1948 schrieb Carl Orff seine "Weihnachtsgeschichte" für den Bayerischen Rundfunk. "Schrieb", nicht: "komponierte". Die Musik zu diesem Werk stammt von seiner langjährigen "Schulwerk"-Mitarbeiterin Gunild Keetman.
Auch das "Schulwerk" ist nämlich nicht reiner Orff. Die Arbeitsteilung sah so aus, daß die Vokalstücke von Orff und die Instrumentalstücke von Keetman sind. Somit ist der (fast) immer unter Orffs Namen angeführte "Gassenhauer", der durch den Film "Badlands" weltberühmt wurde, in Wahrheit von Gunild Keetman. Aber das nur am Rande.
Die "Weihnachtsgeschichte" jedenfalls entwickelte sich zum saisonalen Dauerbrenner, und so war es nur logisch, daß der Bayerische Rundfunk von Orff gerne eine Ostergeschichte bekommen hätte. Die Uraufführung sollte im Fernsehen stattfinden. Bis 1955 ließ sich der Meister bitten, dann kam er dem Wunsch nach, und zu Ostern 1956 konnte der Bayerische Rundfunk Orffs "Fernsehoper" zur Ursendung bringen.
Erfolg wurde das Werk, zu dem Orff diesmal selbst Text und Musik schrieb, allerdings keiner. Und das, obwohl diese "Comoedia de Christi Resurrectione" auf ihre Art ein kleines Meisterwerk ist. Allerdings setzt sich Orff diesmal vielleicht zwischen allzuviele Stühle.
Das Werk ist weder Theaterstück mit Schauspielmusik noch Oper mit gesprochenen Teilen. Die Musik basiert auf dem "Schulwerk", aber man merkt die Nähe der "Antigonae". Es ist Mundart-Theater, aber der Dialekt ist kein gewachsener, sondern Orffs bildmächtige und klangmagische altbayerische Kunstsprache, und das "Spiel" hat weniger mit naiven bäuerlichen Darstellungsformen zu tun, als mit dem epischen Theater Bertolt Brechts.
Besetzung
Chorus mulierum lugentium (Chor der klagenden Frauen): Altstimmen
Chorus Angelorum (Chor der Engel): Knabenstimmen, Soprane, Alte, Tenöre
Vox mundana (Stimme der Erde): Sopran-Solo
Vox luctuosa (Stimme der Trauer): Baß-Solo
Sechs Soldaten
Sechs andere Soldaten
Der Teufel
(Alles Sprecher bzw. Schauspieler)
Orchester
3 Klaviere, Orgel, 2 Harfen, 4 Kontrabässe, Pauken, Xylophon, Baß-Xylophon, Marimbaphon, 2 Glockenspiele, Röhrenglocken, Steinspiel, Triangel, Cymbel, Becken, Tamtam, Guiro, 2 Doppelratschen, Schlagkiste, Große Trommel
Handlung und Musik
Das Werk ist in den beiden mit Tonhöhen komponierten Teilen, dem "Prooemium" und dem "Christ ist erstanden"-Teil am Schluss, auf den Ton d zentriert. Das "Prooemium" ist modal mit einer starken Gravitation nach d-Moll, der Schlußteil ist klares D-Dur.
Prooemium
Die Frauen klagen - aber dieses Klagen ist nicht auf Jesus Christus bezogen, der Text ist die altgriechische Klage um Adonis. Damit stellt Orff die Klage unter Anführungszeichen: Es ist keine christliche Klage, sondern eine allgemeine: Jemand ist gestorben, jemand wird betrauert. Die Klaviere schwingen auf D-Bässen, die Stimmen deklamieren auf d. Einmal finden sie zu einer melodischen Formung, erreichen die Oberoktave, sinken wieder ab auf den Deklamationston.
Helle Metallschlagzeuge begleiten den mahnenden Engelschor in Latein: "Silete, silete, silentium habete" - Seid still, Jesus schläft. Die Stimme der Erde verkündet ekstatisch, daß die Fesseln des Winters zerbrochen sind. Abermals mahnen die Engel zur Ruhe, man möge Jesu Schlaf behüten.
Die Stimme der Trauer singt im Klagegestus "Passus et sepultus est" - und bringt damit erstmals das konkrete Passionsgeschehen ins Spiel (die Engel, so raffiniert geht Orff zu Werk in der Textgestaltung, sangen ja stets nur von Schlaf...)
Daran schließt sich die Klage der Frauen an, abermals auf d, diesmal ohne alle Ausweichungen oder melodische Formungen.
Vor dem Grab
Jetzt holt Orff, ganz in der Art der alten Maler und der alpenländischen Tradition, das Geschehen in die eigene Heimat. Sechs Soldaten unterhalten sich in derber, doch so bildmächtiger Rede über das Ende des Winters, das Passionsgeschehen und die angekündigte Auferstehung - nichts wird konkret ausgesprochen, man redet über ein Geschehen, von dem alle einen Teil wissen, jeder erzählt seinen Blick auf die Sache. Da sieht einer eine seltsame Gestalt auf dem Grab hocken, aber man mißt ihr weiter keine Bedeutung bei. Die Augenlider werden den Soldaten schwer, sie schlafen ein.
In rhythmisiertem Sprechen zur Schlagzeugbegleitung verzaubert der Teufel, zwischen Latein und Deutsch wechselnd, das Grab, "daß er nit mehr aufstehn kann!". Er bleibt in der Nähe hocken.
