Die erste Operette überhaupt? Jacques Offenbachs LES DEUX AVEUGLES oder DIE BEIDEN BLINDEN

  • Zu diesem Operettenführer erhielt ich von dem (leider nur) Kurzzeittamino Fantasio die folgenden Fragen und Ergänzungen, zu denen ich am besten die hier wesentlichen Teile des sich daraus ergebenden Dialoges - mit Dank für seine Genehmigung - wiedergebe, da sie meinen Text ergänzen und vertiefen. Zitate sind fett gesetzt, meine Antworten kursiv:


    Ø Die Handlung spielt in Paris, unter der Brücke Pont St. Michel
    Bei Offenbach heißt es lapidar: „Un pont … Paris au fond.“ (in: a) 2’me Edition, ca. 1860; b) OeK – nach: Livret de Censur, 1855)


    Es ist eine Weile her, seit ich das recherchiert habe. Bei allen konkreten Angaben folgte ich weitestgehend den Angaben der französischen Fachzeitschrift "Opérette" und dem von Boosey&Hawkes ins Netz gestellten Zensurlibretto. Ich kann aber nicht mehr ausschließen, dass die Wahl des Pont St. Michel nicht dem Libretto entstammt, sondern einem kommentierenden Text oder sogar meiner Aufnahme.


    Ø Personen
    In der Bearbeitung Hanells (Berlin 1970) wird als Stimmlage von Patachon wie Giraffier „Tenor“ genannt. Aus Offenbachs Klavierauszug der 2. Auflage wie seinem zensierten Libretto geht nichts hervor.


    Deswegen habe ich auch auf eine Spezifizierung des Stimmfaches verzichtet. Offenbach schrieb dieses Stück wohl für Singschauspieler, deren Fach ich nicht recherchieren konnte. In "meiner" (englischsprachigen mit französischen Gesangsnummern) Aufnahme handelt es sich um einen Tenor und einen sehr hellen Bariton, aber ich weiß nicht, wie verbindlich das gedacht ist.


    Ø Orchester
    Ich habe folgende Besetzungen gefunden: Wikipedia: „2 Flöten, 1 Oboe, 2 Klarinetten, 1 Fagott, 2 Hörner, 2 Kornette, 1 Posaune, Streicher. (Die später in Wien gespielte Fassung sieht 2 Oboen, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Posaunen vor.)“ – leider ohne Quellenangabe. Hanell führt auf: „3 Flöten (auch Piccolo, die 3. Flöte ist durch eine 2. Klarinette ersetzbar), Klarinette, Bassklarinette; Streicher; Cembalo oder Klavier. Bühnenmusik: Posaune.“


    Robert Hanell und Textbearbeiter Martin Vogler haben übrigens die Handlung ins Wien des 19. Jahrhunderts verlegt, auf „die Elisabeth-Brücke“. Spieldauer bei ihnen: 30 Minuten.


    Das hätte ich natürlich gerne mit Quellenangabe eingefügt. Ich hatte nämlich mangels KV oder gar Partitur keine Information dazu.


    Ø „nutzte Offenbach eine Lücke in der strikten Reglementierung der Pariser Theaterszene Was bedeutet „Lücke“ genau?
    Es gab damals noch kein Theater mit einer Lizenz für so wenig Personal. Die Lizenzen spezifizierten genau das aber sehr präzise.


    Ø Bei der Generalprobe fiel die musikalische Posse durch, und Offenbach musste sein ganzes Gewicht als Theaterdirektor geltend machen um sich gegen Plouvier durchzusetzen, der Offenbachs Werk streichen lassen wollte.
    Gibt es dazu Quellenangaben?
    Vermutlich. Ich beziehe mich auf die bereits genannte Zeitschrif "OPÉRETTE"


    Ø dass eine Hauptfigur zum Namenspatron der dickeren Hälfte des späteren Filmkomikerduos Pat und Patachon avancierte.
    Lässt sich das belegen?
    Vermutlich nicht mehr von mir. Ich habe mich früher mal sehr für die Stummfilmkomödie interessiert und las das damals. Scheint mir aber auch logisch zu sein, dass sich ein dänisches Duo nicht von ungefähr einen solchen französischen Namen zulegt.


    Ø Durch die beengten Verhältnisse und die Auflagen der Zensur war Offenbach gezwungen, in Besetzung und Instrumentierung mit geringsten Mitteln zu arbeiten.
    Auffassung erscheint mir streitbar. Man kann diese 10 Jahre wohl eher als konzeptionellen Gegenentwurf zum Musiktheater der Großen Oper sehen. - Leider sind Offenbachs Einakter seit 120 Jahren völlig von den sogenannten Offenbachiaden und seinem Hoffmann überdeckt. Was für ein Verlust!
    In der Tat. Deswegen will ich sie ja peu à peu in den Operettenführer aufnehmen, denn zum Glück gibt es von fast allen Einaktern Einspielungen des ORTF und ich habe eine große Zahl davon. Zu meiner Auffassung stehe ich, und sie wird dadurch gestützt, dass Offenbach beständig darauf drängte, sein Ensemble zu erweitern, und dies auch sofort tat, sobald die Zensur es zuließ. Er hat m. E. eher aus der Not eine konzeptionelle Tugend gemacht.


    Ø Dies hielt er auch in seinen fünf musikalischen Nummern durch
    Ich weiß nicht genau, ob das wirklich stimmt. Der Klavierauszug der enthält kein Vorspiel. Wurde es etwa von ihm oder einem Bearbeiter erst später hinzugefügt? Von wem? Wann? Ich finde nirgendwo eine Aussage dazu. (Bei Hanell ist es notiert; allerdings kürzer als mir aus einer Aufnahme bekannt.)
    Dazu kann ich nur wenig sagen. Die mir bekannte englische Aufnahme hat jedenfalls eines, welches das "La lune brille" der Operette aufgreift. Womöglich wurde es erst für die erweiterte Fassung komponiert. Oeser oder Kaye haben dazu vielleicht was veröffentlicht, aber da ich kein Musikwissenschaftler bin, kenne ich das nicht.


    Ø Diese [Stimmlagen der beiden Helden] orientieren sich wohl eher an den Stimmen der jeweils ausgesuchten Komiker als an einer Partiturvorschrift.
    So sehe ich das auch.
    (erleichtertes Smilie)


    :hello: Rideamus

  • Hier noch ein paar weitere ergänzende Anmerkungen zu Rideamus' dankenswerter Arbeit:


    Zitat

    Original von Rideamus: Das Eröffnungsprogramm bestand aus einem Prolog, einer zweiten Operette von Edouard Plouvier („Une nuit blanche“), einer Pantomime und Offenbachs erster eigener musikalischer "Bouffonnerie" (Posse), eben „Les Deux Aveugles“.


    Die Opéra-comique (ein Akt) „Une nuit blanche“ ("Die Hochzeitsnacht" - deutsche Bearbeitung von Tomasz Dabrowski und Dirk Schortemeier, WDR-Musikfest 4.6.2006 Bad Ems; früher auch herausgebracht als "Die schlaflose Nacht" und "Der Schmuggler") war der erste Streich dieses Abends - komponiert von Offenbach. Von Edouard Plouvier stammt das Libretto. Thema ist "die Hochzeitsnacht einer Schmugglerbraut, mit Zöllner-Eifersucht" (P. Walter Jacob).


    Der Prolog "Entrez mesdames, messieurs" ("Cabaret" ;-), für den Offenbach nach Darstellung von Jacob dreimal den Autor wechselte, stammte schließlich hauptsächlich von dem jungen Ludovic Halévy - Sohn des Theaterautors Léon Halévy und Neffe des Komponisten Fromental Halévy, der später, oft gemeinsam mit Henri Meilhac, etliche der Libretti zu Offenbachs größten Erfolgen (wie auch Bizets "Carmen") beisteuerte. (Sein Offenbach-Debüt erschien unter dem Pseudonym "Jules Méry & Jules Servières".) In der anschließenden Pantomime verarbeitete Offenbach übrigens Motive Rossinis, welcher die Eröffnung der "Bouffes" als Ehrengast adelte.


