Lieblingspassagen aus literarischen Werken

  • Auch er fehlt in den Listen der großen Autoren des 19. Jahrhunderts, dabei hat er einen der Jahrhundertsromane geschrieben, Die Epigonen. Lieben gelernt habe ich ihn mit dem wild versponnenen Roman Münchhausen, der eine der schönsten Erzählungen deutscher Sprache enthält, den Oberhof. Der Kontrast zwischen dieser, in Fortsetzungen während des Romans mitgeteilten Novelle und der wunderbaren Fantasterei des Übrigen macht ein Teil seiner Wirkung aus, so dass es durchaus lohnt, sie dort kennenzulernen, wo sie steht, und sie nicht - wie oft üblich - aus dem Kontext herauszulösen.


    Karl Immermann: Münchhausen fängt mit dem elften Kapitel an und läuft erst einmal so weiter, bis ein Briefwechsel von Herausgeber und Buchbinder zwischengeschaltet und dann die "fehlenden" Kapitel nachgeliefert werden - einer der vielen Geniestreiche dieses Romanes, dessen Anfang ich als Schokoladenfalle hier hineinsetze. Aber sich von diesem Roman gefangen lassen zu nehmen, ist noch niemandem schlecht bekommen ...


    Eilftes Kapitel


    Worin der Freiherr seinen Abscheu vor dem Laster des Lügens nicht allein ausspricht, sondern auch betätigt.


    »Was für ein schändliches Laster ist das Lügen! Denn erstens kommt es leicht heraus, wenn einer zu arg flunkert, und zweitens kann jemand, der sich's angewöhnt hat, auch einmal die Wahrheit sprechen, und keiner glaubt sie ihm dann.


    Daß mein Ahnherr, der Freiherr von Münchhausen auf Bodenwerder einmal in seinem Leben die Wahrheit sagte, und niemand ihm glauben wollte, das hat bei dreihundert Menschen das Leben gekostet.«


    »Wie?« riefen der Baron und seine Tochter aus einem Munde.


    »Geschätzte Freunde und liebe Wirte, mäßiget euer Erstaunen«, versetzte der Gast, indem er, wie ein Kaninchen, die Nasenflügel zitternd bewegte, und mit den doppelfarbigen Augen zwinkerte. »Nichts natürlicher, als das. Hört nur zu. Der besagte Ahnherr war leider Gottes, wie ihr wißt, ein ungemeiner und erschrecklicher Lügensack. Wer erinnert sich nicht der zwölf Enten, die er mit einem Stücke Schinkenspeck fing, nicht seines halbierten Rosses, welches in diesem Zustande der Halbheit dennoch eine Nachkommenschaft zu erzielen vermögend war, nicht des tollgewordnen Jagdpelzes, nicht der im Posthorn eingefrornen Töne, und – und – oh! oh! oh! – –«


    Das blaue Auge des Enkels weinte, sein braunes blitzte von tugendhaftem Zorne, er konnte nicht weiterreden. Dem alten Baron und seiner Tochter gelang es endlich, ihn zu beruhigen. Der edle Redner schluchzte noch ein weniges, dann fuhr er so fort: »Es ist meiner Treu recht schlecht von mir, daß ich von meinem in Gott ruhenden Ahnherrn Übles rede, aber ehrlich währt am längsten. Dieser Mensch und Lügner hat die historische Wahrheit auf Jahrhunderte hin vergiftete, und die nachgebornen Geschlechter gewissermaßen unter die Botmäßigkeit jedes Irrwahns gegeben, der seitdem in der Welt auftrat. Ja, um mich eines Gleichnisses aus einer seiner abgeschmackten Fabeln zu bedienen, es erging der Menschheit nachmals mit jedem falschen Propheten wie dem Bären, den der Ahnherr an die honigbeschmierte Wagenstange lockte, und der sich durch und durch auf selbige hinaufleckte. Denn es mochte den Leuten etwas noch so Unglaubliches vorgeschwätzt werden, sie riefen immer: ›Das muß wahr sein; Münchhausen hat ganz andre Sachen erfahren!‹ So leckten sich die Leute vor fünfzig bis sechzig Jahren auf den Eiszapfen der Aufklärung hinauf, und als sie mit Mühe und Not von diesem wieder heruntergeschroben waren, und die grimmige Erkältung noch in ihren Eingeweiden rasselte, da kamen die Franzosen und hielten ihnen den Freiheitsbaum vor, mit einer Mischung von Sirup und Kognak bestrichen, und die Narren leckten wieder so tapfer darauf los, daß sie bald alle mit Schmerzen an dem stachlichten Stamme festsaßen, und Napoleon mit leichter Mühe sie daran hinter sich herziehen konnte. Nun, diese Begeisterung nahm denn endlich auch ein Ende mit Schrecken und gegenwärtig ...«


    »Gegenwärtig?« fragte der Baron erwartungsvoll. »Gegenwärtig«, versetzte der Freiherr bedächtig, »werden so viele und verschiedenartige Stangen, Bäume und Zapfen, worunter sich auch einige Eisenschienen befinden, mit Honig bestrichen, daß sich noch nicht entscheiden läßt, welches dieser Fangmittel die meisten zu fesseln imstande sein werde.«


    »Aber das Wort der Wahrheit durch welches Ihr Ahnherr an die dreihundert Menschen tötete!« rief das Fräulein Emerentia sanft und dringend.


    »Recht so, meine Gnädige«, erwiderte der Freiherr. »Allegorie und Phantasiespiele sind aus der Mode, gehören der Ramlerschen Zeit an; Stoff! Stoff! Stoff! ruft die nach Realitäten hungrige Welt. Hier ist der meinige. Münchhausen, der Ahnher, war trotz seines greulichen Lasters eine selten begabte Natur. Er hatte mit Cagliostro in Verbindung gestanden, zu seiner Zeit Gold gemacht, von der Sorte, die man Knallgold nennt, man versicherte, er höre, nicht im figürlichen, sondern im buchstäblichen Sinne, das Gras wachsen, kurz, er hatte tiefe Blicke in so manches Naturgeheimnis getan. Besonders war an ihm ein scharfes Ahnungsvermögen für eigne Körperzustände ausgebildet worden, und alles, was nachmals in diesem Betreff von nervösen oder somnambülen Personen erzählt worden ist, war Kleinigkeit gegen das, was glaubwürdige Gewährsmänner mir von ihm berichtet haben. Er wußte an sich selbst jede Befindensveränderung, wie die Homöopathen die Krankheiten nennen, vorauszuspüren, und trug, sozusagen, seine ganze somatische Zukunft, im Geruch vorgebildet, mit sich umher. Daß einer merkt, wenn ein Schnupfen bei ihm im Anzug ist, will nicht viel bedeuten; aber durch den Schnupfen hindurch die späteren Übel, die ihn noch betreffen sollen, zu merken, ist allerdings nicht jedem gegeben. ›Theophilus‹, sagte der Ahnherr eines Tages zu dem Manne, der mein Vater vor der Welt heißt, ›Theophilus, ich kriege morgen einen rechtschaffenen Schnupfen, wenn der vorüber ist, gibt's ein kaltes Fieberchen, und darnach wird der Rest der bösen Schärfe als Podagra in den rechten Fuß fahren.‹ Und richtig, so kam es. Er hatte durch den Schnupfen hindurch das kalte Fieber, durch dieses hindurch das Podagra an sich abgewittert.


    Sie haben gewiß von jenem südamerikanischen Indianerstamme im Gebiete Apapurincasiquinitschchiquisaqua gehört?«


    »A ... pa ... pu ... rin ...«, buchstabierte der alte Baron. »Jawohl, jawohl haben wir von diesem Stamme gehört«, fuhr er nach einigem Besinnen fort. »Wer sollte auch davon nicht gehört haben!«


    »Apapurincasiquinitschchiquisaqua«, flüsterte das Fräulein schwärmerisch vor sich hin.


    »Dieser Indianerstamm«, sagte der Freiherr, »wohnt dreiundsechzigdreiviertel Meilen südlich vom Äquator auf einem Bergplateau zweitausendfünfhundert Fuß über der Meeresfläche. Von den schneeichten Piks der Cordilleras rings geschützt, leben jene Menschen ein einfaches Ur- und Naturleben hin. Nie suchte die Habsucht und Grausamkeit der Konquistadoren sie hinter ihren beschirmenden Felsenwällen heim. Bäume gibt es nicht auf Apapurincasiquinitschchiquisaqua wegen seiner hohen Lage, aber unendliche Flächen dehnen sich an den sonnebeschienenen Abhängen der Piks aus, smaragdgrün von einer Grasart, in deren breiten, fächerartigen Blättern der Westwind, welcher da beständig weht, ein melodisches Säuseln zu erwecken nicht müde wird. Zahlreiche Herden von pfirsichblütenen Kühen und Stieren (so lieblich scherzt dort die Natur in Farben), weiden in den grünen Grasweiden; die feurigen Kälber sind goldgelb, erst nach und nach nehmen sie jenen kälteren Farbenton an. Dieses Rindvieh ist der einzige Reichtum der unschuldigen Apapurincasiquinitschchisaquaner. Sie leben fast nur von der sauren oder sogenannten Schlippermilch, welche ihre schönen Jungfrauen, vom Antlitz bis zu den Fußknöcheln tätowiert, mit den feinen, rot- und gelbbemalten Fingern den strotzenden Eutern der Kühe entziehn.«


    »Ihr himmlischen Mächte, wie reizend!« sagte das Fräulein, in Gefühl schwelgend.


    (Wenn gewünscht, werde ich da noch Einiges als Fortsetzung folgen lassen, ist der Autor doch einer der von mir geliebten "Biedermänner", jene erstaunliche Reihe von Dichterpersönlichkeiten, die sich der Klassik, der Romantik wie dem Realismus auf so unterschiedliche Art und Weise entzogen)


    Liebe Grüße Peter

  • »Das heißt«, erinnerte der Baron, und rieb sich die Stirn, »aus den Eutern gewinnen sie süße Milch, und nachher machen sie den sauren Schlipper daraus.«


    »Nein!« antwortete der Freiherr. »Der saure Schlipper kommt auf jenem glücklichen Bergplateau von der Kuh, und nur, wenn er lange gestanden hat, und dem Zustande der Verdernis sich nähert, dann geht er in Süßigkeit über.«


    »Hm! Hm! Hm! Ja ... aber – –« murmelte der Alte und schüttelte den Kopf.


    »Erstaunen Sie nicht, hören Sie mich ruhig aus. Ist nicht alles Ursprüngliche sauer? Wie schmeckt die wilde und unverbildete Kastanie? Kannst du in den jugendgrünen Apfel beißen, ohne das Gesicht verzerren zu müssen, oder in die kindliche harte Pflaume? Geben Trauben, die der buhlerische Strahl der Sonne noch nicht um ihre Unschuld betrog, etwas anderes, als Essig? Pindar singt: ›Das Fürnehmste ist Wasser‹; ich aber sage: Das Ursprüngliche ist sauer.«


    »Oh, das Ursprüngliche!« seufzte Emerentia.


    »Sauer ist daher die Milch jener Naturkühe. Alle Haustiere verlieren bekanntlich durch den Umgang mit Menschen viel von ihrer ursprünglichen Ausstattung; Hund und Katze, die in der Wildnis zottige, energische Bestien sind, werden in unsern Stuben kleine glatte Schmeichler, und so gibt denn auch unser Hornvieh, weil es in alle Widersprüche abschwächender Kultur mit einging, einen Saft, von welchem wir zwar glauben, er sei das Ergebnis unverstimmter Kräfte, welcher aber gleichwohl in seiner süßen Schlaffheit nur die herabgekommne Konstitution der zahmen oder Kunstkuh anzeigt. Erst wenn diese sogenannte süße, eigentlich aber entnervte Milch eine Zeitlang gestanden hat, besinnt sie sich wieder auf ihre verscherzte Ursprünglichkeit, fährt in Reue und Scham zu den klaren Molken und dem gehaltvollen Schlipper auseinander, den die Leute in Niedersachsen auch wohl Waddicke nennen, und nun, in diesem biedern Zustande, wird sie von allen reinen Seelen in der holden Einsamkeit eines bäuerlichen Düngerhofes mit Wollust verschlürft. Aber Reue ist keine Unschuld, und unsre Schlippermilch nicht die, welche auf den Höhen von Apapurincasiquinitschchiquisaqua warm von der Kuh gezogen wird. – O tränke wieder jeder deutsche Mann saure Milch ...«


    »Und rauchte dazu seine Pfeife Tobak ...« fiel der alte Baron mit Wärme ein.


    » ... ginge dann zwischen Gemüsebeeten auf und nieder spazieren! ...« rief der Freiherr.


    »Und hörte nichts, als: ›Alle neun!‹ oder ›Sandhase!‹ von der benachbarten Kegelbahn« – seufzte der alte Baron.


    »Dann wäre Germanien wahrhaft restauriert!« schloß der Gast mit Emphase.


    »Aber um der Götter willen«, rief ein hagrer Mann, welcher während dieser Gespräche eingetreten war, »wir erfahren ja noch immer das Wort der Wahrheit nicht, wodurch Ihr Ahnherr dreihundert Menschen vom Leben zum Tode brachte!«


    Der Freiherr sah auf seine Uhr, und sagte mit dem Tone geistiger Überlegenheit, welcher ihm eigen war: »Es möchte dazu heute zu spät sein. Auf morgen also, wenn Sie vergönnen.« Er stand auf, nahm eine Kerze, und verließ, allen eine gute Nacht wünschend, das Zimmer.


    »Warum fielt Ihr ihm in die Rede, Schulmeister?« sagte der alte Baron verdrießlich zu dem Hagern. »Einen solchen Mann, mit einem so weltumfassenden Gesichtskreise muß man nie im Flusse der Worte stören, es kommt immer dabei etwas zum Vorschein, was unterhält und belehrt, und am Ende wären wir doch wohl noch zu dem Worte der Wahrheit seines Ahnherrn gediehen, wenn Ihr ihn nicht unterbrochen hättet.«



    Liebe Grüße Peter

  • »Schelten Sie mich nicht, mein Gönner, um diesen Freiherrn von Münchhausen, der uns da so unversehens in das Schloß geworfen ist«; erwiderte der Hagre. »Er kann den an Kürze und Lakonismus Gewöhnten schon ungeduldig machen, dieser endlose Redner und Erzähler, denn er verfällt immer aus dem Hundertsten in das Tausendste. Kürze aber, die körnige Kürze der Sparter, ist wie ein Köcher, darin gar viele Pfeile stecken; indem erstens ...«


    »Es ist schon gut, Schulmeister«, fiel ihm der Alte in die Rede, indem er ihn mit einem zweideutigen Blicke maß. »Warum kommt Ihr heute so spät? Wir haben alles aufgespeist.«


    Der Schulmeister Agesilaus ließ seine Augen in die Ecke des Zimmers dringen, worin ein kleiner Tisch stand, ärmlich gedeckt. Die Knochen eines verzehrten Huhns lagen auf den Tellern verstreut. »Es wollte sich in der Eile nicht des Schilfes genug für mein Nachtlager schneiden lassen«, versetzte er. »So bin ich denn hier nach dem Mahle erschienen, und werde mich zu Hause mit schwarzer Suppe verköstigen müssen.« Er zündete seine Blendlaterne an, schlug den groben, zerrißnen Mantelkragen, den er statt des Rockes trug, fester um sich, und entfernte sich nach höflicher Verbeugung gegen den Baron und das Fräulein.


    Der Alte sah sich um und murrte: »Kein zweiter Leuchter mehr hier?« Er nahm aus dem Wandschranke ein Lichtstümpfchen, steckte es in den Hals einer Flasche, und ging mit dieser Vorrichtung aus dem Stegreife davon, in tiefen Gedanken über die Erzählungen des Gastes, ohne der Tochter weiter zu achten.


    Diese hatte von allen seitherigen Verhandlungen nichts bemerkt, weil sich nach der Schilderung jenes glückseligen Bergplateaus die romantische Träumerei ihrer bemächtigt hatte, in die sie nicht selten versinken konnte. Jetzt fuhr sie aus diesen Entzückungen der Abwesenheit empor, und rief: »Großes, ungeheures Naturbild! Das Smaragdgrün der Wiesen am Abhange der Piks, vermischt mit dem Pfirsichrot der Kühe und dem Goldgelb der Kälber, sich abhebend von dem Schneeweiß der Cordillerasgipfel im Hintergrunde! O wäre ich auf Apapur ... auf Apapur ... auf der Bergebene mit dem unaussprechlichen Namen!«


    Ein Windstoß warf das Fenster auf, dessen einer Flügel, nur noch morsch in seinen Nägeln hangend, zu Boden fiel, und klirrend zertrümmerte. Das Fräulein aber achtete dieses Umstandes nicht sonderlich, sondern hob eine Tischplatte ab, stellte sie gegen die Lücke, und begab sich dann, gleich den übrigen Personen, zur Ruhe, um von der Bergeb'ne, mit deren langem Namen ich meine Zuhörer schon so oft habe behelligen müssen, weiter zu träumen.





    Liebe Grüße Peter

  • Zwölftes Kapitel


    Der Freiherr bringt zwar die angefangne Geschichte nicht zu Ende, handelt aber von andern außerordentlichen Dingen.


    Münchhausen hob am folgenden Abende ohne Vorrede also an: »Der südamerikanische Indianerstamm, welcher uns gestern beschäftigte, bringt es bei seiner sauren Milchnahrung meistens zu einem sehr hohen Alter. Es ist unter ihnen gar nicht selten, daß Männer und Frauen das hunderste Jahr zurücklegen. Weil ihre Sinne und Säfte nun immer in der unmittelbarsten Gemeinschaft mit der Natur verblieben, so wissen sie auch durch ein richtiges Gefühl, wenn die Natur sich ihr Ziel gesetzt hat. Ein solcher Sterbegreis sagt daher ganz genau Stunde, Minute und Augenblick seines Todes voraus, flicht sich die Strohflasche, worin er sich zu bestatten gedenkt ...«


    »Die Strohflasche?« fragte der Schulmeister Agesilaus. »Die Strohflasche«, erwiderte der Freiherr kaltblütig. »Wenn man mir von Anfang an zugehört hätte, so würde manche Frage zu sparen sein. Holz haben sie nicht, das sagte ich schon gestern, Särge können sie folglich nicht zimmern, sie müssen sich mit getrocknetem Grase oder Stroh helfen, um ihre Leichenfutterale zu fertigen. Ein solches Futteral hat die Form desjenigen Geflechts, worin der Maraschino von Triest verschickt wird, länglicht-viereckicht, oben mit einem kurzen, etwas engeren Halse. Dahinein kriecht nun der Sterbegreis, nachdem er von seinen Angehörigen Abschied genommen hat, und endet pünktlich in dem vorhergesagten Augenblicke. Sobald er verschieden ist, binden sie eine Blase über die Mündung, und dann setzt sich die ganze Familie im Kreise um das Sterbefutteral her und ißt zum Gedächtnis des Verewigten saure Milch. Hierauf tragen sie die Strohflasche nach der Felsenbank Pipirilipi, dem allgemeinen Begräbnisorte des Volks. Dort wird sie zu den übrigen gestellt. Ich habe jene Ruhestatt selbst gesehen; sie gewährt einen schönen Anblick. Wie auf Rayolen in einem wohlversehenen Keller stehen dort auf der Felsenbank viele tausend Flaschen nebeneinander, die Vorzeit des Volks ist sozusagen auf Stroh abgezogen.«


    »Sie waren auch auf dem smaragdgrünen Plateau?« fragte das Fräulein einigermaßen befremdet.


    »Liebe Seele, wo wäre ich nicht gewesen!« antwortete lächelnd der Freiherr. »Ich war vor einigen Jahren europamüde, warum? weiß ich selbst nicht, denn es hatte mir niemand etwas zuleide getan, aber ich war europamüde, wie man gegen eilf Uhr abends schlafmüde wird. Beschloß also, zu reisen, so weit weg, wie möglich. Weil aber heutzutage jeder Mensch, der in Betrachtung kommen will, absonderlich unterweges, interessant sein und den Spleen haben muß, reiste ich erst nach Berlin und ließ mich dort im Interessantsein unterrichten; dafür zahlte ich zwei Friedrichsdor Honorar. Dann ging ich nach London, und lernte dort bei einem Master den Spleen; der Tausendsassa war aber teuer, ich mußte ihm, Sie mögen es mir glauben, oder nicht, zwanzig Guineen entrichten, und außerdem schwören, das Geheimnis nicht verraten zu wollen.


    Nachdem ich so das Interessante und den Spleen weghatte, glückte es mir überall recht sehr. Ich trug mich bald als Engländer, bald als Neugrieche, zuweilen lag ich als Dame auf dem Sofa und hatte Migräne; dabei redete ich ein Kauderwelsch von Französisch und Deutsch, wie es zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts während der großen Sprachverderbnis Mode war. In jenen wechselnden Kostümen, und in diesem Deutsch, gorge-de-pigeon, bestand das Interessante; was aber den Spleen angeht, so führte ich immer Kampfer bei mir, um das Geheimnis frisch zu erhalten. Davon bekommt man nämlich eine blasse Couleur; ich sah bald aus, als hätte ich schon zehn Jahre im Grabe gelegen. Als ich mich eines Tages in meinem Toilettenspiegel, deren ich damals, wo ich der Eitelkeit frönte, stets mehrere besaß, zu Gesichte bekam, und meine bleiche Farbe erblickte, ging mir ein lichter Gedanke im Kopfe auf. ›Sehe ich nicht wie eine Leiche aus?‹ sagte ich zu mir selber. ›Ich will mich den Verstorbenen nennen.‹ Gesagt, getan! Dieser Einfall hat Wunder gewirkt. Einen Verstorbenen hatten die Deutschen noch nicht gehabt. Und nun gar ein Verstorbener, der so traulich mit ihnen zu plaudern wußte, und ihnen tausend Geschichtchen erzählte, die ein Lebender allenfalls auch in jedem Klatschzimmer der Sozietät hätte auftreiben können! Jung und alt, Männer und Weiber, Gelehrte und Idioten drängten sich zu den Leichenspuren des Verstorbenen; die alte Fabel wurde wieder neu, welche das Volk hinter einem geschmückten Verwesten jubelnd herwandern läßt. Geheime Künste haben es aus der Gruft emporbeschworen, die Menge zu locken. Die Jünglinge drängen sich begehrlich heran, mit der buntgeschminkten Frau Venus zu tanzen; immer weiter lockt die pestdampfende Schönheit, welche ihnen wie Zibet und Ambra riecht, die Lüsternen; endlich auf einem Kirchhofe fallen die Gewänder von den klappernden Gebeinen ab, und ein scheußliches Skelett faucht ihnen den Spruch zu: ›Sic transit gloria mundi.‹ Aber mit mir kam es nicht so weit, vielmehr blieb ich, obgleich ein duftender Verstorbener, recht inmitten der Gloria Mundi. Nachdem ich so berühmt geworden war, strich ich durch die ganze Welt, kam auch im Vorbeigehen durch Afrika; in Algier wurde ich arabisch mit allen Formalitäten, hatte dann gutes Logis bei Vizekönigs von Ägypten. Er wurde mein Duzbruder, und ich mußte ihm tausend Sachen erzählen, die er mir alle geglaubt hat. Weiter oberhalb nach Nubien zu, unfern der großen Katarakte, stieß mir ein hübsches Abenteuer mit einem Nilpferde auf. Ich sitze am Strom im Schilf, in naturalibus, wie mich der Herr geschaffen hat, denn anders bin ich in Afrika nie gegangen; esse mein Mittagsbrot in guter Ruhe, siehe da, schießt eine Bestie von Hippopotamos auf mich zu, und hat mich im Rachen, ehe ich noch rufen kann: ›Qui vive!‹ Ich indessen nehme in der Geschwindigkeit mein bißchen Geistesgegenwart zusammen, schreie in dem Rachen, als das Vieh mich eben verschlucken will: ›Monsieur! Monsieur! avec permission, je suis son Altesse telle et telle!‹ Was geschieht? Sie mögen es mir glauben oder nicht: Die gute Seele von Nilpferd spuckt mich auf der Stelle aus, wischt sich die Tränen aus den Augen ...«


    »Womit? Womit?« rief der Baron.




    Liebe Grüße Peter

  • »Womit? Womit?« rief der Baron.


    » ... mit einem Palmblatte, welches die ehrliche Haut in die rechte Vorderpfote nimmt; errötet, und rennt beschämt davon. So weit haben es Vizekönigs schon in Ägypten gebracht, daß selbst die Hippopotamoi vor literarischen Sommitäten Respekt bezeigen.«


    »Ich meine, das Nilpferd nähre sich nur von Vegetabilien, nicht von Fleisch«, wandte das Fräulein bescheiden ein.


    »Es ist vermutlich kurzsichtig gewesen, und hat mich für eine Pflanze angesehen«, antwortete der Freiherr. »Ich weiß, was ich weiß; ich habe im Rachen drin gesteckt. Wahrheit muß Wahrheit bleiben, und ehrlich währt am längsten. Wo blieb ich stehen? Ja, in Afrika. Warum soll ich Sie aber mit solchen Kleinigkeiten aufhalten? Ich war bald afrikamüde, wie ich europamüde gewesen war, beschloß daher nach Amerika zu reisen, vorher aber einen Abstecher nach Deutschland und England zu machen, wohin mich verschiedne Gründe zuvor riefen.


    Erstens hatte ich das Interessante und den Spleen etwas verlernt, und wollte daher wieder in Berlin und in London meinen Kursus machen. In Afrika sind die Leute gar nicht interessant, der Koran begünstigt diese Richtung nicht, eine arabische Schnauze ist wie die andre, und was den Spleen betrifft, so vertreibt den der Vizekönig von Ägypten durch die Bastonade; es gibt kein efficaceres Mittel gegen Schwermut, als sie. Einmal hatte ich mich mit ihm etwas brouilliert, wie das unter Freunden wohl kommen kann; da dachte ich an die möglichen Folgen für die Fußsohlen, und von dem Gedanken schon war aller Spleen weg, selbst bis auf die Erinnerung. Es kam zum Glücke nicht zu jenen Folgen, wir versöhnten uns und aßen noch denselben Mittag Sauerkraut mit Schweineohren zusammen, denn er ist ein aufgeklärter Türke, und will nächstens in einer Schrift beweisen, daß Mahomet ein Produkt der Gläubigen sei. Wo blieb ich stehen? Ja so; bei dem Spleen. Nun, das Interessante hatte ich aus Mangel an Anschauungen in meiner Umgebung ebenfalls wieder eingebüßt. Ich mußte also schon deshalb nach Deutschland und England.


    Diesmal war ich genötigt, in Berlin für den Unterricht im Interessanten eine Bonne zu nehmen, die Mère Oye, der es im Rückblick auf Personen und Zustände nicht gegangen war wie Lots Weibe bei einer ähnlichen Gelegenheit. Denn, anstatt zur Salzsäule zu erstarren, war sie nur immer gesprächiger und merkurialischer geworden. Viele Leute wollten der guten Mère und Commère etwas am Zeuge flicken; sie sagten, all ihr Geistreicheln und Interessantisieren sei doch purer Waschschaum, aber ich muß die Mère Oye verteidigen. Auf hohe Ziele hat sie es überhaupt nicht abgesehen; sie gedenkt nur ihrer Ahnmütter, die urlängst durch Schnattern das Kapitol retteten. Und da übt sie nun mittlerweile ihr Organ, um bei Stimme zu sein, wenn dermaleinst das Kapitol des plattierten Liberalismus in Deutschland gefährdet werden sollte.«



    Liebe Grüße Peter

  • »Warum gingen Sie aber nicht zu Ihrem alten Lehrer?« fragte der Baron.


    »Der saß in Paris dazumal und las altfranzösische Manuskripte. Ich reiste von Algier über Toulon und jene Hauptstadt, und traf ihn auf der Bibliothek. Da sah ich nun ein wahres Wunder jetziger Bücherschnellfabrikation oder Schnellbücherfabrikation. Denn es ist gewiß; Sie mögen mir es glauben, oder nicht, mit der linken Hand schlug er die Blätter des pergamentenen Folianten um, der vor ihm lag, und mit der rechten schrieb er gleichzeitig ein Buch darüber oder daraus, so daß, wenn er links in Folio fertig gelesen hatte, ihm rechts ein Oktavband abgegangen war. Dazwischen diktierte er noch ein spirituelles Billett an eine Komödiantin und unterhielt sich mit einem Arrondissementscommissair gründlich über das Pariser Grisettenwesen. Er blieb folglich nur drei Stadien hinter Cäsars Vielseitigkeit zurück Was aber der zweite Grund meines Abstechers nach Deutschland war, ich wollte mir dort wieder einen guten Bedienten mieten. Meinen bisherigen hatte ich abschaffen müssen; er wollte auch interessant sein, und hielt deshalb beständig Maulaffen feil. Als Interessanter von Distinktion glaubte ich Einspruch tun zu dürfen, aber da die Gewerbefreiheit überall herrschte, so war in der Sache nichts zu machen; jeder Lump durfte interessant sein.


    Nur aus Deutschland wollte ich mir den Ersatzbedienten holen, denn jedes Land hat seine eigentümlichen Produkte, die man nirgends anders so gut bekommt. Spanien hat seine Weine, Italien den Gesang, England die Konstitution, Rußland den festesten Juchten, Frankreich die Revolution, und in Deutschland geraten die Bedienten am besten.«





    Liebe Grüße Peter

  • Eine Korrespondenz des Herausgebers mit seinem Buchbinder


    I. Der Herausgeber an den Buchbinder


    Aber, lieber Herr Buchbinder, was für Streiche machen Sie in jüngster Zeit! Neulich schicke ich Ihnen: »Zur Philosophie der Geschichte. Von Karl Gutzkow«. Sie aber setzen hinten auf den Titel: »Zur Philosophie der Geschichte von Karl Gutzkow«, so, als ob dieses Buch eine innere Geschichte des Autors enthalte, ungeachtet er doch darin von den toten Kräften und den natürlichen Voraussetzungen in der Geschichte, vom abstrakten und konkreten Menschen, von Mann und Weib, von der Leidenschaft, vom Staat, von Krieg und Frieden, von den Obergangszeiten, von Revolutionen, und endlich vom Gott in der Geschichte handelt; mithin das ganze Gebiet des historischen Nachdenkens in seinem Werke durchwandert. Heute aber bekomme ich von Ihnen das erste Buch meiner Münchhausenschen Denkwürdigkeiten zurück, und da sehe ich, daß Sie die zehn ersten Kapitel gänzlich verheftet, sie hinter die Kapitel eilf bis fünfzehn gebracht haben. Ich ersuche Sie unter Rückgabe des Buches eine Umheftung vorzunehmen.

    Der ich übrigens mit Achtung usw.



    Liebe Grüße Peter

  • II. Der Buchbinder an den Herausgeber


    Ew. Wohlgeboren haben mir schmerzliche Vorwürfe gemacht, die ich so nicht auf mir sitzen lassen kann. Ich bin lange genug im Geschäft, und weiß, was es damit auf sich hat. Heutzutage muß, wenn der Autor sich verpudelt hat, ein ordentlicher Buchbinder ein bißchen auf das Verständnis wirken, durch Winke auf den Rückentiteln, oder, wo sie sonst sich anbringen lassen.


    Die Schriftsteller sind etwas konfuse geworden. Die jungen Leute lesen und lernen zu wenig, aber unsereins, dem sozusagen, die ganze Literatur unter das Beschneidemesser kommt, und der alle die Nachrichten »für den Buchbinder« durchstudieren muß, deshalb aber genötigt ist, noch rechts und links von den Nachrichten sich umzuschauen, o der gewinnt ganz andre Übersichten. Da muß man denn helfen, so gut man kann, und oft läßt sich der rechte Gesichtspunkt für ein Buch feststellen, bloß dadurch, daß man einen Punkt oder ein Komma wegläßt, oder zusetzt, wie denn gerade die Sachen sich verhalten.


    Bei dem Buche von Karl Gutzkow tat es die Weglassung des Punktes hinter »Geschichte«. Ew. Wohlgeboren! Ich habe Spittler eingebunden und Schlözer, und Herders »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« sind mir wenigstens hundertmal unterm Falzbein gewesen, und jetzt binde ich Ranke viel ein – ich sage Ihnen, die Männer schrieben so schöne dicke Bücher, und so viele Noten und Zitate stehen in den Büchern, daß man sieht, wie die Verfasser sich's haben sauer werden lassen mit der Philosophie und der Geschichte – ich sage Ihnen, es ist rein unmöglich, daß man auf 305 Seiten, wie Karl Gutzkow getan, den Gott, und die Revolutionen und den Teufel und seine Großmutter in der Geschichte abhandeln kann. Aber das ist auch gar nicht seine Absicht gewesen, wie sich aus dem Vorworte ergibt, welches ich lesen mußte, weil ich einen Karton einzulegen hatte. Denn darin sagt der Autor, er habe keine andere Quellen zur »Philosophie der Geschichte« benutzen können, als höchstens einige an die Wand gekritzelte Verwünschungen der Langenweile, oder einige in die Fensterscheiben geschnittne Wahlsprüche zahlloser unbekannter Namensinschriften. Wenn er nun das Buch, was er vermutlich auch nur schrieb, um sich die Langeweile zu vertreiben, dennoch herausgab, so konnte das nur in der einzigen Absicht geschehen, Memoiren über seine schlechten und mangelhaftigen Studien zu liefern, und der Titel, wie ich ihn mit goldenen Lettern setzte, ist ganz richtig, nämlich: »Zur Philosophie der Geschichte von Karl Gutzkow«.


    Warum ich aber die letzten Kapitel Ihres Buches zu den ersten machte, das sollen Sie auch gleich vernehmen. Sie hatten die Münchhausenschen Geschichten wieder so schlicht angefangen, wie Ihre Manier ist: »In der deutschen Landschaft, worin ehemals das mächtige Fürstentum Hechelkram lag, erhebt sich eine Hochebene« usw., hatten dann von dem Schlosse und seinen Bewohnern berichtet, und waren endlich nach und nach auf den Helden dieser Erzählungen gekommen.


    Ew. Wohlgeboren, dieser Stylus mochte zu Cervantes' Zeiten gut und ersprießlich sein, wo die Leser so sacht und gelind in eine Erzählung hineinkommen wollten, wie in eine Zaubergrotte, von der die Märlein singen, daß eine schöne Elfe davor sitzt, und den Ritter mit wunderleisen Klängen in die karfunkelleuchtenden Klüfte lockt. Sie stößt auch nicht in die Trompete, oder bläst die Baßposaune, oder macht Pizzicato, sondern sie hat eine kleine goldne Laute im Arm; aus deren Saiten quellen unschuldige, naive Töne, wie harmlose Kinder, die um den Ritter Blumenfesseln schlingen, und eh' er sich's versieht, ist er umsponnen und durch den Grotteneingang gezogen, und steht mitten in dem Reiche der Wunder, bevor er nur gemerkt hat, daß er aus der Welt da draußen hinweggegangen ist.


    Aber heutzutage paßt die Magie eines solchen süßfesselnden Stils gar nicht mehr.


    Ew. Wohlgeboren, heutzutage müssen Sie noch mehr tun, als die Baßposaune blasen. Sie müssen den Tam-Tam schlagen, und die Ratschen in Bewegung setzen, womit man in den Schlachtmusiken das Kleingewehrfeuer macht, oder falsche Quinten greifen, oder vor die Dissonanz die Konsonanz schieben, wenn Sie die Leute »packen« wollen, wie es genannt wird.


    Ew. Wohlgeboren, die ordentliche Schreibart ist aus der Mode. Ein jeder Autor, der etwas vor sich bringen will, muß sich auf die unordentliche verlegen, dann entsteht die Spannung, die den Leser nicht zu Atem kommen läßt, und ihn par force bis zur letzten Seite jagt. Also nur alles wild durcheinander gestopft und geschoben, wie die Schollen beim Eisgange, Himmel und Erde weggeleugnet, Charaktere im Ofen gebacken, die nicht zu den Begebenheiten stimmen, und Begebenheiten ausgeheckt, die ohne Charaktere umherlaufen, wie Hunde, die den Herren verloren haben! Mit einem Worte: Konfusion! Konfusion! – Ew. Wohlgeboren, glauben Sie mir, ohne Konfusion richten Sie heutzutage nichts mehr aus.


    Ich habe, soweit ich vermochte, in diesem Stücke bei den Münchhausianis für Sie gesorgt, und ein bißchen Konfusion gestiftet, soviel es sich tun ließ, damit die benötigte Spannung entstehe. Sehen Sie, so wie jetzt das Heft gebunden ist, kann kein Mensch bisher erraten, woran er ist, wer der alte Baron ist, und das Fräulein und der Schulmeister, und wo sich die Sache zuträgt? Hat sich aber ein tüchtiger Leser erst durch einige Kapitel hindurchgewürgt, dann würgt er sich auch weiter, denn es geht den Leseleuten so, wie manchem Zuschauer in der Komödie. Er ärgert sich über das schlechte Stück, er gähnt, er möchte vor Ungeduld aus der Haut fahren, aber dennoch bleibt er sitzen, weil er einmal sein Entréegeld gegeben hat, und dafür auch seine drei Stunden absitzen will.


    Also, Ew. Wohlgeboren, ich dächte. Sie ständen von dem Verlangen nach Umheftung ab. Der ich übrigens usw.





    Liebe Grüße Peter

  • III. Der Herausgeber an den Buchbinder


    Lieber Herr Buchbinder, Sie haben mich überzeugt. Ach, ich lasse mir jetzt von jedermann raten in meinem Metier, selbst von Ihrem Jungen, wenn er mir etwa Vorschläge über das neue Buch machen kann. Es hat mir schon so mancher Junge Zurechtweisungen erteilt, und ich habe sie nicht befolgt und schwer darob büßen müssen.


    Es soll also bei der Verheftung bleiben, und wenn Sie oder Ihr Junge in der Folge merken, daß ich wieder gegen die Spannung, oder die unordentliche Schreibart gesündigt habe, dann heften Sie nur nach Gutdünken die Kapitel durcheinander, und verbessern auf solche Weise das Buch. Ich glaube sogar, daß ich nicht der erste in solchem Verfahren bin; Herr Steffens hat gewiß bei seinen Novellen von Walseth und Leith und den vier Norwegern und Malcolm dem Buchbinder eine gleiche Vergünstigung eingeräumt.


    Vor ein sieben, acht Jahren hätte mir noch keiner so etwas bieten dürfen, aber ich bin – –


    – – müde geworden, hatte ich geschrieben, lieber Herr Buchbinder, und recht im Vertrauen auseinandergesetzt, warum man in der Welt jetzt so müde werden kann.


    Zwei Damen aber, denen ich den Brief vorlas, sagten, das dürfe durchaus nicht stehen bleiben; der müde und weinerliche Ton zieme sich platterdings nicht für mich.


    Sie haben recht. Mag die Welt uns alles versagen, die Geschichte und die Natur kann sie uns nicht versperren. Ich will die Buben heulen und greinen lassen über das Elend, welches sie doch eben hauptsächlich machen helfen.


    Nein, Herr Buchbinder, unsere Augen sollen wacker bleiben, und die Wunden sollen uns schön stehen.


    Aber was halten Sie von dem »Münchhausen«, und was meinen Sie, das aus ihm werden wird?






    Liebe Grüße Peter

  • IV. Der Buchbinder an den Herausgeber


    Ew. Wohlgeboren, aus dem »Münchhausen« wird nichts; da Sie denn doch meine Meinung wissen wollen. Dieses tut indessen nichts. Ein Buch, aus dem nichts wird, mehr oder weniger in der Welt, verschlägt nichts. Und dann können wir den einzelnen Abschnitten doch noch in etwa nachhelfen. Für diesen ersten habe ich schon so ein Hausmittelchen in Gedanken. Der ich übrigens usw.

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  • V. Der Herausgeber an den Buchbinder


    Welches Hausmittelchen, lieber Herr Buchbinder? Ich bin äußerst gespannt auf Ihre ferneren Mitteilungen. Mit Achtung usw.

  • VI. Der Buchbinder an den Herausgeber


    Ew. Wohlgeboren, Briefwechsel sind jetzt beliebt, wenn sie auch nur Nachrichten von Schnupfen- und Hustenanfällen der Korrespondenten enthalten. Lassen Sie unsern Briefwechsel im ersten Buche mit abdrucken; der hilft ihm auf.

  • Sechstes Kapitel


    Wie der Dorfschulmeister Agesel durch eine deutsche Sprachlehre um seinen Verstand gebracht wurde, und sich seitdem Agesilaus nannte


    Einigermaßen, wenn auch nicht genügend, wurde die Sehnsucht des alten Barons befriedigt, sie erhielt sozusagen, wie das Sprichwort lautet, eine Birne für den Durst, als der Schulmeister Agesilaus in seine Nähe kam. Dieser Mann, welcher früher Agesel geheißen hatte, und ein alter Bekannter des Barons war, bekleidete bis zu dem Umschwunge in seinem Schicksale das Amt, die Jugend eines benachbarten Dörfchens im Lesen und Schreiben zu unterrichten. Er wohnte in einer Hütte von Lehmwänden, die außer der Schulstube nur sein Schlafkämmerchen faßte, hatte dreißig Gulden jährlichen Gehalt, außerdem das Schulgeld: zwölf Kreuzer für den Knaben und sechs für das Mädchen, einen Grasfleck für ein Rind und das Recht, zwei Gänse in die Gemeindeweide mit einzutreiben. Er versah seinen Dienst ohne Tadel, lehrte die Jugend nach der alten Manier, so wie sie im Dorfe seit hundert und mehreren Jahren gebräuchlich war, buchstabieren: G-e-, Ge, s-u-n-d, sund, h-e-i-t, heit; Gesundheit – B-e-t, Bet, t-e-l, tel, Bettel, s-a-c-k, sack; Bettelsack usw. und brachte die fähigsten Köpfe nicht selten so weit, daß sie Gedrucktes ohne sonderliche Anstrengung lesen lernten. Was das Schreiben anlangte, so ging auch aus seinen Händen dieser und jener hervor, der den eignen Namen zustande zu bringen wußte, wenn man ihn nicht übereilte, sondern ihm die nötige Zeit ließ.


    In diesem Systeme war unser Schulmeister fünfzig Jahre alt geworden. Da ereignete es sich, daß die allgemeinen Steigerungen des Zeitalters auch einen neuen Lehrplan im Lande hervorriefen, der bis zu den Dorfschulmeistern umbildend durchgreifen sollte. Seine Vorgesetzten schickten ihm ein Lehrbuch der deutschen Sprache zu, eines von denen, welche die ABC-Wissenschaft tiefsinnig und philosophisch begründen wollen, und erteilten ihm die Weisung, seine bisherige rohe Empirie zu rationalisieren, sich selbst zuvörderst aus dem Buche zu unterrichten, und dann danach die veränderte Belehrung der Jugend anzufangen.


    Der Schulmeister las das Buch durch, er las es noch einmal durch, er las es von hinten nach vorn, er las es aus der Mitte, und er wußte nicht, was er gelesen hatte. Denn es war darin gehandelt von Stimmlauten und Mitlauten, von Auf- In- und Umlauten; er sollte daraus die Laute trüben und verdünnen lernen, er sollte durch Säuseln, Zischen, Pressen, durch Näseln und Gurgeln die Laute hervorbringen, er vernahm, daß die Sprache Wurzeln treibe und Seitenwurzeln, er erfuhr endlich daraus, daß das I der reine Urlaut sei, und daß dessen Erzeugung durch starkes Zusammendrücken des Kehlkopfes nach dem Gaumen hin geschehe.


    Er bat Gott um Erleuchtung in diesen Finsternissen, aber sein Flehen prallte zurück von dem ehernen Himmel. Er setzte sich wieder vor das Buch, mit der Brille auf der Nase, um schärfer zu sehen, wiewohl er bei Tageslicht wohl noch ohne Gläser fertig werden konnte. Ach, nur deutlicher traten seinen bewaffneten Augen die furchtbaren Rätsel des Daseins, die Sause- Zisch- Preß- Nasen- und Gurgellaute entgegen! Darauf legte er das Buch weg, fütterte seine Gänse und gab einem Jungen, der gerade dazukam und sagte, der Vater wolle das Schulgeld nicht zahlen, zwei derbe Maulschellen, um durch das praktische Leben Aufschluß für die Theorie zu gewinnen. Umsonst. Er aß eine Knackwurst, sich körperlich zu stärken. Vergebens. Er leerte einen ganzen Senftopf, weil er gehört hatte, dieses Gewürz schärfe den Verstand. Eitles Bemühen!


    Er legte das Buch abends vor dem Schlafengehen unter sein Kopfkissen. Leider fühlte er am anderen Morgen, daß weder die Wurzeln, noch die Seitenwurzeln ihm in den Kopf gedrungen waren. Gern hätte er das Buch, wie Johannes jenes vom Engel getragne, auf die Gefahr der empfindlichsten Leibschmerzen hin, verschlungen, wäre er dadurch des Inhaltes Meister geworden; aber welche Hoffnungen konnte er nach dem Bisherigen von einem so gewagten Versuche hegen?


    Die Schule stand still, die Kinder fingen Maikäfer, oder jagten die Enten in den Teich. Die Alten aber schüttelten den Kopf und sagten: »Mit dem Schulmeister hat es seine Richtigkeit nicht.« Eines Tages, nachdem er sich wieder in seinen verzweiflungsvollen Bemühungen um den Sinn der Dünnung und Trübung abgearbeitet hatte, rief er: »Wenn ich dieser Bestie von Buch nur erst an einem Flecke beigekommen bin, so gibt sich vielleicht das übrige von selbst!« – Er nahm sich vor, zuvörderst den reinen Urlaut I nach der Anweisung des Buchs zu erzeugen.


    Er setzte sich daher auf seinen Grasfleck zum Rinde, welches dort, unbekümmert um rationelle Lauterzeugung, empirisch brummte, stemmte die Arme in die Seite, drückte den Kehlkopf stark nach dem Gaumen hin, und stieß nun die Töne hervor, welche sich auf solche Weise veranstalten lassen wollten. Sie waren höchst sonderbar, und so auffallend, daß selbst das Rind vom Grase emporblickte und seinen Herrn mitleidig ansah. Eine Menge Bauern hatte der Schall herbeigezogen; sie standen neugierig und verwundert um den Schulmeister her. »Gevattern!« rief dieser und ruhte einen Augenblick von seiner Anstrengung aus, »paßt einmal auf, ob es der reine Urlaut I wird?« Darauf gab er sich wieder an die Kehlkopf-Gaumendrückung. »Gott behüte!« riefen die Bauern, und gingen nach Hause, »der Schulmeister ist übergeschnappt, er quiekt schon wie ein Ferkel.«


    Und wirklich stand der arme Schulmeister nahe an der Grenze, über welche die Bauern ihn bereits gesprungen glaubten. Die Frist war abgelaufen, welche man ihm zum Selbstunterrichte gesetzt hatte, er sollte jetzt nach dem Buche lesen lernen lassen, eine Visitation seiner Schule durch den Herrn Schulrat Thomasius nahte heran, die Verzweiflung trat ihm zum Herzen, und seine Gedanken begannen zu schwärmen. Andre sind durch das Brüten über der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria, oder über dem Geheimnisse der Trinität, oder von dem Gedanken an die Ewigkeit verrückt geworden; warum sollte ein Dorfschulmeisterlein nicht durch eine moderne Sprachlehre den Verstand verlieren können? Genug, ich erzähle es, und wer mir nicht glauben will, frage im Dorfe Hackelpfiffelsberg nach. Da hat sich die Geschichte zugetragen, und jedes Kind weiß dort davon.