Sechs andere Soldaten treffen zur Ablöse ein. Sie erzählen, abermals im altbayerischen Kunstdialekt, einander vom Passionsgeschehen, was bei den ersten sechs Soldaten Andeutung war, wird nun konkret geschildert. Die Darstellung von Jesu Taten gehört zu Orffs stärksten Dichtungen; da heißt es etwa: "Hellsichti hat er gwußt, was amal kommt und gfragt werd er si habn, ob er des alls derhebt. D'Welt wollt er wandeln, des Böse ins Gute, ganz ferti is er net wordn, weil's d'Bosheit z'viel is auf dera Welt. Aber anpackt hat er's un g'sagt hat er alls frei raus, was ihm eingebn is wordn."
Den Soldaten wird der Wachdienst lang, zum Zeitvertreib beginnen sie zu würfeln. Das sieht der Teufel mit Vergnügen, da will er mitmachen. Schon setzt er sich dazu. Allerdings verliert er Spiel um Spiel. Schließlich setzt er seinen Zauberstein. Alle sind nur noch auf das Würfelspiel konzentriert - der Teufel gewinnt.
In diesem Moment bebt die Erde, die Soldaten laufen angsterfüllt davon. Der Stein rollt vom Grab. Das Grab ist leer.
Christ ist erstanden
Der Engelschor verkündet zu jubelnden Melismen im Schlagzeug: "Christ ist erstanden." Daran schließen sich ekstatische Halleluja-Rufe an. Immer heller, immer strahlender wird der Klang. Wütend schreit der Teufel, der die Auferstehung nicht verhindern konnte, dazwischen: "An Strick, a Schlingen, a Leitern, a Gift, a Messer, a Beil, daß i mir selber an Schwanz abhacken kann!", und während die Engel in schwelgerisch süßer Terzenbewegung verkünden: "Totus mundus jubilat" (alle Welt jubiliert), findet der Teufel ein Beil und hackt tatsächlich seinen Schwanz ab. Mit Schmerzensschreien stürmt er davon. Nichts und niemand kann mehr die D-Dur-Freude der Halleluja-Rufe trüben - Chorgirlande auf "jubilate", und ein letztes Alleluja in D-Dur mit einem e als Klangwürze.
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Orff hat das Werk von vorneherein so angelegt, daß sich, trotz der filmtechnischen Möglichkeiten des originalen Mediums, also des Fernsehens, Bühnenaufführungen mühelos durchführen lassen. Tatsächlich gab es vereinzelte Aufführungen, sogar von Amateurgruppen und Studierenden, die das Werk auf Bühnen, aber auch in Kirchen präsentierten. Wirklich durchgesetzt hat es sich indessen nicht: Was als Fernsehsendung und saisonales Spiel in der Kirche durchaus funktionieren mag, ist mit 50 Minuten Spieldauer, die nichts neben sich vertragen, für die Bühne verloren - und gar so viele Kirchen, die groß genug sind, die platzfordernde Besetzung unterbringen zu können (und auch das Geld für Aufführungen haben), gibt es nicht, zumal die ganze Art des Spiels weniger in einen großen Dom als in eine ganz normale Dorfkirche passt. Wie gesagt: Orff saß mit diesem Werk zwischen allen Stühlen, die möglich sind.
Demenstprechend ratlos war Orff, wie er dem 50-Minuten-Stück auf die Beine helfen könnte. 1960 kam er auf die Idee, es mit dem Weihnachtsspiel "Ludus de Nato Infante Mirificus" zum "Diptychon" zu ergänzen. Es war das einzige Mal, dass Orff von seinem Theaterinstinkt im Stich gelassen wurde. Denn das "Ludus", ebenfalls ein kleines Meisterwerk und mit etwas mehr Musik ausgestattet als das Osterspiel, wiederholt die formale Anlage der "Comoedia" mit wenigen musikalisch geformten Säulen und einem langen Sprechdialog über das Geschehen, was es schwierig macht, die Werke hintereinander zu spielen. Aber nicht nur das: Zwei dermaßen an die christlichen Hochfeste gebundene Werke lassen sich unmöglich aus dem Kontext lösen - was die Schwierigkeit ergäbe, entweder zu Weihnachten ein Osterspiel oder zu Ostern ein Weihnachtsspiel als Beigabe zu finden.
Das Bayerische Fernsehen machte dann eine wunderbare Verfilmung auch des "Ludus". Nachwirkungen auf dem Theater gab es auch in der Form des "Diptychons" keine. Die Werke blieben Orffs Schmerzenskinder.
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Von der "Comoedia de Christi Resurrectione" gibt es eine einzige Aufnahme, Kurt Eichhorn hat sie gemacht, und sie ist wunderbar nicht nur in den musikalischen Teilen, sondern gerade auch in den gesprochenen. Allerdings ist sie im Moment nur in dieser Box zu bekommen:
Außerdem gibt es eine Video-Aufnahme einer Aufführung, hinter welcher der Tölzer Knabenchor als Produzent stand. Inszenierung und musikalische Qualität sind atemberaubend, die Sprechszenen fulminant. Die Technik scheint nicht in vollprofessionellen Händen gelegen zu sein, es gilt, Abstriche zu machen. Erhältlich ist die Aufnahme lediglich als Bootleg bei privaten Anbietern. Einen Ausschnitt kann man auf Youtube sehen: