regelrecht eifersüchtig war und seine guten Leute natürlich unbedingt im Haus halten wollte.
    Als sich für Esser die Chance eröffnete an der Berliner Staatsoper den Manrico im »Troubadour« zu singen, wusste Felsenstein dies zu verhindern; ebenso verstand der Berliner Chef ein geplantes Vorsingen in Bayreuth abzubiegen. Als dann schließlich 1961 noch der Mauerbau hinzukam, sah Hermin Esser für sich bessere Möglichkeiten im Westen.


    Bei einem hochoffiziellen Vorsingen mit Orchester und unter Anwesenheit aller Tenöre der Wiesbadner Oper, kam es dort zum Engagement und fortan war das Staatstheater zu seiner Stammbühne geworden. An diesem Haus war von 1961-1974 Heinz Wallberg Generalmusikdirektor.


    Mit Heinz Wallberg erarbeitete Hermin Esser dann in Wiesbaden seine großen Wagner-Partien und im Großen Sängerlexikon kann man nachlesen wie es mit dem Wagner-Gesang bei Hermin Esser weiterging:


    »1966 wirkte er erstmalig bei den Festspielen von Bayreuth mit, und zwar als Froh im »Rheingold«. In den folgenden Jahren sang er dort eine Anzahl von Wagner-Partien, so 1967 den Walther von der Vogelweide im »Tannhäuser« und den Lohengrin, 1967-70 den David und 1975 den Walther von Stolzing in den »Meistersingern«, 1970-71 und nochmals 1979 den Erik im »Fliegenden Holländer«, 1972-74 und 1977 den Tannhäuser. 1966-69 den Froh, 1971-72 und 1975 den Siegmund, 1970-75 den Loge im Ring-Zyklus, 1975 und nochmals 1981 den Tristan (wobei er mit großem Erfolg für den erkrankten René Kollo einsprang) 1972 gastierte er in Turin, 1973 sang er an der Oper von Monte Carlo den Tristan, 1973-74 wurde er an der Oper von Rom als Parsifal gefeiert, 1973 bei der Sadler's Wells Opera London als Tristan, 1973-77 an der Staatsoper von Wien (u.a. als Tristan und als Parsifal), 1972 an der Grand Opéra Paris (als Tristan).«


    1966 wurde Esser von einem Telefonanruf überrascht; in Bayreuth brauchte man dringend einen Froh, weil dort ein Tenor kurzfristig abgesagt hatte und da am nächsten Morgen eine Orchesterprobe mit Karl Böhm angesetzt und die Sache eilig war, lehnte Esser zunächst ab, weil er zu dieser Rolle überhaupt keine Beziehung hatte.
    Kümmerte sich dann aber um die Noten und sah, dass dieser Froh ja nur ein paar Sätze zu singen hat und er sagte sich »Verdammt, die haste doch bis morgen«, er lernt die Partie vom Tonband.
    Sogleich sagte er in Bayreuth zu, musste allerdings für Wiesbaden einen Ersatz-Ottavio besorgen.
    Für anderthalb Jahrzehnte ist Esser nun ständiger Gast der Bayreuther Festspiele und singt dort insgesamt vierzehn Rollen. 1967 musste Sándor Kónya in Bayreuth ersetzt werden, da hörte man als Lohengrin dann James King, Jess Thomas und Hermin Esser, wobei letzterer ursprünglich nur als einer der vier brabantischen Edlen besetzt war. Hermin Esser kommentierte das einmal so:
    »Wenn wat wackelte, hieß es immer: Wo is der Hermin?« Aber er bemerkte auch:
    »Beim Publikum hat man als Einspringer nicht immer den besten Ruf. Die meinen dann leicht, sie hätten ›nur‹ einen Ersatz bekommen.«


    Also kein Wunder, dass die Presse vom Heldentenor sprach, aber Esser sah die Sache etwas kritisch und meinte:
    »Diese Einteilerei von heute in die Fächer, die geht mir auf den Geist. Denken Sie zum Beispiel an Lilli Lehmann, die sang Zerline und Donna Anna wechselweise. Daneben Norma, die Philine in ›Mignon‹, die Isolde und die Brünnhilde. Heute denkt man in viel zu engen Grenzen.«


    Hermin Esser wollte das nicht; die Tenorpartien von Wagner, Verdi, Puccini, Mozart, Tschaikowsky, Bizet und vielen anderen waren für ihn gleichwertig.
    So sang er in Wiesbaden den Ferrando in »Cosi fan tutte« und drei Tage später den Othello. Eine andere Probe seines Könnens zeigte er in Hannover, wo der Intendant Hans-Peter Lehmann sehr erstaunt war, dass Esser kurz nach einem Einsatz als Tristan - eine mörderisch schwere Rolle des Tenorfachs - die Contenance aufbringt für einen Rudolf, der an der Seite von Helen Donaths Mimi alle Register italienischer Gesangskultur zu ziehen vermag.


