WAGNER, Richard: Elegie As-Dur – ein kleiner Geniestreich

  • Richard Wagner betrachtete das Klavier nie als sein bevorzugtes Instrument. Zwar gibt es eine ganze Reihe von Klavierwerken (am bekanntesten vermutlich Ankunft bei den schwarzen Schwänen von 1861), doch konnte sich eigentlich keines im Standardrepertoire großer Pianisten durchsetzen. Und doch gibt es eine Ausnahme, die auf den ersten Blick unscheinbar anmutet, doch auf der Ausspruch "In der Kürze liegt die Würze" trefflich passt: Die sogenannte Elegie As-Dur WWV 93.


    Dieses kurze Stück, das keinen richtigen Titel trägt, die Tempobezeichnung Schmachtend hat und nur etwa zwei Minuten dauert, ist von diversen Mythen umrankt. Das beginnt schon bei der Datierungsfrage. Lange hielt man es für das Porazzi-Thema, welches Wagner 1881 während eines Besuches in Palermo skizziert hatte. Seit einiger Zeit aber sieht man in der Elegie vielmehr ein wahrscheinlich verworfenes Thema zur Oper Tristan und Isolde aus dem Jahre 1858. Verschiedentlich wird es auch auf 1859 datiert. Tatsächlich ist die Tristan-artige Stimmung gar nicht zu leugnen.


    Das wirkliche Porazzi-Thema wurde erst jüngst zum ersten Male eingespielt und ist somit definitiv nicht die Elegie As-Dur und daher höchstwahrscheinlich auch nicht das sagenumwobene letzte Stück Musik, das Wagner niedergeschrieben haben soll. Freilich mindert das den Wert der Elegie nicht im Geringsten.


    Sucht man nach Aufnahmen, so wird schnell deutlich, dass die Elegie As-Dur selten eingespielt wurde. Noch Martin Galling ließ sie bei seiner Einspielung der Wagner'schen Klavierwerke im Jahre 1963 weg. Stephan Möller hat sie bei seiner Gesamtaufnahme für Koch Schwann 1992 berücksichtigt. Valery Afanassiev spielte sie 1996 für Denon, Mikhail Rudy 2001 für EMI ein. Auch der weltberühmte Pianist Swjatoslaw Richter hatte eine Schwäche für das Stück und gab es häufig als Zugabe bei seinen Konzertauftritten. Zumindest zweimal wurde es in diesem Zusammenhang auf Tonträger festgehalten, 1975 für Melodija in Moskau und 1986 für Philips in Kopenhagen. 2015 erschien es bei Etcetera mit Camiel Boomsma, der auf dem Album auch das genannte Porazzi-Fragment einspielte.




    Für eine gewisse Popularisierung sorgte der 1972 entstandene Spielfilm Ludwig von Luchino Visconti, in welchem die Elegie eine große Rolle spielt. Der mit Visconti befreundete Komponist Franco Mannino, der in einigen seiner Filme dirigierte, arrangierte sogar eine gut fünfminütige und durchaus gelungene Orchesterfassung, welche die Tristan-Anklänge noch deutlicher hörbar macht.


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    Partituren und weitere Informationen: https://imslp.org/wiki/Elegy%2C_WWV_93_(Wagner%2C_Richard)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Vielen Dank, Joseph II.!


    Ja, das ist eine zauberhafte Klavier-Miniatur, die auch für meine Ohren harmonisch in "Tristan"-nahen Gefilden beheimatet ist. Aber worin findest du denn hier den "Geniestreich"?

  • Aber worin findest du denn hier den "Geniestreich"?

    Ich erlaube mir mal, Edwin Baumgartner zu zitieren, der es schon vor beinahe zehn Jahren schön auf den Punkt brachte:

    Die Klavierwerke Wagners enthalten ein Kleinod, das oft übersehen wird [...] mit dem Titel "WWV 93 Thema in As-Dur". Diese paar Adagio-Takte sind auch bekannt als "Elegie" und werden hin und wieder "Porazzi-Thema" genannt. Es handelt sich um ein paar harmonisch sehr zweideutige Takte, scharf dissonierend, die erst am Schluß nach As-Dur aufgelöst werden. Die Stimmung ist in etwa "Parsifal", es gibt aber auch die "Tristan"-Chromatik; das Stück ist Schmerzensmusik und Trost zugleich - und das in unglaublicher Konzentration.
    Da dieses Stück grifftechnisch allerdings sehr ungut liegt, vermute ich, daß Wagner einfach einen Einfall notiert hat, eventuell für spätere Verwendung. Wenn man irgendwie an dieses Stück herankommen kann: Es ist den Kauf einer ganzen CD wert!

    Ich finde das Stück eben durchaus genial, daher auch "Geniestreich".

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões