Ich habe mich heute entschlossen, von einem Pianisten, der einen runden Geburtstag feiert, oder an den eine besondere Erinnerung stattfindet, und von dem ich eine noch nicht besprochene Aufnahme einer Beethoven-Sonate habe, die aber ansonsten schon besprochen worden ist, dies an diesem besonderen Tag nachzuholen. Heute ist dies bei Jean Muller der Fall, der heute seinen 40. Geburtstag feiert.
Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1
Jean Muller, Klavier
AD: ?
Spielzeiten: 5:56-2:11-3:10-5:36 --- 16:63 min.;
Jean Muller beginnt das Andante in ausgesprochen gemessenem Tempo, deutlich langsamer als die hier zum Vergleich herangezogenen Maria Grinberg und Markus Schirmer. Doch spielt er Das Thema (Takt 1 - 4) samt Wiederholung trotz des langsamen Tempos berückend und, wie finde, spannungsvoll. Wie Jürgen Uhde zum Andante schon sagte:
-Zitat: Kein anderer Beethovenscher 1. Satz weist einen derart geringen Spannungsgrad auf wie der erste und letzte Teil dieses Stückes. Fast ist es ein Rätsel, dass ein solcher Satz überhaupt in der Statik der Gesamtarchitektur seine Funktion erfüllt. Das ist nur möglich, weil eine sehr stetige rhythmische Unterströmung wie eine Kraft im Verborgenen die scheinbar zwanglos aneinandergereihten Gedanken des Andantes verbindet. Zitat Ende-
Gerade in diesem langen Tempo scheint mir der stetige unterschwellige Rhythmus im Spiel Mullers hervorzutreten. Auch im zweiten Teil des Themas (Takt 5 - 8 ) mit dem maßvollen Crescendo-Decrescendo sind die gleichmäßigen Viertel für mich weiterhin spürbar.
Desgleichen zieht er in der nächsten, ebenfalls wiederholten Themenvariation, (Takt 9 -12) unbeirrt seine gemessene Bahn und lässt uns den gleichmäßigen Grundpuls weiter spüren.
Schon sind wir beim nächsten Abschnitt, (Takt 13 mit Auftakt - 20), der nicht unterteilt wird, weil
Beethoven im zweiten quasi Wiederholungsteil (ab Takt 18 mit Auftakt) noch eine kleine Variante in Form der drei aufsteigenden Triller eingebaut hat.
Trotz alledem bleibt der grundpuls immer allgegenwärtig.
Eine Sonderheit oder Weiterentwicklung sind die vier Variationen von gleichem Umfang, die auch in der Partitur genau untereiander stehen und so leicht in ihren kleinen Veränderungen zu verfolgen sind.
Jean Muller spielt auch diesen Abschnitt (Takt 21 - 36 so klar, dass die Struktur deutlicher hervortritt.
Wenn man das Notenbild der beiden Seiten auf sich wirken lässt, sieht man schon die Parallelität der musikalischen Ereignisse, die man auch hört und die hier gleich in doppelter Hinsicht den Beethoven als musikalischen Architekten par excellence hör- und sichtbar macht.
Auch das überraschende Allegro macht da keine Ausnahme und Jean Müller in der akustischen Umsetzung auch nicht, obwohl hier der Achter als Ganzes wiederholt wird und wenngleich das Allegro vom typisch Beethovenschen Humor in astreinem C-dur ist.
Auch im zweiten Abschnitt des Allegros, ebenfalls vorwiegend aus Sechzehnteln, erhöht Beethoven die Schlagzahl und natürlich Muller mit ihm und streut die hochrhythmischen Sforzandi ein. In der Grundidee passt dieses Allegro wunderbar in Beethovens Gesamtgebäude, und selbst die Rückkehr zum Es-dur 8in Takt 57 auf der Eins) geschieht ganz unaufgeregt.
Die Rückkehr zu Tempo I (ab Takt 63), in einem normalen Sonatensatz auch Reprise genannt, ist ein Beleg, dafür, dass es sich hier nicht um eine reine Fantasie handelt, sonder es "quasi una fantasia" ist, weswegen man auch mit etwas Fantasie den Allegroteil als Durchführung bezeichnen könnte.
Dem verleiht Muller auch Ausdruck dadurch, dass er den Fermatentakt 62 extra lange anhält.
