Ludwig van Beethoven, Missa solemnis D-dur op. 123 am 28. 4. 2019, 20.00 Uhr in der Kölner Philharmonie

  • Bericht zur "Missa solemnis" D-dur op. 123 von Ludwig van Beethoven in der Philharmonie Köln, 28. 4. 2019, 20.00 Uhr


    Polina Pastirchak, Sopran

    Sophie Harmsen, Mezzosopran

    Steve Davislim, Tenor

    Johannes Weisser, Bass

    Rias Kammerchor

    Freiburger Barockorchester

    Dirigent: René Jacobs


    Zunächst war schon beim Betreten des runden Saals der Philharmonie klar, dass etwas anders war als sonst, und zwar war das die Aufstellung, speziell des Chores: Der Chor war vor dem Orchester platziert, und zwar links vorne der Sopran, dahinter der Bass, von innen nach außen. Dem gegenüber standen (oder saßen, denn es wurde auch viel im Sitzen gesungen) wiederum die Damen des Alt rechts vorne und die Bässe dahinter. Zwischen diese beiden Chorteilen war das Dirigentenpult platziert, dahinter, vom Zuschauerraum gesehen, die Orgel. Der Rias Kammerchor trat mit 15 Sopranistinnen, 11 Altistinnen, 10 Tenören und 11 Bässen auf.

    Hinter dem Chor war das Orchester in der deutschen Orchesteraufstellung postiert. Links die Geigen, ihnen gegenüber die Bratschen und Celli, hinter den Geigen die Kontrabässe. Im Zentrum des Orchesters standen die Holzbläser, und dieses Verb "standen" ist wörtlich zu nehmen, denn die Orchestermitglieder standen während des Konzertes, außer den Musikern mit den großen Streichinstrumenten und die Fagottisten. Die Posaunen standen gegenüber der üblichen Aufstellung links neben den Kontrabässen. An ihrer ursprünglichen Aufstellung rechts standen dafür die Hörner. Das war in der Tat wohlüberlegt, denn an manchen Stellen der Missa traten die Posaunen, zumal im Agnus Dei, solistisch hervor.

    Im Orchester standen den 27 Streichern 18 Bläser gegenüber, davon allein 9 Blechbläser. Diese Besetzung ist wohl in Barockorchestern nicht unüblich, und die Blechbläser verleihen zumal im Tutti-fortissimo, dem Orchester eine enorme Klangwucht.

    Dennoch erschien es mir zunächst ein wenig zweifelhaft, ob dieses Orchester die gewaltigen Klangmassen in diesem dynamisch gewaltigsten Werk seines gesamten Oeuvres gewachsen sein würde.

    Doch diese Zweifel waren bald zerstreut, nach dem ersten "Kyrie"-Einsatz des Chores, dann dem Fugato-Mittelteil, dem "Christe Eleison" mit Chor und Solisten, und für die Spätmerker war dann aber mit Beginn des dynamisch unglaublichen "Glorias" alles klar. Für mich und sicherlich auch für die meisten anderen war aber auch schnell klar, dass der Chor die Sensation des Abends war, und aus dem Chor der überragende Sopran, der, wie übrigens auch die anderen Stimmen - an zweiter Stelle wäre da unbedingt der Tenor zu nennen - selbst in den hammerhärtesten Fortissimi immer noch sang, aber was wirklich überragend war, war das andere Ende des dynamischen Kontrastes.

    Hier ist wieder an erster Stelle der Chorsopran zu nennen: einen derart klaren, eindrucksvollen Gesang, selbst im Piano pianissimo, habe ich sehr selten gehört, zumal noch hinzukommt, dass diese Passagen, in denen der Chor fließend in das musikalischen Geschehen hineinkommt, im Sitzen gesungen wurden und der Chor nur an den entsprechenden dynamischen Schnittstellen aufstand. Bei Mahlers Zweiter und in Verdis Requiem, um nur zwei große Chorwerke zu nennen habe ich das schon oft erlebt, in der Missa solemnis noch nicht, jedenfalls nicht bewusst.

    Wie dem auch sei, jedenfalls war die Darstellung des dynamischen Kontrastreichtums durch den Chor, natürlich auch durch das hochklassige Orchester, sehr berührend. Ein zusätzlicher Kontrast, der mir noch nicht bekannt war, war der Gloriaschluss, den René Jacobs dirigierte, statt des donnernden Fortissimio des kurzen, gehackten "Gloria" ein betörendes weiches entschwebendes Pianissimo!

    Und diese Kontraste sind ja, wie ich finde, auch ein geniales Ausdrucksmittel, um die Botschaft dieses Stückes in die Welt zu tragen.

    Dies gilt vor allem für das Agnus Dei, mit dem Beethoven unter seinen Zeitgenossen sicherlich für die größte Verwirrung und Verstörung gesorgt hatte. In heutiger Zeit ist das geniale Agnus Dei ein grandioser Schlusspunkt dieser sicherlich eindrucksvollsten Missa der gesamten Musikgeschichte.

    Dies sage ich, obwohl ich mit dieser Meinung im Forum sicherlich nicht ohne Widerspruch da stehe.

    Über den auffallenden dynamischen Kontrastreichtum sagte René Jacobs im Programmheft:

    "Die Missa solemnis ist hinsichtlich des Ambitus der Sopranstimmen und der Dynamik des Orchesters das Höchste und Lauteste, was Beethoven verfasste. Viel wichtiger ist jedoch, was er damit ausdrücken möchte. Ich glaube, er möchte damit zeigen, dass der Himmel unfassbar weit weg ist. Wir können versuchen, ihm näher zu kommen, aber wir scheitern daran".

    Als schönes Beispiel für diese Annahme verweist er auf den Schlussabschnitt des Credo: "Et expecto resurrectionem et vitam venturi saeculi amen" (Ich warte auf die Auferstehung der Toten und das Leben in der zukünftigen Weltzeit. Amen).

    Um noch einmal auf das zurückzukommen, was Jacobs über den Chorsopran sagte, fiel mir schnell auf, dass der Alt mit 11:15 Stimmen, gepaart mit seiner stimmlichen Mittellage, in Tuttipassagen des Chores und Orchesters, zumal im Forte, gnadenlos unterging, was dem brillanten Gesamtklang allerdings keinen Abbruch tat.

    Ähnlich erging es m. E. im Quartett der Solostimmen der Mezzosopranistin Sophie Harmsen, was aber in der Regel im Finale der Neunten Beethoven keinesfalls anders ist.

    Insgesamt konnten die Solisten, wie ich finde, mit einer guten Leistung aufwarten, wobei ich meinte, bei der Sopranistin Polina Pastirchak in den tieferen Lagen und im Piano etwas an stimmlichem Druck vermisst zu haben.

    Der Tenor Steve Davislim und der Bass Johannes Weisser lieferten überzeugende Leistungen ab, wobei mir beim Bassisten zudem positiv auffiel, dass er mit seinem schlanken Timbre über eine sichere Tiefe verfügte.

    Alle Beteiligten wurden nach dem ergreifenden Agnus Dei mit einem begeisterten Schlussbeifall belohnt.

    Neben den Solisten ist da natürlich der Dirigent René Jacobs zu nennen, der die Sänger und Instrumentalisten zu dieser großartigen Leistung führte und auch die bezaubernde Konzertmeisterin und seit 1988 Gesellschafterin des Freiburger Barockorchesters, Anne-Katharina Schreiber, die in Form ihres Solos, das den Heiligen Geist symbolisieren soll, am Beginn des Benedictus diesen sehr berührend auf die Zuhörer herabsinken ließ.

    Auch sei am Schluss noch einmal das Freiburger Barockorchester erwähnt, sicherlich eines der führenden europäischen Kammerorchester, in dem die reichlich vorhandenen Bläser ihren streichenden Kollegen jederzeit genügend Luft zum Atmen ließen.


    Ein beglückender, für mich persönlich fesselnder Konzertabend.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi, Deinen Bericht habe ich mit großem Interesse gelesen und ich danke zunächst einmal für die Schilderung Deiner Eindrücke. Dass, wie Du schreibst, das Bild zu Beginn auf Veränderungen hindeuteten, die Du dann auch noch sehr schön geradezu plastisch beschreibst, kann ich nachvollziehen - es wäre mir bestimmt auch so gegangen. Ich hätte vielleicht den Weg zu diesem Konzert nicht einmal gewagt, weil mir Orchester und Dirigent eine falsche Interpretations-Richtung vorgegeben hätten: Ein Barockorchester mit Beethovens Musik? Offensichtlich muss ich vom Schubaldendenken Abstand gewinnen - genau das hast Du bei mir mit Deinen die Augen öffnenden Zeilen erreicht. Jetzt müssen die Ohren noch dazu kommen...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Lieber musikwanderer,


    das Freiburger Barockorchester ist schon ein Kammerorchester der Sonderklasse und der Rias Kammerchor nicht minder. Vor einer ganzen Reihe von Jahren habe ich mal in Essen mit dem Neuen Orchester und dem Chorus Musicus unter Christoph Spering, die dir sicherlich ein Begriff sein werden, zum Abschluss einer Beethovenreihe zuerst die Neunte Beethoven und dann, etwas später die Missa Solemnis live erlebt. Schon damals waren meine Bedenken ziemlich rasch zerstreut, zumal sich das Orchester auch in einer Reihe von vier Konzerten mit dem Kölner Pianisten Michael Korstick und einem Programm, vor der Pause jeweils ein Beethoven-KK, d. h. im ersten Konzert zwei, die KK Nr. 1 und 2, und dann nach der Pause eine Brahms-Sinfonie, diese, ebenso wie die weiteren Beethoven-KK in chronologischer Reihenfolge, als äußerst sattelfest erwiesen hatte. Und so verhielt es sich auch hier.

    Das Orchester und der Chor waren jederzeit im Stande, die großen dynamisch-dramatischen Entladungen der Partitur zu meistern, aber auch die Passagen mit den absolut leisen, lyrischen Verläufen überzeugend darzustellen.

    Ich bin momentan dabei, meinen Konzertbesuchsplan für die neue Saison zu erstellen, und ich habe mich dabei ertappt, nach den sehr positiven Erfahrungen mit dem Kölner Kammerorchester, dem Chamber Orchestra of Europe, dem Mendelssohn-Kammerorchster aus Leipzig, natürlich der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und zweimal dem Freiburger Barockorchester, auch in der neuen Saison den Kammerorchestern wieder breiten Raum zu geben.

    In dieser Saison habe ich noch ein viertes Mal das Kölner Kammerorchester und das Concerto Köln auf dem Programm und hatte somit dann in der ganzen Saison 12 Konzerte mit einem Kammerorchster auf meinem Programm, wovon mich bisher keines enttäuscht hat, und immerhin waren solche "Granaten" dabei wie Deutsche Kammerphilharmonie mit Brahms Violinkonzert + Schubert, Sinfonie C-dur D.944 /Järvi, Tetzlaff, Chamber Orchestra of Europe/Haitink 2 mal mit Schumann, Ouvertüre, Scherzo und Finale, Cellokonzert und Beethovens Siebte und dann Mozart, Sinfonie Nr. 38 KV 504 und dann Mahler, Des Knaben Wunderhorn. Das waren ja bis auf Mozart und Beethoven alles rein Romantik und Spätromantik-Werke, und das geht, wenn die Orchester die Sache ernst nehmen.

