Schumanns späte Liedsprache: „Sechs Gesänge op.107“ und „Gedichte der Königin Maria Stuart op.135“

  • „Abschied von Frankreich“ (II)

    Diese kompositorische Verfahrensweise der melodischen Hervorhebung jener Worte, in denen die Seelenlage nach Ausdruck sucht, behält Schumann nicht nur im zweiten Vers bei, sie liegt der Liedmusik bis zum Ende zugrunde. Das Wort „Ade“, das den zweiten Vers einleitet und dem Maria kein weiteres Ausrufezeichen, sondern nur ein Komma nachfolgen lässt, erfährt eine Akzentuierung dadurch, dass die melodische Linie, nun in einem harmonisch weitab liegenden und klanglich hellen C-Dur harmonisiert und erneut mit dem Crescendo/Decrescendo versehen, einen gedehnten Legato-Quartanstieg auf der Silbe „a“ beschreibt, dem bei „-de“ eine lange Dehnung auf der damit erreichten tonalen Ebene nachfolgt.

    Auf den Worten „mein fröhlich“ beschreibt die melodische Linie einen Sekundfall, der sich bis zur ersten Silbe von „Frankenland“ fortsetzt, auf den beiden nachfolgenden Silben des Wortes in einen Sekundanstieg übergeht, der auf sprachlich widersinnige Weise bei der Schlusssilbe „-land“ in eine lange Dehnung im Wert einer halben Note mündet. Die Harmonik, die zuvor eine Wandlung von G-Dur zu Doppeldominante A-Dur vollzog, kehrt hier zur Dominante D-Dur zurück. Das Wort „Frankenland“ erfährt, so empfindet man das, eine musikalische Hervorhebung, die sich zugleich als Öffnung für das präsentiert, was melodisch nachfolgt.

    Es ist poetisch vielsagend und affektiv bedeutungsschwer, weil das Wort „Heimat“ beinhaltend, und die Melodik reflektiert das dergestalt, dass sie zunächst eine Bogenbewegung beschreibt, in der die Worte „ich“ und der Sekundfall auf „liebste“ eine kleine Dehnung tragen, zu dem Wort „fand“ aber zu einem Sextsprung übergeht, der mit einem Crescendo versehen ist und mit einer Wandlung der Harmonik von G-Dur nach C-Dur einhergeht. Nicht auf dem Wort „Heimat“ gipfelt die melodische Linie auf, auf diesem liegt nur der die Abwärtsbewegung beschließende Sekundfall, sondern auf dem Verb „fand“. Schumann will also, und das ist typisch für sein auf Einfühlung in das lyrische Ich basierendes liedkompositorisches Konzept, nicht das affektive Potential des Wortes „Heimat“ zum Ausdruck bringen, sondern das subjektive des Heimat-Habens.

    Und dementsprechend legt er auch die melodische Linie auf den nachfolgenden Worten des vierten Verses „Du meiner Kindheit Pflegerin“ an. Sie geht dieses Mal ohne Pause und mit einem Decrescendo in eine Fallbewegung über, die eine Sekunde tiefer als die Aufgipfelung bei dem Wort „fand“ in Gestalt einer Dehnung auf „du“ ansetzt, und damit den sich auf die „Heimat“ gerichteten Anrede-Aspekt akzentuiert. Der Fall setzt sich danach, in G-Dur harmonisiert, in Gestalt von Sekundschritten bis zu dem Wort „Kindheit“ fort. Dann aber ereignet sich bei „Pflegerin“ ein Abbruch dieser Abwärtsbewegung, die melodische Linie geht mit einem Terzsprung zu einem gedehnten Sekundfall mit nachfolgender Tonrepetition über, der mit einer harmonischen Wandlung zur Dominante D-Dur verbunden ist und dieses Wort stark hervorhebt. Das wirkt sich bis in die Gestalt der wie immer die melodische Linie begleitenden Sechzehntelfiguren aus. An dieser Stelle tritt ein triolisches Legato in sie, und das setzt Schumann als emotionale Komponente in der nach einer Achtelpause einsetzenden Melodiezeile auf den Worten des fünften Verses gleich noch einmal ein: Auf dem als Anrede-Personalpronomen auftretenden „du“.

    Die Worte „Ade, du Land, du schöne Zeit“ weisen in ihrem Gestus der zweimaligen Anrede ein hohes affektives Potential auf. Die melodische Linie reflektiert das, indem sie wieder in den Gestus ihres Anfangs auf den Worten „Ich zieh´ dahin“ verfällt, den in eine Dehnung mündenden Aufwärtsschritt. Nur ist es dieses Mal kein in der tonalen Ebene ansteigender und im Intervall von der Sekunde zur Terz sich erweiternder, vielmehr ein dreimaliger, der sich in der tonalen Ebene um eine Sekunde absenkt und dies sogar in dem Sekundenintervall, in dem er sich ereignet. Denn der deklamatorische Sekundschritt auf den Worten „du schöne“ setzt zwar wieder auf der tonalen Ebene von dem auf „Ade“ an, schafft es aber nicht mehr über eine volle Sekunde, sondern nur mehr über eine kleine und leitet damit den lang gedehnten, und weil mit einer harmonischen Wandlung nach g-Moll einhergehenden und überaus schmerzlich anmutenden Terzfall auf diesem Wort ein.

    Es war eine „schöne Zeit“ in diesem als „Heimat“ erfahrenen und erlebten „Land“, aber nun im Augenblick des Abschied-nehmen-Müssens davon stellt sich großer seelischer Schmerz ein. Schumanns Liedmusik lässt das auf höchst eindrückliche Weise vernehmen. Auf den Worten „mich trennt das Boot“ beschreibt die melodische Linie eine ähnliche Bewegung wie auf „du schöne Zeit, nur dass der Fall, der sich nach der Dehnung auf „trennt“ ereignet, einer über eine Quarte und in H-Dur harmonisierte ist und die Harmonik beim nachfolgenden Sekundanstieg auf „das Boot“ eine Wandlung nach e-Moll vollzieht.
    Das Boot führt sie weg von der geliebten Heimat. Und deshalb geht die melodische Linie, versehen mit einem Crescendo und nun in C-Dur harmonisiert, bei „vom Glück“ in einen Quartsprung über, dem unmittelbar danach ein verminderter Quartfall nachfolgt, bevor sie sich dann über einen Sekundschritt aufwärts bei „weit“ einer kleinen Dehnung überlassen kann.

  • „Abschied von Frankreich“ (III)

    Auch den Worten „Doch trägt's die Hälfte nur von mir“ wohnt ein hohes Potential an schmerzlichen Emotionen inne, und deshalb vollzieht die melodische Linie zwei Mal einen verminderten Sekundschritt. Der erste, ein aufwärtsgerichteter, ereignet sich auf den Worten „doch trägt´s“. Er mündet in eine kleine Dehnung und ist in die im Quintenzirkel weitab liegende Tonart His-Dur gebettet. Man vernimmt das, als sei dieses Tragen selbst für das lyrische Ich zu einem schmerzerfüllten Akt geworden. Der zweite verminderte Sekundschritt ist ein fallender. Die melodische Linie beschreibt ihn von den Worten „von mir“, und die Harmonik vollzieht dabei eine Wandlung von dem e-Moll, in das der gedehnte Quartfall auf dem Wort „Hälfte“ gebettet ist, eine Wandlung nach E-Dur. Dem lyrischen Ich wird die Realität des unabänderlichen Geschehens bewusst.

    Die Worte „Ein Teil für immer bleibet dein“ muten an wie ein kläglicher Akt der Selbsttröstung in diesem Augenblick des Abschied-Nehmens, und so hat Schumann sie auch gelesen. Er lässt die melodische Linie auf ihnen nämlich einen Fall über das große Intervall einer None beschreiben, und dieser ist vielsagend angelegt. Er erfolgt nämlich nicht kontinuierlich, vielmehr hält er nach einem auf einem hohen „E“ ansetzenden Quintfall bei „Teil“ in einer Dehnung kurz inne, setzt, in a-Moll harmonisiert, mit einer Tonrepetition zu einem Sekundanstieg an, und nun ereignet sich bei den Worten „bleibet dein“ ein höchst ausdrucksstarker gedehnter und verminderter Septfall mit einer Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „Dis“ in tiefer Lage.
    Das Klavier, das zuvor noch die kurze melodische Aufwärtsbewegung der melodischen Linie wieder einmal mit der triolischen Variante seiner Sechzehntelfigur begleitet hat, lässt dazu nun „sfp“ einen sechsstimmigen Akkord in einem verminderten A-Dur erklingen. Das stellt, mitsamt dem verminderten Septfall der Melodik, eine über das semantische Potential des lyrischen Textes hinausgehende Akzentuierung der schmerzlichen Empfindungen des lyrischen Ichs bei seinem Versuch dar, etwas Tröstliches in dieser Situation des Abschieds zu finden.

    Die beiden letzten Verse sind, da sie eine syntaktische Einheit bilden, in einer Melodiezeile zusammen gefasst. Maria bittet das Land Frankreich, weil es in ihm nun einen Teil von ihr zurücklässt, eben deshalb des anderen Teils, zu gedenken, eine Bitte, der die Angst zugrunde liegt, die personale Einheit zu verlieren. Auch diese existenzielle Dimension der so einfach auftretenden lyrischen Aussage erschließt Schumanns Melodik und lässt sie erfassbar werden. In dieser, den lyrischen Text interpretierenden Fähigkeit wurzelt ihre liedkompositorische Größe. Auf den Worten „Mein fröhlich Land, der sage dir“ beschreibt die melodische Linie nach einem auftaktigen Quartsprung auf dem Wort „fröhlich“ einen lang gedehnten und in H-Dur harmonisierten Fall über eine Quarte zurück zu ihrem Ausgangspunkt auf der tonalen Ebene eines „Fis“ in tiefer Lage.

    Und wieder versieht Schumann das mit dieser unmittelbar aufeinanderfolgenden Kombination aus Crescendo und Decrescendo. Schon im nächsten Takt geschieht das bei den Worten „sage dir“ erneut. Es stellt ein kompositorisches Grundmerkmal dieses Liedes dar und ist wohl so zu verstehen, dass Schumann damit die Seelenlage Maria Stuarts zum Ausdruck bringen will: Ihre im Gestus der Ansprache erfolgenden Aussagen bleiben bei all dem ihnen innewohnenden großen emotionalen Potential gleichwohl monologische. Das ist ihr bewusst, und deshalb immer wieder der Einbruch eines Decrescendos in die ausdrucksstark vorgebrachten lyrischen Aussagen, - so wie hier bei dem Anrede-Bekenntnis, Frankreich als ein „fröhlich Land“ erfahren zu haben.

  • „Abschied von Frankreich“ (IV)

    Bei den Worten „der sage dir“ kehrt die melodische Linie über einen Sekundschritt zu dieser tonalen Ebene des „Fis“ zurück, beschreibt dort, nun in e-Moll gebettet, eine gedehnte Tonrepetition, der ein in eine neuerliche Dehnung mündender Quartsprung bei „dir“ nachfolgt, wobei die Harmonik wieder zu ihrem H-Dur zurückkehrt. Darin drückt sich der Anrede-Gestus aus, aber es ist wegen der kurzen harmonischen Wandlung nach e-Moll und dem erwähnten Drecrescendo ein gebrochener. Das lyrische Ich hätte gar gerne, dass seine Anrede beim Adressaten ankommt und Erfüllung findet, aber es ahnt im tiefsten Innern, dass das nicht der Fall sein wird.

    Und daraus erklärt sich auch die Anlage der Melodik auf den Worten des Schlussverses und überdies auch noch die Tatsache, dass Schumann diesem ein zweimaliges „Ade“ hinzufügt. Der Originaltext weist das nicht auf, er endet in den Worten „Pour que de l´autre il te souvienne“. Es ist wieder dieser für den die existentielle Situation des Abschied nehmen Müssens und die damit einhergehende seelische Befindlichkeit reflektierende Eigenart der Melodik des Bruchs im augenblicklichen Willen zur Expressivität. Nur ereignet er sich hier, am Ende des Liedes, nicht in Gestalt des üblichen „Crescendo-Decrescendos“ , vielmehr in Gestalt eines kurzen Anstiegs der Melodik in ein Forte, das nachfolgend in ein Piano übergeht und im zweifachen „Ade“-Piano seine Bekräftigung als die Seelenlage des lyrischen Ichs reflektierende melodische Äußerung erhält.

    Bei den Worten „des andern“ geht die melodische Linie, in e-Moll harmonisiert, mit einem Sekundsprung in eine Tonrepetition auf der Ebene eines „G“ in unterer Mittellage über, bei „eingedenk“ beschreibt sie anschließend einen ausdrucksstarken Sextsprung zur Ebene eines „E“ in hoher Lage, um sich dort im Fortepiano einer langen Dehnung zu überlassen. Das Wort „eingedenk“ erfährt neben diesem melodischen Schritt auch deshalb eine starke Akzentuierung, weil das Klavier ihn mit einem lang gehaltenen und ebenfalls mit einem „fp“ versehenen C-Dur-Akkord begleitet, so dass die Dehnung in diese Tonart gebettet ist. Auf der zweiten und der dritten Silbe von „eingedenk“ geht die melodische Linie in einen Fall über eine Terz und eine Sekunde über, nun in ein „a-Moll“ gebettet, und diese Abwärtsbewegung setzt sich bei „zu sein“ in Gestalt zwei weiterer Sekundschritte fort, wovon der letzte, also der auf dem Wort „sein“ eine lange Dehnung darstellt.

    Diese ist aber nicht, wie man eigentlich nun erwartet, in die Grundtonart G-Dur gebettet, sondern in ein im Quintenzirkel weitab liegendes Gis-Dur, das während des nachfolgenden kurzen Zwischenspiels aus aufsteigenden Sechzehnteln noch innerhalb des Taktes zur Dominantseptvariante übergeht. Sie signalisiert: Es ist noch nicht alles gesagt. Schumann will, wie er das ja in der ganzen vorangehenden Liedmusik getan hat, den Aspekt „Abschied nehmen Müssen“ stark hervorheben, und deshalb erklingt das Wort „Ade“ am Schluss des Liedes zwei Mal. Dies aber, und das ist bemerkenswert, nicht auf melodisch identische, sondern sich stark voneinander abhebender Weise. Beim ersten Mal in Gestalt eines in e-Moll gebetteten und in eine Dehnung mündenden Quartsprungs, nach einer Dreiachtelpause, in der das Klavier weiter seine Figuren aus aufsteigenden Sechzehnteln erklingen lässt, dann aber in einem melodischen Fall über eine Quinte, wobei die Harmonik nun eine Rückung von H-Dur nach der Grundtonart e-Moll vollzieht und die melodische Dehnung im Grundton auf tiefer Lage erklingt.

    Das ist ein „Ade“, das aus dem Gestus der leicht schmerzlichen Klage in den des entschiedenen Abschied-Nehmens übergeht. Darin drückt sich das Verständnis Schumanns von Maria Stuart als die starke Frau aus, die sie historisch ja auch tatsächlich war. Und deshalb hat er ja auch an keiner Stelle seiner Liedmusik einen weinerlich-klagenden Ton aufkommen lassen.
    Es ist alles gesagt. Nur noch zwei Takte Nachspiel folgen, in denen das Klavier, dabei ohne in den Gestus des Kommentars überzugehen, nur noch seine Sechzehntel-Figuren in einen fermatierten, vierstimmigen und piano ausgeführten e-Moll-Akkord münden lässt.

  • „Nach der Geburt ihres Sohnes“, op.135, Nr.2

    Herr Jesu Christ, den sie gekrönt mit Dornen,
    Beschütze die Geburt des hier Gebor'nen.
    Und sei's dein Will', lass sein Geschlecht zugleich
    Lang herrschen noch in diesem Königreich.
    Und alles, was geschieht in seinem Namen,
    Sei dir zu Ruhm und Preis und Ehre, Amen.

    Im sprachlichen Gestus und in ihrer Semantik stellen diese Verse ein Gebet dar. Das Beeindruckende und Berührende an ihnen ist, dass sie im Zugleich von Retrospektive und dem Wissen um den bevorstehenden Tod formuliert wurden. Deshalb die Bitte an den „Herrn Jesu Christ“, er möge den „hier Gebor´nen“ nicht nur beschützen, sondern auch sein Geschlecht in diesem Königreich herrschen lassen. Dass das ja auch ihr Geschlecht ist, unterdrückt sie dabei, und diese menschliche Größe des Absehens von sich selbst findet auch in den Schlussworten dieses Gebets zum Ausdruck. Alles, was in seinem Namen geschieht, sei, so wünscht sie sich das, zu Jesu „Ruhm, Preis und Ehre“. Ihr eigenes Schicksal bleibt in diesem Gebet ganz und gar unberücksichtigt.

    Wies das erste Lied in seiner Melodik und dem ihr zugeordneten Klaviersatz noch einen Anflug vom Geist des romantischen Klavierliedes auf, so ist es damit nun in diesem Opus 135 vorbei. In ihrer Anlage aus vorwiegend repetitiven, auf der tonalen Ebene verharrenden deklamatorischen Schritten, die am Ende der Zeile in einen Fall mündend, wohnt der Melodik der Geist des Psalmodierens inne, und dem entspricht der Klaviersatz, der durchgehend aus lang gehaltenen Akkorden im Wert von halben oder gar den ganzen Takt einnehmenden Noten besteht. Die harmonischen Wandlungen, die sich in der Aufeinanderfolge der Akkorde innerhalb eines Taktes ereignen, erfolgen allesamt legato, und die einzige innere Bewegtheit, die der Klaviersatz aufweist, kommt dadurch zustande, dass fünf Mal die harmonische Rückung durch einen vorgelagerten Viertelakkord erfolgt, dies aber ebenfalls legato.

    Von einer eigenartigen klanglichen Starre ist diese Liedmusik geprägt. Sie reflektiert darin, und dies auf höchst eindrückliche Weise, den lyrischen Text, der sich in seiner Prosodie, den Versen aus fünffüßigen Jamben mit wechselweise klingender und stumpfer Kadenz und Paarreim, seinem an Jesus Christus sich richtenden Ansprache-Gestus und das explizite „Amen“ am Ende als Gebet präsentiert, also im Raum von Ruhe, Stille und monologischer Einsamkeit stattfindet.


  • „Nach der Geburt ihres Sohnes“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    „Langsam“ soll die Liedmusik vorgetragen werden, und dies durchweg im Piano. Nur drei Mal ereignet sich in der Melodik ein Crescendo, das aber sofort wieder in ein Decrescendo umschlägt. Und das gilt auch für den Klaviersatz. Auch er verharrt im Piano, wagt sich an keiner Stelle in die Eigenständigkeit vor, etwa in Gestalt einer Akzentuierung der Aussage der Melodik mittels eines Ausbruchs ins Forte etwa, verbleibt also ganz und gar in seiner Funktion des Einfügens der Melodik in ein klangliches Bett. Auf den Worten „Herr Jesu Christ“, beschreibt die melodische Linie einen Fall über zwei Sekunden in unterer Mittellage, dies aber mit einer eingelagerten gedehnten Tonrepetition bei „Jesu“. Die Harmonik, die in der Grundtonart e-Moll einsetzt, geht hier nach D-Dur über, um bei dem Sekundfall auf „Christ“ wieder zu e-Moll zurückzukehren. Das Wort „Jesu“ erfährt auf diese Weise eine leichte Akzentuierung.

    Die Art und Weise, wie die Melodik sich in dieser kleinen, das Lied einleitenden und von einer Achtelpause gefolgten Melodiezeile entfaltet, ist typisch für ihren Gestus, den sie das ganze Lied über beibehält: Eine Fallbewegung in ruhigen deklamatorischen Schritten über das kleine Intervall einer Sekunde, mit nur zwei Ausnahmen niemals größer, und wie zur Steigerung dieser Ruhe in der Abwärtsbewegung ein Innehalten in der Tonrepetition. Der liedmusikalische Gestus des Gebets also. Die Bewegung, die die melodische Linie bei den zum ersten Vers gehörenden Worten „den sie gekrönt mit Dornen“ beschreibt, mutet wie eine Wiederkehr der ersten Melodiezeile in deklamatorisch gesteigerter Gestalt an. Sie setzt, nun in a-Moll harmonisiert, auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene ein, beschreibt wieder diese Figur mit Sekundfall und nachfolgender gedehnter Tonrepetition, der sich bei „gekrönt“ anschließende Sekundschritt abwärts geht dann aber bei „mit Dornen“ erst in eine nun dreimalige Tonrepetition über, bevor der letzte Sekundfall erfolgen kann. Das Wort „Dornen“ erfährt dabei nicht nur durch diesen eine sanfte Hervorhebung, dies geschieht durch das hier erstmals auftretende Crescendo/Decrescendo und vor allem durch die später nur noch zwei Mal erfolgende Wandlung in eine verminderte Harmonik, hier ein vermindertes G-Dur. Das ist, neben der zwei Mal in gleicher Weise auftretenden, die Sekunde gleichsam rabiat überschreitenden Fallbewegung über eine veritable Oktave, das Höchste an Expressivität, was sich die Liedmusik hier leistet.

    Die nächste Melodiezeile umfasst nun den ganzen zweiten Vers. Im Fall des ersten war das ja nur deshalb anders, weil Schumann die Anrede „Herr Jesu Christ“ als solche hervorgehoben wissen wollte. Und weil es nun um die Äußerung einer sich an diesen „Jesus Christus“ richtenden Bitte geht, weist die Melodik eine stärkere Binnendifferenzierung auf, ohne dabei freilich ihren deklamatorischen Grund-Gestus aufzugeben.
    Bei dem Wort „beschütze“ setzt sie mit einem in eine Repetition übergehenden Sekundschritt ein, wobei die Harmonik, von dem Moll ablassend sich nun dem Tongeschlecht Dur zuwendet und eine Wandlung von H-Dur nach E7 vollzieht. Das ist eine von den wenigen harmonischen Rückungen, die in Gestalt eines einem lang gehaltenen Akkord vorgelagerten Viertel-Akkord erfolgen. Sie ereignet sich auf dem Wort „beschütze“, und die nachfolgende Melodik auf den Worten „die Geburt“ begleitet das Klavier nun mit einem sogar drei Viertel in Anspruch nehmenden Dominantseptakkord in der Tonart „E“.

    Bei dem „hier Gebor´nen“ handelt es sich um Marias Sohn. Er verdient bei den seinen Auftritt betreffenden Worten „seine Geburt“ erst einmal Dur-Harmonik. Sie tritt aber als Dominante auf, und warum das so ist, wird im weiteren Verlauf der Melodik klar. Nachdem sie bei „die Geburt“ einen Sekundanstieg zur Ebene eine „A“ in mittlerer Lage vollzogen hat, geht Die Melodik bei „des hier“ in einen verminderten Sekundanstieg über, bei dem die Harmonik die ausdrucksstarke Wandlung von a-Moll zur Dominantseptversion der Tonart „Fis“ beschreibt. Bei dem Wort „Gebor´nen“ beschreibt sie einen Sekundanstieg, dem etwas in dieser Liedmusik etwas Außergewöhnliches nachfolgt: Ein stark gedehnter Fall über eine ganze Oktave, bei dem die Harmonik eine Rückung von der vorangehenden, als Dominante auftretenden Tonart „Fis“ nach H-Dur vollzieht. Ein Oktavfall, wo doch sonst in diesem Lied alle Abwärtsbewegungen der Melodik über das Intervall einer Sekunde erfolgen. Ein derart expressives melodisches Ereignis wird in diesem musikalischen Umfeld zu einem regelrecht herausragenden.

  • „Nach der Geburt ihres Sohnes (II)

    Was mag sich Schumann dabei gedacht haben?
    Die Antwort auf diese Frage kann bei ihm nur im lyrischen Text zu finden sein. Und dabei ist zu bedenken, dass sich dieser so außergewöhnliche melodische Fall am Ende der Melodiezeile auf dem zweitletzten Vers noch einmal ereignet, also auf den Worten „Und alles, was geschieht in seinem Namen“. Und nicht nur das. Die ganze Liedmusik, also Melodik, Harmonik und Klaviersatz, ist mit der des zweiten Verses identisch. Schuman hat wohl in diesen beiden Versen den Kern der sich in diesem Gebet an Jesus Christus richtenden Bitten Maria Stuarts gesehen. Und deshalb war es für ihn von großer Bedeutung, die diesen zugrunde liegende seelische Haltung Marias, so wie er sie dem Text entnehmen zu können meinte, mit seinen musikalischen Mitteln zu erschließen.

    Und da sind es zwei kompositorische Elemente, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind: Das kurze Eindringen des Tongeschlechts Moll (a-Moll) in die ansonsten ganz und gar in Dur harmonisierte Melodik dieser Zeile bei vermindertem Sekundsprung auf den Worten „des hier“, bzw. „in seinem“, und zweitens besagter Oktavfall auf „Gebor´nen“, bzw. „Namen“. Wenn man bedenkt, dass diese für sie als Mutter und gläubige Christin mit einer absolut positiven kognitiven und affektiven Konnotation verbunden sein müssten, die Harmonik also im Dur verbleiben und die Melodik mindestens auf der tonalen Ebene verharren, wenn nicht gar eine Aufwärtsbewegung beschreiben sollte, dann können diese beiden Elemente nur so verstanden werden, dass die Bitten Marias in tiefer Verzweiflung vorgebracht werden, für sie von höchster existenzieller Bedeutung sind, aber einhergehen mit schmerzlicher Ungewissheit und beängstigendem Zweifel am Erhört-Werden und an der Erfüllung.

    Das ist es, diese sich bis im kleinsten Detail der Liedmusik niederschlagende Einfühlung in die seelische Befindlichkeit einer ihres gewaltsamen Todes gewissen Frau, was sie zu einer wahrlich großen macht. Und so ist denn angesagt, der Frage nachzugehen, wo und in welcher Gestalt dies des Weiteren geschieht. Die Verse drei und vier fasst Schumann, da sie eine syntaktische Aussage-Einheit bilden, in einer Melodiezeile zusammen. Maria ist, ihren Tod vor Augen, besorgt um ihr Königreich und die Thronfolge, und bittet Jesus darum, dass ihr Sohn, der „hier Gebor´ne“, diese übernehmen und lange herrschen könne. Das ist ja ihr einziges Anliegen in diesem Gebet, aber auch hier meint man in der Liedmusik, in die Schumann diese Verse gesetzt hat, einen Unterton von schmerzlicher Trauer zu vernehmen. Oder ist es gar Resignation?

    In keiner anderen Melodiezeile ist der für dieses Lied so typische deklamatorische Gestus des repetitiven Verharrens auf einer in Moll gebetteten und sich langsam über Sekundintervalle absenkenden tonalen Ebene so stark ausgeprägt wie hier. Bei den Worten „Und sei's dein Will'“ senkt sich die melodische Linie von der Ebene eines „A“ in mittlerer Lage um eine Sekunde ab, wobei die Harmonik eine Rückung von H-Dur nach e-Moll beschreibt. Danach folgt bei „Will´“ ein weiterer Sekundfall, und nun ereignet sich auf den Worten „lass sein Geschlecht“ eine dreischrittige, sogar als Triole angelegte Repetition, die in eine harmonische Rückung von d-Moll nach e-Moll gebettet ist und auf der zweiten Silbe von „Geschlecht“ über einen weiteren abwärts gerichteten Sekundschritt in einer kleinen Dehnung endet.

  • „Nach der Geburt ihres Sohnes" (III)

    So als wolle die Melodik neu ansetzen, nun aber auf einer um eine Sekunde angehobenen tonalen Ebene, setzt sie bei den Worten „zugleich lang herrschen“, nun aber von der Ebene eines „H“ aus, wieder mit einem Sekundfall mit nachfolgender zweimaliger Repetition ein, wobei die harmonische Wandlung jetzt von A-Dur nach e-Moll erfolgt. Dieser langsame Anstieg der tonalen Ebene ist ein von Schumann in diesem Lied eingesetztes kompositorisches Mittel, um die Eindringlichkeit der von Maria geäußerten Bitten zum Ausdruck zu bringen. Nun aber, nach dem wie zuvor schon sich ereignenden weiteren Sekundfall, verharrt die melodische Linie bei den Worten „herrschen noch in diesem Königreich“ wie festgehalten auf der mit diesem Fall erreichten tonalen Ebene eines „G“ in mittlerer Lage in repetitiver silbengetreuer Deklamation, um erst auf den beiden letzten Silben von „Königreich“ einen weiteren Sekundfall mit Tonrepetition zu vollziehen. Und was die Harmonisierung dieser so ungewöhnlichen Melodik anbelangt, so ist bemerkenswert, dass das e-Moll, in das sie gebettet ist, am Ende, bei den Worten „in diesem Königreich“ in die Chromatik der Verminderung umschlägt, - in Gestalt eines wie üblich lang gehaltenen vermindertes G-Dur-Akkords.

    Die Melodik auf den Versen drei und vier wurde deshalb so detailliert beschrieben, weil sie sinnfällig macht, wie Schumann diese Maria Stuart in ihrer existenziellen Situation und seelischen Befindlichkeit verstanden hat: Als im Gestus des Gebets nicht um das eigene Leben, sondern das des Sohnes als künftigen Herrschers inständig bittende, darin aber gegen tiefe Hoffnungslosigkeit ankämpfende Frau. Das ist ein tief berührendes, weil vermutlich realistisches Bild der historischen Gegebenheiten, was man da liedmusikalisch vernimmt. Die letzte Melodiezeile bringt die innere Haltung und die seelische Befindlichkeit Maria Stuarts, so wie Schumann sie den von ihr - angeblich - verfassten lyrischen Zeilen entnommen hat, auf höchst eindrückliche Weise zum Ausdruck. Sie erklingt, obwohl sie in ihrer textlichen Grundlage syntaktisch der Melodik des fünften Verses zugehörig ist (die, wie bereits angedeutet, eine Wiederholung der des zweiten Verses darstellt), erst nach einer Pause im Wert von zwei Vierteln.
    Will Schumann damit einen Augenblick der Selbstbesinnung Marias musikalisch zum Ausdruck bringen, bevor sie aus der Haltung der Bittenden zu der des Lobpreises übergeht? Vielleicht, weil sie sich wie zu einer Pflicht erst durchringen muss?

    Das reicht stark an spekulative Interpretation heran, aber etwas spricht dafür. Für einen Lobpreis Jesu mutet diese Melodiezeile in ihrer Anlage, dem durchgängigen, von einer kurzen Achtelpause unterbrochenen Fallgestus und ihrer Einbettung in Moll ja gar verminderte Harmonik geradezu verwunderlich an. Auf den Worten „Sei dir zu Ruhm“ beschreibt sie die gleiche, nur eine Sekunde höher ansetzende melodische Figur aus Sekundfall, gedehnter Tonrepetition und weiterem Sekundschritt abwärts wie auf den Worten „Herr Jesu Christ“, mit einer wichtigen Abweichung allerdings. Der Anfang ist wieder in e-Moll harmonisiert, dann aber folgt nach dem zweiten Sekundfall verminderte Dis-Harmonik nach, und das ausgerechnet auf dem Wort „Ruhm“. Und dann schließt sich auch noch eine Achtelpause an. Das ist kein Preisen, das aus freudigem Herzen kommt. Dieses Herz ist in all seiner Trauer und Hoffnungslosigkeit müde und kraftlos.

    Und das bringt auch der weitere Verlauf der Melodik auf den Worten „ und Preis und Ehre“ zum Ausdruck. Wieder der in eine gedehnte Repetition übergehende Sekundfall, nun eine Terz tiefer ansetzend und e-Moll harmonisiert. Dann aber ein repetitives Verharren auf der damit erreichten tonalen Ebene eines „E“ in tiefer Lage. Auf „Ehre“ dann ein gewichtiger, weil im Wert von halben Noten erfolgender Sekundfall, der bemerkenswerterweise aber ein kleiner ist, einhergehend mit einer harmonischen Wandlung von a-Moll nach H-Dur. Davon erhebt sich die melodische Linie war wieder, mit einem verminderten Sekundschritt aufwärts zu der Ebene des „E“, auf der der Fall bei „Ehre“ einsetzt.

    Das so bedeutsame, das Gebet beschließende „Amen“ muss noch erklingen. Das geschieht auf eben dieser tonalen Ebene, die ja die der Tonika ist, und es geschieht, wie typisch für dieses Lied, in einer höchst gewichtigen, weil eineinhalb Takte einnehmenden deklamatorischen Tonrepetition.
    Aber wenn man nun erwartet, dass die Harmonik wenigstens auf der zweiten Silbe dieses die subjektive Aussage-Ebene transzendierenden Wortes das so dominante Moll verlassen und zur Dur-Variante der Grundtonart a-Moll übergehen würde, so erlebt man eine Enttäuschung. Die deklamatorischen Tonrepetition auf den beiden Silben von „Amen“ ist in einer von a-Moll nach e-Moll harmonisiert.
    Die Liedmusik ist zu Ende. Es gibt nichts mehr zu sagen. Die arme, todgeweihte Maria Stuart findet aus ihrer Hoffnungslosigkeit nicht mehr heraus.

  • „An die Königin Elisabeth“, op.135, Nr.3

    Nur ein Gedanke, der mich freut und quält,
    Hält ewig mir den Sinn gefangen,
    So daß der Furcht und Hoffnung Stimmen klangen,
    Als ich die Stunden ruhelos gezählt.

    Und wenn mein Herz dies Blatt zum Boten wählt,
    Und kündet, Euch zu sehen, mein Verlangen,
    Dann, teure Schwester, fasst mich neues Bangen,
    Weil ihm die Macht, es zu beweisen, fehlt.

    Ich seh´ den Kahn, im Hafen fast geborgen,
    Vom Sturm und Kampf der Wogen festgehalten,
    Des Himmels heit'res Antlitz nachtumgraut.

    So bin auch ich bewegt von Furcht und Sorgen,
    Vor Euch nicht, Schwester! Doch des Schicksals Walten
    Zerreißt das Segel oft, dem wir vertraut.

    Das Briefblatt soll Bote sein, der ihrer Großcousine Elisabeth, die sie hier liebevoll als „Schwester“ anspricht, ihren Wunsch überbringen soll, sie zu sehen. Es ist ein starker, er wird sogar als „Verlangen“ bekannt. Um diesen kreisen die Gedanken und Emotionen, die Inhalt dieses Gedichts sind, das in seiner prosodisch strengen inneren Anlage aus fünf- und vierhebig jambischen, wechselnd stumpfer und Kadenz und umarmendem Reimschema gefügten Versen anmutet, als wolle Maria Stuart all das, was sie bei diesem „Gedanken“ eines Besuchs bei Elisabeth „freut und quält“, in eine Ordnung bannen, auf dass sie nicht von ihm überwältigt wird.

    Es ist, und das stellt die zentrale Aussage dieses Gedichts dar, nicht die Ungewissheit des Empfangen-Werdens durch „die Schwester“ Elisabeth. Marias „Furcht und Sorgen“ kommen nicht von daher. Es ist Ungewissheit, ob es den Weg dahin geben wird, die Reise hin zu Elisabeth zustande kommen mag, die sie auslöst. Dahinter steht eine im realen Lebensschicksal dieser Maria Stuart wurzelnde menschliche Grundhaltung.

    Deshalb die dritte Strophe mit ihren lyrischen Bildern vom „im Hafen fast geborgenen“, „vom Sturm und Kampf der Wogen festgehaltenen“ Kahn und dem „nachtumgrauten“ Antlitz des Himmels. Es sind Bilder tiefer existenzieller Angst und Unsicherheit. Das letzte lyrische Bild bringt sie noch einmal zum Ausdruck: Das Segel, dem wir vertrauen, zerreißt allzu oft durch des Schicksals Walten.

    Tiefe seelische Unruhe und Verstörtheit bringen diese Verse zum Ausdruck, und dies in all ihrer so strikten sprachlichen Ordnung. Und weil Schumanns Liedmusik das nicht nur voll erfasst, sondern sogar noch intensiviert und vertieft, entfaltet sie große Eindrücklichkeit. „Leidenschaftlich“ soll die vorgetragen, ein Viervierteltakt liegt ihr zugrunde, und als Grundtonart ist a-Moll, bzw. seine Dur-Parallele C-Dur vorgegeben.

    Die innere Unruhe des lyrischen Ichs, Marias eben, schlägt sich nieder in einer durch Punktierung rhythmisierte, deklamatorisch kurzschrittig angelegten und in ihrer engen Bindung an die lyrische Sprache stark rezitativisch geprägten Melodik, einer häufige Wandlungen in den Tonarten und im Tongeschlecht vollziehenden Harmonik, in einem Klaviersatz aus in ihrer lebhaften Bewegtheit ebenso stark rhythmisierten Akkordfolgen und einer Dynamik, die sich aus dem Forte ihres Auftretens immer wieder ins Piano zurücknimmt.
    Dies aber ist nun in Gestalt einer auf angemessene Weise ins Detail gehenden Betrachtung der Liedmusik zu konkretisieren.


  • „An die Königin Elisabeth“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Ein wirkliches Vorspiel gibt es nicht. Weil die Liedmusik so hoch ausgeprägt wortorientiert ist, geht dem Einsatz der Melodik nur eine dreischrittige Akkordfolge voraus, die in einen lang gehaltenen sechsstimmigen a-Moll-Akkord mündet und in dem Forte und dem dominantischen E-Dur ihres Auftretens, ihrer aufsteigenden Anlage und ihrer Rhythmisierung aus Sechzehntel, punktiertem Achtel und neuerlichem Sechzehntel so anmutet, als wolle sie der nachfolgenden melodischen Linie der Singstimme einen sie antreibenden Schub verleihen. Und das ist auch ganz offensichtlich ihre Funktion, denn sie erklingt danach noch weitere drei Mal, und sie verkörpert überdies auch den Geist des ganzen Klaviersatzes.

    Und als wolle die Melodik diesen Geist aufgreifen, ist sie in den Zeilen ihres Auftretens häufig auftaktig angelegt, und dies in gleich mehreren deklamatorischen Schritten. Schon die erste Melodiezeile lässt das vernehmen und erkennen. Sie umfasst, obgleich sie eine Binnen-Achtelpause nach den Worten des ersten Verses aufweist, diese und die des zweiten Verses. Der erste Vers hat sein sprachlich-semantisches Zentrum in dem Wort „Gedanke“, und so setzt die melodische Linie denn bei den vorgelagerten Worten „nur ein“ und der ersten Silbe von „Gedanke“ mit einer fallend angelegten von Folge Sekundschritten ein, die, weil der zweite ein punktiertes Achtel darstellt, der dritte aber ein Sechzehntel, so wirken, als würden sie dem gedehnten Sekundfall auf den Silben „danke“ starkes Gewicht verleihen, zumal das Klavier dazu auch noch einen forte auszuführenden vierstimmigen E-Dur Akkord erklingen lässt.

    Dieses Forte tritt als Anweisung aber als ein Fortepiano auf, und das ist typisch für die subtile Anlage des Klaviersatzes. Denn die Oberstimme des E-Dur-Akkordes beschreibt als Viertel einen verminderten Sekundfall und macht diesen damit zu einem a-Moll-Akkord, der den weiteren Verlauf der melodischen Linie begleitet. Und dies bezeichnenderweise auf den Worten „freut und quält“. Nachdem die melodische Linie auf den Worten „der mich freut“ in einen Sekundanstieg mit nachfolgend gedehnter Tonrepetition übergegangen ist, beschreibt sie bei „und quält“ einen ausdrucksstarken Quintfall in Gestalt einer wiederum rhythmisierten (Sechzehntel und Viertel) deklamatorischen Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „E“ in tiefer Lage.

    Nach der erwähnten, im Vortrag keine wirkliche Unterbrechung mit sich bringenden Achtelpause beschreibt melodische Linie auf den Worten „Hält ewig mir den Sinn gefangen“
    die für sie in diesem Lied typische deklamatorisch kurzschrittige und eilig anmutende Bewegung aus einer dreimaligen, partiell gedehnten Repetition, einer zweimaligen eine Sekunde höher, dann einem Quintsprung zu dem Wort „Sinn“, einer kurzen Dehnung auf demselben und schließlich einem wiederum erst repetitivem und schließlich einschrittigen Sekundfall. Harmonisiert ist sie in D-Dur mit einer Zwischenbewegung nach G-Dur. Erneut erklingt die Klaviersatz-Figur, mit der die Liedmusik einsetzt, und die nachfolgende Melodiezeile umfasst wieder ein Verpaar mit eingelagerter Achtelpause dazwischen, also die Verse drei und vier der ersten Strophe. Der den Schub des kurzen Zwischenspiels gleichsam aufgreifende Auftakt besteht hier bei den Worten „so daß der“ aus einem zweimaligen, in G-Dur harmonisierten Achtelanstieg der melodischen Linie in hoher Lage, dem Wort bei „Furcht“ ein Quintfall nachfolgt, der die Umkehr des vorangehenden Quintsprungs bei dem Wort „Sinn“ darstellt und, von Schumann wohl so gewollt, die innere Einheit der Melodik hervortreten lässt.

    Diese manifestiert sich des Weiteren auch darin, dass die Melodik den kurzschrittigen Gestus der Entfaltung auf fallender, steigender und in Sprünge übergehender tonaler Ebene beibehält. Auf den Worten „Hoffnung Stimmen klangen“ senkt sie sich, harmonisiert in einer Wandlung von F- nach C-Dur, in repetitiven Sekundschritten in tiefe Lage ab, bei „als ich“ vollzieht sie vor dort einen ausdrucksstarken Septsprung, um dann bei den Worten „die Stunden ruhelos gezählt“ in ein Auf und Ab von zweimaligen Repetitionen in mittlerer Lage überzugehen, wobei das Wort „ruhelos“ in seiner Semantik mit einem durch Punktierung gedehnten Sekundfall mit nachfolgend nochmalig rhythmisierter (Sechzehntel / Achtel) Tonrepetition zum Ausdruck gebracht wird. Die Harmonik beschreibt hier eine Wandlung von E-Dur nach H-Dur.

    Wenn man bedenkt, dass sie bei den Worten „Furcht und Hoffnung“ gerade erst eine von C-Dur nach F-Dur vollzogen hat und dass in der Achtelpause ganz kurz ein einmaliger a-Moll-Akkord aufklingt, bevor die Harmonik nun zu H- und E-Dur überwechselt, so erfasst man die diese bei ihrer höchst wichtigen Funktion im liedkompositorischen Erschließen der Semantik des lyrischen Textes und der ihr zugrundeliegenden Seelenlage des lyrischen Ichs. Und auch der Klaviersatz leistet, neben der durch kurzschrittige Rhythmisierung geprägten spezifischen Struktur der Melodik, dazu einen Beitrag, indem zum Beispiel hier die akkordischen Legato-Wandlungen im Diskant bei den Worten „die Stunden“ und „ruhelos“ im Fortepiano ausgeführt werden müssen.

    Nun soll, weil man diesen spezifischen Eigenarten der Musik dieses Liedes immer wieder begegnet, in der Beschreibung von deren nachfolgender Entfaltung nicht weiterhin so ins Detail gegangen werden. Es genügt, sich auf jene Passagen zu beschränken, an denen vernehmbar und ersichtlich wird, wie die Melodik in ihrem rezitativischen Grund-Gestus die für die poetische Aussage des Gedichts konstitutiven Elemente des lyrischen Textes reflektiert. Von besonderer Bedeutung dürften dabei diejenigen sein, über die man Einblick in das Innere der Seele Marias gewinnt. Schon in der zweiten Strophe findet sich eine solche Stelle, dort nämlich, wo sie von ihrem „Verlangen“ und ihrem „Bangen“ spricht. Und diesbezüglich ist nun bemerkenswert, dass Schumann dies nicht mit einer neuen Melodik aufgreift, sondern auf die Worte der zweiten Strophe die gleiche legt wie auf die der ersten. Und nicht nur das: Auch der ihr zugeordnete Klaviersatz ist der gleiche.

  • „An die Königin Elisabeth“ (II)

    Was könnte der Grund dafür sein, dass Schumann hier das Strophenlied-Konzept anwendet, das ein Sich-Einlassen auf die ja doch in ihrem affektiven Potential durchaus unterschiedlichen Äußerungen Marias in der ersten und zweiten Strophe ausschließt?
    Ich denke, das hat seine Ursache in seinem Grundverständnis dieser Maria Stuart. Sie äußert sich hier, und überhaupt in allen fünf ihr zugeschriebenen Texten, in der höfischen Gefasstheit und Selbstkontrolle, die sie in ihrem Stand zu ihrer historischen Zeit zu beachten und gleichsam internalisiert hatte. In schriftlichen Äußerungen verbieten sich da singuläre affektive Ausbrüche.

    Die dramatischen lyrischen Bilder der dritten Strophe, in denen sich die „von Furcht und Sorgen“ tief verstörte Seelenlage Maria Stuarts metaphorisch niederschlägt, fordern dann aber doch eine gesteigerte Expressivität der Liedmusik, allerdings eine, die nicht ins Extrem ausbricht. Das zeigt sich schon darin, dass die Melodik, darin innere Unruhe ausdrückend, anfänglich in kleine Zeilen untergliedert ist. Bei den Worten „Ich seh´ den Kahn“ beschreibt die melodische Linie einen im ersten Schritt kleinen und anschließend gedehnten Sekundanstieg in oberer Mittellage, bei dem das Klavier schweigt und erst den ausdrucksstarken Quintfall auf „den Kahn“ mit zwei Akkorden begleitet, einem Dominantseptakkord in der Tonart „A“ und einem in d-Moll. Diese Rückungen von Dur nach Moll sind ein Grundmerkmal dieses Liedes, sie ereignen sich, als musikalischer Reflex der Seelenlage des lyrischen Ichs, in der dritten Strophe besonders häufig.

    Nun tritt eine Achtelpause in die Melodik, und dieses Mal ist sie sogar vernehmlich. Erst dann setzt diese auf den Worten „ im Hafen fast geborgen“ ihre weitere Bewegung fort. Es ist wieder die für dieses Lied so typische in Gestalt von sich in der tonalen Ebene im kleinen Intervall der Sekunde absenkenden deklamatorischen Tonrepetitionen. Dieses Mal münden sie aber nicht in einen Fall über ein größeres Intervall, sondern nur über eine Sekunde, und erneut folgt eine Achtelpause nach. Die Harmonik vollzieht hier Wandlungen erst von D-Dur nach g-Moll, dann von A-Dur nach d-Moll. Es sind also solche von der Dur-Dominante zur Moll-Tonika, und deshalb weisen sie in ihrer Tongeschlechtlichkeit eine besondere Ausdrucksstärke auf. Das Moll tritt hier dominant auf, die lyrischen Bilder erfordern das, und deshalb steigert sich diese Dominanz bei der Melodik des dritten und vierten Verses auch noch, bezieht sogar noch die harmonische Verminderung ein.

    Das ist gleich bei den Worten „Vom Sturm und Kampf der Wogen“ der Fall. Die melodische Linie beschreibt hier eine Bewegung, die zwar mit einem auftaktigen Sextsprung einsetzt, aber in der Struktur des nachfolgenden Falls an die auf den Eingangsworten „Nur ein Gedanke“ erinnert. Sie wird allerdings anders begleitet, mit expressiven und rhythmisierten sechs- und fünfstimmigen Akkordfolgen nämlich, und sie ist auch anders harmonisiert: In Wandlungen von einem verminderten E-Dur über ein a-Moll nach d-Moll. Bei dem Wort „festgehalten“ geht sie wieder, nun aber vom Klavier mit einem Dominantseptakkord in der Tonart „E“ begleitet, zu ihrem Gestus Sekundfall mit viermaliger Tonrepetition über.

    Das erschreckend düstere lyrische Bild „Des Himmels heit'res Antlitz nachtumgraut“ bringt dann jedoch einen Ausbruch ins Sforzato mit sich. Wie bei den Worten „Sturm und Kampf“ vollzieht die melodische Linie wieder einen Fall, nur ist es dieses Mal einer, der eine Terz höher ansetzt, durchweg über Terzintervalle erfolgt und vom Klavier mit einem lang gehaltenen und sforzato ausgeführten sechsstimmigen d-Moll-Akkord begleitet wird. Auf dem Wort „Antlitz“ liegt zwar ein in Dur-Harmonik (Wandlung von „E7“ nach A-Dur) gebetteter Sekundanstieg in unterer Mittellage, auf „nachtumgraut“ beschreibt die melodische Linie aber einen ausdrucksstarken, in eine Tonrepetition mündenden gedehnten Sekundfall, den das Klavier mit einem dissonanten Sforzato-Akkord begleitet, dem ein e-Moll-Akkord nachfolgt.

    Wie vor jeder Strophe erklingt auch vor der vierten und letzten ein kurzes Zwischenspiel, nun aber nicht in Gestalt einer Variante der kurzen Einleitungsfigur, aber einer, die im Aufschwungcharakter deren Geist atmet. Und sie erklingt gleich darauf noch einmal, in der Achtelpause nach der kleinen Melodiezeile auf den Worten „So bin auch ich“, in der die melodische Linie, in E-Dur mit Wandlung nach a-Moll, die gleiche Bewegung beschreibt wie auf den Worten „Ich seh´ den Kahn“. Wie dort macht Schumann daraus eine eigene kleine Zeile, weil Maria Stuart durch Nutzung des Personalpronomens alle lyrischen Aussagen ausdrücklich als die ihres Ichs hervorhebt. Sie stellt den Bezug zur Metaphorik der dritten Strophe her und bekennt dass sie „bewegt von Furcht und Sorgen ist“.

    Diese ihre tiefe seelische Erregung greift Schumann mit einer sprunghaft angelegten und von einer neuerlichen Achtelpause unterbrochenen Melodik auf: Einem Quintfall mit nachfolgend repetitivem Sekundanstieg und, nach besagter Achtelpause, einem in tiefer Lage ansetzenden Quintsprung, der in einen verminderten Sekundfall übergeht. Die Harmonik beschreibt hier wieder die für die Musik dieses Liedes so typische Wandlung zwischen den beiden Tongeschlechtern, dieses Mal von a-Moll über d-Moll nach E-Dur. Die Semantik und der affektive Gehalt des Wortes „Furcht“ wird auf diese Weise, wie auch durch die Ersetzung des Quintfalls durch einen Sprung über das gleiche Intervall, von jenem des Wortes „Sorgen“ abgehoben.
    Man kann immer wieder nur staunen, wie hochgradig subtil sich Schumanns Liedmusik dem analytischen Blick in die Noten darbietet. Im reinen Hören kann man das kaum erfassen.

  • „An die Königin Elisabeth“ (III)

    Die tiefe innere Erregung bleibt, und das ist nachvollziehbar, für Schumann erhalten, wenn die lyrische Aussage bei den beiden letzten Versen in den Gestus der an Elisabeth sich richtenden Anrede umschlägt. Wieder also die sprunghafte Entfaltung der Melodik und wieder die Brechung ihrer Linie in Gestalt einer Anlage in kleinen Zeilen. Auf besonders eindrucksvolle Weise ereignet sich das bei den Worten „Vor euch nicht, Schwester!“. Hier greift Schumann gar zur Wiederholung. Auf „vor euch nicht“ beschreibt die melodische Linie einen ohne Klavierbegleitung erfolgenden verminderten Terzanstieg in mittlerer Lage, der in einen Sekundfall mündet. Dann werden diese Worte nach einer Achtelpause noch einmal deklamiert, nun aber in Gestalt eines expressiven und in eine kleine Dehnung in hoher Lage mündenden Quintsprungs, der bei „nicht Schwester“ in einen Sekundfall übergeht, der in Wandlung von d-Moll nach a-Moll harmonisiert ist und vom Klavier im Diskant forte mit fallend angelegten Achtelfiguren und Akkorden begleitet wird.

    Nun folgt gar eine mit einem lang gehaltenen fünfstimmigen a-Moll-Akkord gefüllte Viertelpause nach, bevor die melodische Linie ihre Entfaltung fortsetzt. Deren um das Wort „Schicksal“ kreisender und für das lyrische Ich depressiver Gehalt erzwingt geradezu eine fallend angelegte Melodik, aber zugleich, weil es sich um eine auf der Ebene der Allgemeingültigkeit handelnde Aussage handelt, ihre Einbettung in Dur-Harmonik. Mit den Worten „Doch des Schicksals Walten“ senkt sich die melodische Linie, ansetzend auf einem „C“ in oberer Mittellage und in F-Dur harmonisiert, in dem für sie so typischen repetitiven Gestus über das Intervall einer Sexte ab, geht aber bei „Walten“ über eine Terz in einen Anstieg über. Bei den Worten „Zerreißt das Segel oft“ setzt sie in Gestalt eines von einem tiefen „Cis“ ausgehenden Legato-Sekundschritts in diesem Anstiegs-Gestus noch einmal neu an und beschreibt nun, in die Dominantseptversion der Tonart „G“ gebettet, bei „Segel“ einen ausdrucksstarken Sprung über das Intervall einer Septe mit nachfolgendem Sekundfall und neuerlicher Tonrepetition. Das Klavier begleitet das mit klanglich bemerkenswert sparsamen, sich in der Folge absenkenden Legato-Sprungfiguren aus bitonalen Akkorden und Einzel-Vierteln.

    Diese Worte beinhalten eine sachlich-allgemeingültige Feststellung, der nur deshalb eine affektive Komponente innewohnt, weil sie von dem lyrischen Ich „Maria Stuart“ im Kontext seiner vorausgehenden Aussagen getroffen wird. Deshalb diese Struktur der Melodik und ihre Dur-Harmonisierung. Nun aber, in den Schlussworten „dem wir vertraut“, drückt sich wieder die existenzielle Situation Marias in all ihren affektiven Dimensionen aus, und das hat zur Folge, dass die Harmonik auf der Stelle vom Tongeschlecht Dur ins Moll umschlägt.
    Ja sogar noch mehr: In der Achtelpause vor dem Einsatz der Melodik auf diesen Worten, erklingt ein lang gehaltener und piano ausgeführter fünfstimmiger Akkord in verminderter B-Harmonik, in den die melodische Linie anfänglich gebettet ist, bevor ein d-Moll-Akkord diesen ablöst. Und bemerkenswert ist die Struktur dieser melodischen Linie. Sie besteht aus einer schlichten dreimaligen Tonrepetition auf der Ebene eines „B“ in mittlerer Lage, die über einen verminderten Sekundfall in eine in d-Moll gebettete Dehnung mündet. Sie mutet darin an wie der klägliche Ausdruck von Depression und Hoffnungslosigkeit.

    Dabei will es Schumann aber nicht belassen. Er lässt diese Worte noch einmal deklamieren, dies aber nicht im unmittelbaren Anschluss daran, sondern erst, nachdem mezzoforte fast zwei Takte lang eine bogenförmig ansteigende und wieder fallende rhythmisierte Folge von vierstimmigen Achtel- und Sechzehntelakkorden erklungenen ist, die in ihrer Dur-Moll-Harmonisierung wie eine ausführliche Variante der Einleitungsfigur dieses Liedes anmutet. Und nun werden die Worte „dem wir vertraut“ noch einmal deklamiert, - im Piano und in melodisch gänzlich neuer Gestalt. Dieses Mal bei „dem wir“ in Gestalt eines in tiefer Lage erfolgenden Sekundschritts aufwärts, und nach einer ungewöhnlich langen, zwei Viertel einnehmenden Pause, in einer in eine lange Dehnung mündenden Tonrepetition auf den beiden Silben von „vertraut“, und dies auf der tonalen Ebene des „E“, auf der das „wir“ zuvor deklamiert wurde. Ein fünfstimmiger a-Moll-Akkord begleitet das.

    Warum diese Wiederholung?
    Ich denke, Schumann wollte am Ende dieses Liedes Maria Stuart aus der Haltung des kläglichen Ausdrucks ihres Seelenschmerzes, wie er sich in der ersten melodischen Variante der Worte „dem wir vertraut“ ausdrückte, herausführen zu ihrer eigentlichen menschlich-charakterlichen Grundhaltung, wie er sie ihrer Lyrik entnahm und wie sie der ganzen Liedmusik dieses kleinen Zyklus´ zugrunde liegt: Der des standhaften Ertragens ihres Schicksals und des sich nicht Beugen-Wollens unter seinen Schlägen.
    Lyrischer Ausdruck menschlicher Größe in schicksalhaft schwerem Leben, - so hat Schumann all diese Maria Stuart-Verse gelesen. Und das zu Recht.

  • „Abschied von der Welt“, op.135, Nr.4

    Was nützt die mir noch zugemess'ne Zeit?
    Mein Herz erstarb für irdisches Begehren,
    Nur Leiden soll mein Schatten nicht entbehren,
    Mir blieb allein die Todesfreudigkeit.

    Ihr Feinde, lasst von eurem Neid:
    Mein Herz ist abgewandt der Hoheit Ehren,
    Des Schmerzes Übermaß wird mich verzehren,
    Bald geht mit mir zu Grabe Haß und Streit.

    Ihr Freunde, die ihr mein gedenkt in Liebe,
    Erwägt und glaubt, daß ohne Kraft und Glück
    Kein gutes Werk mir zu vollenden bliebe.

    So wünscht mir bess're Tage nicht zurück,
    Und weil ich schwer gestrafet werd´ hienieden,
    Erfleht mir meinen Teil am ew'gen Frieden!

    Das sind lyrische Aussagen, die aus der Situation des Zurückgeworfen-Seins auf sich selbst im Wissen um das bevorstehende Lebensende erfolgen. Gleichwohl geschieht das, obgleich es sich hier um eine mit tiefem Leid und Schmerz einhergehende existenzielle Grenzsituation handelt, formal betrachtet unter dem strengen prosodischen Reglement des Sonetts, und sprachlich, gleichsam dem entsprechend, im Grund-Gestus der sachlichen Feststellung. Dieses lyrische Ich, die dem hohen Adel angehörende Maria Stuart, hat sich emotional im Griff. Ein Ausbruch in verbal unkontrolliertes Jammern und Klagen in einer sich an ihre Feinde und Freunde richtenden Ansprache ist undenkbar.

    Es sind, und das macht diese Lyrik so eindrücklich, erschütternde Aussagen, die hier im sprachlichen Gestus konstatierender Sachlichkeit gemacht werden, - Aussagen, denen überdies ja auch historische Faktizität innewohnt. Das Herz des lyrischen Ichs ist „für irdisches Begehren erstorben“, es bleibt ihm allein noch die Möglichkeit, „Todesfreudigkeit“ zu entwickeln. Die Feinde werden angehalten, von ihrem „Neid“ abzulassen, denn das ist sinnlos geworden, wo doch bald „Haß und Streit“ mit ihr „zu Grabe“ gehen. Die Freunde sollen ihr auf keinen Fall „bess´ re Tage“ zurückwünschen, weil diese nicht mehr kommen können. Es bleibt ihr nur die Bitte an sie, einen „Teil am ew´gen Frieden“ zu erflehen. Nicht „den Frieden“, sondern nur einen Teil davon.

    Schumann muss von der menschlichen Größe dieser historischen Person Maria Stuart, ihrem Schicksal und der Art und Weise, wie sie es bewältigt hat, tief beeindruckt gewesen sein. Und es ist gut möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass er sich zur Zeit der Entstehung dieses kleinen Zyklus´ selbst in diesen Worten Marias wiederfand: „Mein Herz erstarb für irdisches Begehren, / Nur Leiden soll mein Schatten nicht entbehren“. Seine Liedmusik lässt das vernehmen. Eine Figur findet sich darin, die wie ein kleines Vorspiel dem Einsatz der melodischen Linie der Singstimme vorausgeht. Das Klavier lässt sie nachfolgend immer wieder erklingen, als wolle es dem klagend-rezitativischen, den großen Ambitus meidenden und sich in die Repetition zurückziehenden Gestus der Melodik etwas Bedeutungsvolles beigeben. Es wird darüber nachzudenken sein, wie das zu verstehen ist.


  • „Abschied von der Welt“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    „Langsam“ soll die Liedmusik vorgetragen werden. Ein Viervierteltakt liegt ihr zugrunde, und als Grundtonart ist e-Moll, bzw. seine Dur-Parallele vorgegeben. Der bereits erwähnten, sie einleitenden und dem Einsatz der melodischen Linie auf den Worten des ersten Verses vorausgehenden Figur im Diskant des Klaviersatzes hat Schumann eine bedeutsame Funktion zugewiesen, wie sich daraus ergibt, dass das Klavier sie in modifizierter Gestalt der melodischen Linie in ihren kurzen Pausen fünf Mal hinzufügt und im Nachspiel ein weiteres Mal erklingen lässt. In der Erstfassung am Liedanfang besteht sie, m Diskant ohne Bassbegleitung fortepiano ausgeführt und in der Subdominante a-Moll harmonisiert, aus einem lang gehaltenen „E“ in hoher Lage, das einen dreischrittig-rhythmisierten Sekundfall übergeht und in einen vierstimmigen a-Moll-Akkord mündet. Dieser fungiert als Begleitung der nun mit den Worten „Was nützt…“ einsetzenden melodischen Linie, die in dem auftaktig angelegten Sekundfall zu e-Moll-Harmonisierung übergeht.

    Dem kurzen Vorspiel käme also hier die Funktion eines Auftakts der Melodik zu. Dabei ist allerdings zu beachten, dass er harmonisch nicht wie üblich aus der Dominante, sondern der Subdominante erfolgt und der Fall, wenn man den tonalen Umfang des Schlussakkords einbezieht, über ein relativ großes Intervall erfolgt, größer als das, in dem sich die Melodik mit nur wenigen Ausnahmen in diesem Lied entfaltet. Diese Klaviersatz-Figur, die in ihrer Gestalt den Geist eines klageerfüllten Seufzers atmet, könnte in ihrer Funktion von Schumann also als akzentuierende Erweiterung und Verstärkung der Aussage der Melodik eingesetzt worden sein, weil diese, die Haltung des lyrischen Ichs Maria Stuart verkörpernd, nicht mehr die Kraft dazu aufzubringen vermag.

    Durchweg ist die Melodik in jeweils einen Vers beinhaltenden und von Pausen eingehegten Zeilen angelegt. Beim letzten Vers ist das nur scheinbar nicht der Fall, denn die kleine Achtelpause, die hier in die melodische Linie tritt, generiert, wie noch zu zeigen sein wird, keine eigene Melodiezeile. In dieser Anlage der Liedmusik schlagen sich der Geist und die innere Haltung nieder, von denen sich Maria Stuart in den Worten zu ihrem Abschied von der Welt leiten lässt. Wie sich das bis in die Struktur der Melodik auswirkt, lässt schon die erste Zeile vernehmen und erkennen. Auf den Worten „Was nützt die mir noch zugemess'ne Zeit?“ setzt die melodische Linie mit einem auftaktigen Sekundfall in mittlerer Lage ein, auf der damit eingenommenen tonalen Ebene geht sie in eine dreimaligen Tonrepetition über, wobei die erste auf „nützt“ und die dritte auf „mir“ eine diese Worte akzentuierende Dehnung darstellen. Dann ereignet sich zu dem Wort „noch“ hin ein Quartfall, dieser leitet eine nun viermalige Tonrepetition in gleichförmigen Sechzehntelschritten auf der Ebene eines tiefen „Fis“ ein, und am Ende erfolgt bei dem Wort „Zeit“ ein Sekundanstieg mit kleiner Dehnung. Harmonisiert ist diese melodische Linie in e-Moll mit kurzer Zwischenbewegung zur Dur-Dominante H-Dur, und begleitet wird sie vom Klavier auf höchst sparsame Weise mit nur drei durch Viertelpausen voneinander abgesetzten dreistimmigen Viertelakkorden.

    Vorwiegend Fall- und nur wenige Sprungbewegungen, alle in mittlerer Lage, über nur kleine Intervalle erfolgend und dann in deklamatorische Repetitionen übergehend, - das ist der melodische Gestus, in dem Schumann diese Maria Stuart sich äußern lässt. Nicht durchweg geschieht das, es ereignen sich Ausbrüche aus diesem Gestus, dort nämlich, wo der affektive Gehalt der Aussage allzu groß ist, so dass er die Selbstkontrolle zu überwältigen droht, aber das ist die Ausnahme und geht deshalb mit umso größerer Expressivität einher, aber die Selbstkontrolle geht dabei nicht wirklich verloren. Diese Maria Stuart spricht sich, so wie Schumann sie verstanden hat, in äußerster Zurückgeworfenheit auf sich selbst aus, und obgleich ihre Äußerungen formal-sprachlich ja eine Anrede darstellen, muten sie in der Melodik, die Schumann ihnen verleiht, wie introvertierte Monologe an, und die Einsamkeit, in der sie erfolgen, lässt er dadurch zum Ausdruck kommen, dass sie von einem klanglich geradezu dürftigen und in seiner akkordischen Struktur statisch anmutenden Klaviersatz versehen sind. Bis auf die erwähnten, diesem gleichsam dynamisch entgegentretenden Nachspiele in den kleinen Melodik-Pausen. Im Grunde ist ihr Auftritt darin eigentlich ein wesenhaft kontrapunktischer.

  • „Abschied von der Welt“ (II)

    Die Melodiezeilen auf den Versen zwei und drei weisen zwar diese strukturelle Typik auf nicht ganz so ausgeprägte Weise auf, sie ist gleichwohl aber vorhanden. Erst in der Melodik auf den Worten des vierten Verses der ersten Strophe ereignet sich so etwas wie der erwähnte melodische Ausbruch. Bei den Worten „Mein Herz erstarb für irdisches Begehren,/ Nur Leiden soll mein Schatten nicht entbehren“ ist die Melodik von dem für diese Liedmusik so bezeichnenden Fall-Gestus in Sekundschritten mit eingelagerter Tonrepetition geprägt. Sie ist bei der ersten dieser beiden Melodiezeilen in einer Wandlung von a-Moll nach H-Dur, bei der zweiten von h-Moll über e-Moll nach H-Dur harmonisiert und wird vom Klavier in der gleichen sparsam akkordischen Weise begleitet, wie bei der Melodik auf den Worten des ersten Verses.

    Die Worte „Mir blieb allein die Todesfreudigkeit“ weisen als Bekenntnis des lyrischen Ichs einen hohen affektiven Gehalt auf und lassen tief in dessen Seele blicken. Dem muss die Liedmusik gerecht werden, und so weicht sie nun auf recht deutliche Weise von ihrem bisherigen Gestus der melodischen Entfaltung ab. Sie setzt mit einem auftaktigen Quartsprung ein, vollzieht bei „allein“ einen regelrechten Sturz über das Intervall einer verminderten Sexte, erhebt sich danach mit einem Sekundschritt zu einer Tonrepetition und beschreibt danach bei den ersten beiden Silben des Wortes „Todesfreudigkeit“ einen neuerlichen, dieses Mal aber noch ausdrucksstärkeren, weil legato über zwei Schritte erfolgenden Sextfall, dessen Legato-Schritt über eine Quinte das Klavier in Gestalt von Viertel im Diskant mitvollzieht. Überdies ereignet sich hier eine ungewöhnliche harmonische Wandlung vom vorangehenden a-Moll nach F-Dur, und das Ausklingen der Melodik auf dem Wortteil „-freudigkeit“ in Gestalt einer sich in einer kleinen Sekunde absenkenden Tonrepetition in tiefer Lage ist in ein wieder von diesem F-Dur im Quintentzirkel weitab liegendes H-Dur gebettet, und der kleine Sekundfall wird wieder in gleicher Weise vom Klavier mitvollzogen.

    Das ist aber ein wirklich ungewöhnliches liedmusikalisches Ereignis. Es findet in ähnlicher Weise nur noch ein einziges weiteres Mal statt, und dies bezeichnenderweise aus dem gleichen Grund, in der Melodik des vierten Verses der zweiten Strophe, nämlich den Worten „Bald geht mit mir zu Grabe Haß und Streit“ also. Die ansonsten noch aus dem melodischen Gestus herausragenden Sprungbewegungen auf den Schlussworten „am ew´gen Frieden“ sind der ihnen innewohnenden appellativen Ausruf-Emphase geschuldet.

    Vor dem Einsatz der melodischen Linie auf den Worten des ersten Verses der zweiten Strophe erklingt wieder die Eröffnungs-Klaviersatzfigur, nun zwar in d-Moll gebettet, damit aber wieder ihre Auftaktfunktion ausübend, denn der in eine kleine Dehnung mit nachfolgenden Tonrepetitionen mündende Sekundsprung auf den Worten „ihr Feinde laßt“ ist in einer Wandlung von a-Moll nach e-Moll harmonisiert. Diese Eröffnungsfigur erklingt also hier in Doppel-Subdominanten-Harmonik. Auf den Worten „Ihr Feinde, lasst“ beschreibt die melodische Linie die gleiche zwei Mal gedehnte Tonrepetition auf der Ebene eines „H“ in mittlerer Lage wie auf den Worten „Was nützt die mich noch“ im ersten Vers der ersten Strophe, auch die Harmonisierung ist identisch, nur ist der auftaktige Sekundfall dieses Mal durch einen Sekundsprung ersetzt. Bei den nachfolgenden Worten „von eurem Neid“ beschreibt die melodische Linie nun aber nicht eine weitere Tonrepetition wie dort, vielmehr, weil sie den affektiven Gehalt dieser Worte reflektieren will, einen nach einem verminderten Quartfall einsetzenden Sekundanstieg mit einer nachfolgenden leichten Dehnung auf „Neid“ nach einem Sekundfall. Harmonisiert ist diese Melodiezeile wie die erste in e-Moll mit Zwischenbewegung zur Dur Dominante.

    Schumann will mit dieser weitgehenden Identität der Melodik der Eingangsverse von erster und zweiter Strophe die gleichbleibende Grundhaltung Maria Stuarts zum Ausdruck bringen. Und deshalb bringt er bei den drei nachfolgenden Versen sogar das Strophenlied-Prinzip zum Einsatz, das heißt, es herrscht vollkommene liedmusikalische Identität zwischen erster und zweiter Strophe. Bei den beiden Terzinen-Strophen verfährt er dann aber nicht so. Sie weisen eine je eigene Liedmusik auf. Hier richten sich zwar Maria Stuarts Worte in beiden Fällen an ihre „Freunde“, Schumann berücksichtigt liedkompositorisch aber sehr wohl den Sachverhalt des Wechsels der subjektiven Perspektive, aus der die Ansprache an die Freunde erfolgt, und auch den damit einhergehenden Wandel in der Grundhaltung. In der ersten Terzine erfolgen die lyrischen Aussage aus der rückwärtsgewandten Perspektive, in der zweiten jedoch aus dem Bewusstsein der gegenwärtigen existenziellen Situation, in die das Wissen um das bevorstehende Lebensende auf bedrohliche Weise hineinragt. Die hochgradige Sensibilität des Liedkomponisten Robert Schumann ist immer wieder aufs Neue bewundernswert, wenn man ihr beim analytischen Blick in die Faktur seiner Liedmusik begegnet.

  • „Abschied von der Welt“ (III)

    Eine leichte Anmutung von wehmütiger Zärtlichkeit weist die Melodik auf den Worten des ersten Verses der dritten Strophe auf. Schon auf der Anrede „ihr Freunde“ liegt nun kein einfacher, die nachfolgende melodische Linie einleitender auftaktiger Sprung oder Fall, sondern eine in Dur-Harmonik (D-Dur) gebettete und von einem lang gehaltenen vierstimmigen D-Dur-Akkord begleitete Kombination aus Terzsprung und Quintfall, der in eine Folge von in der tonalen Ebene in Sekundschritten ansteigenden deklamatorischen Tonrepetitionen übergeht, die in einem ausdrucksstarken, die melodische Linie in tiefe Lage führenden und in G-Dur-Harmonik gebetteten Quintfall auf dem Wort „Liebe“ endet. Bei den Worten „Erwägt und glaubt, daß ohne Kraft und Glück“ beschreibt sie einen Anstieg in Terzfall-Schritten erfolgt, und der nach einer Tonrepetition bei „Glück“ ein ausdrucksstarker Sprung über eine Sexte in hohe Lage nachfolgt, wobei die Harmonik eine Wandlung zur Subdominante C-Dur vollzieht. Die Dur-Harmonisierung der Melodik bleibt, darin die dieser Ansprache an die „Freunde“ zugrundeliegende Haltung des lyrischen Ichs reflektierend, auch bei den Worten „Kein gutes Werk mir zu vollenden bliebe“ erhalten. Auch hier vollzieht die melodische Linie wieder eine Sprungbewegung über ein großes Intervall. Dies bei dem Wort „vollenden“ und zwar über eine Quinte, um danach einen gedehnten Sekundfall zu beschreiben, der sich auf dem Wort „bliebe“ fortsetzt.

