Volkmar Andreae - der Komponist (1879-1962)

  • Volkmar Andreae wurde am 05.07.1879 als Sohn eines Apothekers in Bern geboren. Ab dem 5. Lebensjahr hatte er Klavierunterricht. In Bern wurde er auch anfänglich in Komposition und Musiktheorie unterrichtet. Diese Studien setzte er von 1897-1900 in Köln bei Franz Wüllner und Friedrich Wilhelm Franke fort. Um 1900 finden wir Andreae in München als Solorepetitor. In den folgenden Jahren entwickelte sich eine erfolgreiche Karriere als Dirigent. Von 1906-1949 war Andreae Chef des Zürcher Tonhalle Orchesters. Daneben betrieb er eine internationale Dirigentenkarriere, die ihn auch nach Berlin und Wien führte. Als Dirigent ist Andreae vor allem durch seine GA der Bruckner-Symphonien in die Schallplattengeschichte eingegangen, diese Monoaufnahmen wurden kürzlich neu auf CD herausgebracht.

    Andreae ist also ein klassischer dirigierender Komponist. Um seinen kompositorischen Nachlass kümmert sich vor allem der Enkel Marc Andreae, der schon mehrere CDs für Guild eingespielt hat.

    Die Symphonie in F entstand noch während der Studienzeit und ist für das Werke eines 19-Jährigen erstaunlich ausgereift. Die musikalischen Einflüsse sind Johannes Brahms im lyrischen ersten Satz, Anton Bruckner im Adagio und abschliessenden Lento und Dvorak im spritzigen Intermezzo. Die Art und Weise wie Andreae hier die Einflüsse verarbeitet ist kongenial und das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen. Während ich mir bei der heute ebenfalls gehörten 4. Symphonie von Reznicek nicht sicher bin, ob ich die wirklich gut finde, ist das hier für mich klar "the real thing". Das düster-sehnsuchtsvolle Adagio ist wirklich beeindruckend und erklärt, warum Andreae ein herausragender Brucknerdirigent wurde. Sollte sich herausstellen, dass die anderen Kompositionen von Andreae vergleichbar sind, dürfte er für mich der bedeutendste Schweizer Komponist der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein.

    Weitere Infos findet man hier

  • Zwei kleine Ergänzungen (auch wenn sie nicht den Komponisten betreffen):


    Welch hervorragenden Ruf schon der junge Dirigent genoss beweist die Tatsache, dass nach Mahlers Tod im Jahre 1911 die New Yorker Philharmoniker ihm die Nachfolge als Chefdirigent anboten. Er wollte aber seine noch junge Familie nicht nach Amerika verpflanzen und blieb in Zürich.


    Volkmar Andreae hat nicht nur als erster alle Bruckner-Symphonien aufgenommen (und die GA ist in ihrer Art nach wie vor unübertroffen!), er ist wohl auch der Dirigent mit den meisten Bruckner-Aufführungen. Ca. 250 Aufführungen sind mit dem Tonhalle-Orchester dokumentiert, insgesamt werden es über 300 geworden sein...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Li-Tai-Pe (701-762) war ein chinesischer Dichter, dessen Texte in der Übertragung von Hans Bethge auch Vorlage des "Lied von der Erde" von Gustav Mahler waren. 1931 hat Volkmar Andreae acht Lieder für Tenor und Orchester komponiert. Textgrundlage waren in diesem Fall Übertragungen von Alfred Henschke alias Klabund.


    Zwei der Texte tauchen auch bei Mahler auf, hier wie dort das erste Lied "Das Lied vom Kummer" bzw "Das Trinklied vom Jammer der Erde". Und dann das 4. Lied "Am Ufer des Yo-Yeh", das bei Mahler "Von der Schönheit" heisst. Die musikalische Umsetzung durch Mahler und Andreae könnte allerdings kaum unterschiedlicher sein. Bei Andreae sind die Lieder wesentlich kürzer und die Begleitung nicht symphonisch, sondern eher impressionistisch mit nur wenigen Takten eigenständiger Musik außerhalb der Begleitung. Aber sehr gut zu hören und als komplett andere Umsetzung sehr interessant.


    Die UA fand am 28. April 1931 in der Tonhalle Zürich statt, Solist war kein Geringerer als Julius Patzak. Patzak sowie auch Ernst Haefliger haben die Lieder in der Folge mehrfach aufgeführt, u.a. hat sich auch Hermann Scherchen für die Lieder eingesetzt.


    Auf der vorliegenden CD (s. Beitrag 1) singt diese Lieder der britische Tenor Benjamin Hulett, dessen Name mir nichts aber sicher einigen Forianer etwas sagt.

  • Ja, und als wenn zwei hochinteressante Stücke für eine CD mit Ersteinspielungen nicht ausreichen, kommt am Schluss dann noch der krönende Höhepunkt. Ich gebe zu, dass ich ein Faible für Oboenkonzerte habe. Aber ich glaube auch, dass jeder, der dies Konzert hört, anerkennen wird, dass es sich um ein ganz besonders gelungenes Exemplar handelt. Das ist absolut eines der schönsten Konzerte, die je für dieses Instrument geschrieben wurde. 1941 wurde es vollendet und auch im gleichen Jahr uraufgeführt von Marcel Saillet, dem ersten Oboisten im Tonhalle-Orchester. Dieses Stück hat mit Sicherheit Richard Strauss gehört und ihn dazu mit motiviert, dem Drängen von John de Lancie, ein Konzert für ihn zu schreiben, nachzugeben. Jedenfalls wurde auch das Strauss'sche Konzert 1946 vom Team Saillet/Andreae aus der Taufe gehoben. Und Strauss hat sein Konzert Andreae gewidmet.


    Abschliessend kann ich festhalten, dass Volkmar Andreae sich in meinen Ohren in die Riege der Komponisten einreiht, die auch dirigiert haben. Und nicht in die Riege der Dirigenten, die auch komponiert haben. Zu letzteren würde ich u.a. die Kollegen Furtwängler, Walter und Klemperer zählen. Mit deren kompositorischen "Bemühungen" hat das Schaffen von Andreae nichts gemein.

  • Nachdem mir die oben gezeigte CD mit Orchesterwerken so gut gefallen hat, war ich natürlich neugierig, wie es sich mit den beiden Streichquartetten von Andreae verhält. Und um es kurz zu machen, sie haben den positiven Eindruck voll bestätigt. Mit seinem ersten Quartett von 1905 - also der Arbeit eines 26-jährigen - geht Andreae gleich in die vollen, fast 40 Minuten ist das Stück lang und er weiß diese wahrlich zu füllen. Ausgangspunkt auch hier - nicht verwunderlich Brahms und vielleicht mehr noch Dvorak, aber Andreae ist sein eigener Mann und von einem Plagiat weit entfernt. Das Stück klingt auch moderner und ist dementsprechend auf der Höhe der Zeit komponiert. Der erste Satz eröffnet gleich mit einem Motiv, das an das Anfangsthema von "Ein Heldenleben" erinnert und schon bald hören wir ziemlich unverblümt das Nibelungenthema. Danach geht es aber mit eigenen Ideen weiter und von dem viersätzigen Werk hat eigentlich jeder Satz etwas zu bieten, besonders die letzten beiden sind m.E. hervorragend. Knapp 20 Jahre später entstand das 2. Quartett, es ist kompakter, aber stilistisch ähnlich. Man könnte einwerfen, dass Andreae jetzt hier die Entwicklungen des letzten Jahrzehntes nicht mitgemacht hat, sondern immer noch der Spätromantik verhaftet ist, aber es wird genügend Musikliebhaber geben, die gerade dies positiv werten.


    Das Locrian Ensemble ist eine dieser losen Londoner Gruppen, die mit unterschiedlicher Zusammensetzung alle möglichen Kammermusikformationen bilden. Das Quartett besteht in diesem Fall aus Rita Manning, Warren Zielinski, Philip Dukes und Justin Pearson. Bekanntermaßen erreichen solche Formationen nicht die Homogenität, die ein jahrelang zusammenarbeitendes Spitzenquartett erreicht, aber die Darbietung geht völlig in Ordnung. Und vielleicht legt ja eines der Schweizer Spitzenformationen - ich denke da z.B. an Carmina oder Galatea - nach. Letztere schulden uns ja auch immer noch eine GA der Bloch Quartette :D

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