Die Bachkantate (119): BWV45: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist

  • BWV 45: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist
    Kantate zum 8. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 11. August 1726)




    Lesungen:
    Epistel: Röm. 8,12-17 (Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder)
    Evangelium: Matth. 7,15-23 (Aus der Bergpredigt: Warnung vor falschen Propheten – „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“)



    Sieben Sätze, Aufführungsdauer: ca. 23 Minuten


    Textdichter: unbekannt
    Choral: Johann Heermann (1630)



    Besetzung:
    Soli: Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Traversflöte I + II, Oboe , Oboe d’amore, Violino I/II, Viola I/II, Continuo





    1. Chor SATB, Traversflöte I + II, Oboe, Oboe d’amore, Streicher, Continuo
    Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich:
    Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.


    2. Recitativo Tenor, Continuo
    Der Höchste lässt mich seinen Willen wissen
    Und was ihm wohlgefällt;
    Er hat sein Wort zur Richtschnur dargestellt,
    Wornach mein Fuß soll sein geflissen
    Allzeit einherzugeh’n
    Mit Furcht, mit Demut und mit Liebe
    Als Proben des Gehorsams, den ich übe,
    Um als ein treuer Knecht dereinsten zu besteh’n.


    3. Aria Tenor, Streicher, Continuo
    Weiß ich Gottes Rechte,
    Was ist’s das mir helfen kann,
    Wenn er mir als seinem Knechte
    Fordert scharfe Rechnung an?
    Seele! denke dich zu retten,
    Auf Gehorsam folget Lohn;
    Qual und Hohn
    Drohet deinem Übertreten!


    Parte seconda


    4. Arioso Bass, Streicher, Continuo
    Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr! haben wir nicht in deinem Namen geweissaget, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben?
    Haben wir nicht in deinem Namen viel Taten getan?
    Denn werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt,
    weichet alle von mir, ihr Übeltäter!


    5. Aria Alt, Traversflöte I, Continuo
    Wer Gott bekennt
    Aus wahrem Herzensgrund,
    Den will er auch bekennen.
    Denn der muss ewig brennen,
    Der einzig mit dem Mund
    Ihn Herren nennt.


    6. Recitativo Alt, Continuo
    So wird denn Herz und Mund selbst von mir Richter sein,
    Und Gott will mir den Lohn nach meinem Sinn erteilen;
    Trifft nun mein Wandel nicht nach seinen Worten ein,
    Wer will hernach der Seelen Schaden heilen?
    Was mach’ ich mir denn selber Hindernis?
    Des Herren Wille muss geschehen;
    Doch ist sein Beistand auch gewiss,
    Dass er sein Werk durch mich mög’ wohl vollendet sehen.


    7. Choral SATB, Traversflöte I + II, Oboe , Oboe d’amore, Streicher, Continuo
    Gib, dass ich tu’ mit Fleiß,
    Was mir zu tun gebühret,
    Worzu mich dein Befehl
    In meinem Stand führet!
    Gib, dass ich’s tue bald,
    Zu der Zeit, da ich soll;
    Und wenn ich’s tu, so gib,
    Dass es gerate wohl!






    Als einzige der drei erhaltenen Bachkantaten zum 8. Sonntag nach Trinitatis (BWV 136 und BWV 178) enthält die hier besprochene ein direktes Zitat aus dem Evangelium des heutigen Sonntags.
    Im Arioso Nr. 4, mit dem der zweite Teil der Kantate (nach der Predigt) beginnt, trägt der Bass als traditionelle „Vox Christi“ die beiden letzten Verse des heutigen Evangeliums - ein Teil der Bergpredigt - vor (Matthäus Kapitel 7, Vers 22-23).
    Diesen „Einstieg“ in den zweiten Kantatenteil mit einem vom Solo-Bass vorgetragenen freien Arioso, das sich wortausdeutend an der Form einer Motette orientiert, hat Bach öfters in seinen Kantaten praktiziert, so z. B. in der eine Woche zuvor entstandenen Kantate BWV 187.
    Dieses Erklingen der Jesusworte in eindringlich gestalteter, gesungener Form, kann innerhalb der knapp gefassten Kantatenform durchaus als dramaturgischer Höhepunkt aufgefasst werden. Der erste Teil der Kantate dient dann quasi als dessen Vorbereitung, die im zweiten Kantatenteil noch folgenden Nummern als Bestätigung des nunmehr vernommenen Christuswortes.


    Die Kantate beginnt mit einem weiteren Bibelzitat – diesmal aus dem Alten Testament (Micha Kapitel 6, Vers 8) – es handelt sich um einen weiteren der zahlreichen, meisterhaft gestalteten Bibelwort-Chöre Bachs, in denen er es versteht, eine plastische Textausdeutung mit verschiedenen anspruchsvollen musikalischen Formen (so ist z. B. eine Fuge auch in diesem Satz enthalten) zu kombinieren! :jubel:
    Besonders betont werden sollte hierbei, dass Bach dabei sein kompositorisches Hauptaugenmerk nicht nur auf den Chor richtet (der ja immerhin den wichtigen Textvortrag übernimmt), sondern auch das Orchester keineswegs nur auf eine Begleitfunktion reduziert. Gerade bei diesem Satz wird das sehr schön hörbar, wie ich finde – allein schon die farbige Orchesterbesetzung mit den vier Holzblasinstrumenten, die dem Streichensemble gegenübertreten, macht dies deutlich.


    Sehr gut gefällt mir auch die Arie Nr. 5 (in fis-moll) für Alt und konzertante Traversflöte: Ein virtuoser Satz, in der Flöte und Gesangsstimme mit zahlreichen Läufen und Koloraturen um die Wette konzertieren. =)

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Der Eingangschor von BWV 45 gehört zu den ganz großen Bibelwort-Chören Bachs, ich zähle ihn zu den acht schönsten Chorsätzen der Kantaten.

    Das Orchester etabliert ein majestätisches Thema in zwei Motivabschnitten, die sich auch im Text wiederfinden. Auf eine blockhafte Einleitung folgt ein melodischeres und kontrapunktisches zweites Motiv. Der Text geht auf den moralischen Ruf des Propheten Micha zurück: „Es ist dir gesagt Mensch was gut ist und was der Herr von dir fordert: nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben...“ (Mi 6,8). Dieser berühmte Satz aus dem Alten Testament ergänzt das Evangelium des 8. Sonntags nach Trinitatis ganz hervorragend, heißt es in Matthäus 7 doch: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Es stellt sich nicht mehr und nicht weniger als die Grundfrage der Ethik: 'Was soll ich tun?'. Das Eingangsmotiv dieses Satz beginnt diese Frage in gravitätischer Schwere zu beantworten, bevor in der Konkretion („nämlich:“) eine brillante Chorfuge einsetzt. Wieder lässt sich deuten: Die ethische Frage stellt sich allen Menschen gleich; die Beantwortung hingegen fällt vielstimmig aus.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)