PAISIELLO, Giovanni: PASSIO SAN GIOVANNI

  • Giovanni Paisiello (1740-1816):


    PASSIO SAN GIOVANNI

    Einteilige Passionsmusik

    Text: Johannes-Evangelium Kapitel 18 und 19, in lateinischer Sprache gesungen



    DIE SOLILOQUENTEN


    Testo - Evangelist (Sopran)

    Christus (Sopran)

    Pontius Pilatus (Bass)



    ANGABEN ZUM WERK


    Giovanni Paisiello ist in erster Linie als Opernkomponist bekannt, aber es gibt das aus seiner Feder stammende Passionsoratorium „La Passione di nostro signore Gesù Cristo“ (Libretto von Pietro Metastasio), ein von mehr als 70 Komponisten vertonter Text. Paisiellos Werk soll erstmals 1784 am Hoftheater in Warschau aufgeführt worden sein (der Komponist befand sich auf dem Heimweg von St. Petersburg nach Italien), danach 1791 und 1809 in Dresden, 1812 in Mailand.


    So klar die Lage hinsichtlich des genannten Passionsoratoriums ist, so unklar ist sie bei der hier vorgestellten Johannes-Passion: In der Bibliothek des Heiligen Konvents in Assisi ist das Werk sowohl im Katalog als auch im Manuskript erhalten, wie auch eine Matthäus-Passion und neun Responsoria Nativitatis Domine. Außerdem gibt es noch Katalogeinträge über sechs Messen, die für die königliche Kapelle in Neapel bestimmt waren.


    Auf die erwähnte Matthäus-Passion zurückkommend: Im Katalog des Konvents wird Paisiello als Komponist genannt, auf der Partitur-Titelseite ein P. Castellano. Dieser Name erscheint auch auf den o.g. Responsoria, die man Paisiello zuschreibt. Verkompliziert wird die Sache durch zwei unterschiedliche Handschriften im Katalog bzw. auf dem Titelblatt der Partitur.


    Anders, aber nicht einfacher, ist die Lage bei der Johannes-Passion: Hier stimmen die Einträge im Katalog und auf der Titelseite der Partitur zwar überein (nennen also Paisiello als Komponisten), aber die Handschrift ist die gleiche, die bei der Matthäus-Passion-Partitur und den Responsoria P. Castellano als Komponisten nennt.


    Das Verwirrspiel hat die Musikwissenschaftler uneins werden lassen über die Zuschreibung der Johannes-Passion an Paisiello. Im MGG ist beispielsweise Francesco Paolo Russo in dem Artikel über Paisiello für die Echtheit eingetreten, Michael F. Robinson, Paisiello-Spezialist, hält es dagegen aus stilistischen Gründen für ein untergeschobenes Werk. Dieses Problem kann hier natürlich nicht gelöst werden, mir scheint Paisiello der würdige Komponist dieser Johannes-Passion zu sein.


    Das Werk ist sehr schlicht vertont, denn notiert sind nur zwei Violinstimmen und eine Bassstimme. Als Solisten werden zwei Soprane (Testo und Christus) und für die Rolle des Pontius Pilatus ein Bass verlangt. Ein entsprechend angepasster kleiner Chor à 3. artikuliert des „Volkes Stimme“. Mit einer solchen Minimalbesetzung hält sich Paisiello an die lange Tradition einfacher Passionsmusiken, wie es schon das Tridentiner Konzil (1545-1563) gefordert hatte. Hinzu kommt aber auch jene italienische Besonderheit, die zwischen Passionsmusik und Passionsoratorium unterschied. Der Schlichte der erstgenannten stand das durch frei gedichteten Text, einem Opern-Libretto ähnlich, aus Rezitativ und Arie bestehende Oratorium gegenüber.


    Die Musik Paisiellos ist, das fällt dem an die deutschen Passionsvertonungen - beispielsweise eines Bach - gewöhnten Musikliebhaber sofort auf, von Anfang bis Ende lieblich-melodiös. Sie bleibt auch immer im Dur-Bereich, streift nur selten, auffällig aber im Verhör von Pontius Pilatus, kurz die Mollskala. Selbst die Baraban-Rufe des Volkes lassen musikalisch kein aufgebrachtes Volk erkennen.


    Den Solisten werden keine stimmlichen Herausforderungen abverlangt, wenngleich sie über eine solide Technik mit Ausdrucksnuancen verfügen sollten. Im Umkehrschluss lässt sich trotzdem nicht behaupten, dass die Musik den Hörer nicht zu fesseln vermöchte. Das wird mit instrumentalen Begleitfiguren zu den Gesangssoli erreicht, die wie Kommentarfunktionen wirken. Das gilt sowohl für die Rezitative als auch für die Arien, wobei übrigens die Form des Secco-Rezitativs kaum benutzt wird, wo Paisiello es aber einsetzt, wirkt es jedenfalls nicht unterbrechend-störend. Etwas ungewohnt werden manche Hörer die Zuschreibung der Partien des Testo und des Christus an Soprane empfinden.


    Diesem Beitrag liegt die folgende Live-Einspielung zu Grunde, entstanden während eines Konzertes in der Kölner Trinitatiskirche im April 2006 als Zusammenarbeit des WDR Köln und Capriccio:


    Die Interpreten dieser Passionsmusik sind Trine Wilsberg Lund als Testo, Monika Mauch als Christus und Jörg Schneider als Pontius Pilatus. Das Vocalconsort Berlin ist mit drei Sopranen (die auch solistisch für die Stimme der Magd und der Diener des Hohenpriesters eingesetzt werden), drei Alte (von denen eine dem Petrus ihre Stimme leiht) und zwei Baritone als Chor dabei. L’Arte del Mondo besteht aus jeweils drei ersten und zweiten Violinen, sowie je einem Violoncello und Kontrabass. Eine Orgel spielt den Basso continuo mit.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Oratorienführer 2020

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    MUSIKWANDERER