MASSENET, Jules: WERTHER

  • Jules MASSENET
    WERTHER


    Lyrisches Drama in 3 Akten und 4 BildernLibretto: Edwin Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann (nach
    Johann Wolfgang von Goethe)
    Uraufführung: 1892 Wiener Hofoper


    Personen:


    Werther, ein Poet (Tenor)
    Amtmann (Bass)
    Albert, Charlottes Verlobter (Bariton)
    Charlotte, Tochter des Amtmanns (Mezzosopran)
    Sophie, deren Schwester (Sopran)
    Johann, Freund des Amtmanns (Bariton)
    Schmidt, Freund des Amtmanns (Tenor)


    Handlung der Oper


    1. AKT
    Haus des Amtmanns bei Wetzlar, Juli 1772


    Der Amtmann probt mit seinen jüngsten Kindern ein Weihnachtslied, doch mit seiner Autorität ist es nicht weit her. Erst als er ihnen mit der geliebten ältesten Schwester Charlotte droht, die alles hören würde, sind sie mit Ernst bei der Sache. Johann und Schmidt, seine Freunde, wollen ihn zum Frühschoppen in den "Goldenen Stern" abholen, doch er lehnt vorerst ab. Sophie, die zweitälteste Tochter, tritt hinzu und man unterhält sich über die Tanzveranstaltung, die am Abend in Wahlheim stattfinden soll. Alle wollen kommen, selbst Werther, der besonders den Männern wegen seiner melancholischen Anwandlungen etwas sonderbar vorkommt.
    Schmidt erkundigt sich nach Albert, dem Verlobten Charlottes, und erfährt, dass er am nächsten Tag von einer Geschäftsreise, die ihn ein halbes Jahr von Wetzlar fern gehalten hat, zurückerwartet wird. Er sei ein ernsthafter, strebsamer Mann, nicht so vergnügungssüchtig "wie die jungen Laffen". Während sich die Freunde mit einem Loblied auf Bacchus entfernen, setzt der Amtmann die unterbrochene Chorprobe fort.
    Werther hat sich zum Haus des Amtmanns führen lassen, besingt in der schwärmerischen Arie "Oh nature pleine de grace" die Schönheiten der Natur und sehnt sich beim Klang der Kinderstimmen in seine eigene Kindheit zurück, wo er noch nichts von Not und Plage wusste.
    Lotte, bereits für den Ball gekleidet, tritt aus dem Haus, wird vom Vater bewundert und von ihren Geschwistern umringt. Sie teilt jedem eine Schnitte Brot als Abendessen zu. Werther beobachtet gerührt diese Szene, da entdeckt ihn der Amtmann, heißt ihn in seinem Haus willkommen und stellt ihm Charlotte vor, deren hausfraulichen Tugenden er in den höchsten Tönen lobt. Nach und nach treffen auch die anderen Ballgäste ein, darunter Brühlmann, der verzückt von Klopstock schwärmt. Werther versucht indes mit einem der Kinder anzubändeln, doch der Kleine fürchtet sich vor ihm und muss von Lotte getröstet werden, der liebe "Cousin" wolle ihm nichts Böses tun. Werther fühlt sich von dieser Anrede geschmeichelt, doch das Mädchen relativiert es gleich: Bei ihnen sei jeder Bekannte ein Cousin. Dann vertraut sie ihre Geschwister der Obhut Sophies an und schärft ihnen ein, nur ja recht artig zu sein. Werther ist wieder ganz entzückt von diesem "Bild der Unschuld und der Liebe". Lärmend und lachend bricht nun die ganze Gesellschaft nach Wahlheim auf, zurück bleibt eine etwas traurige Sophie, die offensichtlich ein Auge auf Werther geworfen hat. Sie ermuntert ihren Vater, doch zu seinen Freunden in den "Goldenen Stern" zu gehen.
    Kaum alleine, taucht völlig unerwartet Charlottes Verlobter Albert auf. Etwas verwirrt erklärt ihm Sophie die Abwesenheit ihrer Schwester, doch Albert will nur wissen, ob diese ihn nach so langer Zeit noch liebe. Das Mädchen beruhigt ihn und versichert ihm, alle würden sich bereits auf ihre Hochzeit freuen. Albert ist zufrieden und möchte Charlotte überraschen, daher bleibt er in der Nähe.
    Werther geleitet Charlotte vom Ball nach Hause und kann sich kaum von ihr losreißen. Fern von ihr würde die Sonne für ihn untergehen, sie sei sein Licht, sein Leben. Lächelnd weist Charlotte diese Schwärmerei zurück, er kenne sie doch kaum. Doch für Werther haben die wenigen Stunden genügt, um eine Seelenverwandtschaft zwischen ihnen zu spüren. Ein Engel sei sie, das sei ihm schon in dem Moment klar geworden, als er sie im zärtlichen Umgang mit ihren Geschwistern beobachtet habe. Diese Worte wecken in Charlotte schmerzliche Erinnerungen an ihre verstorbene Mutter. Mit immer glühenderen Worten verleiht Werther seinen Gefühlen für sie Ausdruck, und beinahe hätte Charlotte seinem Drängen nachgegeben, als sie die Stimme ihres Vaters in die Wirklichkeit zurückruft: Albert ist wieder da! Albert???? Da gesteht Charlotte, dass sie verlobt ist, ihrer Mutter auf dem Totenbett versprochen hat, Albert zu heiraten und nun beinahe diesen Eid vergessen hätte. Während das Mädchen von ihrem Vater ins Haus geführt wird, bleibt ein verzweifelter Werther zurück.


    2. AKT
    Wahlheim, September 1772


    Johann und Schmidt lassen wieder einmal Gott Bacchus hoch leben, denn man feiert die Goldene Hochzeit des Pastorenpaares. Auch Charlotte und Albert sind unter den Gästen. Albert beteuert, wie glücklich ihn Charlotte in den drei Monaten ihrer Ehe gemacht habe, bezweifelt aber, dass das auch umgekehrt zutrifft. Seine Frau beruhigt ihn, natürlich liebe sie ihn, habe er doch das beste aller Herzen. Dann betreten sie die Kirche.
    Werther hat das scheinbar glückliche Paar verzweifelt beobachtet und hadert nun mit Gott, der ihm zwar das Paradies gezeigt, dann aber donnernd die Türe zugeschlagen hätte. Er sinkt auf eine Bank und vergräbt den Kopf in seinen Händen.
    Die Messe ist aus und die Gäste streben dem Festplatz zu. Albert findet den verzweifelten Werther und streut noch Salz in dessen Wunden: Er wisse wohl, dass er in Charlotte verliebt gewesen und der Verzicht ihm schwer gefallen sei, aber er vergebe ihm. Werther beteuert, das sei Schnee von gestern, würe er noch unter dieser aussichtslosen Liebe leiden, wäre er schon längst abgereist. Er bittet um Alberts "treue Bruderhand" und versichert noch einmal "Entsagend mich zu freun, das ist mein Los auf Erden".
    Die muntere Sophie gesellt sich zu ihnen und fordert den heimlich verehrten Werther auf, sie zum Tanzpodium zu begleiten. Albert, der seinen abweisenden Blick bemerkt, versucht ihm die Schwägerin schmackhaft zu machen, sie sei genau richtig für ein melancholisches Gemüt und oft stünde das Glück direkt vor einem und man sähe es nicht.
    Wieder allein, gesteht sich Werther ein, dass er sich selbst belügt, wenn er behauptet, nur mehr freundschaftliche Gefühle für Charlotte zu hegen. Schon will er entfliehen, da tritt das Objekt seiner Sehnsucht aus der Kirche und er fühlt, dass er bleiben muss, denn "nur bei ihr ist Seligkeit, ist Leben". Ein Zusammentreffen ist also unvermeidlich, aber während es Charlotte gelingt, ihren Gefühlsaufruhr zu verbergen und einen unverbindlichen small-talk startet, verliert Werther die zuvor mühsam gewahrte Fassung und erinnert sie an die Seligkeit ihres nächtlichen Spaziergangs nach dem Ball. Charlotte erinnert ihn energisch daran, dass sie eine verheiratete Frau ist, er solle sich einer anderen zuwenden und wenn er das nicht könne, müsse er die Gegend verlassen. Auch dann könne er sie nicht vergessen, und wenn er sie nicht mehr sehen darf, wäre sein Leben sinnlos. Nun schwächt Charlotte ab: Die Trennung solle ihn nur zur Vernunft bringen, aber zu Weihnachten dürfe er sie wieder besuchen. Dann folgt sie den anderen zum Festplatz.
    Werther will stark sein, um Charlottes Wunsch zu erfüllen, doch spielt er auch zum ersten Mal mit dem Gedanken aus dem Leben zu scheiden. Sophie reißt ihn aus seinen Grübeleien, sie will ihn zum Tanz holen. Werther reagiert darauf beinahe panisch, er müsse fort, und zwar sofort und auf immer. Sophie bricht in Tränen aus und wird in diesem Zustand von Charlotte und Albert gefunden. Sie wiederholt ihnen Werthers Abschiedsworte, woraus Albert die richtige Schlussfolgerung zieht: "Er liebt sie!"


    3. AKT
    Alberts Haus, 24. Dezember 1772
    1. Bild:
    Charlotte ist unglücklich, sie kann Werther nicht vergessen und ihre Gefühle für ihn werden mit jedem Tag der Trennung stärker. Sie liest seine Briefe, besonders den letzten, dessen darin unverhohlen geäußerte Todessehnsucht sie in Unruhe versetzt. Sophie, aufgekratzt wie immer, kommt mit den Weihnachtsgeschenken und bemerkt sofort die desolate Verfassung ihrer Schwester. Charlotte will alles leugnen, doch Sophie bringt nach einer kurzen Reminiszenz an ihre sorglosen Kindertage die Sache auf den Punkt: Seit "ein Gewisser fort von hier ist", sei die allgemeine Stimmung im Keller. Charlotte reagiert so heftig auf die Erwähnung Werthers, dass sich ihre Schwester ernsthaft Sorgen macht und sie inständig bittet, den Weihnachtsabend im Kreise ihrer Geschwister zu verbringen, denn Albert werde wohl nicht rechtzeitig von seiner Geschäftsreise zurück sein. Halbherzig sagt sie zu.
    Wieder alleine, fleht Charlotte Gott an, ihr die nötige Stärke zu geben, um weiterhin ihre Pflicht zu tun und nicht vom Pfad der Tugend abzuweichen. Da taucht Werther auf. Er beteuert, dass er eigentlich nicht kommen wollte, um sie nicht zur Zeugin seiner Qualen zu machen, aber er hätte nicht anders gekonnt. Charlotte überspielt die heikle Situation, indem sie ihm versichert, alle würden sich über seinen Besuch
    freuen, man denke in der Familie oft an ihn. Auch das Zimmer sei noch genau so, wie er es in Erinnerung habe, alles sei an seinem Platz. Gerührt erkennt Werther das Klavier, wo sich ihre "Seelen in Musik umschlungen", die vertrauten Bücher, das Pistolenkästchen, das wieder Selbstmordgedanken in ihm weckt. Charlotte schlägt das Heft mit den Gedichten Ossians auf, mit deren Übersetzung Werther im Sommer begonnen hat. Bewegt rezitiert er die Verse "Pourquoi me reveiller, o souffle du printemps?" (Warum bist du aufgewacht, du schöne Frühlingszeit?) Charlotte gerät während seines Vortrags in sichtbare Erregung, was von Werther völlig richtig interpretiert wird. Sie hätten sich beide etwas vorgemacht, ihre Gefühle für einander seien nicht erloschen, sondern sehnten sich nach Freiheit und Erfüllung. Stürmisch fordert er einen Kuss und das Eingeständnis ihrer Liebe. Wehrlos sinkt Charlotte in seine Arme, schreckt aber sofort wieder hoch. Auch Werther kommt wieder zur Besinnung und bittet sie um Verzeihung, aber sie flüchtet ins angrenzende Zimmer und versperrt die Türe. Vergeblich fleht Werther um eine letzte Aussprache und schwört, ihre Tugend zu heiligen, hinter der Türe bleibt es stumm. Verzweifelt stürzt er davon, entschlossen, seinem nun sinnlosen Leben ein Ende zu setzen.
    Albert kehrt zurück und findet seine Frau in einem ziemlich verstörten Zustand vor. Sofort erwacht in ihm der Argwohn, hat er doch gehört, dass sich Werther wieder in Wetzlar aufhalten soll. Während er Charlotte noch verhört, bringt ein Bote einen Brief von Werther. Er plane eine Reise und bitte Albert um seine Pistolen. Dieser fordert seine bestürzte Frau auf, dem Mann den Waffenkasten auszuhändigen, bevor er den Brief zornig zerknüllt und den Raum verlässt.
    Charlotte ahnt, was Werther in Wahrheit plant, und eilt davon, um das Unglück zu verhindern.
    2. Bild:
    Charlotte findet Werther mit der tödlichen Schusswunde auf dem Boden seines Arbeitszimmers. Als sie sich weinend über ihn wirft, kommt er wieder zur Besinnung und bittet sie um Vergebung. In ihren Armen zu sterben sei alles, was er sich noch wünsche. Charlotte gesteht ihm nun ihre Liebe, nur die Fesseln der Ehe hätten sie daran gehindert, ihrem Herzen zu folgen und die Seine zu werden. Aber nun wolle sie seinen Kuss erwidern, und nichts könne sie mehr entzweien. Von Ferne hören sie die Amtmannskinder das Weihnachtslied singen. Werther ist glücklich, er beschreibt die Stelle, wo er bestattet werden will, falls man ihm ein christliches Begräbnis verweigert, und verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, dass ihn dort ein "treues Weib" beweinen werde. Er stirbt, und Charlotte sinkt ohnmächtig zu Boden, während aus der Ferne glückliches Kinderlachen zu ihnen herüberdringt.