HEINICHEN, Johann David: FLAVIO CRISPO

  • Johann David Heinichen (1683-1729):
    FLAVIO CRISPO

    Oper in drei Akten

    Libretto von Steffano B. Pallavicini (?)

    Originalsprache: Italienisch.


    Uraufführung (lt.Website von Il Gusto Barocco) am 18. Juni 2016


    Personen der Handlung:

    Konstantin, römischer Kaiser (Bass)

    Fausta, seine Gemahlin (Alt)

    Flavio Crispo, deren Sohn (Altus)

    Massiminiano, Massenzio genannt, Faustas Bruder und Gegner Flavios (Tenor)

    Gilimero, Heerführer und Freund Flavios (Sopran)

    Elena, englische Prinzessin am Hof Konstantins (Sopran)

    Imilee, Tochter des ostfränkischen Königs Assaricos (Alt).

    Ort und Zeit: Regierungszeit Konstantins, der Ort ist nicht explizit genannt.


    Erster Akt.
    Gemach der Kaiserin im Palast.

    Massiminiano, der Bruder der Kaiserin Fausta, den alle nur Massenzio nennen, hält sich bei ihr auf und klagt ihren Mann Konstantin an, ihm den Thron geraubt zu haben. Wichtig ist ihm aber auch, dass Fausta weiß, dass er sich nach Elena, der schönen englischen Prinzessin am Hof Konstantins, sehnt. Schwester Fausta rät ihm, nicht weiter um Elena zu werben, sondern sich auf die Beseitigung von Flavio Crispo, dem Sohn Konstantins und Verehrer der Dame, aus dem Weg zu räumen.


    Fausta trifft nach dem Abgang vom Massenzio auf Elena und erklärt ihr, dass sie ihren Stiefsohn hasst, dem sie sogar beim Triumphzug die Ehre verweigert habe. Für das Reich und seinen Vater war Flavio Crispo nämlich nach Gallien in den Krieg gezogen, hatte aber seine Gefühle für Fausta im Zaum gehalten, was der wohl nicht gepasst hat. Sie möchte nun, dass Elena ihren Stiefsohn empfängt. Zufällig steht er gerade in diesem Augenblick vor der Tür. Als er Fausta begrüßen will, weist sie ihn ab, weil sie weitere Schmähungen befürchtet. Flavio glaubt, dass er in Elenas Augen Zuneigung für ihn erkannt zu haben. Der Triumphzug durch Rom ist ihm plötzlich nicht mehr so wichtig, die Eroberung seiner Herzensdame dafür umso wichtiger.


    Er wirbt um die schöne Engländerin, doch die will wissen, wie er von Fausta empfangen wurde, doch er hat in ihrer Gegenwart keinerlei Gedanken mehr an seine Stiefmutter. Aber bei Elena ist das anders: sie fürchtet Faustas Hass und sie überlegt, ob sie ihre Liebe zu Massenzio verbergen soll oder nicht.


    Szenenwechsel: Via triumphalis mit geschmücktem Triumphbogen und einem Thron.


    Gilimeo, Heerführer und Freund Flavios, kommt mit Imilee, einer gefangen genommenen Prinzessin aus Gallien, und stellt sie Kaiser Konstantin als eine „besondere Beute“ vor. Die junge Adlige wundert sich über Flavios Freund, denn der spricht bereits von „Liebe“ zu ihr. Konstantin beschließt, dass Imilee der Elena als eine Hofdame, sozusagen als einen Ehre, zugewiesen wird. Gilimeo hat sich also in Imilee verliebt, ist aber natürlich enttäuscht, als er erfährt, dass sie sich in Flavio Crispo verliebt hat.


    Nach dem Triumphzug durch Rom ernennt der Kaiser seinen Sohn zum Mitkaiser und überlässt ihm Imilee zur Sicherung des Friedens, aber auch um die Nachkommenschaft zu sichern. Er beauftragt (den darüber überraschten und auch enttäuschten) Gilimeo, das Heiratsgebot Imilee zu überbringen. Dass die sich bestimmt freuen wird, darf das Publikum als gesichert ansehen, aber Konstantins Sohn hat an der Ehe kein Interesse (denn er liebt schließlich Elena) und überlässt sie gerne seinem Freund Gilimeo. Flavios Problem ist aber ein möglicher Konflikt mit seinem Vater, wenn er sich dem Heiratsgebot widersetzt, weshalb ihm Fausta und Elena helfen sollen, die Hochzeit zu verhindern.


    Zweiter Akt.
    Privatgemach der Kaiserin.