    „Les Deux Aveugles“ vom 5. Juli 1855 war aber nicht nur aus diesem Grund nicht Offenbachs erste Bouffonnerie. Zehn Tage früher, am 26. Juni in den "Folies-Nouvelles", hatte bereits sein "Musikalischer Kannibalismus in 1 Akt" Premiere: "Oyayaye ou la Reine des Îles" (herausgebracht - lt. Zensurlibretto - unter dem Titel "Racle-à-mort et Oyayaye ou Contrebasse et Anthropophagie"). Derartige Wort- und Sinnspiele sollten von nun an zum festen Bestandteil des Werks werden, man denke nur an Ba-Ta-Clan (1855) oder Vert-Vert (1869). Das Libretto zu "Oyayaye" stammte ebenfalls (wie das der "Aveugles") von Jules Moinaux.


    Außerdem wurden Stücke wie das später unter dem Titel "Mariage aux Lanternes" (1857) sehr erfolgreiche "Le Trésor à Mathurin" (Salle Herz, Mai 1853) und "Pépito" (Variétés, Oktober 1853) an Offenbachs eigenem Theater "nur" erneut herausgebracht. Berücksichtigt man, dass die "Hochzeit bei der Laterne" konzertant aufgeführt wurde, so müsste wohl die einaktige Opéra-comique "Pépito" als erste Operette überhaupt gelten.



    Zitat

    Original von Rideamus: Vorspiel des Miniorchesters


    Diese Ouvertüre existierte ursprünglich nicht. Wer sie wann hinzugefügt hat kann ich nicht sagen. Aber noch in der zweiten Auflage des Klavierauszugs (ca. 1860) kommt sie nicht vor.



    Zitat

    Original von Rideamus: „Haveugle de nessance“ (Blind aus Nötigung)


    Ich bin nicht sicher. Wie gesagt, es wird schludrig gesprochen und _geschrieben_ - denn "nessance" taucht wohl ausschließlich auf einem Schild auf, das Patachon sich umgehängt hat. Die phonetische Nähe zu "naissance" (Geburt) und "nuisance" (Ärgernis) scheint mir offensichtlich, so dass ich eher glaube, "Blind seit Geburt / Blind vor Wut" ist / sind gemeint. - Hm, allerdings frage ich mich schon, wie derartiger Witz zu verstehen ist, wenn das komplett intellektuell wahrgenommen werden muss.


    Gegen "Nötigung" spricht nach meiner Ansicht aber auch, dass im Gesangs- wie Sprechtext (ausschließlich) "nécessiteux" (bedürftig) verwendet wird:


    "N'est point-z un faux nécessiteux
    N'est point-z un faux né ... un faux né ...
    N'est point-z un faux né, un faux nécessiteux"


    Sieht man die doppelte Verneinung ("Ist nicht nicht ...") im Zusammenhang mit dem offenkundigen Wortspiel "un faux né ... un faux né ... un faux nécessiteux" ("...eine geborene Fälschung ... ein falscher Bettler (Bedürftiger)"), so wird die beabsichtigte Aussage ins Gegenteil verkehrt und die Figur verrät bereits, dass der dargestellte Blinde ein Betrüger ist - allerdings auf einer Metaebene, die Teil des Spiels des Komödianten mit dem Publikum ist und seine Figur eben nicht beschädigt/verrät. Freud'sche Versprecher also.


    Zu „Aveugle par axidans“ (Blind durch Umfall)
    ggf. später mehr.