    Hier aber ereignet sich Bemerkenswertes: Die Harmonik rückt am Ende dieser Abwärtsbewegung der melodischen Linie vom vorangehenden C-Dur zur Moll-Parallele (a-Moll). Maria Stuart wird wieder vom Bewusstsein ihrer hoffnungslosen existenziellen Situation eingeholt. Und in dieser Haltung erfolgt nun auch die Fortsetzung dieser Ansprache in der zweiten Terzine. Sie drückt sich darin aus, dass die Melodik wieder zum Gestus der Entfaltung in Sekundschritten auf mittlerer tonaler Ebene und dem Verharren in deklamatorischen Tonrepetitionen übergeht, und dies in Moll-Harmonisierung mit kurzen Zwischenbewegungen zum Tongeschlecht Dur. Bei den Worten „So wünscht mir bess're Tage nicht zurück“, denen ja eben dieses Bewusstsein des unabwendbaren Lebensendes untergründig innewohnt, beschreibt die melodische Linie genau diese Bewegung, die man, weil man ihr in dieser Liedmusik immer wieder begegnet, als dieser Maria Stuart wesenhaft zugehörig empfindet.

    Eine mit einem auftaktigen Sekundsprung einsetzende und partiell gedehnte Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „H“ in mittlerer Lage, ein Quartfall zur Ebene eines „Fis“, eine neuerliche Tonrepetition daselbst …Kennt man das nicht? Man kennt es wohl. Es ist die Melodik, in der das Lied auf den Worten des ersten Verses einsetzt. Und diese Wiederkehr der Melodik der ersten Strophe setzt sich mitsamt dem zugehörigen, nur unwesentlich modifizierten Klaviersatz auf den Worten des zweiten Verses und sogar des dritten bis zu den Worten „meinen Teil“ einschließlich fort. Schumann lässt Maria Stuart, wie er das ja mit dem Einsatz des Strophenlied-Wiederholungskonzepts ja schon bei der zweiten lyrischen Strophe getan hat, zu der Haltung zurückkehren, in der sie mit der monologisch- selbstreflexiven Frage „Was nützt die mir noch zugemess'ne Zeit?“ in den Gestus einer sich an die Außenwelt richtenden Ansprache überging, dabei aber in einem an ihre existenzielle Situation gebundenen Monolog verbleiben musste, aus dem sie nicht mehr herauszufinden vermochte.

    Die erwähnten, mehrmals sich ereignenden Ausbrüche der Melodik sind als, allerdings vergebliche, Versuche zu einem solchen Herausfinden zu verstehen. Nicht allerdings der, den die melodische Linie auf den Schlussworten „am ew´gen Frieden“ beschreibt. Nach einer Achtelpause vollzieht sie nach einer mit einem auftaktigen Sekundfall eingeleiteten gedehnten Tonrepetition auf der Ebene eines „E“ in tiefer Lage bei dem Wort „Frieden“ einen ausdrucksstarken Oktavsprung und senkt sich dann nach einer langen Dehnung auf der zweiten Silbe über das Intervall einer Quarte zur Ebene eines „H“ in mittlerer Lage ab. Bemerkenswerterweise ist diese letzte kleine Melodiezeile ganz und gar in Moll-Harmonik gebettet, im Fall der expressiven Oktavsprung Bewegung mit Dehnung und Fall in Gestalt einer Rückung von der Subdominante a-Moll zur Tonika e-Moll.

    Diese Moll-Harmonisierung der Melodik auf den Schlussworten, bei der der ansonsten ja doch recht sparsam angelegte Klaviersatz mit einem Mal klanglichen Reichtum entfaltet, reflektiert den lyrischen Sachverhalt, dass die an die „Freunde“ sich richtende Ansprache hier in eine Beschwörung einer Erlösung vom Leid dieser Erde im himmlischen Frieden übergeht. Melodik und das Moll, in das sie gebettet ist, bringen die Fülle der Gefühle und Empfindungen zum Ausdruck, die sich in diesem Augenblick bei Maria Stuart einstellen.
    Und der Kreis der diese große Liedmusik prägenden lyrischen Aussagen schließt sich, indem im dreitaktigen Nachspiel die Einleitungsfigur des kleinen Vorspiels noch einmal erklingt und in die klassische akkordische Schlusskadenz von der Dominante H-Dur zur Tonika e-Moll mündet.

  • „Gebet“, op.135, Nr.5

    O Gott, mein Gebieter,
    Ich hoffe auf Dich!
    O Jesu, Geliebter,
    Nun rette Du mich!
    Im harten Gefängnis,
    In schlimmer Bedrängnis
    Ersehne ich Dich;
    In Klagen, Dir klagend,
    Im Staube verzagend,
    Erhör', ich beschwöre,
    Und rette Du mich!

    Der Beschwörung des Erlösung bringenden „ewigen Friedens“ folgt das als Bitte angelegte und sich an Jesus Christus richtende Gebet nach. Darin zeigt sich, dass es sich bei diesen fünf lyrischen Gedichten tatsächlich um einen kleinen Zyklus handelt, der die Liedmusik darauf dann natürlich zu einem ebensolchen macht. Noch einmal findet die so bedrückend-schreckliche, weil hoffnungslose und darin ja wirklich historische existenzielle Situation der Maria Stuart lyrischen Ausdruck. Das geschieht in dem für den ganzen Zyklus so typischen und beeindruckenden sprachlichen Gestus der nüchtern-direkten Feststellung. Nur zwei Worte sind es hier: „Gefängnis“ und „Bedrängnis“, und das einzige, was sich Maria Stuart an emotionalem Bekenntnis ihrer seelischen Lage leistet, sind die beiden Adjektive „hart“ und „schlimm“.

    Ihrer Bitte verleiht sie zwar Nachdruck, indem sie sich, ihre Verzweiflung zum Ausdruck bringend, in eine Reihung von kleinen partizipialen syntaktischen Konstrukten steigert, aber auch hier wahrt sie die Fassung, in der sie sich in allen fünf Gedichten auszeichnet. Nur einmal, in den Worten „im Staube verzagend“ nämlich, öffnet sie ihre Seele. Dass sie Jesus als ihren „Geliebten“ anspricht, ist Ausdruck ihrer tiefen Gläubigkeit.

    Die enge Anbindung an das Lied „Abschied von der Welt“ zeigt sich in der Grundtonart: Es ist wieder ein e-Moll. Auf eine Vortragsanweisung hat Schumann aus gutem Grund verzichtet. Die Liedmusik atmet in der ruhigen, zugleich aber durch die mehrfache Wiederkehr von Fall- und repetitiven Figuren geprägten Melodik und dem sie begleitenden akkordischen Klaviersatz auf so eindrückliche Weise den Geist des Gebets, dass sich der ihr angemessene Vortrag ganz von selbst einstellt.


  • „Gebet“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Ein Vorspiel gibt es nicht, kann es bei diesem Gebet gar nicht geben. Eine fortepiano ausgeführte Legato-Wandlung eines vierstimmigen a-Moll-Akkordes zu einem fünfstimmigen e-Moll-Akkord erklingt, beide jeweils im Wert einer halben Note, und nach einer Viertelpause setzt die Singstimme darin ein. Wenn gerade von „Eindrücklichkeit“ gesprochen wurde, so ist es vor allem die Fallbewegung, mit der die Melodik auf den Worten „O Gott, mein Gebieter“ einsetzt. Sie kehrt, zwar in unterschiedlicher Harmonisierung, aber bis auf das Ende in ihrer Grundstruktur unverändert, auf den Worten des dritten, des fünften und des sechsten Verses wieder und entfaltet auf diese Weise eine die Liedmusik stark prägende Kraft. Sie besteht aus einem in hoher Lage einsetzenden Sekundfall, der sich über das relativ große Intervall einer Quinte nach unten hin fortsetzt und in eine rhythmisierte Tonrepetition übergeht, der dann ein Anstieg über eine Terz, wie im ersten Fall, oder, wie in allen andere Fällen, eine Fortsetzung der Fallbewegung nachfolgt.

    Diese vier Mal erklingende, erst in Mollharmonik, beim dritten und vierten Mal gar in verminderte gebettete melodische Figur bringt in der Anmutung, die ihr innewohnt, tief schmerzliche seelische Bedrängnis zum Ausdruck. Das ist bei den Worten „im harten Gefängnis“ und „in schlimmer Bedrängnis“ ja durchaus verständlich und nachvollziehbar, hier geht der Moll-Harmonisierung ja auch ein dissonant verminderter Akkord voraus. Aber bei den in der Haltung des Betenden erfolgenden Anrufen „O mein Gott, mein Gebieter“ und „O Jesu, geliebter“ würde man sie eigentlich nicht erwarten.

    Dass Schumann gleichwohl diese melodische Figur auch auf sie gelegt hat, zeigt, wie tief reichend und den ganzen Menschen erfassend, ja geradezu vernichtend er die schmerzliche Verzweiflung verstanden hat, die in den Worten Maria Stuarts hier nach Ausdruck sucht. Und ich glaube, dass er sich wohl damals, in der Zeit der Komposition dieses Opus 135, in diesen Worten selbst wiederfand. Das wäre die Erklärung dafür, dass er die einem betenden Anruf Gottes eigentlich gemäße steigend angelegte, oder zumindest auf der tonalen Ebene verharrende Melodik mied und sie stattdessen durch eine so stark fallende und im Tongeschlecht Moll harmonisierte ersetzte. Nur einen lang gehaltenen, sogar mit einer Fermate versehenen sechsstimmigen H-Dur-Akkord auf dem in eine lange, ebenfalls fermatierte Dehnung übergehenden verminderten Quartsprung auf dem Wort „dich“, in dem die erste Melodiezeile endet, hielt er, und dies zu Recht, für angebracht.

    Mehr noch als in den vorangehenden Liedern dieses kleinen Zyklus entfaltet sich die Melodik in diesem, dem letzten, in enger Anbindung an das lyrische Wort, ist so stark auf das Erfassen der sprachlichen Gestalt der lyrischen Aussage und ihrer Semantik reduziert, dass sie jeglicher Anmutung von genuin lyrischem Geist verlustig gegangen ist, nur noch in rhetorisch-rezitativischem Gestus auftritt. Mit einer Ausnahme der gerade beschriebenen, vier Mal erklingenden melodischen Figur. Sie atmet noch eine Spur von diesem Geist, und das musste sie für Schumann auch, vermochte er doch nur auf diese Weise den tief schmerzlichen Klageton zum Ausdruck zu bringen, der der Anrufung Gottes und Jesu im Gebet zugrunde liegt.

    In diesem Zusammenhang kommt der inneren Anlage der Liedmusik große Bedeutung zu. Sie stellt sich als zweiteilig dar. Im ersten Teil, die Verse eins bis fünf umfassend, ist sie in kleine, in Viertelpausen mündende Melodiezeilen untergliedert, die mit Ausnahme der zwei Verse beinhaltenden ersten, jeweils einen Vers aufgreifen. Und diese Zeilen werden drei Mal von der besagten melodischen Figur eingeleitet. Das ist auch beim sechsten Vers, also den Worten „in schlimmer Bedrängnis“ der Fall, aber diese leiten nun den zweiten Teil des Liedes ein, der sich dadurch vom ersten abhebt, dass die Melodik, nun nicht mehr in kleine Zeilen untergliedert, keine über ein relativ großes Intervall erfolgende Fallbewegungen mehr beschreibt, sondern lange in stark repetitiv geprägtem Gestus auf mittlerer tonaler Ebene verharrt und nur in Sekundschritten nach oben und unten über das Intervall einer Terz davon abweicht. Nur am Ende, bei dem hohe liedmusikalische Expressivität fordernden Hilferuf „rette du mich“ ereignet sich noch einmal die den ersten Teil so stark prägende melodische Fallbewegung. Dieses Mal aber in einer ihre Gestalt und ihren Geist gleichsam potenzierender Form.