  • Ein reisender Student kam in jenen Tagen durch Hackelpfiffelsberg, der kehrte in der Schenke ein, und vernahm von dem närrischgewordenen, oder närrisch-werdenden Schulmeister. Es war ein feiner, denkender Kopf, der sich besonders auf Psychologie verlegt hatte, und der daher eine große Begierde verspürte, den Kranken kennenzulernen. Er fand ihn in leinenen Ärmeln sitzen, die behaarte Brust offen, eine große weiße Nachtmütze auf dem Kopfe. »Wie geht es, Meister?« fragte der Student. »So, so, Fremdling«, versetzte der Schulmeister. »Nicht wahr, die alten Spartaner waren Kerle? Keine müßige Gelehrsamkeit, keine Quälerei mit Umlauten, Inlauten, Brustlauten! Alles auf Tatkraft, auf das wirkliche Leben berechnet, den Körper abgehärtet, den Sinn zugespitzt zu Apophthegmen! Mich soll der Henker holen, wenn ich mir nicht alles in Zukunft lakedämonisch einrichte! Meine wackern Vorfahren! Denn was ist Agesel? Agesel ist nichts, verstümmelt, verdorben aus Agesilaus, dem tapfern Könige von Sparta. Die Türken vertrieben die Griechen, darunter waren natürlich die Nachkommen des Königs Agesilaus auch, und die haben sich allmählich bis hieher verzettelt, die Endsilbe ist aber unterweges verlorengegangen. O, man müßte nicht von den Wurzeln und den Ableitungen die Zeit her die Kränk' gekriegt haben, wenn man so etwas unglaublich finden wollte!«


    »Hoho«, dachte der Student, »steht es dermaßen hier? Aber ein anziehender Fall! Ich muß ihn beobachten.« Er blieb den ganzen Tag über bei dem Schulmeister, und merkte durch viele Fragen aus seinen krausen Antworten endlich sich so viel ab, daß der Kranke in früheren Jahren eine alte Schwarte über die Sitten und Gebräuche jenes griechischen Freistaates gelesen hatte, schon damals von denselben höchlich entzückt gewesen war, daß nun gegenwärtig die gleichsam in Schlummer gelegenen Vorstellungen erwachten und ein fieberhaftes Leben in ihm gewannen. Abends trug der Student folgendes Notizenschema in seinem Tagebuche ein: »Paralysierung des Denkvermögens in einem beschränkten Geiste durch unverdaulichen Denkstoff.


    Allmähliches Denk-Nichts.
    Eintreten einer prägnanten antiken Idee im Vacuo.
    Die Atome des aufgelösten Denkvermögens schießen an dieser Idee an.
    Zustand des Rappelns.
    Konsolidation des Rappelns
    Fixe Idee.
    Außerdem vernünftiger Mensch.
    NB. Nach der Ferienreise weiter auszuführen.«

  • Es mochte ohngefähr ein Vierteljahr nach diesen Vorfällen verstrichen sein, als der Schulmeister, nur bekleidet mit einem braunen, groben Mantel, in der Hand eine junge Tanne, vor den alten Baron trat, der in seinem verwilderten französischen Garten hinter dem Schlosse die freie Luft genoß. Der Baron wußte im allgemeinen schon von den Dingen, die seinem Bekannten widerfahren sein sollten, und trat daher drei Schritte vor ihm zurück, besonders da er ihn mit dem nicht gerade dünn zu nennenden Tannenstamme gerüstet sah. Aber der Schulmeister lächelte, und legte, als ob er die Gedanken des andern erriete, die junge Tanne ab. Dann machte er dem Baron eine höfliche Verbeugung, und sprach die üblichen Begrüßungsworte, ohne daß in Ton oder Wendung etwas Exzentrisches hervorgesprungen wäre. Der Baron faßte daher Mut, ging auf den Schulmeister zu, ergriff seine Hand und sagte: »Nun, wie geht's Euch, alter närrischer Teufel? Was für Streiche habt Ihr denn angefangen, Agesel?«


    »Agesilaus, wenn ich bitten darf, gnädiger Herr«, erwiderte der Schulmeister sanft und höflich. »Ich habe diesen meinen guten, ehrlichen Stammnamen wieder angenommen.«


    Der Baron entfernte sich nun doch wieder etwas von seinem Besuche, und sah ihn mit scheuen Blicken von der Seite an. Der Schulmeister aber fuhr gesetzten Wesens fort: »Ich weiß, was Sie von mir denken, mein Gönner. Sie halten mich für verrückt. Sie irren sich, Herr Baron; ich bin nicht verrückt. Es sollte mir leid tun, wenn ich mich in diesem Zustande befände, denn dann könnten Sie mir mit Recht dasjenige versagen, um welches ich Sie dringend ansprechen muß. Ich habe meine fünf Sinne vollkommen beisammen, und weiß, daß ich ein Nachkomme des alten Königs Agesilaus bin, daß ich folglich die Verpflichtung habe, spartanisches Leben und Wesen in mir darzustellen, welches wohl überhaupt ein herrliches Korrekti-vum für diese weichliche, abgeschwächte, übergelahrte und sophistische Zeit sein möchte.«


    Der Baron fragte, um nur etwas zu sagen: »Ist es denn wahr, was ich gehört habe, daß Ihr abgesetzt seid, Herr ... Herr ... Agesilaus ... nicht? so nennt Ihr Euch?«


    »Abgesetzt allerdings, fortgejagt, wenn Sie so wollen, durch den Schulrat Thomasius«, erwiderte Agesilaus ruhig. »Nachdem ich das grammatische Fieber, in welches ich durch jene Höllen-Lautlehre gestürzt worden war, überwunden hatte, hielt ich es für meine Schuldigkeit, die mir anvertraute Dorfjugend lakedämonisch zu bilden. Ich wies sie daher an, zu stehlen und sich nur nicht betreffen zu lassen, um ihre List und Kühnheit zu üben, ich erregte Streit und Schlägerei unter ihnen, um ihre Herzhaftigkeit zu prüfen, und ich prügelte sie allwöchentlich dreimal ohne Grund ab nach dem Muster der Geißelung am Altare der Diana. Herrlich schlug auch meine Methode an. Die Jungen fanden, daß noch nie so lustig Schule gehalten worden sei, rauften sich, daß es eine Art war, ohne zu mucksen, stahlen ihren Eltern die Äpfel vor der Nase weg, und ließen sich nicht erwischen, verschmerzten selbst die grundlosen Prügel wegen der sonstigen Ergötzlichkeiten, die sie jetzt ungestraft hatten. Aber die dummen Bauern konnten meinen Plan nicht fassen. Sie schrien, daß ich ihre Brut von Grund aus verderbe, und verklagten mich. Da hat mich nun der Schulrat – nun, er ist auch keiner von den hellsten Köpfen – von dannen getrieben, und also ereilte mich das Fatum.«

  • Es war einmal eine Königstochter, die ging hinaus in den Wald und setzte an einen kühlen Brunnen. Sie hatte eine goldene Kugel, die war ihr liebstes Spielwerk, die warf sie in die Höhe und fing sie wieder in der Luft und hatte ihre Lust daran. Einmal war die Kugel gar hoch geflogen, sie hatte die Hand schon ausgestreckt und die Finger gekrümmt, um sie wieder zufangen, da schlug sie neben vorbei auf die Erde, rollte und rollte und geradezu in das Wasser hinein.


    Die Königstochter blickte ihr erschrocken nach, der Brunnen war aber so tief, daß kein Grund zu sehen war. Da fing sie an jämmerlich zu weinen und zu klagen: »ach! wenn ich meine Kugel wieder hätte, da wollt' ich alles darum geben, meine Kleider, meine Edelgesteine, meine Perlen und was es auf der Welt nur wär'.« Wie sie so klagte, steckte ein Frosch seinen Kopf aus dem Wasser und sprach: »Königstochter, was jammerst du so erbärmlich?« – »Ach, sagte sie, du garstiger Frosch, was kannst du mir helfen! meine goldne Kugel ist mir in den Brunnen gefallen.« – Der Frosch sprach: »deine Perlen, deine Edelgesteine und deine Kleider, die verlang ich nicht, aber wenn du mich zum Gesellen annehmen willst, und ich soll neben dir sitzen und von deinem goldnen Tellerlein essen und in deinem Bettlein schlafen und du willst mich werth und lieb haben, so will ich dir deine Kugel wiederbringen.« Die Königstochter dachte, was schwätzt der einfältige Frosch wohl, der muß doch in seinem Wasser bleiben, vielleicht aber kann er mir meine Kugel holen, da will ich nur ja sagen; und sagte: »ja meinetwegen, schaff mir nur erst die goldne Kugel wieder, es soll dir alles versprochen seyn.« Der Frosch steckte seinen Kopf unter das Wasser und tauchte hinab, es dauerte auch nicht lange, so kam er wieder in die Höhe, hatte die Kugel im Maul und warf sie ans Land. Wie die Königstochter ihre Kugel wieder erblickte, lief sie geschwind darauf zu, hob sie auf und war so froh, sie wieder in ihrer Hand zu halten, daß sie an nichts weiter gedachte, sondern damit nach Haus eilte. Der Frosch rief ihr nach: »warte, Königstochter, und nimm mich mit, wie du versprochen hast;« aber sie hörte nicht darauf.


    Am andern Tage saß die Königstochter an der Tafel, da hörte sie etwas die Marmortreppe heraufkommen, plitsch, platsch! plitsch, platsch! bald darauf klopfte es auch an der Thüre und rief: »Königstochter, jüngste, mach mir auf!« Sie lief hin und machte die Thüre auf, da war es der Fresch, an den sie nicht mehr gedacht hatte; ganz erschrocken warf sie die Thüre hastig zu und setzte sich wieder an die Tafel. Der König aber sah, daß ihr das Herz klopfte, und sagte: »warum fürchtest du dich?« – »Da draußen ist ein garstiger Frosch, sagte sie, der hat mir meine goldne Kugel aus dem Wasser geholt, ich versprach ihm dafür, er sollte mein Geselle werden, ich glaubte aber nimmermehr, daß er aus seinem Wasser heraus könnte, nun ist er draußen vor der Thür und will herein.« Indem klopfte es zum zweitenmal und rief:


    »Königstochter, jüngste,
    mach mir auf,
    weiß du nicht was gestern
    du zu mir gesagt
    bei dem kühlen Brunnenwasser?
    Königstochter, jüngste,
    mach mir auf.«


    Der König sagte: »was du versprochen hast, mußt du halten, geh und mach dem Frosch die Thüre auf.« Sie gehorchte und der Frosch hüpfte herein, und ihr auf dem Fuße immer nach, bis zu ihrem Stuhl, und als sie sich wieder gesetzt hatte, da rief er: »heb mich herauf auf einen Stuhl neben dich.« Die Königstochter wollte nicht, aber der König befahl es ihr. Wie der Frosch oben war, sprach er: »nun schieb dein goldenes Tellerlein näher, ich will mit dir davon essen.« Das mußte sie auch thun. Wie er sich satt gegessen hatte, sagte er: »nun bin ich müd' und will schlafen, bring mich hinauf in dein Kämmerlein, mach dein Bettlein zurecht, da wollen wir uns hineinlegen.« Die Königstochter erschrack, wie sie das hörte, sie fürchtete sich vor dem kalten Frosch, sie getraute sich nicht ihn anzurühren und nun sollte er bei ihr in ihrem Bett liegen, sie fing an zu weinen und wollte durchaus nicht. Da ward der König zornig und befahl ihr bei seiner Ungnade, zu thun, was sie versprochen habe. Es half nichts, sie mußte thun, wie ihr Vater wollte, aber sie war bitterböse in ihrem Herzen. Sie packte den Frosch mit zwei Fingern und trug ihn hinauf in ihre Kammer, legte sich ins Bett und statt ihn neben sich zu legen, warf sie ihn bratsch! an die Wand; »da nun wirst du mich in Ruh lassen, du garstiger Frosch!«