    Fantasio

    «Bewundern Sie Offenbach nicht zu sehr: Er ist zwar ein exzellenter Harmoniker, aber
    im Hinblick auf den Kontrapunkt verdient er keineswegs Ihre ausschließliche Bewunderung.»
    Richard Wagner, 14.11.1867

  • Lieber Fantasio,


    ganz herzlichen Dank für diese ergänzenden Erläuterungen. Besonders den Hinweis auf die Chronologie und PEPITO als möglicherweise als die erste AUFGEFÜHRTE Operette finde ich sehr wertvoll. Wie ist der gestützt und worauf beruht Deine Aussage, LE TRÉSOR A MATHURIN sei identisch mit dem vier Jahre später uraufgeführten LE MARIAGE AUX LANTERNES? Oder anders gefragt: wie, wenn überhaupt, unterscheidet sich MARIAGE von TRESOR? Dieses Stück kenne ich nämlich gar nicht.


    Zu der zwangsläufig holprigen Übersetzung "Blind aus Nötigung" bekenne ich mich freiwillig. Du hast sehr schlüssig erläutert, warum Offenbachs Wortspiele, bzw. die seiner Librettisten, eigentlich unübersetzbar sind. Dennoch ist das im Theateralltag nötig. Wenigstens braucht man im Falle des Schilds des Blinden keinen Reim oder Rhythmus zu berücksichtigen. Man sollte aber die Mechanik des Wortspiels nachvollziehen können. Die beruht darauf, dass der angebliche Blinde schlecht in Orthografie, also von begrenzter Intelligenz, aber auch verlogen ist und deshalb sein Schicksal dreist übertreibt. "Blind von Geburt" zu verballhornen ergäbe nur sinnlose Worte, also musste das Element der Not herhalten. Ich hätte auch "Blind aus Notdurft" schreiben können, aber das wäre nur ein plattes Wortspiel gewesen, während mir Nötigung auch wenigstens andeutungsweise den verlogenen Bettler des "aveugle par axidans" (Blind durch Umfall) zu charakterisieren schien, der den armen Übersetzer gleich noch mit einem weiteren Wortspiel auf der Basis miserabler Orthografie überfordert


    Vollkommen zutreffend finde ich Deinen Hinweis auf das "necessiteux" im Text, bei dem Du allerdings das zusätzloiche Wortspiel "un faux nez" (eine falsche Nase) übersiehst, das ebenfalls als Hinweis auf die falsche Brille = Blindheit verstanden werden kann.


    Nur: wie bringt man das alles auf ein kurzes Schild, das möglichst noch einen Lacher hevor rufen soll? Vielleicht wäre "Bilnd aus Notdurft" da doch die wirkungsvollere Übersetzung gewesen.


    Es ist doch schon erstaunlich, wie viel Überlegung und Witz in so wenigen Zeilen stecken kann.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus: Vorab: eigentlich sollen im Opern- und Operettenführer keine Diskussionen geführt werden


    Hm, das bestätigt nur meine Auffassung, dass die technischen Möglichkeiten (der Forumssoftware?) an dieser Stelle dringend einer Erweiterung bedürfen. Opern- und Operettenführer sollten als Wiki strukturiert und natürlich ständig durch jeden Beteiligten veränderbar (und Schritt für Schritt "Rückgängig-korrigierbar") sein, so dass notwendige (zwangsläufig oft sehr detaillierte und somit spezielle) Diskussionen zum Beitrag parallel im Hintergrund geführt werden können, während der zunächst allgemein sichtbare Artikel im Vordergrund dem jeweils aktuellen Kenntnisstand entspricht (inklusive der gemeinschaftlich akzeptierten Korrekturen und Ergänzungen).


    Erst dann werden die überwältigenden Vorteile der (gemeinsam von allen Interessierten) dynamisch erweiterbaren Online-Publikation gegenüber einer statischen Print-Ausgaben nutzbar.


    Von daher halte ich es für bedenkenswert, falls eine solche Umsetzung hier im Forum nicht realisiert werden kann, mit den Einträgen (gern auch zusätzlich oder zumindest zunächst mal) in die Wikipedia umzuziehen, so dass tatsächlich gebrauchsfähige Nachschlagewerke enstehen können.