    Die Nachricht von der geplanten Hochzeit von Flavio Crispo und Imilee hat inzwischen Fausta und Elena erreicht. Die Kaiserin freut sich bereits auf den Moment, wenn ihr Stiefsohn sie um Hilfe anfleht. Als dieses Gespräch zustande kommt, fordert sie von Flavio (übrigens zu seinem Entsetzen), dass er einer heimlichen Liebesbeziehung zu ihr zustimmt, denn nur unter dieser Bedingung will sie ihm helfen, die Heirat mit Imilee zu verhindern. Das aber weist er entschieden zurück. Als daraufhin Fausta ihrer Wut freien Lauf lässt, kommt Massenzio hinzu und verkündet, dass er seinen Rivalen im Kampf um seine Liebe zu Elena enttarnen konnte: es ist Flavio Crispo, der Sohn des Kaisers. Es sind die Liebesbriefe, die Flavio an Elena geschickt hat, die er jedoch abfangen konnte, und die er seiner Schwester als Beweis übergibt.


    Als Konstantin die Szene betritt, sieht er seine Gattin außer sich und hört von ihr, dass Flavio ihr seit einiger Zeit nachstellen würde und überreicht ihrem Mann als Beweis Flavios Briefe an Elena als angeblichen Beweis. Sie bittet Konstantin darum, Rom verlassen zu dürfen, da sie seine Kaiserwürde nicht beschmutzen will.


    Inzwischen ist Flavio mit seinem Freund Gilimeo übereingekommen, die Ehe mit Imilee nicht einzugehen und ihr das persönlich auch mitteilen zu wollen. Als dieses Gespräch stattfindet, tritt Konstantin hinzu und stellt seinen Sohn wegen der Anschuldigungen Faustas zur Rede. Flavio erkennt seine Briefe, nennt aber - aus unerfindlichen Gründen - nicht den Namen Elenas als tatsächliche Empfängerin der Schreiben. Er bittet stattdessen, dass Gilimeo Imilee heiraten darf und begründet das mit der große Liebe seines Freundes zu der Gallierin. Die Bitte erfüllt der Kaiser sofort, fordert dann aber von seinem Sohn die Übergabe seines Schwertes, stellt ihn unter Hausarrest und verurteilt ihn dann zum Tode. Und die Hinrichtung, ordnet er an, muss Gilimeo vollziehen, was den natürlich in vollständige Verzweiflung stürzt.


    Nach dem Abgang des Kaisers kommt Elena auf die Szene, findet so den Verzweifelten und bitte ihn um Erzählung des Vorgefallenen. Dieser Bericht lässt Elena verzweifeln und das ist der Moment, da Massenzio hinzutritt und um sie wirbt, von ihr aber abgewiesen wird. Daraufhin zeiht er Elena als eine Hochmütige, die sich durch des Kaisersohns Liebe zu ihr wohl schon als neue Kaiserin betrachtet. Er droht ihr, alles der eifersüchtigen Fausta mitzuteilen.


    Dritter Akt.
    Eine Galerie in den Gemächern Flavios.

    Konstantin hat, das Publikum hat es schon erfahren, Gilimeo beauftragt, das Todesurteil an seinem Sohn zu vollstrecken. Gilimeo erscheint also bei Flavio mit dem Giftbecher. Das ist der Moment, da Elena hereinstürzt und versucht, das Todesurteil zu verhindern. Doch hat Flavio den Giftbecher bereits geleert. Elena beweint ihr Schicksal, den Geliebten zu den Göttern abgeben zu müssen, als Imilee hinzukommt. Die will aus Empörung über das Todesurteil das Volk zu einem Aufstand gegen den Kaiser aufstacheln.


    Auch Fausta wird nun bewusst, was sie angerichtet hat und macht sich Vorwürfe. Sie wünscht sich auch den Tod, der eine Buße wäre für ihre falschen Beschuldigungen. Ihr Bruder Massenzio ist dagegen in Hochstimmung, den sein Rivale wird sterben und er macht sich vor allen Dingen Hoffnung auf den Thron. Dazu will auch er das Volk für einen Aufstand gewinnen.


    Inzwischen wünscht der Kaiser, sich in einem Bad zu erfrischen, aber der befohlene Tod seines Sohnes lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Da stürzt Gilimeo herein und berichtet, dass Massenzio einen Volksaufstand angezettelt habe. Plötzlich kommt auch Fausta und bekennt ihre Mitschuld an Flavios Tod durch falsche Beschuldigungen. In die allgemeine Bestürzung kommt nun noch die Nachricht, dass Elena sich umbringen wollte, dass sie aber von Imilee daran gehindert wurde. Dafür will sie, Imilee, Rache an dem Kaiser üben, aber Elena verhindert einen tödlichen Angriff auf Konstantin. Plötzlich erscheint Flavio an der Spitze von Leuten aus dem Volk und berichtet, dass Gilimeo ihm lediglich ein Schlafmittel in das Getränk gemixt habe, wodurch er natürlich überlebt habe.


    Glücklich fallen sich alle in die Arme und schließen Frieden.