    Ab 1963 hatte Hermin Esser seinen Lebensmittelpunkt in Naurod, am Rande des Taunus, einem Ort, der seit 1977 zur Landeshauptstadt Wiesbaden gehört.
    Die Nähe des Frankfurter Flughafens war für den weltweit agierenden Sänger von Vorteil, denn er gastierte nicht nur in großen mitteleuropäischen Häusern, sondern auch in Moskau und 1972 an der Lyric Opera of Chicago, wo er neben Birgit Nilsson in sechs Vorstellungen der »Walküre« den Siegmund sang.


    Ein langjähriges Hüftleiden, dem sich später noch ein Herzleiden hinzugesellte, zwangen Hermin Esser zum frühzeitigen Abbruch seiner Laufbahn.
    Die letzten Produktionen waren 1988 in Berlin an drei Opernhäusern:
    ›Mahagonny‹ / Theater des Westens - ›Totenhaus‹ / Deutsche Oper - ›König Lear‹ / Komische Oper.
    An der Staatsoper Hamburg war Esser dann noch in ›Ritter Blaubart‹ zu hören.
    Als sich Hermin Esser 1989 an der Semper-Oper endgültig von der Opernbühne verabschiedete, sang er den Herodes in »Salome«, aber er hatte seinen Abschied vorher nicht öffentlich bekannt gemacht.

    Anlässlich seines 70. Geburtstages erfuhr Hermin Esser im Foyer des Theaters eine Ehrung durch den Wiesbadener Richard-Wagner-Verband.
    Am 19. April 1988 gab er hier ein Konzert mit Liedern und Opernausschnitten, bei dem seine Töchter, die Sopranistin Konstanze und die Geigerin Eva mitwirkten.


    Bis ins siebte Lebensjahrzehnt war die Tenorstimme intakt und Esser konnte sich rückblickend nicht erinnern auch nur einmal abgesagt zu haben, auch das ist eine ganz beachtliche Leistung von Seltenheitswert. Er führte das auf seine fast lebenslang robuste Natur zurück, die ihm leider in seinen allerletzten Jahren abhandenkam.


    In Künstlerkreisen nannte man Hermin Esser ›Den rettenden Engel von Bayreuth‹ und man kann Wolfgang Wagner zitieren, der kundtat:


    »dem Hermin müsste man am Festspielhügel ein Denkmal setzen, er hat so viele Vorstellungen durch sein uneigennütziges Einspringen gerettet.«


    Ein Kuriosum war sein Einspringen bei einer »Meistersinger«-Aufführung, wo er, noch im David-Kostüm, nachdem der Stolzing nicht mehr weitersingen konnte, das Preislied und den Schluss der Festwiese sang. Das raunende und nichtsahnende Publikum dachte es wäre ein neuer Regieeinfall von Wolfgang Wagner.


    Zur Trauerfeier kamen Beileidsbekundungen aus Bayreuth, Eva Wagner ist die Patentante der jüngsten Tochter Eva Esser. Unter den Trauergästen war auch Essers langjähriger Sängerkollege Franz Crass.


    Praktischer Hinweis:
    Man geht am Friedhof Naurod durch das kleine Holztor links neben der Trauerhalle vorbei bis einige kleine Stufen kommen und geht auf einen Baum zu, der mitten im Weg steht; dort wendet man sich nach links zum Feld der Erdwahlgräber: Das Grab von Hermin Esser befindet sich in der dritten Reihe von oben ziemlich nahe am Weg.


