Epochen im Jazz

  • Vor einigen Wochen haben wir uns hier in einem etwas nostalgischen thread an das „Jazzbuch“ von Joachim E. Berendt erinnert, und an seine Einteilung der Jazzgeschichte in Epochen, die jeweils ca. zehn Jahre währten.


    Wenn ich mich recht erinnere (ich habe das Buch nicht hier), war das New Orleans (20er), Swing (30er) , Bebop (40er), Cool/Hard Bop (50er), Free (60er), Fusion (70er).


    Eine These und einen Vorschlag dazu möchte ich zur Diskussion stellen.


    Die These:
    Es scheint, in sehr großem Bogen, ähnliche Bewegungs- und Entwicklungsabläufe zu geben in der klassischen Musikgeschichte und der des Jazz – wobei, was hier ca. ein Jahrhundert währte, dort jeweils etwa ein Jahrzehnt galt. Ganz grob skizziert:


    Die Anfänge in geistlicher Vokalmusik (Gregorianik – Blues/Gospel) einerseits und Volks-/Tanzmusik andererseits.


    Barock/Swing: Tanzmusik, Gebrauchsmusik, Tafelmusik - den Benutzern dieser Musik ist Autorschaft unwichtig. Wer die Gavotte komponiert hatte, war den Tänzern am Hofe des Barockfürsten ebenso wurscht wie es die meisten Swingtänzern im Harlem der 20er nicht kümmerte, welche Big Band spielte. Hauptsache, die Musik war tanzbar.


    Klassik/Bebop: Musik befreit sich von ihrem Gebrauch, wird autonom, der Künstler als Autor tritt in den Vordergrund, Geniekult, Kult des Virtuosen (Beethoven/Charlie Parker).


    Romantik/Hard Bop: Erinnerung an die Wurzeln, Aneignung und Neugestaltung der eigenen Musikgeschichte und der Volksmusik (die Verwendung von Kirchentonarten und von Volksweisen bei Brahms etwa, im Jazz Art Blakey, Horace Silver einerseits, andererseits die Verwendung von modalen Tonleitern bei Miles Davis und anderen, die auch als ein Rückgriff auf Blues- und andere volksmusikalische Traditionen gedeutet werden kann)


    Free Jazz/Zweite Wiener Schule: Der Schritt in die Abstraktion, über die Tonalität hinaus. Und der Versuch, in der Freiheit neue Regeln zu finden (Zwölftonmusik; serielle Musik; Ornette Colemans „Harmolodics“; Anthony Braxton; Versuche, Kollektivimprovisation durch Dirigenten zu strukturieren (war das beim Willem Breuker Kollektief?))


    Kann man möglicherweise in der Geschichte der Rockmusik ähnliche Bewegungen feststellen?


    Der Vorschlag:
    Huesmann, der das Berendtsche „Jazzbuch“ weitergeführt hat, spricht davon, dass ein prägender Stil in den 80er und 90er Jahren nicht zu erkennen sei. Vielleicht gibt es aber eine den wesentlichen Strömungen gemeinsame Herangehensweise, einen zumindest für die 80er typischen Blick von Jazzmusikern auf ihre Musik, und vielleicht kann der Begriff „Postmoderne“ hilfreich sein, diese zu beschreiben. Wenn man „Postmoderne“ bloß als intellektuelle Umschreibung von Beliebigkeit versteht, hilft einem der Begriff allerdings nicht weiter. Wohl aber, wenn man die theoretischen Diskussionen einbezieht, die im Wesentlichen um den Verlust von Zentren, von Verbindlichkeiten und Übergeordnetem, von Einheitlichem, letztlich von Ideologie kreisen. Wo etwas verloren geht, geschieht andererseits Befreiung. So war es sicherlich die postmoderne Befreiung vom Authentizitätsanspruch, die die intensive Beschäftigung des afroamerikanischen Musikers Don Byron mit Klezmer-Musik in einem Jazz-Kontext möglich machte. Begriffe der postmodernen Kunsttheorie wie Dekonstruktion, Zitat, Briccolage, Sampling, das Vermischen von Codes undsoweiter mit Künstlern wie John Zorn, Uri Caine, Fred Frith in Zusammenhang zu bringen erscheint geradezu tautologisch. Und damit nimmt die schon ziemlich lange Eröffnung ein etwas schlappes Ende, und jetzt seid ihr dran...


    Grüße,
    Micha

  • Hallo Michael,


    da hast ein sehr interessantes Thema angestossen, daß mich immer mal wieder beschäftigt hat.
    Ich bin aus den Siebzigern durch Behrendts Buch geprägt (wie vermutlich viele andere) und fand diese Periodisierung sehr faszinierend.
    Damals fragte ich mich, was wird die nächste Periode bringen (80er), aber es gab dann offenkundig keine klare Linie mehr.
    Vielleicht auch gut so, denn diese Periodisierung grenzt ja doch schon fast an Schubladendenken und das hat der Musik (jeglicher Richtung) eigentlich noch nie gut getan.


    Dein Vergleich mit der Entwicklung der klassischen Musik ist mutig und auf den ersten Blick (zu mehr hat die Zeit noch nicht gereicht) treffend.


    Die Geschichte der Rockmusik scheint mir insoweit allerdings kein gutes Opfer für einen Vergleich zu sein. Zum einen hat die Rockmusik eine relativ kurze (zeitlich) Geschichte, zum anderen ist die Rockmusik meines Erachtens von anfang dadurch gepägt, daß sie außerordentlich vielschichtig ist. Man sollte hier meines Erachtens eher von geographisch geprägten Musikströmen sprechen, zum Beginn insbesondere USA, dann GB und erst danach Resteuropa.


    Grüsse


    Achim :hello:

  • Auch ich bin ja ein von Behrendt geprägter Hörer. Das Wort "Epoche" mag etwas hoch gegriffen sein, dennoch fand ich seine Aufschlüsselung in Stile und Ströme bis in die 80er Jahre hinein recht schlüssig. Huesmanns Weiterführung hakte aber dann bereits ab dort. Die Begriffe vom "Klassizismus" (exemplarisch am Beispiel Wynton Marsalis beschrieben) und "Neo-Klassizismus" (David Murray) entbehren zwar nicht einer gewissen Logik, greifen aber für die Beschreibung eines Jahrzehnts viel zu kurz. Zwar waren diese beiden Tendenzen zu beobachten, doch es gab und gibt so vieles, was parallel verlief und nicht in dieses Raster passt.


    Oft denke ich: Ist doch schön. Hinfort mit den Etiketten und wenn dann einer fragt, was das sei, sagt man: Gute Musik! Andererseits bin ich auch oft in der Situation, Musik beschreiben zu sollen. Und da helfen formulierte Parameter doch sehr, um dem Fragenden bereits schon einmal die grobe Richtung beschreiben zu können. Ob die relativ lineare Stilgeschichte am Ende ist, weiß ich gar nicht. Mein Eindruck ist der, dass ein wilder Eklektizismus herrscht. Und ich sehe den Wald vor Bäumen nicht, um relativ konturiert sagen zu können, was in den letzten 20 Jahren grundlegend stilbildend gewesen sein kann. Hier müsste man soviele Namen aus so vielen unterschiedlichen Regionen und Umfeldern nennen, dass man von einer grundlegenden Epoche eigentlich nicht reden kann.


    LG
    B.