    Aber der Frosch fiel nicht todt herunter, sondern wie er herab auf das Bett kam, da wars ein schöner junger Prinz. Der war nun ihr lieber Geselle, und sie hielt ihn werth wie sie versprochen hatte, und sie schliefen vergnügt zusammen ein. Am Morgen aber kam ein prächtiger Wagen mit acht Pferden bespannt, mit Federn geputzt und goldschimmernd, dabei war der treue Heinrich des Prinzen, der hatte sich so betrübt über die Verwandlung desselben, daß er drei eiserne Bande um sein Herz legen mußte, damit es vor Traurigkeit nicht zerspringe. Der Prinz setzte sich mit der Königstochter in den Wagen, der treue Diener aber stand hinten auf, so wollten sie in sein Reich fahren. Und wie sie ein Stück Weges gefahren waren, hörte der Prinz hinter sich ein lautes Krachen, da drehte er sich um und rief:


    »Heinrich, der Wagen bricht!« –
    »Nein Herr, der Wagen nicht,
    es ist ein Band von meinem Herzen,
    das da lag in großen Schmerzen,
    als ihr in dem Brunnen saßt,
    als ihr eine Fretsche (Frosch) was't.« (wart)


    Noch einmal und noch einmal hörte es der Prinz krachen, und meinte: der Wagen bräche, aber es waren nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war.


    (Fassung 1812/15)



    Liebe Grüße Peter


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  • Da inzwischen Veranstaltungen des Germanistischen Seminars in Bibliotheksräumen stattfinden, der Genuss eines Sitzplatzes ein zeitiges Erscheinen voraussetzt, hat mich die verzweifelte Situation der inzwischen zum Germanistischen Instituts (mit Seminarkarte) abgewickelten Abteilung der Geisteswissenschaft zu einem Zufallsfund gebracht, einem Sprachtalent sonder gleichen, Zeitgenossen und Freund von Klopstock. Der hier wieder gegebene Brief befasst sich mit Samuel Johnsson, den der Autor bei seiner Dienstreise in London antraf.


    Ich komme von Samuel Johnson, dem Koloss der englischen Literatur, der tiefes Wissen mit Witz und Laune mit ernsthafter Weisheit vereinigt, und dessen Menschenlarve nichts davon ankündigt; denn in seiner Gestalt ist kein Verhältnis eines faustgerechten Trabanten beleidigt. Er zielt darauf in der Schilderung des Müßiggängers: The diligence of an Idler is rapid and impetuous, as ponderous bodies forced into velocity move with violence propotionate to their weight. (Idler Nr. I) [1]


    Sein Anstand ist bäurisch und sein Auge kalt wie sein Spott; nie tagt ein Blick darin auf, der Scharfsinn oder Schalkheit verriete; er scheint immer zerstreut und ist es nicht selten. Er hatte Colmann und mich schriftlich eingeladen und es wieder vergessen. Wir überfielen ihn im eigentlichsten Verstand auf dem Landgut des Herrn Thrailes, dessen Frau, eine artige Waliserin, Griechisch zum Zeitvertreib liest und übersetzt. Hier lebt Johnson und herrscht (denn er mag wohl herrschen) wie im Schoße seiner eigenen Familie. Er empfing uns freundlich, ob ihn gleich nie eine gewisse Feierlichkeit verließ, die in seine Sitten wie in seinen Stil verwebt ist. Er ründet auch im Umgange seine Perioden und spricht beinahe im Theaterton; aber was er sagt wird durch ein gewisses eignes Gepräge interessant. Wir redeten von der englischen Sprache und ich merkte an, dass sie ihre Perioden geschwinder als andere Sprachen durchlebte; schon ist mehr Unterschied, sagte ich, unter Ihren jetzigen Schriftstellern und dem celebrated club of authors aus der Zeit der Königin Anna als unter den Franzosen dieses und des vorigen Jahrhunderts. Sie streifen in fremdes Gebiet und verschwelgen den leicht erworbenen Raub; denn sie folgen Swifts Rat nicht, neue Wörter zwar aufzunehmen, aber nie wieder zu verstoßen. Wir erobern, fiel mir ein Anwesender in die Rede, neue Wörter im Enthusiasmus und geben sie zurück bei kaltem Blute, wie unsere Konqueten beim Frieden. Aber büßen Sie, fragte ich, nicht bei der Nachwelt dafür? Denn so bleiben Sie kaum dem dritten Menschenalter verständlich. Neue Wörter, antwortete Johnson, sind ein wohlerworbener Reichtum. Wenn ein Volk seine Kenntnisse erweitert und neue Ideen erwirbt, so hat es Kleider dazu nötig; fremde Konstruktionen hingegen hat man als gefährlich verschrieen, und man wirft mir täglich meine Latinismen vor, welche den Charakter der Sprache ändern sollen; aber es ist meine ernsthafte Meinung, "dass sich jede lebendige Sprache nach irgendeiner alten recht knechtisch bilden müsse, wenn unsere Schriften dauern sollen." - Denken Sie nicht, dass etwas Wahres in der Sophisterei ist? Eine tote, nicht mehr wandelbare Sprache taugt allerdings zum Maßstabe des Lebendigen. Es ist ein altes Sterlingsgewicht, wonach die Kurrentmünze gewürdigt werden kann. Die größte Sprachverwirrung, fuhr ich gegen Johnson fort, richtet eine Art von Originalgenieen an die ihr eigenes Sanskrit erfinden, um ihre Ideen in heiliges Dunkel zu kleiden; und doch hören wir oft ihre Orakelsprüche gern und fangen endlich die Krankheit. Singularity, rief einer, ist oft ein Zeichen eines Genies. Dann, antwortete Johnson, gibt es nicht viel größere Genieen als Wilton in Chelsea. Seine Art zu schreiben ist die singulärste von der Welt, denn er schreibt seit dem letzten Kriege mit den Füßen.


    Colmann nannte den Rehearsal als ein ehemals bewundertes Meisterstück, das man jetzt nicht mehr zu lesen im Stande sei: there was to little salt in, to keep it sweet [2], sagte Johnson. Hume wurde genannt, Priestley, sagte ich, wirft ihm Gallizismen vor. Und ich, sagte Johnson, dass seine ganze Geschichte ein Gallizismus ist. Johnson muss seinem Hass gegen die Schottländer bei jeder Gelegenheit Luft machen; sogar in seinem Wörterbuche steht folgender Artikel: Oats, a grain, which in England generally is given to horses, but in Scotland supports the people. [3]


    Ich erinnerte mich seiner Ausgabe des Shakespeare nicht, die so sehr unter der Erwartung der Kunstrichter blieb, und fragte ihn, übereilt genug, welche Ausgabe des Dichters er am meisten schätze? Ei! antwortete er lächelnd: t' is what we call an unlucky question. [4]


    Ich erkundigte mich nach Boswell. Er scheint ihn sehr zu lieben und fühlt, aber vergibt ihm seine Schwärmerei. Boswell ist ein feuriger Jüngling, der steif und fest an die Heldentugend glaubt, und der im Rausche seines Herzens so gut in Island als in Korsika einen Halbgott aufgespürt hätte.


    Sie kennen Johnsons Schriften. Der Rambler, der Idler, die Satire London, Savages vortrefflich geschriebenes Leben sind auch in Deutschland bekannt. Weniger hört man bei uns vom Prinz Rasselas, einem meisterhaften, kalten, politischen Roman, wie es sie alle sind aus der Familie; denn ein Regierungskünstler, der fern von Geschäften für Könige schreibt, kann aus sich selbst nichts als Gemeinsätze spinnen. Irene, ein Trauerspiel von Johnson, full of finest speeches, ward ausgezischt und ist vergessen.


    Der berühmte Mann kämpfte lang mit Dürftigkeit, denn Sie müssen nicht glauben, dass England seine Schriftsteller, die es bewundert, immer auch belohnt. Oft verbarg er sich in einem Keller bei Moorfields, um in einem Zimmer mit eisernen Gittern zu entfliehn. In dieser Zeit schrieb er demosthenische Reden, für und wider die wichtigsten Fragen im Parlament, unterm Namen wirklicher [Mit-]Glieder, die man eine Zeit lang in den Provinzen für echt hielt; und es ist nicht allgemein bekannt, dass unter diesen die berühmte Rede Pitts ist, die er gehalten haben soll, als man ihm seine Jugend vorwarf, und die nie aus Pitts Mund kam. Jetzt hat Johnson den Paktolus in seinen Garten geleitet. Er genießt dreihundert Pfund Sterling Ehrengehalt, nicht um Reden zu machen, sondern, wie die Minorität versichert, um zu schweigen.


    Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, dass Johnson das Altertum des Ossians leugnet. Macpherson ist ein Schottländer; und er will ihn lieber für einen großen Dichter gelten lassen, als für einen ehrlichen Mann. Ich bin von der Wahrheit der Sache überzeugt. Macpherson zeigte mir, in Alexander Dows Gegenwart, wenigstens zwölf Hefte Manuskripte des ersischen Originals. Einige davon schienen sehr alt zu sein. Gelehrte von meiner Bekanntschaft, welche die Sprache verstehn, haben sie mir der Übersetzung verglichen; und man muss entweder die Abgeschmacktheit glauben, dass Macpherson auch den Grundtext gemacht habe, oder nicht länger der Evidenz widerstreben. Macpherson deklamierte mir einige Stellen vor. Die Sprache klang melodisch genug, aber feierlich klagend und gutteral wie alle Sprachen ungebildeter Völker.



    [1] Der Fleiß eines Müßiggängers ist schnell und heftig, wie schwere Körper, die zur Schnelligkeit gezwungen werden, mit einer ihrem Gewicht angemessenen Heftigkeit sich bewegen.


    [2] Er war nicht gesalzen genug, um sich zu halten.


    [3] Haber ist eine Art von Getreide, das in England Pferde, in Schottland Menschen sättigt.


    [4] Das nennen wir eine unglückliche Frage.



    Liebe Grüße Peter


    (und meine Reverenz vor Blackadders superber Begegnung mit Johnson)

  • Diesmal trifft Helfrich Peter Sturz David Garrick


    Ich habe gestern einen meiner schönsten Tage auf Garricks Landhause zugebracht. Ich verließ, in Murphys Gesellschaft, London früh. Es war ein wohllüstiger Sommermorgen; ein durchsichtiger Nebel zitterte durch die warme Gegend, wie in Claude Lorrains Landschaften, und die Natur gewann im Schleier. Ich fühlte mich wie vom Äther getragen; alles rund um lächelte Wonne. So ein Gefühl des Lebens, mein Freund, vernichtet alle Sophismen des Übels in der besten Welt.