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    Das Foto zeigt die Trauerhalle im Hintergrund


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  • Vera Little

    Die erste schwarze Carmen an der Deutschen Oper Berlin

    Vera Little-Augustithis - *10. Dezember in 1928 Memphis - † 24. Oktober 2012 in Berlin


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    Dass man hier auch den Namen Hermann Prey findet ist reiner Zufall; des Sängers Daten sind *11. Juli 1929 - †22. Juli 1998


    Vera war am Mississippi im Südwesten von Tennessee zur Welt gekommen, einer Weltgegend, die einen nicht unbedingt an Operngesang denken lässt.
    Die Kleine wuchs in einer baptistischen Predigerfamilie auf; der Vater spielte Posaune und Mutter Ophelia Klavier; in manchen Publikationen wird die Mutter als Kirchenorganistin bezeichnet und vom Vater wird mitgeteilt, dass er Zugbegleiter war und Posaune spielte. also ein durchaus musikalisches Umfeld, in welchem auch der um zehn Jahre jüngere Bruder Booker heranwuchs, der in seinem kurzen Leben - er starb mit 23 Jahren an Urämie - eine gewisse Berühmtheit als Jazzmusiker und Komponist geworden war.
    Vera und ihre Geschwister wurden in ein gesellschaftliches Umfeld hineingeboren, das man sich heute eigentlich nicht mehr vorstellen kann und mag; erst 36 Jahre nach Veras Geburt tat sich diesbezüglich etwas in den USA, die Rassentrennung wurde aufgehoben.


    Vera kam zusammen mit einer Zwillingsschwester zur Welt, die jedoch im Teenager-Alter verstarb, ein Verlust, der sie lebenslang begleitete und den sie auch literarisch verarbeitete.
    Die gereifte Opernsängerin erinnert sich, dass sie schon in der Grundschule Aufmerksamkeit erregte, weil sie am lautesten gesungen habe.
    Als Vera einmal die Stimme einer ausgebildeten dunkelhäutigen Sängerin hörte war sie davon so begeistert, dass sie auch Sängerin werden wollte. Allerdings stellte sich heraus, dass man soweit nur durch Unterricht kommen konnte, der teuer war und unbezahlbar erschien. Aber es ergab sich dann, dass sich zu einer Gesangslehrerin ein gutes Verhältnis entwickelte und es zu einem siebenwöchigen Unterricht kam. Diese Gesangslehrerin war nicht irgendwer, sondern die erste schwarze US-Amerikanerin, die schon 1927 in Europa als Aida aufgetreten war - Florence Cole Talbert.


    Vera Little geht nun nach Alabama und studiert am ältesten US-amerikanischen Kunst-College für Schwarze. Einer ihrer Lehrer war ein jüdischer Emigrant aus Deutschland, der sie mit der Sprache und den Liedern von Schumann und Brahms vertraut machte.
    Nach fünf Jahren schließt sie ihr Gesangsstudium mit einem pädagogischen Diplom ab.
    Da zu dieser Zeit immer noch Rassentrennung in USA besteht, ist eine Karriere als Opernsängerin zunächst wenig vorstellbar. In den 1950er Jahren geht Vera Little nach New York, wo sich die Gelegenheit ergibt an einer sogenannten ›Blind Audition‹ teilzunehmen.
    Durch einen Vorhang verdeckt sang sie Gounods ›Königin von Saba‹ und bekam durch die Qualität ihrer Stimme die Rolle.
    Etwas später geriet sie in den Dunstkreis von Leontine Price, die damals schon als Star galt und bekam in der Oper »Four Saints in Three Acts« eine Nebenrolle.
    Als sie mit einer Broadway-Produktion am Théâtre des Champs-Elysées in Paris gastiert, hat Vera Little ihr Herz für Europa entdeckt, da möchte sie am liebsten bleiben.
    Wieder zurück in Amerika, bewirbt sie sich um ein Fulbright-Stipendium. In ihrer Situation ist das relativ schwierig, weil sie sich auf keine Hochschule berufen kann. Aber sie vermag ihre Bewerbung so zu gestalten, dass sie erfolgreich ist und wieder nach Europa kommen kann.


    Was sich dann ergab schildert Vera Little so:


    »Und dann bin ich wieder nach Paris gekommen, um französische Lieder zu singen und lernen, und dann bin ich immer in Europa geblieben, weil, ich hatte eine sehr schwierige Zeit in Amerika gehabt und ich wollte das nicht mehr wiederholen.«

    In Paris studierte sie bei dem französischen Tenor Georges Jouatte, der seine Kunst nach dem Ersten Weltkrieg auch für einige Jahre in Berlin - damals noch als Bariton - ausgeübt hatte; Jouatte war ein durchaus erfolgreicher Lehrer, er hat auch die später so anerkannte Régine Crespin ausgebildet.
    Als das Geld des Fulbright-Stipendiums aufgebraucht ist, organisiert Vera Little selbst Konzerte - es sind mehr als siebzig - und hat mit altfranzösischem Liedgut Erfolg, den größten übrigens in Deutschland. Wie sie nach Berlin kam, beschreibt sie in einem Gespräch:


    »Und dann kam ich nach Berlin, um einen Liederabend zu machen und man hat die Idee gehabt, vielleicht könnte auch eine Dunkelhäutige Carmen singen. Ich habe die Oper nicht gekannt, aber ich habe studiert und in einem Monat hatte ich die ganze Partie gelernt.«


    Am 4. Februar 1958 war es dann soweit, Carl Ebert stellt Vera Little an der Städtischen Oper seine dunkle Carmen vor, was einer Sensation gleichkam. Grace Bumbry gab ihr Carmen-Debüt in Basel erst 1960.
    Die Deutsche Oper Berlin war vor ihrer Wiedereröffnung in der Bismarckstraße, von 1945 bis 1961 im Theater des Westens beheimatet und wurde erst ab 1961 - auf Anregung von Ferenc Fricsay - zur Deutschen Oper Berlin.


    Wie man aus Presseberichten weiß, soll es am Premiere-Abend - ausgerechnet von jungen Leuten - Proteste gegen die Sängerin gegeben haben und es seien »Little go home« - Rufe zu hören gewesen. Aber die Unmutsäußerungen des Premierenabends wiederholen sich nicht, es folgen noch vierzehn weitere Vorstellungen. Der Musikkritiker Geerd Heinsen beurteilt Littles Stimme recht positiv und meint:
    »Die Little war stimmlich eine Wucht. Es war eine Carmen, wie man sie damals hörte, mit viel Brustton, orgelnd unten und oben eine gute Höhe. Damals war sie ein Ereignis.«


    Die Carmen-Darstellung von Vera Little hatte auch den Dirigenten Vittorio Gui so beeindruckt, dass er sie 1959 zu einem Konzert in den Vatikan einlud, wo sie in Anwesenheit von Papst Johannes XXIII. Bach-Kantaten sang. Die New York Times veröffentlichte damals sogar ein Foto das Sängerin und Pabst Hand in Hand zeigt.


    Nach Littles spektakulärer Carmen an der Berliner Oper dauerte es noch etwas, bis man sie in anderen Rollen wieder in Berlin sehen und hören konnte.
    Über ihr anderwärtiges Tun berichtete sie am 4. September 1958 in der Berliner Abendschau im Rahmen eines Interviews:


    »Ja, ich war in Brüssel, in Paris, in Süddeutschland, das heißt Baden-Baden, Stuttgart, Frankfurt und München.« Auf die Frage, was sie denn da alles gesungen habe gab sie Auskunft: »Beethoven Neunte Sinfonie und Liederabende in Baden-Baden, nicht wahr, und im Rundfunk habe ich Lieder gesungen, Brahms, Mahler und so.«


    Erst vier Jahre nach ihrem Berliner Bühnendebüt war sie wieder in der Berliner Oper zu hören, Rudolf Sellner, der von 1961 bis 1972 Generalintendant und Chefregisseur der Deutschen Oper war, holte Vera Little in der Rolle der Prinzessin Amneris in Verdis Aida wieder zurück. Dort war dann auch über viele Jahre hinweg ihre schwarze Kollegin Annabelle Benard engagiert, die 1961 nach Europa gekommen war.


    Auch in der zeitgenössischen Musik hinterließ Vera Little einige Spuren. In einer von Hans Heinz Stuckenschmidt durchgeführten Konzertserie mit experimenteller Musik, die 1962 zur besten Sendezeit aus der Kongresshalle live vom SFB-Fernsehen übertragen wurde, wirkte Vera Little, die zu Boris Blacher ein gutes Verhältnis hatte, mit. Im März 1963 konnte man die beiden im Großen Musikvereinssaal zu Wien in einem Nachmittagskonzert erleben, wo unter anderem auch die ›Fünf Spirituals für mittlere Stimme und Instrumentalsolisten, bearbeitet von Boris Blacher‹ uraufgeführt wurden, dieses Werk war dann erst im Oktober des Jahres in Berlin zu hören.
    Ron Simonds, der mit Vera Little befreundet war, berichtet, dass Vera Little bei Blacher regelmäßig Gesangsunterricht nahm und dass sie bei seiner Beerdigung gebeten wurde in der Kirche zu singen - sie sang Gershwins ›Summertime‹ ohne Begleitung.


    Bei der Uraufführung von Hans Werner Henzes Oper »Der junge Lord« an der Deutschen Oper Berlin im April 1965, wirkte Vera Little mit, wo man ihr die Rolle der Begonia, einer Köchin aus Jamaica, anvertraute.
    Inge Bachmann hatte das Libretto verfasst und soll den Ensemblemitgliedern die Charaktere auf dem Leib geschrieben haben. »Oh, kaltes Land, wo Leute gaffen ...«, heißt es da.