    Vielleicht kann diese Überlegung mal ein Mod oder Admin kommentieren?



    Zitat

    Original von Rideamus: den Hinweis auf die Chronologie und PEPITO als möglicherweise als die erste AUFGEFÜHRTE Operette finde ich sehr wertvoll. Wie ist der gestützt?


    (Quellenangaben zitiert nach: "Bibliotheca Offenbachiana" ("eine systematisch-chronologische Bibliographie"), bearbeitet von Thomas Scipperges, Christoph Dohr, Kerstin Rüllke, Köln 1998, S. 115 f.)


    4. "Pépito" (A. 604) Opéra-comique (ein Akt), Battu & Jules Moinaux [Pseudonym von Joseph-Désiré Moineaux], Variétés, 8. Oktober 1853. Deutscher Titel: Das Mädchen von Elizondo (Wiener Fassung in zwei Akten).


    4.1. Artikel und Aufsätze:
    Josef Heinzelmann in: Piper 1991, S. 487-489.


    4.2 Zeitgenössische Aufführungsberichte:


    [B. P.]
    - Pariser Briefe. Pepito, Operette von J. Offenbach [Théatre des Variétés], in: Niederrheinische Musik-Zeitung, Nr. 24, Köln 1853, S. 189-190.
    - Teatri e notizie diverse. Parigi. Notizie diverse [Pépito, Opéra-Comique], in: L'italia musicale, Mailand 1853, S. 357.
    - Neue und neueinstudierte Opern, in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 51, Leipzig 1859, S. 155. u. S. 183


    [A.G.]
    - Correspondenz. Braunschweig [Frl. Eggling in Offenbachs "Mädchen von Elizondo"], in: Monatsschrift für Theater und Musik, Wien 1859, S. 597-598.
    - Neue und neueinstudierte Opern, in: Neue Zeitschrift für Musik, Leipzig 1859, S. 111.
    - Wiener Wochenblatt. Rückblick auf Theater und Concert-Leistungen [Carltheater], in: Monatsschrift für Theater und Musik, Wien 1859, S. 10-12.
    - Otto Gumbrecht
    Berliner Musikbericht. Offenbach's Mädchen von Elizondo, in: Monatsschrift für Theater und Musik, Wien 1860, S. 6-9.
    - Gustav Engel
    Berliner Briefe (1.). Offenbach's "Mädchen von Elizondo" (20. Dezember 1859), in: Niederrheinische Musik-Zeitung, Köln 1860, Nr. 1, S. 5-7.
    - A. Soubies
    Une premiere par jour. Causeries sur le théâtre, Paris 1888, S. 240-241.


    Womöglich muss man aber in dieser Betrachtung auch "L'Alcôve" (No. 2, A. 532) berücksichtigen, eine Opéra-comique in einem Akt (Libretto: de Forges, Adolphe du Leuven & Eugène Roche), die (lt. "Bibliotheca Offenbachiana") am 24.04.1847 im Salle de la Tour-d'Auvergne uraufgeführt wurde und am 09.01.1849 unter dem Titel "Marielle" (später auch: "Sergeant und Commandant") am Kölner Theater herauskam. -
    Tja, demnach wäre die Erfindung der Operette in deutsch-französischer (selbstverständlich vor allem jüdischer) Personalunion erfolgt und diese in Kooperation zwischen Paris und Köln erstmalig der Welt präsentiert worden? Warum sagt mir das keiner?! ;-)


    Allerdings erfolgt auf www.jacques-offenbach.de folgende Aussage: "»Pépito« war das erste Werk Offenbachs, welches an einem professionellen Theater szenisch uraufgeführt wurde. [ Michael Laricchia ]".


    Entscheide du, bitte. Oder wer sich sonst berufen fühlt. ;-) Ich schließe mich dann an.



    Zitat

    Original von Rideamus: worauf beruht Deine Aussage, LE TRÉSOR A MATHURIN sei identisch mit dem vier Jahre später uraufgeführten LE MARIAGE AUX LANTERNES?