  • „Gebet“ (II)

    Und noch etwas ist, die Anlage der Liedmusik und Geist und Struktur ihrer Melodik betreffend, bemerkenswert. Die erste, die zweite und die vierte Zeile sind zwar als melodischer Fall angelegt, aber die erste geht am Ende bei den Worten „auf dich“ aus der Ebene des „Dis“ in tiefer Lage mit einem Quartsprung zu einer fermatiert langen und sogar in Dur-Harmonik gebetteten Dehnung über. In dieser Anlage reflektiert sie die Hoffnung auf Rettung, an die sich Maria Stuart verzweifelt klammert. Und deshalb hat Schumann die dritte Zeile auf den Worten „nun rette du mich“ sogar ansteigend angelegt, in Sekundschritten aus tiefer Lage, wobei der erste allerdings nur ein verminderter ist und die auf den Terzsprung am Ende erklingende Dehnung auf dem Wort „mich“ in verminderte G-Harmonik gebettet ist. Und die Melodik der zweiten Zeile, die auf den Worten „O Jesu, Geliebter“ wirkt wie eine Korrektur der ersten Sie beschreibt zwar den gleichen Fall und endet auch auf dem tiefen „Dis“, ohne sich allerdings daraus wieder zu erheben. Es gibt, so wie Schumann das - und natürlich historisch zu Recht - sieht, nicht wirklich noch eine Hoffnung in der existenziellen Situation von Maria Stuart.

    Auf den Worten „In schlimmer Bedrängnis“ beschreibt die melodische Linie ein letztes Mal die Fallfigur, mit der sie das Lied eröffnet. Nun setzt sie aber in der tonalen Ebene um eine ganze Quarte höher an und wird, auch das anders als dort, in jedem deklamatorischen Schritt von einem Akkord begleitet, wobei sich eine harmonische Wandlung von einer verminderten F-Tonalität über ein a-Moll nach E-Dur ereignet. Auf den drei Silben von „Bedrängnis“ liegt eine in eine Dehnung übergehende Tonrepetition und ein verminderter Sekundfall, und das Klavier begleitet das mit einem lang gehaltenen und „fp“ auszuführenden dissonanten Akkord, der legato in einen E-Dur-Akkord übergeht. Die lyrische Aussage erfährt auf diese Weise starken Ausdruck. Und weil die nachfolgenden Worte „ersehne ich dich“ wieder (wie „hoffe auf dich“ und „rette du mich“ zuvor) ihre große existenzielle Bedürftigkeit zum Ausdruck bringen, beschreibt die melodische Linie auch hier wieder eine in eine lange Dehnung mündende Anstiegsbewegung.

    Große Eindrücklichkeit kommt dabei dadurch zustande, dass dieser Anstieg über das Intervall von Sekunden und in repetitiven Schritten erfolgt, wobei auf dem Wort „sehne“ ein gedehnter Sekundanstieg liegt. Die Harmonik vollzieht zwei Mal eine Wandlung von E-Dur nach a-Moll, so dass die Worte „sehne“ und „dich“ in Moll-Harmonik gebettet sind. Schumann setzt bei all der Reduktion der liedkompositorischen Ausdrucksmittel auf das unbedingt Notwendige diese doch auf höchst subtile, das affektive Potential der lyrischen Aussage so tief wie möglich auslotende Weise ein. In der zweimaligen harmonischen Wandlung von Dur nach Moll kommt die schmerzliche Wehmut, das Zugleich von Hoffnung und Verzagen zum Ausdruck, das all den an Gott oder Jesus sich richtenden Worten innewohnt. Es ist eine tief berührende liedmusikalische Charakterisierung der historischen Person Maria Stuart, der man als Rezipient dieses Liedes begegnet.

    Und das setzt sich in der Liedmusik auf den letzten vier Versen fort. Im zwei Mal eingesetzten Partizip Präsens reflektieren die beiden ersten noch einmal auf höchst eindrückliche Weise die verzweifelte existenzielle Situation Maria Stuarts, bevor sie dann zu ihrem erschütternden Hilferuf ansetzt. Die liedmusikalische Eindrücklichkeit bewirkt Schumann bei den Worten „In Klagen, Dir klagend“ und „Im Staube verzagend“ dadurch, dass er auf sie die gleiche Melodik legt: Eine mit einem Legato-Sekundanstieg eingeleitete, in einer Wandlung von einem verminderten A-Dur nach a-Moll harmonisierte Tonrepetition, die sich in einer Dehnung weiteres Mal fortsetzt, um dann in einem Sekundfall zu enden, wobei hier die Harmonik eine Wandlung von a-Moll nach H-Dur vollzieht. Das Klavier vollzieht diese Bewegungen in Gestalt von Bass und Diskant übergreifenden Akkorden mit und akzentuiert sie auf diese Weise.

    Den repetitiven Gestus behält die melodische Linie bei den beiden Schlussversen anfänglich noch bei. Sie setzt bei „Erhör´, ich“ auf der Ebene des „H“ in mittlerer Lage ein, auf der der Sekundfall bei „verzagend“ ankam, und beschreibt dann eine Sekunde tiefer eine neuerliche Tonrepetition. Begleitet wird das vom Klavier mit einem pianissimo sich ereignenden Legato-Fall eines Dominantseptakkords in E-Dur zu einem in a-Moll. Darin drückt sich aus, dass das „ich“ ja den die Liedmusik beschließenden und so tief anrührenden, weil tiefe Verzweiflung zum Ausdruck bringenden Hilferuf einleitet. Aber bezeichnend für die Art und Weise, wie Schumann ihn aufgefasst und verstanden wissen will, ist, dass im Notentext auf die Anweisung „pp“ bei dem melodischen Sekundfall nach „erhör´“ kein weitere dynamische Anweisung mehr nachfolgt, nicht mal ein kleines Crescendo.

  • „Gebet“ (III)

    Robert Schumann sieht Maria Stuart, so wie er sie in diesem Lied und insbesondere in dessen Ende darstellt, als einen Menschen, der, in eine existenzielle Grenzsituation geworfen, aus dieser nicht mehr herauszufinden vermag und in der innewohnenden Hoffnungslosigkeit versinkt. Ihm bleibt nur noch der Hilferuf im Gebet, aber den zum Himmel zu richten, selbst dazu fehlt ihm die Kraft.

    So nimmt man jedenfalls die Liedmusik auf den beiden letzten Versen auf. Auf dem Wort „erhör´“ hält die melodische Linie in ihrem repetitiven Gestus auf einer Dehnung kurz inne, dies pianissimo und von einem ebenfalls „pp“ ausgeführten Dominantseptakkord in „E“ begleitet, bei „ich beschwör“ vollzieht sie zwar anschließend, in ein a-Moll gebettet, noch einen Terzschritt nach oben, wobei das Klavier sogar einen arpeggierten E-Dur-Akkord erklingen lässt, dann aber überlässt sie sich, durchweg ohne ein Crescendo im Pianissimo verbleibend, einem weithin sich erstreckenden Fall und über das große Intervall einer Oktave erfolgenden Fall, der in Gestalt einer Dehnung auf der Ebene eines tiefen „E“ endet. Auf dem Wort „rette“ liegt dabei eine lange, eineinhalb Takte einnehmende repetitive Dehnung in mittlerer Lage, die in e-Moll mit kurzer Zwischenbewegung zur Dominante H-Dur harmonisiert ist. Ihr folgt dann aber ein Absturz über eine Quarte und der Schlussschritt über eine Sekunde hin zur Schlussdehnung nach. Die Legato-Figuren aus lang gehaltenen Oktaven und eingelagerten Vierteln, mit denen das Klavier hier begleitet, beschreiben ebenfalls eine Abwärtsbewegung, und die Harmonik verharrt, mit nur zweimaliger Wandlung nach H-Dur durchweg im Tongeschlecht Moll.

    Als Ausdruck von schwindender Kraft und Hoffnung nimmt man diese melodische Fallbewegung wahr, - und man fühlt sich bedrückt davon. Die so extensive Dehnung auf dem Wort „rette“ trägt dazu maßgeblich bei. Bemerkenswert aber: Der in die Schlussdehnung mündende Sekundfall auf den Worten „du mich“ ist in Dur harmonisiert, und dies auf eine markante Weise. Auf ein A-Dur folgt ein weitab liegendes C-Dur. Die Dehnung auf „mich“ erklingt also auf der Terz der Tonika C-Dur.

    Wie ist das zu verstehen? Klingt da am Ende in Maria Stuart noch ein ganz klein wenig Hoffnung auf ein Erhören ihres Hilferufs auf?
    Man kann das sehr wohl, wie ich finde, so verstehen. Aber Schumann scheint nicht an eine Berechtigung dafür zu glauben. Er lässt auf die beiden, die Dehnung begleitenden C-Dur-Achtelakkorde im Nachspiel sofort zwei e-Moll-Akkorde nachfolgen, und in den zwei weiteren Akkorden, aus denen es besteht, ereignet sich zwar eine Legato-Aufeinanderfolge von einem A-Dur- und einem H-Dur-Akkord, aber die mündet einen lang gehaltenen fünfstimmigen Akkord in der Grundtonart e-Moll.

  • Schlussbetrachtung

    Mit der Vorstellung und analytischen Betrachtung der Opera 107 und 135 war die Absicht verbunden, das Wesen und die spezifische Eigenart von Schumanns später Liedsprache zu erfassen und dabei der Frage nachzugehen, ob sich darin ein Wandel erkennen lässt, der möglicherweise tiefgreifend ist und auf einen Wandel in seiner liedkompositorischen Grundintention hindeutet.

    Folgendes, so denke und hoffe ich, dürfte diesbezüglich deutlich geworden sein:
    --- Die Liedmusik weist eine deutliche Reduktion ihrer strukturellen Komplexität auf;
    --- damit einhergehend ist die Melodik stärker deklamatorisch angelegt, sie ist nicht mehr auf das Erfassen aller „feineren Züge“ des lyrischen Textes ausgerichtet, sondern nur auf dessen für die poetische Grundaussage relevante Passagen;
    --- Melodik und autonomer Klaviersatz sind weniger integriert, sondern entfalten sich getrennt; die Aufgabe des Klaviers besteht nun häufig nur darin, die melodische Linie in ihren Bewegungen zu begleiten und ihre Aussage zu akzentuieren;
    --- bei der Wahl des zu vertonenden lyrischen Textes spielt dessen poetische Qualität eine untergeordnete Rolle; der für den Zugriff maßgebliche Aspekt scheint das Angesprochen-Sein durch dessen lyrische Aussage zu sein.

    Daraus ergibt sich, dass Schumann die liedkompositorische Grundintention, mit der er angetreten ist, zwar nicht aufgegeben hat, sie nun aber auf den jeweiligen Kern der lyrischen Aussage konzentriert, und dies unter starker Reduktion der kompositorischen Mittel auf das unbedingt Erforderliche.
    Was die Gründe dafür sein mögen, ob hier eine bewusste kompositorische Willensentscheidung vorliegt oder ein krankheitsbedingtes Nachlassen der Kräfte oder das eine das Eine das Andere bedingt, diese Frage lässt sich nicht auf fundierte Weise beantworten.
    So weit wie Dietrich Fischer-Dieskau möchte ich diesbezüglich nicht gehen. Die „Gedichte der Königin Maria Stuart“ kommentiert er in seinem Schumann-Buch mit den Worten:
    „Die Gesänge der Stuart markieren den Zielpunkt, bis zu dem sich Schumann als Vokalkomponist zurücknehmen konnte, die Reduzierung musiksprachlicher Mittel auf ein Mindestmaß.“

    So weit so gut und, auch wenn dabei von einer bewussten Willensentscheidung Schumanns ausgegangen wird, aus meiner Sicht auch zustimmungsfähig.
    Dann aber fährt er fort:
    „Sie (die Stuart-Lieder) stellen ein Halten dar nach konsequentem Fortschreiten von ungebändigter Phantasiefülle zur Beschränkung, zum stillen, sehr stillen Protest gegen den überlauten Ton der Zeit.“
    Das ist eine sehr interessante Interpretation des Sachverhalts. Sie läuft darauf hinaus, dass sich in Schumanns kompositorischer Willensentscheidung seine Erfahrung des kulturellen Zeitenwandels niederschlägt und daraus hervorgeht.
    Das bleibt aber eine subjektive Deutung. Mir sind jedenfalls keine schriftlich überlieferten Äußerungen Schumanns bekannt, mit denen sich das belegen ließe.