Die Variationen im zweiten "4 x 4" sieht Beethoven nun nicht in der moderaten Änderung der Tonfolge, sondern er tauscht ganz einfach von Variation zu Variation die Oktaven- wiederum typischen beethovenscher Humor. , und den wirklich einmaligen Höhepunkt des ganzen Variationenwerkes, den großen lyrischen Bogen im Diskant in Takt 77/78, spielt Jean Muller herausragend.
Und das ganz Große im Kleinen ist diese unglaubliche kleine und im Aufbau doch so ganz einfache Coda (Takt 79 bis 86).
Jean Müller hat aus diesem laut Uhde vordergründig ganz spannungslosen 1. Satz etwas ganz Spannendes gemacht.
Auch im zweiten Satz, dem Allegro molto e vivace in c-moll, attacca mit dem ersten verbunden, wiederum in mehreren wiederholten Abschnitten, dynamisch höher stehend, kann man eine a -b-a-Form erkennen, also Scherzo-Trio-Scherzo. Hier wechselt die Tonart vom c-moll-Teil a im Mittelteil in die Paralleltonart Es-dur zurück in Form eines Galopps. Auch hier wechseln die Diskantviertel diskret ihre Richtung und die kontrastierenden Viertelakkorde im Bass ihr Lagen in der Wiederholung. Bei Muller ist es nicht wie bei manchem Hochgeschwindigkeitspianist ein "scharfer Galopp" , wie es im Dressursport heißt, sonder ein "versammelter Galopp". Jean Muller hält auch hier sein Zeitmangement konsequent ein.
Auch in diesem gemesseneren Tempo gefällt mir dieser Satz über die Maßen.
Wenn man das Adagio in dem langsameren Tempo spielt wie es Jean Muller hier tut und den Spannungsbogen so hält wie hier, dann ist es absolut ein Ereignis ersten Ranges. In diesem atemberaubenden Vortrag muss ich einige Male innehalten, So geht ein expressives Adagio: Beispielhaft die ausdrucksvollen Oktavgänge Takt 5 - 8 und die expressiven Steigerungen in den Oktavgängen Takt 13 - 16 und wunderbar auch die überleitenden Takte 24 bis 26 mit den Vierundsechzigsteln und den Sechzehnteln im letzten Takt.
Das Ziel und der Höhepunkt der Sonate ist nun mit dem Allegro vivace, einer Mischform aus Sonatensatz und Rondo, erreicht. Jean Muller ist hier zeitgleich mit und Markus Schirmer un d etwas schneller als Maria Grinberg.
Er spielt jedoch dieses alerte Gewusel aus großenteils Sechzehntelbegleitfiguren und Achtel-Themenfiguren sowie Oktavwechseln ebenfalls mit großer Souveränität und flicht die große Zahl der Sforzandi und die raschen Dynamikwechsel auf insgesamt niedrigerem dynamischen Niveau organisch in den raschen Ablauf ein.
Auch das insgesamt ansteigende dynamische Niveau ab Takt 80 geschieht fließend, ebenso das Fugato ab Takt 132 und der dynamisch herausragende Abschnitt ab dem Fortissimo in Takt 144.
Frappierend subito piano spielt er auch den plötzlichen rhythmischen Wechsel in die klopfenden Achteloktaven ab Takt 165- eine herrliche Sequenz mit einer zunächst kaum merkbaren dann jedoch grandiosen Steigerung mit dem Basstriller ab Takt 191, der praktisch zur Reprise überleitet. und lässt auch die bei Beethoven üblichen moderaten Änderungen der einzelnen musikalischen Figuren, hier ab Takt 219, organisch mit einfließen. Wunderbar treibt er nun die Oktavgänge, begleitend kontrastiert von wechselnden Sechzehntel- Intervallfiguren in der Begleitung bis zu dem furiosen Anstieg in Takt 276 bis 81, wobei der wiederum den Fermatentakt 281 auf der Halben sehr lange anhält,, denn nun taucht eine Spezialität auf, die wir zuletzt bei Beethoven im Choralfinale der Neunten Symphonie erleben, hier aber ausführlicher, die Wiederholung des beseligenden Adagiothemas, hier nochmals von Muller mit großer Spannung und tiefem Ausdruck gespielt, bevor er mit einem veritablen Presto abschließt.
Wie Maria Grinberg und Markus Schirmer ist m. E. auch Jean Muller eine große Aufnahme gelungen.
Liebe Grüße
Willi