    - www.jacques-offenbach.de
    - www.jacques-offenbach.de
    - www.klassika.info
    - nach P. Walter Jacob: "Offenbach", Hamburg 1997, S. 65


    - Christoph Dohr [Hrg.]: "Bibliotheca Offenbachiana" (s.o.), S. 115 u. S. 125:


    3. Le Trésor à Mathurin (A. 623)
    Opéra-comique (ein Akt), Léon Battu, Salle Herz, Mai 1853


    30. Le Mariage aux laternes (A. 593)
    Opérette (ein Akt), Carré & Battu, Bouffes-Parisiens, 10. Oktober 1857. Deutsche Titel: Die Hochzeit bei den Laternen, Die Verlobung bei Laternenschein, englischer Titel: Treasure Trove [wahrscheinlich identisch mit Le Trésor à Mathurin]



    Zitat

    Original von Rideamus: Wenigstens braucht man im Falle des Schilds des Blinden keinen Reim oder Rhythmus zu berücksichtigen. Man sollte aber die Mechanik des Wortspiels nachvollziehen können.


    Wie gesagt, dieser (nur phonetisch auffällige) Witz wird sich allein durch das Schild kaum hergestellt haben. Im Zensurlibretto fehlt diese Angabe (und jeder Hinweis auf Schilder), so dass ich annehme ihre Einführung basiert auf einem (späteren) Regie-Einfall bzw. der Initiative der Darsteller. Vermutlich wird der Un-Sinn der Aufschrift bühnenwirksam zusätzlich verstärkt worden sein, ohne dass sich dies aus der uns vorliegenden 2. Auflage des Klavierauszugs zwingend ergibt. Alles andere wäre wohl unverständlich. Jedenfalls könnte (und müsste) man auf das Schild verzichten (bzw. auf ein entsprechendes Wortspiel); "Blind aus Nötigung" hat für mich nicht nur keinen Witz, sondern ist dem Sinn nach gar nicht (von mir) zu begreifen, sorry. :-)


    Zitat

    Original von Rideamus: Nur: wie bringt man das alles auf ein kurzes Schild, das möglichst noch einen Lacher hevor rufen soll? Vielleicht wäre "Blind aus Notdurft" da doch die wirkungsvollere Übersetzung gewesen.


    100pro! Wobei "Blind vor Wut" (also ohne Wortspiel) auch infrage käme, da diese umgangssprachliche Wendung als Sachinformation keinerlei Wert hat - sich also (wie beabsichtigt) als Schein-Begründung zu erkennen gibt, obwohl die Aussage eigentlich plausibel klingt.


    Zitat

    Original von Rideamus: Vollkommen zutreffend finde ich Deinen Hinweis auf das "necessiteux" im Text, bei dem Du allerdings das zusätzloiche Wortspiel "un faux nez" (eine falsche Nase) übersiehst, das ebenfalls als Hinweis auf die falsche Brille = Blindheit verstanden werden kann.


    Super! Danke, danach habe ich gesucht!


    Zitat

    Original von Rideamus: Es ist doch schon erstaunlich, wie viel Überlegung und Witz in so wenigen Zeilen stecken kann.


    Ur-Komödianten auf der Bühne, was braucht es da an Denke?! ;-)


    Fantasio

    «Bewundern Sie Offenbach nicht zu sehr: Er ist zwar ein exzellenter Harmoniker, aber
    im Hinblick auf den Kontrapunkt verdient er keineswegs Ihre ausschließliche Bewunderung.»
    Richard Wagner, 14.11.1867

  • Zitat

    Original von Rideamus: den verlogenen Bettler des "aveugle par axidans" (Blind durch Umfall) zu charakterisieren


    "Aveugue par axidans" ergibt ebenfalls keinen Sinn, klar. Auch hier (wie bei 'Haveugle' auf Patachons Schild) zunächst der direkte Hinweis auf den Bildungsstand des Trägers und anschließend das Wortspiel. Wenn wir uns einig sind, dass 'axidans' für 'accidents' steht, also Unfälle, so fällt die Bedeutung von Verkehrsunfälle (oder auch Arbeitsunfälle) sicher weg, da zur Begründung ein einziger genügen würde. Folglich ergibt nur das Verständnis von 'Schicksalsschläge' Sinn; insofern erscheint mir 'Umfall' als rein orthographisches Missverständnis zu unpräzise. Vielleicht könnte die Formulierung lauten: "Blind durch Malörs"?


