Die irrsinnigsten Alternativszenarien der Musikgeschichte

  • Ich hoffe das Forum hier passt. Ansonsten bitte verschieben.


    Und zwar geht es darum, dass Alternativszenarien zur Musikgeschichte entworfen werden und die anderen Forumsteilnehmer daraufhin spekulieren werden, wie im entsprechenden Fall deren weiterer Verlauf aussieht.


    Ich gebe mal den Startschuss mit zwei Beispielen.


    Szenario 1


    Wir schreiben das Jahr 1922. A. Schönberg hat so eben seine Methode, mit zwölf Tönen zu komponieren, vorgestellt, als sich kurz darauf Eduard Hanslick, der gerade seinen 97. Geburtstag gefeiert hat, empört aus dem Altersheim meldet: "Ist die neue Komponistengeneration jetzt völlig außer sich geraten? Von tönenden Formen habe ich gesprochen, nicht von schmerzenden! Erst werden Jahrzehnte lang Alltagsbanalitäten vertont, und nun setzt man noch einen drauf - ich möchte mir gar nicht ausdenken, was die nächste Komponistengeneration zu stande bringen wird. Ob ihnen wohl die Tonhöhe nicht genügt und sie auch noch die anderen Parameter der grausigen Mathematik überlassen werden wollen? Ich sehe es schon kommen, irgendein Schwachkopf wird denken, ja, wenn die mit 12 Tönen arbeiten, kann ich es auch mit einem. Ach, und wenn ich mich ganz wichtig machen will, schreib ich einfach ein Stück, in dem gar kein Ton mehr erklingt. Mit so einem Mist wird man heute bekannt und alle Welt denkt, man wär revolutionär. Zum Teufel mit den Musikern!"
    Kurz darauf erklingt ein Klavierstück von Schönberg im Radio und Hanslick stirbt an einem Herzinfarkt.


    Szenario 2


    Beethoven hat in seiner Grossen Fuge, da sie dem Publikum nicht gefiel, noch eine weitere Durchführung hinzukomponiert. Dort wendet er ein neu entwickeltes Verfahren an, bei dem jeder der zwölf verfügbaren Töne nur noch dann wieder erklingen darf, wenn alle anderen 11 bereits vorher erklungen sind. Ferdinand Ries propagiert ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung:
    "Der Meister Beethoven hat die Tonalität an ihre Grenzen geführt und diese überschritten. Hinsichtlich der politischen Katastrophen und blutigen Kriege, die unser Reich in den letzten Jahrzehnten erfahren musste, erscheint jegliche Verharmlosung reaktionärer Komponisten durch fortwährendes Schwelgen in Dur-Dreiklängen inakzeptabel und moralisch verwerflich. Ich bitte jeden heutigen Tonsetzer, dies zu bedenken, sofern er zeitgemäß komponieren möchte - und das muss von jedem ernst zu nehmenden Komponisten erwartet werden."

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Kann natürlich sein, daß ich ganz doof bin ( 8) ), aber beides sind IMHO keine Alternativszenarien im echten Sinne...


    Dann hätte Szenario 1 so weitergehen müssen:
    Nach Hanslicks vernichtender Kritik an seiner Methode entschuldigte sich Schönberg damit, es sei ja bloß mal ein Versuch gewesen, der allerdings gescheitert sei. Er werde fortan nur noch gefällige Filmmusik schreiben, da der Film die Kunst der Zukunft sei. Daraufhin änderte er seinen Namen in Nino Rota und wurde in Hollywood berühmt. Von der ZTT hörte man nie wieder etwas, sie fiel der verdienten Vergessenheit anheim. Ein späterer Versuch des französischen Musikdilletanten Pierre Bulette, sie wieder zu beleben scheiterte, als bei einer Aufführung alle Musiker anfingen zu lachen und nicht mehr weiterspielen konnten. O-Ton Bulette: "Es geht tatsächlich nicht, Richard Strauss hat recht."



    Szenario 2:
    Daraufhin verbot der regierende Kaiser Franz das DMS. Alle Kompositionen erklangen in der neuen, von Beethoven entwickelten Technik. Der Maestro selbst legte zB sein Werk "Gesang der Jünglinge" und "27'38" vor, bekam den Großen Österreichischen Staatspreis für Musik und wurde Honorarprofessor für Neue Musik an der Uni Wien (aus Steuermitteln finanziert). Dort rief er ein Institut für Neue Musik ins Leben (aus Steuermitteln finanziert) und zog mit Stipendien viele junge Komponisten heran (aus Steuermitteln finanziert), lobte Preise für innovative Neue Musik aus (aus Steuermitteln finanziert) und ließ zahlreiche Werke drucken (mit Subventionen für den Verleger, aus Steuermitteln finanziert).


    Alle Musik mußte außerdem - eine weitere bahnbrechende Idee von Maestro Beethoven - ökologisch einwandfrei und klimaneutral erklingen. Opernhäuser und Konzerthallen wurden durch erneuerbare Energie beheizt, Petroleumlampen verboten. Das Publikum durfte nicht mehr in Frack und Abendkleid erscheinen, sondern trug nur noch aus Hanf gewonnene einfache Kleidung.


    Musikinstrumente wurden ausschließlich aus recyceltem Material hergestellt, die Notenblättern beidseitig beschrieben. Gelegentlich kam es dabei zu Verwechslungen der richtigen Seiten, aber das konnte das Publikum ohnehin nicht mehr unterscheiden.


    Auf Eintrittskarten, Musikintrumente und dergl. wurde ein Pfand erhoben. Alle der Musik dienenden Gegenstände mußten an besonderen Sammelstellen (aus Steuermitteln finanziert) abgegeben werden.


    Die Erwähnung der herkömmlichen Musik wurde verboten und unter Strafe gestellt. Wer den musikalischen Fortschritt durch Maestro Beethovens Neue Musik bezweifelte, wurde als "Musikleugner" gesellschaftlich geächtet und verlor seine Stellung.


    Zur Überwachung aller dieser Maßnahmen wurde ein Ministerium für Umwelt und Musik geschaffen, mit Beethoven als Minister, Ries als parlamentarischem Staatssekretär, und etwa 10.000 Mitarbeitern (aus Steuermitteln finanziert).


    Die Musik, wie man sie vorher kannte, ging in den Untergrund und konnte nur noch heimlich gehört werden. Wer dabei erwischt wurde, diese Musik zu spielen oder zu hören, kam in eine Umerziehungseinrichtung (aus Steuermitteln finanziert). Komponisten, die sich weigerten, den musikalischen Fortschritt anzuerkennen, konnten nur geisteskrank sein und kamen in psychiatrische Behandlung (aus Steuermitteln finanziert).


    Bekannte "Musikleugner" waren zB Robert Schumann, Frederic Chopin, Hector Berlioz oder Richard Wagner, die ihr zweifellos vorhandenes musikalisches Talent leider an die falsche Musik verschwendeten und der verdienten Umerziehung zugeführt werden mußten. Nach ihrer Entlassung kamen sie als Musiker in Blasorchestern der Provinz unter, wo sie zT noch heute musizieren, nun aber ökologisch einwandfrei.