    Garricks Haus ist ein kleiner Palast und nach guten Verhältnissen gebaut. Es liegt am Ufer der Themse, die sich hier durch eine reichbewohnte und ausgeschmückte Gegend windet; was man aber seinen Garten nennt, ist nicht mehr als ein rein gehaltener Rasen, auf welchem mancherlei Gebüsche und gesellschaftliche Bäume ohne Symmetrie verstreut sind. Horaz beschreibt eine solche Gegend:


    Quo pinus ingens altaque populus
    Umbram hospitalem consociare amant
    Ramis, et obliquo laborat
    Lympha fugax trepidare rivo
    [1]


    Untem am Wasser steht Shakespeares Tempel, ein Heiligtum für jeden Briten im eigentlichsten Verstande. Das Bild des Unsterblichen ist von weißem Marmor in natürlicher Größe zur Verehrung aufgestellt, und der Künstler hat ihm einen Blick der Entzückung gegeben, als wenn er in den Welten seiner eigenen Schöpfung herumirrte und auf die Gesänge Ariels lauschte. Im Wohnhause finden Sie weder Pracht noch Modegeschmack, aber eine heitere, edle Einfalt, die in das ländliche Leben gehört, und hie und da Merkmale von dem Geiste oder auch der Laune des Besitzers. Alle Tapeten sind helle, von sanften, verträglichen Farben; sie sind mit den Gemälden berühmter Schauspieler und Schauspielerinnen behangen, welche sämtlich in wichtigen Szenen ihres Spiels mit vielem Ausdruck vorgestellt sind. Vier Gemälde von Hogarth sind merkwürdig; es sind die Originale zur Election. Ein fünftes von eben dem Meister ist es noch mehr. Es sollte das Gegenbild der Heirat nach der Mode werden und in vier Gemälden eine vollkommen glückliche Ehe darstellen; aber entweder ist die Natur an Modellen zu diesem Sujet zu dürftig, oder Hogarth war in Fiktionen nicht fertig; nur ein Stück ist angefangen und in solchem allein der Kopf der Braut vollendet. Hogarth zeigt sich hier auch als ein Maler der Schönheit; denn es ist das sanfteste, liebevolleste Gesicht. Ferner sah ich hier Garricks Bildnis von unserer Landsmännin Angelika Kauffmann grau in Grau gemalt, und ein anderes, in China, nach Reynolds sklavisch kopiert, in welchem Garrick einem verkleideten Chineser gleicht. Ich darf auch unter den Kunstwerken ein Kästchen von dem heiligen Maulbeerbaum nicht vergessen, unter dessen Schatten Shakespeare geruht haben soll, und das hier mit Andacht wie eine wundertätige Reliquie gezeigt wird. Aber Sie verlangen den Mann kennen zu lernen; von dem Schauspieler rede ich heute nicht. [2] Sie wissen schon, dass er ein schöner Mann ist, zwar nicht aus der Klasse der schönen Körper, die zu Halbgöttern taugen: denn er ist kaum von mittlerer Größe; und zu den Idealfiguren der römischen und griechischen Helden, zu dem, was die Franzosen das hohe Tragische nennen, fehlt ihm beinahe ein pied du Roi; aber seine Figur ist zierlich gebaut; er ist nervig und fein, gedrungen ohne Fettigkeit, und jedes Spiel seiner Muskeln, jede äußere Schwingung stimmt genau zur innern Empfindeung, die überall, in der Bewegung der Hand so gut als im Ausdruck des Angesichts durchscheint: und daraus erklärt sich ein Wort von ihm zu Previllen. Als dieser einst, zur Bewunderung aller Zuschauer, den Betrunkenen machte, so rief ihm Garrick zu: "Ihre Füße sind nüchtern!"





    [1] Da, wo die hohe Fichte mit Pappeln sich
    Freundschaftlich gattet, wo sich ihr Schatte sanft
    Zu Lauben wölbt und die helle
    Nymphe mit Zittern umher sich windet ...
    (Oden II,3. Deutsch von J. G. Herder)


    [2] Und niemals; denn man kann darüber nichts bessers als Herr Professor Lichtenberg sagen.



    Morgen geht's weiter ...


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Diesmal trifft Helfrich Peter Sturz David Garrick


    Beim ersten Anblick entscheiden Sie gleich, dass ihn die Natur zur Freude, zum Spott und folglich zum Lustspiel berief. Aus den Augen strahlt launiger Scharfsinn und satirische hudibrastische Archness [3], die aber, durch offene Freude gemildert, mehr anzieht als abschreckt. Sie begreifen, welche sichere Kunst, welche Schöpfergewalt über seine Physiognomie dazu gehört, in den großen tragischen Rollen diesen Stempel der Natur zu verwischen; und doch forschen Sie umsonst darnach, wenn er als Lear im Ungewitter schrecklich betet, oder, mit der Hölle im Blick, als Richard vom Tyrannenlager auffährt.


    Garrick lebt mit den Ersten im Königreiche und wird in ihrer Gesellschaft geehrt und geliebt; aber zum Glück für seine Freunde hat ihn der Ton der großen Welt nicht angesteckt, wo die Gesetze des konventionellen Anstands Natur und Freude fesseln und jeden freien, edlen Baum zur Gartenhecke verschneiden. Garrick überlässt sich ohne Zwang seiner Laune und glaubt, dass Scherz und treuherziges Lachen die Würze des Lebens sind. Von der Art seines Witzes gibt es keinen deutlicheren Begriff als seine Prologen und Epilogen, die voll gesellschaftlicher Einfälle sind. Fremde, unerwartete Gleichnisse, glückliche Anspielungen, Entdeckungen ganz neuer Seiten an gewöhnlichen Gegenständen, auch Doppelsinn und Wortspiele, die ihr verschrieenes Geschlecht wieder ehren, glücklich angebrachte Stellen aus alten und neuen Schauspielen oder aus seinem Lieblingsdichter Horaz, alles das strömt mannigfaltig und unaufhörlich daher. Sein Herz würden Sie am besten aus seinen freundlichen Briefen kennen lernen, wo er in einem leichten, gefälligen Stil alle Akkorde der edelsten Gefühle durchläuft, und seinen Verstand, wenn er von seiner Kunst spricht. Er ist voll der interessantesten Anekdoten; und wenn er erzählt, so handelt er zugleich. Jeder erscheint mit einer Grimasse aus seinem Gesicht und spricht mit dem Ton seiner Stimme; auch das kleinste Geschichtchen wird zum Drama. Hier ist Gebärdensprache, deren Beweglichkeit und Wahrheit einen Teil der Pantomimenwunder begreiflich macht. Was er dadurch ohne Sprache zu wirken vermag, sah ich neulich im Macbeth. Als er mit einem zum Mord entschlossenen, satanischen Blick einen Dolch zu sehen glaubt und mit einem Griff, wie man nur nach Kronen greift, nach dem Hefte haschte, sank ein Fremder in meiner Loge, der nichts von der Handlung begriff, weil er nicht ein Wort Englisch verstand, vor Entsetzen ohnmächtig zurück.


    Wir unterredeten uns viel vom armen Sterne. Garrick liebte den Menschenfreund und ehrte den Maler des Herzens; aber er sagte doch irgendwo strenge genug von ihm:


    I will not like friend Shandy rattle,
    And lose my matter in my prattle.
    [4]


    Auch nannte er ihn einen lewd campagnion [5], der noch ausgelassener in seinem Umgang als in seinen Schriften war und gewöhnlich alle Frauen durch seine Zoten verjagte. Er artete in London aus, einer übelversetzten Pflanze gleich; der Weihrauch der Großen verdarb ihm den Kopf, und ihre Ragouts seinen Magen; er wurde kränklich und stolz, ein Invalide am Leib und am Geist.


    Ich fragte nach Fielding. Auch er war einer von Garricks Lieblingen als Gesellschafter und als Schriftsteller. Garrick sieht ihn, wie die Engländer aller, dem idealischen Richardson weit vor, der sich eine Welt in der Studierstube schuf und Menschen aus dem Berg Athos schnitzte. Fielding malte die Natur so getreu, dass sie in England überall eine Bekanntschaft aus dem Tom Jones antreffen, so wie in Holland aus jeder Hütte ein Ostade oder ein Teniers kriecht. Sonst war Fielding ein vollkommener Zyniker, der dem alten Hund in der Tonne nichts nachgab und Tabak und Wein und Epigrammen sehr unappetitlich untereinander käuete. Einst, als Garrick mit einigen Freunden bei ihm speiste, reizte ihre Nasenein widriger Ausfluss; Fielding half ihnen bald aus dem Traum: denn, indem er lachend aufstand, ward die Gesellschaft gewahr, dass er auf dem Nachtstuhl bei Tische saß. Ich habe von Garrick selbst die Geschichte von Fiedlings Bildnis bestätigen hören, das vor Murphys Ausgabe seiner Schriften steht. Hogarth zeichnete solches nach Fieldings Tod aus dem Gedächtnis; und weil er sich eines merkwürdigen Zuges im Munde nicht erinnern konnte, so ahmte Garrick denselben nach und erfrischte dadurch Hogarths Einbildungskraft. Dies veranlasste das oft wiederholte lächerliche französische Märchen, dass Garrick einem Maler zu fremden Gesicht gesessen habe. Wir würden berühmte Männer oft aufrichtiger bewundern, wenn man weniger Wunder von ihnen erzählte. Wichtiger ist eine Anekdote von Garrick in Rom. Als man in einer Gesellschaft von Künstlern vom Ausdruck der Leidenschaften sprach, so individualisierte er eine nach der anderen auf seinem Gesciht mit einer fürchterlichen Wahrheit. Hätte der gegenwärtige Mengs diese Expressionen gezeichnet, so würden sie für den Ausdruck der Seele das nämliche sein, was Polyklets Regel für die Verhältnisse der Körper war. Ich selbst habe etwas ähnliches von ihm gesehen, als ich ungefähr vor acht Tagen der Repetition eines Stücks The Padlock von Bikerstaff zusah. Er hatte in solchem selbst keine Rolle, und dennoch machte er alle, auch die Weiberrollen, seinen Schauspielern mit einer täuschenden Wahrheit vor. Es ist unbegreiflich, wie sein feingesponnenes Nervengewebe diese beständige Anstrengung erträgt; wi es zugeht, dass seine Gesundheit nicht unterliegt: denn Sie müssen glauben, dass es bei ihm nicht nur auf der Oberfläche stürmt. Ich sah ihn einst nach vollendeter Rolle Richards wie den sterbenden Germanikus auf Poussins Bilde, hinterrücks auf einer Ruhebank gelehnt, mit keichender Brust, bleiß, mit Schweißtropfen bedeckt und mit herabgesunkener, bebender Hand, ohne Sprache. Auf dem Lande sammelt Garrick seine verschwendete Schnellkraft wieder, und er eilt hinaus, so oft er nur einen freien Tag erhaschen kann. Alsdann genießt er, wie er sagt, einige Viertelstunden seines Lebens. In der Stadt gehört er der Nation zu. Sein mühvolles Studium nicht allein, sondern auch die Regierung der Bühne raubt ihm oft Zufriedenheit und Ruhe. Diese Regierung hat in England alle Inkonvenienzen der britischen Konstitution. Bald stürmt im Green Room [6] das Haus der Gemeinen; bald sind Mylords die Autoren unzufrieden,


    Who, with a play, like pistol cock'd, in hand,
    Bid managers to stand:
    "Deliver, Sir,
    Your thoughts on this!" -
    "But Madam - Miss -"
    "Your answer strait!
    I will not wait." -
    "T'is fit, You know" -
    "I'll hear no reason,
    This very season, Ay or no!"
    [7]


    und die Stimme des Volkes ist fürchterlich, weil es, wie in Athen, seine größten Leute in einer üblen Laune misshandelt. Er ist zwar der Liebling des Volkes und trifft meistenteils den Geschmack dieser strengen Obrigkeit; dennoch erkennt er ihre Herrschaft mit Ehrfurcht und weiß, dass sie nie einen Fehler, nicht eine Nachlässigkeit vergibt.


    [3] Schalkheit drückt dies Wort nicht völlig aus.


    [4] Ich will nicht wie Freund Shandy klappern und meine Materie in meinem Geplapper verlieren. Von rattle, einer Kinderklapper.


    [5] Einen liederlichen Kumpan


    [6] Das Zimmer für die Schauspieler auf dem Theater in der Drurylane.


    [7] Die mit einem Drama wie mit einer aufgezogenen Pistole in der Hand dem Direktor: stehe! zurufen. "Ihre Meinung hierüber, eh Sie sich rühren!" - "Aber Madam - Mamsell" - "Ihre Antwort stracks! Ich warte nicht." - "Es ist gut, dass Sie wissen." - "Ich höre keine Gründe. Diesen Winter muss es noch gespielt werden. Ja oder Nein!"