    Das passt auch insofern gut zur Figur, als Giraffier ständig andere für seine persönliche Situation verantwortlich macht, stets muss ausgerechnet _ihm_ alles schiefgehen ...


    Überträgt man dieses Verständnis auf Patachons "Haveugle de nessance" und lässt hier nur die Bedeutung von 'naissance' gelten, so könnte dieses 'Blind von Geburt' möglicherweise formuliert werden als "Blinnt von Endbindung"?


    Nicht so schön finde ich, dass beide den selben (Orthografie-) Defekt haben und somit das gleiche Bildungsniveau. Effektvoller ist es zumeist, bei der Typisierung die Kontraste zu suchen. Daher halte ich es für begrüßenswert, wenn nur Giraffier Rechtschreibfehler macht (was bei einem so schwierigen Fremdwort auch glaubhaft ist), während Patachon korrekt schreibt. Somit favorisiere ich letztlich für sein Schild die Aufschrift "Blind von Entbindung".


    Was meinst du dazu?


    Jan

    «Bewundern Sie Offenbach nicht zu sehr: Er ist zwar ein exzellenter Harmoniker, aber
    im Hinblick auf den Kontrapunkt verdient er keineswegs Ihre ausschließliche Bewunderung.»
    Richard Wagner, 14.11.1867

  • Lieber Fantasio,


    da gefallen mir Deine Gedankengänge besser als das Resultat. Das ist zwar nicht schlechter als meines, IMO sogar etwas besser, krankt aber an demselben Problem, das jeder Versuch aufwirft, ein fremdsprachiges Wortspiel zu übersetzen, zu dem es keine klanglichen Entsprechungen in der neuen Sprache gibt. Man konstruiert möglichst intelligente Parallelen, aber die intellektuelle Anstrengung schimmert durch und zieht Aufmerksamkeit auf sich, wo sie nicht hin gehört. Das Resultat ist das berühmte Aufstöhnen, wenn ein Witz nicht funktioniert, aber seine Absicht erkennen lässt. Wäre ich der Regisseur einer Aufführung, würde ich wahrscheinlich darauf verzichten, an der Stelle überhaupt witzig sein zu wollen und das möglichst woanders kompensieren.


    Den dramaturgischen Gedanken, nicht beiden die gleiche Legasthenie anzuhängen, finde ich völlig richtig, auch wenn das Original diesen Fehler macht. Insofern würde ich mich mit einem Schild "Blind durch Malör" begnügen und auf das andere schreiben "Blind durch Unfälle", was zwar orthografisch richtig, aber auf eine andere Weise blödsinnig ist, wie Du sehr richtig aufzeigst.


    Wie ich soeben erst bemerke, wurde diese Diskussion von Alfred bereits aus dem Operettenführer entfernt und in einen eigenen Thread gepackt, der jetzt allerdings zu einem Dialog in einer Sackgasse zu verkümmern droht. Es sollten sich aber auch andere ermutigt fühlen, sich zum Thema Offenbach in der Übersetzung zu äußern und das durchaus auch an anderen Beispielen als dem hier gewählten und womöglich nicht besonders bekannten. Um das augenfälliger zu machen, werde ich in Kürze einen neuen Thread starten, der sich auf diesen bezieht, und in dem grundsätzlicher zu den Problemen der Übersetzung fremdsprachiger Oper(ette)n diskutiert werden kann.
    :hello: Rideamus