    Für die neue Saison habe ich bis jetzt acht Konzerte mit Kammerorchestern auf dem Programm, aber das ist auch noch nicht mal halb gefüllt.

    Wenn es komplett steht, werde ich den Plan mal hier einstellen, in einem entsprechenden Thread, versteht sich.

    Aber das z. B. Beethoven immer gehen kann, hat m. E. vor allem Paavo Järvi mit seiner Deutschen Kammerphilharmonie Bremen überzeugend unter Beweis gestellt. Und Barhms hat er ja jetzt, wenn ich mich nicht irre, auch schon komplett aufgenommen, jedenfalls die Symphonien. Im vergangenen August hab ich in Schleswig-Holstein ein dreitägiges Schumann-Programm mit ihm erlebt. Das war wunderbar.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Danke für die Einblicke in Deine persönlichen Planungen für Konzertbesuche - und Glückwunsch für dieses umfangreiche Programm mit offensichtlich manchem Highlight. Du beweist mir damit eine offensichtlich große Mobilität, die mir nicht mehr so gegeben ist. Vielleicht sollte ich meinen Nicknamen von "...wanderer" auf "...genießer" umstellen, er träfe dden Kern eher. Andererseits liegen mir Veränderungen in bestimmten Bereichen und zu bestimmten Themen nicht so sehr. Folglich lasse ich doch besser alles beim Alten.


    Ich bin etwas abgeschwiffen, Pardon! Was nun die von Dir genannten Ensembles betrifft: Ich kenne sie dem Namen nach, habe möglicherweise sogar irgendwo CDs von ihnen. Ich werde mal - es sind Deine Anregungen aus dem Bericht, die mich dazu bringen - nach Aufnahmen mit diesem Interpretationsansatz stöbern, um mir (zumindest per Konserve) einen Höreindruck zu verschaffen.


    Schö'n Tach noch!


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Zitat von musikwanderer

    Du beweist mir damit eine offensichtlich große Mobilität, die mir nicht mehr so gegeben ist.

    Ich musste auch in dieser Saison schon einige Konzerte aus Gesundheistgründen absagen, lieber musikwanderer, aber wenn ich richtig orientiert bin, wohnst du doch nicht allzu weit von Köln entfernt. Am 8. November (Freitag) dirigiert Marek Janowski in der Philharmonie das WDR-Sinfonieorchester. Das müsste doch über jeden Zweifel erhaben sein. Und das Programm ist auch nicht sehr unbeliebt:


    Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 9 d-moll op. 125:

    • Regine Hangler Sopran
    • Wiebke Lehmkuhl Alt
    • Christian Elsner Tenor
    • Andreas Bauer Kanabas Bass
    • NDR Chor
    • WDR Rundfunkchor
    • Robert Blank Einstudierung
    • WDR Sinfonieorchester
    • Marek Janowski Leitung

    Wenn du aufgrund deiner eingeschränkten Gesundheit über einen Schwerbehindertenausweis, mindestens 50%, verfügst, gewährt der WDR eine Ermäßigung von 50%. Ich habe mir dieses Konzert auf jeden Fall vorgemerkt, und aufgrund der Programme, die ich schon kenne, habe ich mich entschlossen, in der nächsten Saison das große Freitagsabo zu bestellen (13 Konzerte). Dafür habe ich mich entschlossen, das FXR-Abo (Gürzenich-O) zu kündigen, da mir auf Dauer doch zu viel moderne Musik gespielt wird (in dieser Saison noch einmal am 21. Mai, Manoury und am 16. Juni, Neuburger).

    Vielleicht wäre das ja mal etwas für dich.

    Ich habe in dieser Saison (22. 2.) Janowsky schon mit dem WDR-Orchester erlebt: Beethoven KK Nr. 3 und Schubert, Symphonie Nr. 8 C-dur D.944, ein grandisoes Konzert.


    Liebe Grüße und eine schöne Restwoche


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).