Mussorgski - Geschichte eines Bildes

  • Ich hatte mich immer etwas gewundert, wenn ich Abbildungen jenes einen Portrait-Gemäldes von Modest Mussorgski sah. Es hatte so offensichtlich nicht die Aura des großen bewunderten Künstlers, die man bei dergeichen Bildern erwartet. Warum nur sah der Komponist auf diesem Bild so zerzaust, fast verwahrlost aus, anstatt wie damals üblich in bürgerlichem Staat abgebildet zu sein?


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    Als ich las, dass in der Bundeskunsthalle in Bonn zur Zeit eine Ausstellung mit Gemälden im Besitz der Tretjakow-Galerie in Moskau stattfindet, war unter anderem die Tatsache, dass genau dieses Bild zu sehen sein würde, der ausschlaggebende Faktor, mich zu einem Besuch der Ausstellung zu entschließen. Ich wollte es einmal aus der Nähe sehen.


    Die Ausstellung, die noch bis zum 26. August läuft, kann ich wirklich jedem, dem sich die Gelegenheit bietet, empfehlen! Sie bietet einen sehr interessanten Einblick darin, wie sich in Russland die Malerei parallel den gesellschaftlichen Gegebenheiten, und sich daran reibend, entwickelt hat. Kernstück der Ausstellung aber sind vier Künstler-Portraits. Eines von Leo Tolstoi, dessen Blick einem bis tief in die Seele zu gehen scheint, eines von Fjodor Dostojewski, der einen eher düster anmutet, dass hier wohl ebenfalls bekannt Bild von Nicolai Rimski-Korsakow eine Partitur studierend an seinem Schreibtisch, und eben jenes oben abgebildete Portrait des Komponisten Mussorgski. Diese vier Bilder hängen zusammen in einem Raum, begleitet von Zitaten über die Künstler und untermalt von Ausschnitten aus ihren Werken, die leise (zu leise) aus einem Lautsprecher an der Decke ertönen. Wobei es natürlich typisch ist für das Mitglied eines Klassikforums, dass ich innnerlich erst einmal die Auswahl der Einspielung kritisierte (ich meine: Alfred Brendel für Mussorgskis Bilder einer Ausstellung?) :D .


    Von den Portraits ist das von Leo Tolstoi vielleicht das eindringlichste im klassichen Sinne, in der Art wie die intensiv blauen Augen des Schriftstellers dem Betrachter bis tief in die Seele zu schauen scheinen, aber das von Mussorgski hat etwas definitiv Verstörendes an sich. Zunächst einmal sind die Farben in den herkömmlichen Wiedergaben die ich stark verfälscht. Der Bildhintergund ist im Original ein sehr hell strahlendes türkis-blau, Mussorgkis Kleidungsstück von einem intensiven grün, und wirkt damit noch merkwürdiger. Was aber an dem Bild am allermeisten ins Auge fällt, und auf Reproduktionen häufig fast völlig verloren geht, ist der glasige Blick. Es ist nicht nur die Tatsache, dass der Blick bewußt nicht auf den Betrachter gerichtet ist, die Pupillen scheinen überhaupt nicht auf irgendetwas fixiert zu sein, sein Blick geht ins Leere. Es ist ein Bild, dass beim ersten Betrachten Befremden hervorruft.


    Die beigefügte Bildbeschreibung enthielt dann den Hintergrund zur Entstehungsgeschichte dieses Bildes, der das Dargestellte erst wirklich verständlich mach (jenen, die mit der Biographie Mussorgkis vertraut sind, werde ich jetzt nichts Neues erzählen): Als Ilya Repin, einer der herausragendssten Protraitmaler Russlands, Ende Februar 1881 erfuhr, dass der Komponist Mussorgski einen Anfall erlitten und ins Krankenhaus eingeliefert worden war, wo er im Sterben lag, packte er sein Handwerkszeug zusammen und suchte Mussorgski im Hospital auf. Dort fertigte er innerhalb von vier Tagen das oben beschriebene Bild des Komponisten an. Das grüne Kleidungsstück, das er trägt ist der Krankenhaus-Morgenmantel, sein Haar ist zerzaust, daunter ist ein traditionell besticktes grobes Ober- oder Nachhemd zu sehen, sein Gesicht ist aufgedunsen. Noch im März sollte Mussorgski sterben, er würde das Krankenhaus nicht mehr verlassen.


    Doch obwohl dass natürlich einiges erklärte, da war immer noch dieser Blick, der mich nicht losließ. Für mich schien er weder einen Ausdruck von Furcht vor dem Tode widerzuspiegeln, noch so etwas wie Abgeklärtheit. Ich habe das Bild mehrfach länger betrachtet (die anwesenden Museumswärter haben wahrscheinlich schon vermutet ich sei dabei, die Lokalität für den nächsten spektakulären Kunstraub auszuspionieren 8) ). Die Erklärung, die ich für mich persönlich letztlich fand war die, dass Mussorgki zu diesem Zeitpunkt bereits massiv unter Betäubungsmitteln gestanden haben muss. Das würde das Unfokussierte, Weggetretene seines Blickes erklären, das dennoch nicht ein bewusstes "in-sich-Zurückziehen" zu sein scheint, auch wenn dieses in Anbetracht der Umstände, sterbenskrank für ein Portrait für die Nachwelt Modell zu sitzen, durchaus verständlich gewesen wäre.


    (Nachdem was ich inzwischen über die genaueren Lebensumstände Mussorgkis zu diesem Zeitpunkt gelesen habe, kommen allerdings neben der Verabreichung Betäubungsmitteln im Rahmen seiner letzten medizinischen Behandlung auch die Folgen seines Alkoholismus als Erklärung für diesen Zustand in Betracht.)


    Ein beeindruckender Einblick in diesen letzten Lebensabschnitt des Komponisten, ein wirklich beeindruckendes Portrait - wer in diesem Monat noch in die Köln/Bonner Gegend kommen sollte (oder im Umkreis wohnt), dem kann ich einen Besuch der Ausstellung nur empfehlen!


    Grüße


    katlow

  • Zitat

    Original von katlow
    (Nachdem was ich inzwischen über die genaueren Lebensumstände Mussorgkis zu diesem Zeitpunkt gelesen habe, kommen allerdings neben der Verabreichung Betäubungsmitteln im Rahmen seiner letzten medizinischen Behandlung auch die Folgen seines Alkoholismus als Erklärung für diesen Zustand in Betracht.)


    Nach allem, was man so über den guten Modest gehört hat, werden Betäubungsmittel wohl kaum mehr gewirkt haben (eine Anästhesistin kann das gut bezeugen - Alkoholiker sind recht resistent gegenüber anderen Mittelchen) und in Kombination mit seiner schönen roten Knollnase lässt sich der Blick wohl als typisches Abbild eines Alkoholikers im Endstadium deuten oder?


    :hello:
    Stefan,
    der dieses Bild auch seit Jahren faszinierend findet und schon als Motivation für eine Unterrichtsstunde verwurstet hat :pfeif:


    PS: Zu Repin - der hat doch auch in anderen Bildern weniger kaschiert, als naturalistisch darzustellen versucht, weswegen er mich auch beeindruckt...

    Viva la libertà!