Dieses Lied entstand am 26. Januar 1880. Es handelt sich damit um die früheste Komposition des „Eichendorff-Bandes“, - ein „Jugendwerk“ gleichsam. Wolf scheint mit ihm nicht ganz zufrieden gewesen zu sein, denn er nahm es – zusammen mit den beiden nachfolgenden Liedern („Die Nacht“ und „Waldmädchen“) bei der zweiten Publikation der Eichendorff-Lieder heraus. Erst nach seinem Tod wurden diese drei Lieder als „Anhang“ wieder aufgenommen.
Was auch immer Hugo Wolf an diesem Lied auszusetzen gehabt haben mag, es begegnet uns heute als durchaus ansprechender und einnehmender klanglicher Ausdruck jener Haltung des lyrischen Ichs, die in den beiden ersten Versen zum Ausdruck kommt und in den folgenden Strophen gleichsam metaphorisch konkretisiert wird. Das melodische Motiv, das auf den Worten „Grüß euch aus Herzendgrund“ liegt und dem das Klavier mit Terzen im Diskant folgt, wird ja zu einer Art Leitmotiv, das auf äußerst reizvolle Art in verschiedenen Modifikationen und harmonischen Varianten das ganze Lied durchläuft und die melodische Linie begleitet und klanglich akzentuiert. Ohnehin ist die Terz das Intervall, das im Klaviersatz eine dominante Rolle einnimmt, und da überdies die Fallbewegung der Terzen im zentralen Motiv in Terzschritten erfolgt, die am Ende in einen Sekundfall übergehen, wohnt ihm eine Anmutung von klanglicher Lieblichkeit inne, die für das ganze Lied prägend ist. Die Vortragsanweisung „Einfach und herzlich“ trifft seinen klanglichen Charakter sehr genau.
Es hat in der Tat seinen ganz eigenen Reiz, den Wegen dieses Leitmotivs zu folgen und dabei die Vielfalt seiner Gestalten und Funktionen zu erleben. Es fungiert ja nicht nur als Zwischenspiel in der Aufeinanderfolge der Strophen, es verbindet auch einzelne Melodiezeilen und begleitet die melodische Linie der Singstimme, auch wenn diese ganz andere Bewegungen vollzieht. Und das heißt: Ihm kommt eine maßgebliche, die melodische Linie in ihrer Aussage kommentierende und ausdeutende Funktion zu. So leitet es zum Beispiel am Ende der ersten Strophe von dem lyrischen Bild „Kleid blank aus Sonnenschein“ dadurch, dass es nach Moll hin moduliert, zu dem folgenden Bild der klagenden und weinenden Nachtigall über. Denn hier ist die melodische Linie von kleinen Sekundschritten geprägt und in Moll harmonisiert.
Und prompt erklingt nach der Melodiezeile, die auf dem ersten Vers der zweiten Strophe liegt, dieses Motiv in Moll noch einmal, - als wenn das Weinen der Nachtigall musikalisch imaginiert würde. Wenn dann bei den folgenden Melodiezeilen dieser zweiten Strophe noch einmal ein Wechsel zwischen Dur- und Moll-Harmonisierung erfolgt, agiert das Klavier jeweils in dieser Überleitungsfunktion. Vor dem letzten Vers, der in Dur harmonisiert ist (WO weilt sie so allein“), moduliert das Leitmotiv zu diesem Tongeschlecht hin. Auf dem Wort „allein“ liegt eine lange melodische Dehnung, die mit einem Diminuendo pianissimo ausklingt. Das Klavier reagiert darauf mit leise auf- und absteigenden Achteln, die aber im letzten Moment mit einer Zweiunddreißigstel-Figur zur Lebhaftigkeit der nächsten Strophe überleiten.
Hier nun tritt das Klavier mit der neuerlichen Artikulation des Leitmotivs in eine klanglich höchst reizvolle Spannung zur melodischen Linie. Diese neigt nämlich dazu, bei den Worten „Weil´s draußen finster war…“ in Tonrepetitionen auf der jeweiligen tonalen Ebene zu verharren, so dass man die Aussage des Klaviers wie eine Erinnerung daran empfindet, dass über all der „Finsternis“ das „Grüß euch aus Herzensgrund“ steht. Und wenn die Singstimme auf einer zweimal in Sekundschritten fallenden Linie die Worte „Ich muß im Dunkeln sein“ deklamiert, kommentiert das Klavier dies mit einer nach Moll modulierenden Version des Leitmotivs und leitet damit zu der noch trauriger wirkenden Fallbewegung der melodischen Linie bei den Worten „Sonne nicht scheinen mag“ über.
Aber nach der bei den Worten “sieht so verschlafen drein“ mit einem Mal aus tiefer Lage in großen Schritten emporsteigenden Vokallinie erklingt dieses Motiv in so stark aufwärts gerichteter Variation, dass man es kaum mehr wiedererkennt. Bei den beiden letzten Versen dieser (vierten) Strophe begleitet es die melodische Linie der Singstimme durchgängig, verbleibt dabei aber zunächst in Moll-Harmonisierung, bevor es vordem letzten Vers wieder zu Dur hin moduliert.
Das Zwischenspiel vor der letzten Strophe wirkt überraschend: In der rhythmisierten und wie stockend wirkenden chromatischen Fallbewegung der Terzen erinnert es nur wie von ferne an das Leitmotiv. Dann aber setzt es fortissimo und in dreistimmig akkordischer Form ein und begleitet die Singstimme frisch und frohgemut, wenn sie auf der melodischen Linie des Liedanfangs mit den Worten „Liebe geht durch die Luft“ einsetzt und sich bei den Worten „durch die Luft“ in Terz- und Quartsprüngen aufschwingt. Und am Ende kommt regelrecht Tempo in das Lied. „Beschleunigt“ (Anweisung) werden die letzten Worte deklamiert, wobei die melodische Linie bei den Worten „und sie wird“ mit Portati versehen „breit“ in Sekunden herabsteigt, um dann zu dem Wort „doch“ einen ausdrucksstarken und mit einer Fermate versehenes hohen „Fis“ mündenden Oktavsprung zu machen.
Die Hoffnung, dass die Geliebte nun „doch noch mein“ werde, kommentiert das Klavier im achttaktigen Nachspiel mit dem nun fortissimo und höchst markant artikulierten Leitmotiv.
(Das zugrundeliegende Gedicht findet sich mitsamt Kommentar dazu am Ende der vorangehenden Seite)