Große Verwirrung erfasste mich als sich der Vorhang hob und die erste Szene geboten wurde – wo blieben die Verdoppelung der Figuren, Leinwände mit Szenen aus der Sierra Nevada, Leuchtreklamen mit Twitter-Nachrichten, Vorhänge in den Farben eines LSD-Rausches?!? War Regisseur Daniele Abbado überhaupt nichts zu dieser Oper eingefallen, sodass er sich gezwungen sah auf der Bühne das darstellen zu lassen, was im Libretto steht? Dazu noch historisierende Kostüme, keine Koffer etc. etc…
Fragen über Fragen…
Das im farbenfrohen anthrazitschwarz gehaltene Einheitsbühnenbild ermöglichte aber, sich auf die Personenführung zu konzentrieren – und verlangte vom Besucher nicht wirklich viel ab. Zum Großteil wurde ein Stehtheater geboten – was, angesichts des äußerst steifen spanischen Protokolls sogar gerechtfertigt ist. Ironie beiseite, nach all den „interessanten“ Produktionen der letzten Zeit war es sehr erfreulich, einer ziemlich werkgetreuen Inszenierung beiwohnen zu dürfen, mit einer wunderbar gelungenen Interpretation des Autodafé.
Die Highlights des Abends waren sicherlich das Orchester der Wiener Staatsoper und der Chor der Wiener Staatsoper, einstudiert von Thomas Lang. Der im Dezember vielbeschäftigte Philippe Jordan entfesselte beeindruckende Klangwelten (die eine oder andere Unstimmigkeit zwischen Graben und Chor fiel aber auch auf).
Die Titelrolle ist insofern sehr undankbar, dass der Sänger des Don Carlo im Gegensatz zu den anderen Hauptfiguren keine eigene, große Arie hat und dass Verdi einige schwierig zu singende Passagen für ihn komponiert hat. Ramón Vargas sang seinerzeit die Premiere dieser Produktion, die auch schon 9 Jahre her ist. Man merkt, dass Vargas seinen sängerischen Zenit wahrscheinlich schon überschritten hat, ein leichtes Vibrato zog sich durch den ganzen Abend, die Spitzentöne wirkten etwas gepresst und von Beginn an hatte ich das Gefühl, dass sich irgendwann einmal ein „Hoppala“ ergeben wird – leider war dem dann in der Szene des 4.Aktes mit Elisabetta so. Ursprünglich war Vargas ja nicht für diese Serie vorgesehen und sprang kurzfristig ein – deshalb gebührt ihm dafür durchaus ein Dankeschön!
Die bei weitem beste Leistung des Abends gelang Boris Pinkhasovich als Posa. Das letzte Mal, als mich ein Sänger in dieser Rolle derart entzückte, ist auch schon eine Weile her – und mit Dmitri Hvorostovsky (Botha sang den Don Carlo) war es zufälligerweise auch ein Russe. Im Oktober 2019 hörte ich ihn zum ersten Mal als Onegin und war schon damals sehr angetan. In den letzten beiden Jahren hat sich seine Stimme weiter entwickelt, und wenn er diese auch weiterhin behutsam aufbaut (und seine Rollen entsprechend auswählt) wird er schon sehr bald zu den absolut führenden Sängern seines Fachs gehören!
René Pape sang einen sehr soliden, phasenweise sehr verletzlich wirkenden, Filippo. Er strahlte Noblesse aus. Nach wie vor kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass der König wirklich jemals daran dachte, dass er von Elisabetta annehmen könnte, dass sie ihn liebt. Eine Zweckheirat, nichts mehr. Das konnte (unter normalen Umständen) mit Liebe ja nichts zu tun haben. Eingeengt vom spanischen Hofprotokoll (und unterdrückt von der zu dieser Zeit allmächtigen katholischen Geistlichkeit) ist Filippo im Prinzip ja auch ein Opfer (im Gegensatz zum Grande Inquisatore und dessen Handlangern, die hier eindeutig die Täter sind).
Ad Grande Inquisatore – Ain Anger war ursprünglich als Filippo vorgesehen (2009 verkörperte er diesen Charakter schon in der französischen Fassung), wurde aber auf Grund der vielen Krankheitsfälle umbesetzt). Seine stimme ist dunkler als die von René Pape, was in der gemeinsamen Szene deutlich zum Ausdruck kam, nichtsdestotrotz fehlt es im noch ein bisschen an „Schwärze“, was vielleicht mit dem Alter kommt. Ich bin mir außerdem auch nicht sicher, wer die Rolle aktuell wirklich vom sängerischen her perfekt interpretieren könnte.
Dan Paul Dumitrescu ist ein immer gern gesehener Sänger auf den Brettern der Wiener Staatsoper und als Mönch/Karl V. gehört er quasi zum „Inventar“ beider in Wien gezeigten Fassungen. Ich empfand, dass seine Stimmer an Ausdrucksfähigkeit und Tiefe in den letzten Jahren gewonnen hat (und frage – was mach ein Sänger, der zwischen seinen beiden Szenen rund 3 Stunden Pause hat ?!??).
Nicht ganz auf dem Niveau der Männer empfand ich die weiblichen Besetzungen. Ekaterina Gubanova hat einen meiner Meinung nach etwas hellen Mezzosopran und überzeugte nicht wirklich, zu ähnlich empfand ich ihre Stimme im Vergleich mit der von Maria Josè Siri, die für die Interpretation der Elisabetta verantwortlich zeigte. Beide Sängerinnen waren rollendeckend, was in diesem Fall kein Kompliment ist. Auch Isabel Signoret konnte ihrem „Tebaldo“ nicht die Präsenz entlocken, zu der Rollenvorgängerinnen im Stande waren.
Die kleineren Rollen waren mit Fabiola Varga, Robert Bartneck und Ileana Tonca gut besetzt.
Trotz einiger Einwände war es ein sehr gelungener Abend, das Publikum (wieder war die Galerie nicht wirklich gut besucht) spendete viel Applaus. Noch einmal ein Danke an das Orchester, den Chor und an Boris Pinkhasovich für herausragende Leistungen.