    Am 6. August 1966 wirkte Vera Little im Salzburger Großen Festspielhaus bei der Uraufführung von Henzes »Die Bassariden« unter dem Dirigat von Christoph von Dohnányi mit, wo sie Beroe, eine alte Sklavin, darzustellen hatte.


    Gottfried von Einem unterhält eine Liebesbeziehung zu Vera, aber es entwickelt sich auch eine Zusammenarbeit bei Liedkompositionen. In den Memoiren des Berliner Verlegers Wolf Jobst Siedler findet sich eine Stelle, die einen kleinen Einblick gewährt:


    »In Gottfried von Einems Begleitung war die sehr begabte und sehr schwarze amerikanische Mezzosopranistin Vera Little, die ihn ständig vom Trinken abzuhalten suchte, wogegen er sich aber erfolgreich wehrte: Husch, Husch, rauf auf die Palme, von der du doch erst gestern heruntergeklettert bist.«


    In seiner Autobiografie beschreibt Gottfried von Einem, dass es für ihn damals viele amouröse Abenteuer gab, die aber meist wenig Bestand hatten.


    »Drei Frauen aus dieser unstabilen Zeit, mit denen ich dauerhafte Verhältnisse einging und die mir damals besonders wichtig waren, verdienen es, in diesen Erinnerungen eigens hervorgehoben zu werden. Die eine war Vera Little, meine schwarze Freundin. Diese großartige, hochgewachsene Sängerin, eine wirkliche ›Frau von Welt‹, lernte ich in Genf kennen. Mit ihr unternahm ich einige Reisen, sie war dem Luxus zugetan und war mir teuer, in beiden Bedeutungen des Wortes. Ihre exotische und dominierende Erscheinung machte gewöhnlich großen Eindruck und ich wurde von manchen Kollegen und Bekannten zutiefst beneidet ...«


    In Berlin blieb Vera Little dann für Jahrzehnte fest verankert und entwickelte sich allmählich zur Diva, die einen flotten Sportwagen fuhr, sich in der angesagten Künstlerszene gut auskannte und eigentlich zu einer ›Berlinerin‹ geworden war. Dennoch schreibt sie 1993 in einer Erzählung:

    »Etwas in mir war jedoch müde geworden, müde, in einem fremden Land zu sein, eine von wenigen zu sein, die immer noch zu beweisen versuchten, dass ich und andere meiner Art wertvoll, edel und ehrenhaft genug waren, um mit Menschen einer anderen Art, eines anderen Volkes, einer anderen Rasse zu leben!«


    Aber sie war auch an der Wiener Staatsoper zu Gast, wo sie im Januar 1964 ihren ersten Auftritt als Amneris im »Aida« hatte; das Wiener Staatsopernarchiv hat 92 Auftritte in 16 verschiedenen Rollen festgehalten.


    Mit 42 Jahren tritt Vera Little in den Stand der Ehe und hat nun einen Bindestrich im Namen, auf Plakaten und in Programmheften steht künftig: Vera Little-Augusthitis und sie war darauf mächtig stolz.
    Der Ehemann, Stylianos-Savvas Augustithis war ein weltweit bekannter Mineraloge; aus der Quelle Ron Simonds ist zu entnehmen: »Er war ein großer, fröhlicher Kerl namens Savas, der immer in Shorts herumhüpfte«; eines Tages zeigte er sogar ein Stück vom Mond herum, das er zur Analyse bekommen hatte.
    Eine ›normale‹ Ehe konnte das nicht werden, man lebte eine Fernbeziehung, nach zwanzig Jahren ist die Ehe am Ende, es geht das Gerücht, dass die griechische Schwiegermutter dieser Verbindung reserviert gegenüberstand.


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    Enttäuschend war für Vera auch das Erlebnis mit der eigenen Mutter, als diese aus Amerika anreiste und ihre Tochter als Ulrica in Verdis »Maskenball« erlebte, da war von Seiten der Mutter keinerlei Stolz oder Begeisterung zu bemerken, über das was die Tochter geschafft hatte, das hat Vera schon arg getroffen.
    Sie sang immerhin mit Größen wie Birgit Nilsson oder Placido Domingo und nicht nur an der Wiener Staatsoper, sondern auch an der Mailänder Scala und bei den Salzburger Festspielen und auf die Bühne der Berliner Oper muss man ja auch erst mal kommen, zum Beispiel als La Cieca in »La Gioconda«, eine ihrer Glanzrollen; da hielt das Publikum den Atem an, wenn die ›blinde‹ Vera Little sich rückwärts zum ›Voce die Donna‹ bewegte.
    An der Deutschen Oper in Berlin sang sie alle wichtigen Partien ihres Fachs. und das Haus war ihre künstlerische Heimat.