    (Wird fortgesetzt)


    Liebe Grüße Peter

  • Bei einem Metzgerladen stand eine Frau mit einem Korb am Arm und spekulierte auf Würste zu Mittag; als ich an ihr vorüberging, sah sie mich an. Sie hatte nur einen Zahn, und der saß ganz vorne.
    Nervös und leicht empfänglich, wie ich in den letzten Tagen geworden war, machte das Gesicht der Frau sofort einen widerlichen Eindruck auf mich; der lange, gelbe Zahn sah aus wie ein kleiner Finger, der aus dem Kiefer ragte, und ihr Blick war noch voll von Wurst, als sie sich zu mir drehte.



    Knut Hamsun, "Hunger", 1890

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Diesmal trifft Helfrich Peter Sturz David Garrick


    Garrick ist auch nicht unempfindlich gegen einzelne Kritiken und entrann so wenig als irgend ein verdienstvoller Mann den Kabalen des Neides und der Schadenfreude schlechter Menschen; ja es war zum Teil Verdruss über mancherlei Beleidigungen dieser Art, was ihn zu einer langen Reise außerhalb Landes bewog. Er schilderte seine damalige Verfassung in folgenden Versen:


    The looking up fatigues the sight:
    And mortals, when they soar,
    Should they once reach a certain height,
    All wish, to have them low'r,
    And friends, ther are in this good town,
    Will lend a hand to help them down.
    [8]


    Und die Herren Kunstrichter werden mit einem Gleichnis bewillkommet:


    Criticks are, like watchmen in town,
    Lame, feeble, half blind, yet they knock poets down.
    [9]


    Garrick verdient diese Begegnung nicht. Er hat nie das Genie angefeindet, nie eine Partei, oder wie man es bei uns nennt, eine Schule [10] kommandiert: er hat kein aufkeimendes Talent durch Verachtung gedemütigt, oft unerkannte Fähigkeiten hervorgezogen, auch den Fleiß geschätzt und Ruhm und Belohnung mit seinen Gehilfen geteilt. Er ist nicht allein der Lehrer sondern auch der Vater seiner Gesellschaft und ehrt seltene Gaben mit Enthusiasmus. Nachdem Mistress Pritchard die Bühne verlassen hatte, gab er ihr jeden Winter eine Benefizvorstellung, spielte alsdann immer selbst und machte nicht selten ein eigenes kleines Stück dazu. Noch spricht er mit Rührung von der berühmten Mistress Cibber. Sie empfand, sagt er, und wirkte Empfindungen. Seitdem sie tot ist, kann ich keine verliebten Rollen mehr machen.


    Es ist wahr, seine Dienste werden reichlich belohnt. Man rechnet sein Vermögen auf 100 000 Pfund Sterling, und das Theater bringt ihm jährlich als Schauspieler und Eigentümer zur Hälfte noch gegen 4000 Pfund ein. Wenn Reichtum, Verstand und ein großer Name glücklich machen können, so ist Garrick ein glücklicher Mann: er ist es auch in seinem Hause; denn seine Frau ist eine liebenswerte, schätzbare Frau, die von ihrem vorigen Stande [11] nichts als die Grazie übrig behielt: aber ihnen fehlen Kinder, der Trost und die Freude des Alters, und Garricks Vermögen wird der Familie seines Bruders zuteil. Weil Garrick in künftiger Woche spielen soll, so lag sein Schreibtisch voller Bittschriften von Herren und Damen aus allen Ständen, die um einen Platz in den Logen flehten; ein fremder Prinz war unter den Supplikanten, und ein auswärtiger Minister hatte sein Gesuch durch einen eigenen Brief unterstützt. Es wäre kein Wunder, wenn ein so gefeierter Mann endlich stolz würde. Baron war es mit ungleich geringerem Rechte. Garrick aber ist es nur für die Narren, gegen deren Zudringlichkeit nichts in Sicherheit setzt als Kälte. Alles, was aus den Provinzen oder übers Meer kommt, will durchaus die Löwen im Tower und Garrick, den Wundermann, sehen. Ich bin, sagte er, auf dem Theater für Geld zu sehen. Ich bin, sagte er, auf dem Theater für Geld zu sehen, aber in meinem Hause allein für meine Freunde.


    [8] In die Höhe zu sehn ermüdet die Augen; fängt ein Sterblicher an zu fliegen und hat erst eine gewisse Höhe erreicht, so wünscht ihn jeder näher bei der Erde, und es gibt Freunde in dieser guten Stadt, die eine Hand hergeben, um ihm herab zu helfen.


    [9] Kritiker sind Nachwächtern gleich, lahm, krüppelich, halb blind, doch schlagen sie den Poeten zu Boden.


    [10] Weil das Heer oft aus Schülern besteht.


    [11] Sie war eine Tänzerin. Sterne nannte sie in seinen Briefen: a peerless woman.




    Liebe Grüße Peter

  • Hypochondrie, polypenartiges Ungeheuer! hier lieg ich ohne Rettung und winsle, von deinen tausend Armen umstrickt.


    Freilich war es meine Schuld, (und dies vermehrt meine Qual,) dass ich mich in dem Genuss des Lebens übereilte und seine Freuden und mich in einer gedankenlosen Jugend erschöpfte. Ich war noch nicht dreißig Jahre alt, als ich schon zu leiden anfing. Immer schlug mir wie aus einem Übeltäter das Herz; ich holte mühsam wie Sisyphus unter seinem Felsen Odem; auf traurige Tage folgten jammervolle Nächte; die Welt ekelte mir; ich seufzte nach Einsamkeit und konnte mir selbst nicht entfliehen. Ein französischer Arzt versicherte mich, dass ich nichts bedürfe als viermal im Jahr einen Coup de lancette. Ihre Humeurs, sprach er, kochen und streben; Ihre Gefäße sind überfüllt, Ihre Nerven überspannt und das freie Spiel ihrer Lunge ist gefesselt. Ich folgte vielen Jahre seinem Rate und meine Beschwerden nahmen fürchterlich zu.


    (wird fortgesetzt)



    Liebe Grüße Peter

  • Danken Sie Gott, dass Sie noch leben, schrieb mir ein Praktikus; denn Aderlassen ist langsamer Mord. Die Natur, die sonst allen Überfluss wegräumt, hat, wie Sie wissen, dem Blut keinen ordentlichen Ausgang geöffnet. Nun arbeitet Ihr ganzes Räderwerk träge, indem es an Säften, an Öl zum Reibezeug fehlt. Ihr Magen hat seine Reizbarkeit verloren und bereitet statt Nahrung ein schleichendes Gift. Nehmen Sie von meinen Tropfen, die, ohne Ruhm zu melden, Wunder tun, und trinken Sie alten wohltätigen Wein. Anfangs fruchtete diese Kurart; aber es waren nur Freuden eines Rausches, nur Opiumträume. Denn morgens, eh ich meine Tropfen verschluckte, befand ich mich bald elender als jemals, und Nachmittags entfloh das Gefühl der Gesundheit mit den Dünsten des Weins.


    (die Parade der Ärzte und ihrer Methoden ist noch nicht zu Ende ...)


    Liebe Grüße Peter

  • Wohl! - deklamierte mein gelehrter Professor, ein anderer hätte das ohne Tiefsinn vermutet. Denn eine gewaltsame Anstrengung entkräftet immer in dem nämlichen Verhältnis; man hat ihre Nerven nur angespornt, nicht gestärkt. Ihre Tropfen sind nichts, als eine Art Aquavit und der Wein ist nicht mehr der gesunde Saft der Traube, sondern eine halb verdorbene, fermentierte, oft durch Arsenik und Bleizucker vergiftete Infusion, ein Getränk, das Krankheiten zeugt, entwickelt und nährt, und dessen sich die Vorsicht ebenso zweckmäßig wie der Pest und Bajonetten bedient, um Raum für künftige Geschlechter zu machen.


    Wasser, und nichts anderes, müssen Sie trinken, und Sie können des Guten nicht zu viel tun. Ich füllte, wie die Danaiden, ganze Ladungen Wasser in meine Gefäße, dehnte meine Gedärme wie Spritzenschläuche aus, ohne dass sich darum meine Kräfte mehrten, ich wandelte immer kränker und schwächer und endlich wie ein Schatten umher.


    (Wie weiter nun, frage ich alle Practici und im Praktikum befindliche Therapeuten. Noch ist das Füllhorn der Medizin nicht ausgegossen ...


    Liebe Grüße Peter)

  • Eine meiner Muhmen, eine sittsame Witwe, schickte mir ihren jungen Hausmedikus zu und dieser trug eine ganz neue Lebensordnung vor. Man hat, lispelte er, Ihre Konstitution zu ungestüm behandelt. Wir müssen leisere Schritte tun und den Launen ihres Magens mit mehr Behutsamkeit schmeicheln. Trinken Sie Milch, die schon ein halbes Blut ist und der Natur die Arbeit der Chilifikation erspart. Meiden Sie das Fleisch; denn nur eine verdorbene Üppigkeit hat diesen blutgierigen Geschmack eingeführt. Wir sind nicht zu Tigern im Walde erschaffen. Das Pflanzenreich bietet uns eine gesündere Nahrung dar und ganze Völker befinden sich vortrefflich dabei. -


    Unter alen Diäten ist mir keine übler bekommen. Um die Zeit fiel mir ein Buch von einem Edinburgher Arzt in die Hände, der alles, was die Natur Genießbares auftischt, für eine gesunde Nahrung der Menschen hält. Wir können, lehrt er, ohne Gefahr vei dem Kuräken und dem Hottentotten schmarotzen. Nur die Menge, nicht die Mannigfaltigkeit schadet. Diese nützt vielmehr oft, indem eine Speise die schädliche Wirkung der andern aufhebt, wie z.B. das Alkali des Fleisches die sauren Pflanzensäfte mildert. Es ist wahrer Unsinn, das Fleisch zu verbieten, das sich am leichtesten mit unsrer Substanz assimiliert, das unser Magen begehrt, für welches unsere Zähne gebildet sind. Wir Briten leben vom Fleisch und sind nervig und blutreich und werden unter jedem Himmelsstrich alt; auch hat die Erfahrung im letzten Krieg in Indien gelehrt, dass ein Heer Bananien vor einem kleinen Haufen Fleischfresser flieht.


    Mir gefiel die Toleranz dieses Mannes; aber ich versuchte sie zu meinem Unglück, vermutlich weil meine Natur schon lange nicht mehr die angeborene, sondern eine verkünstelte, verdorbene Natur war.




    Liebe Grüße Peter

  • Nebenher wechselte ich eben so oft mit Arzneimitteln ab. Ich gebrauchte Stahl, China, Kräutersäfte, Asa fötida, Seifenpillen usw., je nachdem ich die Schwindsucht, die Wassersucht, die Gelbsucht oder irgendeine von den hundert Suchten befürchtete. Da ich auch meinen Zustand in jedem Brunnenbuch und zahlreiche Beispiele bescheinigter Kuren antraf, so trinke ich schon seit zehn Jahren die mineralischen Wasser, wie sie auf der Landkarte folgen.


    Im verwichenen Sommer trat in Pyrmont eine hagere, hohläugige Gestalt zu mir. Haben Sie, fragte das Gespenst mit bebender Stimme, auch das kalte Bad schon gebraucht? Es stärkt gewaltig. - Hier fiel es in Ohnmacht. Ich leugne die Kräfte des kalten Wassers nicht. Im Wasser zu leben, nennt Maillet respire l'air natal, und es kann sein, dass es zuweilen das ekelhafte Dasein manches Invaliden verlängert. Mir aber geriet die Kur nicht, ich gebe vielmehr der Erkältung dabei an meinen Gliederschmerzen Schuld, welche weder die Dusche, noch das Senfbad, noch das Dampfbad, noch irgendein warmes Bad lindern will.



    Liebe Grüße Peter

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