    Anmerkungen.
    Die hier erzählte Geschichte hat ihren Ursprung in der römischen Vierkaiserherrschaft (Tetrarchie). Seit Kaiser Diocletian wurde das Römische Reich nämlich von zwei Senioren-Kaisern, die den Titel Augustus führten, regiert. Ab 306 war Konstantin alleiniger Kaiser, (durch Ernennung), der sich auf das gallische Heer stützte; sein Mitkaiser Maximinian (Massiminiano) war weitgehend entmachtet, hat aber auf verschiedenen Wegen versucht, seine Familie (und sich natürlich selbst) an der Macht zu halten. Er war ins Heerlager nach Gallien gereist und hatte mit Konstantin einen Deal geschlossen: Konstantin sollte sich von Minerva, seiner Gemahlin, der Mutter von Flavio Crispo, trennen, und dafür Fausta, Massimianos Tochter, ehelichen.

    Die Konstellation der handelnden Personen in Johann David Heinichens Oper:

    Konstantins Sohn Flavio Crispo aus erster Ehe liebt die englische Prinzessin Elena;

    Fausta, zweite Gemahlin von Konstantin, liebt Crispo,

    Imilee, Tochter der ostfränkischen Königs Assarico, liebt Crispo;

    Giliemo, Heerführer Roms und Freund Flavios, liebt Imilee;

    Massenzio, Faustas Bruder, will Kaiser Konstantin stürzen.


    Flavio Crispo, wurde zu Heinichens Lebzeiten nicht aufgeführt und das könnte gewollt gewesen sein. Den möglichen Grund lieferte Johann Joachim Quantz, der damals in Diensten des Dresdner Hofes stand, in seiner Autobiographie. Er schreibt mit Bezug auf den Monat September 1719:

    Nach dem Beylager componirte Hein[i]chen noch eine Oper, welche nach der Zurückkunft des Königs aus Pohlen aufgeführet werden solte. Bey der Probe aber, die auf dem königlichen Schlosse, in Gegenwart des Musikdirectors Baron von Martax gehalten wurde, machten die beyden Sänger, Senesino und Berselli einen ungeschliffenen Virtuosen-Streich. Sie zankten sich mit dem Capellmeister Hein[i]chen über eine Arie, wo sie ihm, einem Manne von Gelehrsamkeit, der sieben Jahre sich in Wälschland aufgehalten, Schuld gaben, dass er wider die Worte einen Fehler begangen hätte. Senesino, welcher seine Absichten schon nach England gerichtet haben mochte, zerriß die Rolle des Berselli, und warf sie dem Capellmeister vor die Füße. Dieses berichtete man an den König nach Pohlen. […] Es kam ein königlicher Befehl zurück, dass alle wälschen Sänger abgedancket seyn solten. Hiermit hatten die Opern für diesmal ein Ende.


    Die „abgedanckten“ Sänger wandten sich sogleich nach London, wo sie - wie ihnen Georg Friedrich Händel bei seinem Besuch in Dresden 1719 sicherlich schon zugesichert hatte – freundliche Aufnahme bei der Royal Academy of Music fanden.


    An der in Quantz’ Autobiographie mitgeteilten Geschichte muss was wahres dran sein, sonst hätte der Komponist sie nicht verbreiten können. Wenn man nach der Arie sucht, die als Grund für den Zorn der beiden „wälschen“ Sänger verantwortlich gewesen war, dann kommt, nach dem Beiheft der cpo-Aufnahme, nur die Arie des Gilimeo aus dem zweiten Akt in Frage, und die war dem zweiten Sopranisten Matteo Berselli zugewiesen: Sdegno tu cerca ov’io, die im B-Teil zu den Worten ch’a un altro amor lieve la palma eine unverständliche Wendung aufwies, denn eine Verbform lieve existiert nicht. Zudem handelt es sich um eine Umdichtung für die Partitur, denn im Libretto ist der Text korrekt.


    Mit diesem Problem könnte zusammenhängen, dass Heinichens Partitur unvollendet geblieben ist, denn sie endet mit der vorletzten Seite des Librettos. Damit geht einher, dass nur ein äußerst geringer Teil der Musik fehlt. Anscheinend hatte man schon vorher einige Nummern in Stimmen ausgeschrieben, die für Proben verwendet wurden. Es ist ein Glück für die Nachwelt, dass Heinichen, enttäuscht und wahrscheinlich auch wütend, die Partitur nicht vernichtet hat. Er hat sogar, wenn auch nur in geringem Maße, Musik in zwei seiner italienischen Kantaten übernommen: die Arie der Elena Chi chiedesse all’Augeletto, die von A-Dur nach B-Dur transponiert in die Kantate Lieve tuba canara eingegangen und die Arie der Imilee Non perché veda di strano, die untransponiert in die gleiche Kantate einging. Außerdem wäre noch die Arie des Gilimeo aus dem 3. Akt Vuoi di più beltà sdegnata zu nennen, die in die Kantate Fili, che in te rivolta übernommen wurde, die aber nur in einer skizzenhaften Form überliefert ist.

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    MUSIKWANDERER