    Am 30. Juni 1989 gab sie dort ihre letzte Vorstellung; als Carmen ging sie von der Bühne ab, wo es in dieser Rolle 1958 begonnen hatte, fast vierzig Jahre war sie Mitglied der Deutschen Oper Berlin.
    Vera Little wurde auch literarisch tätig, sie hat drei Gedichtbände und eine Sammlung von Erzählungen veröffentlicht; einige ihrer Büchlein sind noch antiquarisch zu bekommen, zum Beispiel das im Frieling-Verlag 1999 erschienene »Der einsame Priester und die Samstagsesser». Es handelt sich dabei um kleine Schilderungen; die Aufzeichnungen dieser fünfzehn Geschichten beginnen am 30. Juli 1978 und enden am 9. Januar 1993. Auf den linken Seiten ist der Text deutsch, und rechts in englischer Sprache zu lesen.


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    Von 1977 bis 2010 lebte Vera Little in der Witzlebenstraße 33, in Berlin-Charlottenburg, etwa tausend Meter vom Opernhaus entfernt, dann erfolgte der altersbedingte Umzug in eine Senioreneinrichtung; am 24. Oktober 2012 starb sie in ihrer Wahlheimat Berlin und wurde ordnungsbehördlich beigesetzt. Ihre letzte Ruhe fand sie in einem ›halbanonymen Urnengrab‹, etwa 15 Kilometer von ihrer langjährigen Wohnadresse entfernt, auf dem Neuen St. Michael Kirchhof im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg im Ortsteil Mariendorf. Ganz klein ist ihr Name da zu finden, aber seit dem Sommer 2024 wird Vera Little an der Fassade ihrer langjährigen Wohnadresse mit einer Berliner Gedenktafel gewürdigt.


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    Von hier aus geht man etwa 100 Meter geradeaus und wendet sich dann nach rechts


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    In diesem metallenen Buch sind die Namen der hier bestatteten eingetragen


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    Ausschnitt aus einer Buchseite



    Praktischer Hinweis:
    Neuer St. Michael-Friedhof, Gottlieb-Dunkel-Straße 29, 12099 Berlin
    Die genaue Stellenbezeichnung ist 01-MU-43-175, aber die Orientierung anhand der Fotos ist einfacher.


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  • Thomas Tipton - *18. November 1926 in Wyandotte (USA) - † 22. September 2007 in München


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    Der Geburtsort von Thomas Tipton liegt im Südosten des Bundesstaates Michigan, das weit bekanntere Detroit ist knappe 20 Kilometer entfernt.
    Thomas Tipton entstammt einer polnischen Einwandererfamilie, die vor dem Ersten Weltkrieg in die USA ausgewandert war, und so entstand aus dem ursprünglichen Thomas Max Pointkowsky, das anagrammatische Thomas Tipton; Thomas war das jüngste von fünf Kindern.


    Schon recht frühzeitig - nämlich beim Vorsingen für den Schulchor in Wyandotte - entdeckte der Lehrer Lyle L. Lyons das Talent des 15-Jährigen.


    In Deutschland war es durchaus üblich, dass Eltern ihren interessierten Nachwuchs mal mit in die Oper nahmen, weil hier Opernhäuser relativ gut erreichbar sind; das war und ist in Amerika eine andere Situation.
    Aber da gab und gibt es in Amerika die Möglichkeit Opernübertragungen der Metropolitan Opera New York zu hören, wovon schon der Vierzehnjährige ausgiebig und begeistert Gebrauch machte und sich an dem Geschehen auch zuhause aktiv beteiligte, indem er Amonasro, Radames, Wotan, aber auch Don Ottavio und Manrico sang.


    Seinen ersten öffentlichen Beifall konnte Thomas Tipton anlässlich eines Schülerkonzerts einheimsen, als er »Old Man River« vortrug. Dass Thomas einmal den überwiegenden Teil seines Lebens im Land mit der größten Dichte an Opernhäusern verbringen würde, stand noch in den Sternen.
    Seine erste Oper erlebte der Besatzungssoldat Tipton dann in Ost-Berlin; es war eine Aufführung von »Hoffmanns Erzählungen«, was seiner Absicht Opernsänger zu werden, mächtig Auftrieb gab.
    Die vier sogenannten ›Bösewichter‹ in dieser Oper gehörten später zu den Glanzrollen von Thomas Tipton. Allerdings war vor dem ersten Opernauftritt noch ein Musikstudium zu absolvieren, wobei zutage kam, dass seine Jahre als GI ihm den Vorteil bringt, dass er insgesamt rund vier Jahre an der Universität East Lansing studieren konnte und sein Studium 1951 mit dem ›Bachelor of Music‹ abschloss.


    Nun gewann er zwar einen Wettbewerb in Detroit, der mit einem Zweijahresvertrag an der New York City Opera verbunden war, aber da wurde nach Auftritten bezahlt und Anfänger hatten eher wenige Auftritte; in der Regie des Komponisten Gian-Carlo Menotti und dem Dirigat des jungen Thomas Schippers debütierte Thomas Tipton als Bob in »The Old Maid and the Thief«.
    Aber das Einkommen als Opernsänger reichte keineswegs aus, also war er auch als Teller- und Autowäscher tätig und fuhr Taxi, um in dem teuren New York einigermaßen überleben zu können.
    Mit der Hilfe eines unbekannten Mäzens konnte Tipton nach seinen New Yorker Jahren noch an der Michigan State University in Ann Arbor studieren und schloss dort 1955 mit dem ›Master of Music in Voice‹ ab.
    Ein Fulbright-Stipendium machte es möglich, dass sich Thomas Tipton 1956/57 an der Münchner Hochschule für Musik einschreiben konnte, wo mit 400.- DM pro Monat auszukommen war. In der großartigen Altistin Hedwig Fichtmüller hatte er aber eine gesangserfahrene Professorin gefunden, die ihm einiges mitgeben konnte. An der Münchner Hochschule wurde Thomas Tipton dann vom Mannheimer Dirigenten Karl Fischer entdeckt und ans Nationaltheater gebracht.


    Seine deutsche Opernkarriere begann Tipton am nagelneuen Nationaltheater in Mannheim, wo er sich am 10. Januar 1957 als Fürst Ottokar im »Freischütz« erstmals in einer Aufführung für die am Bau Beschäftigten präsentierte. Zwei Tage später gab es eine Aufführung für Ehrengäste und am 13. Januar wurde dann das Theater mit einer festlichen Vorstellung des »Freischütz« eröffnet. Der Schreiber dieser Zeilen war damals bei den Probearbeiten ganz nahe dran und verfolgte Thomas Tiptons weiteren Weg über viele Jahre hinweg.
    Überraschendeweise blieb Tipton nur ein Jahr in Mannheim, wo er ausschließlich im lyrischen Fach tätig war, dann ging er ins Engagement nach Hagen, ein geschäftstüchtiger Agent hatte dazu geraten. Tipton, in Amerika professionell für Musikbühnen aller Art geschult und universall einsetzbar, tat in Hagen immerhin erste Schritte ins andere Fach, also sang er zum Beispiel Verdis Posa und Giordanos Gérard in »Andrea Chénier«.
    Diese erfolgreichen Auftritte wurden auch in Mannheim wahrgenommen und man holte diese gute Kraft schleunigst wieder zurück, und Thomas Tipton war dann 1959 bis 1964 wieder in Mannheim - und zwar in tragenden Rollen - zu hören.
    Verdi-Partien: Rigoletto, Germont / ›La Traviata‹, Luna / ›Troubadour‹, Amonasro / ›Aida‹, Jago / ›Otello‹ und Ford / ›Falstaff‹.
    Aber auch in Donizettis ›Lucia di Lammermoor‹ als Lord Enrico Ashton.
    Im Wagner-Fach waren es Biterolf und Wolfram in ›Tannhäuser‹, Melot in ›Tristan und Isolde‹, Kothner in ›Die Meistersinger von Nürnberg‹ und der Heerrufer in ›Lohengrin‹ sowie Gunther in ›Götterdämmerung‹.
    Da wäre noch einiges zu nennen, was in diesen fünf Mannheimer Jahren gesungen wurde, natürlich waren da auch tragende Rollen von Beethoven, Mozart, Puccini, Bizet ... dabei, herausgehoben sei - weil da Musikgeschichte gesungen wurde - die Kurzoper ›Das lange Weihnachtsmahl‹ von Paul Hindemith, die am 17. Dezember 1961 im Kleinen Haus des Nationaltheaters zur Uraufführung kam, Tipton sang den Roderick.


    In diesen Jahren war Tipton auch in USA zu hören, 1962 gab er ein Gastspiel an der San Francisco Opera, aber später gastierte er auch in Chicago, Pittsburgh und San Diego; Tipton hatte sich national und international einen Namen gemacht; in Offenbachs »Contes d´ Hoffmann« gab er ein Gastspiel am Teatro Colón in Buenos Aires. Aber er war auch an großen Häusern in Europa zu hören und mitunter waren es Gastspiele, die ihn an ein renommiertes Haus brachten, wie zum Beispiel nach Stuttgart, München und Hamburg.
    Ab 1966 bis 1972 sind einige Gastspiele an der Wiener Staatsoper verzeichnet.


    Dass er am 1. Januar 1967 am Stadttheater Saarbrücken ein Gastspiel in »Nabucco« absolvierte, findet man bestimmt in keinem Musiklexikon, aber da fuhr man als Musikfreund dann schon mal 140 Kilometer über die teilweise verschneite Autobahn und nach der Vorstellung auch wieder nach Hause, um Tipton in einer seiner Glanzrollen erleben zu können.

    In den Jahren 1964 bis 1966 war er festes Mitglied der Staatsoper Stuttgart und 1965 sang er bei den Salzburger Festspielen als Nardo in Mozarts »La finta Giardinieria«, eine Vorstellung, die in der Fürsterzbischöflichen Residenz stattfand.


    1966 bis 1978, also für die Dauer von einem Dutzend Jahren, war Tipton Mitglied der Bayerischen Staatsoper München, wo er in die Fußstapfen von Josef Metternich und Marcel Cordes zu treten hatte. In München wurde ja nicht nur in der Oper gesungen, es gab auch noch die Münchner Sonntagskonzerte, wo Thomas Tipton zum Beispiel neben Anneliese Rothenberger und Robert Ilosfalvy zu hören war.


    Bei den Bayreuther Festspielen 1967 gab Tipton unter der Regie von Wieland Wagner in »Tannhäuser« den Wolfram von Eschenbach und in der Inszenierung von Wolfgang Wagner stellte er dem Heerrufer in »Lohengrin« seine Stimme zur Verfügung.
    Während seines Wirkens an der Bayerischen Staatsoper hatte Thomas Tipton seinen künstlerischen Gipfel erreicht, als äußeres Zeichen der Anerkennung verlieh man ihm 1977 dann auch den Ehrentitel ›Bayerischer Kammersänger‹, ein fast echter Bayer, der sich in seiner Wahlheimat pudelwohl fühlte, war er ja längst geworden.


    Der Weggang von der Bayerischen Staatsoper bedeutete aber nicht, dass er seinem geliebten München nun den Rücken kehrte, Intendant Kurt Pscherer vom Staatstheater am Gärtnerplatz freute sich schon auf den prominenten Ankömmling zu ›Münchens Komischer Oper‹. Dort verkörperte Tipton:
    Kaspar in »Der Freischütz«, Leporello in »Don Giovanni«, Sonora in »Das Mädchen aus dem goldenen Westen«, Lord Tristan Mickleford in »Martha« ... - ab 1980 war er dann noch als Gast am Gärtnerplatz zu hören und ließ seine Opernsänger-Karriere langsam ausklingen.
    Schließlich ist das Allroundtalend Tipton auch 1986 in der Fernsehserie »Kir Royal« auf dem Bildschirm präsent.


    Die ganz große Präsenz auf Schallplatten war ihm nicht vergönnt, dennoch gibt es Beispiele seiner Gesangskunst auf Tonträgern, die hörbar machen, dass Thomas Tipton über eine großdimensionierte Baritonstimme verfügte; seine ausgeprägte komödiantische Begabung kam bei Opernaufführungen zum Tragen.


    Praktischer Hinweis:
    Nordfriedhof 80805 München, Ungererstraße 130 im Stadtteil Schwabing.
    Wenn man vor dem großen Gebäude am Haupteingang steht, wendet man sich nach rechts und orientiert sich an den Feldern: 48 / 46 / 45 / 44.
    Man kommt dann zur Arkadenhalle ›S‹.


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    Man wendet sich bei diesen rätselhaften Wächterfiguren zum rechten Friedhofseingang - ihre Münchner Geschichte ist tatsächlich rätselhaft ...


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    Die Situation hinter dem mächtigen Komplex des Friedhofsgebäudes - man geht direkt auf die Arkadenhalle zu.


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    Feld 44 / Halle ›S‹


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