Gerhard Wischniewski
Vincent Wolfsteiner, der Max im Berliner Freischütz hat mir einen Text zur Verfügung gestellt, in dem er ausführlich über die Inszenierung berichtet:
Also: viel Vergnügen bei einem Bericht über Regietheater aus erster Hand
Oper singen
Text Februar 10, 2012
Berliner Blöße
Calixto Bieito ist ein katalanischer Regisseur, der für Inszenierungen bekannt ist, die in drastischer Deutlichkeit emotionale Abgründe zeigen. Zur Darstellung dieser Abgründe greift Bieito gerne auf sehr exponierte Darstellung von Körperlichkeit und Körperfunktionen zurück. Um mit diesem Regisseur physisch überzeugend zu spielen, war mein Körper im Januar 2009 – als ich das Angebot der Zusammenarbeit bekam - ungeeignet – nämlich zu fett und zu unbeweglich.
Die Erkenntnis der Nichtvereinbarkeit zwischen Bühne und Fettleibigkeit war mir schon vorher – so im Frühling 2008 gekommen, aber die bewusste Einbindung einer physischen Intensität in die Darstellung im Musiktheater war mir erst nach der Premiere der von Barrie Kosky inszenierten Walküre in Hannover und dem kurz darauf folgenden Angebot des Freischütz an der komischen Oper bewusst geworden.
Die ersten Abnehm – und Fitnessschritte – eben im Frühling 2008 - waren erstaunlich leicht, da ich auf Anraten meiner Mutter einen der großen geographischen Vorteile meines Heimatortes München nutzte und anfing, in den Bergen zu wandern. Aus dieser anfänglich nur als sportliche Unterstützung einer körperlichen Veränderung gedachten „Beschäftigung“ ist eine große Leidenschaft geworden. Wie immer, wenn Leidenschaft im Spiel ist, fällt das Unangenehme leicht, und so waren die ersten großen Schritte meiner physischen Neuerfindung richtig erfreulich – das half !
Die Hannoveranische Walküre sollte auch gleich die ersten Diskussionspunkte in einem Gedankenprozess aufzeigen, der nachher noch ausführlich beschrieben wird. Diese Diskussionspunkte – oder genauer - Schwierigkeiten der möglichen Unvereinbarkeit zischen klassischem Musiktheater und – fast bin ich versucht zu sagen – „neuen“ Musikschauspiel waren aber noch so undeutlich, dass ich noch fröhlich in ein Experiment stolpern sollte, dessen Ergebnis heute, morgen und hoffentlich bis zum Ende meiner Karriere noch nicht feststeht.
Nach dem Angebot des Freischütz an der Komischen Oper Berlin hängte ich mir ein Foto von Calixto Bieito an den Kühlschrank und begann einen Überlegungsprozess, der für den Darsteller im Musiktheater heute wohl öfters überraschenderweise notwendig wird.
Das „klassische“ Musiktheater – für den Sänger liebevoll bis zu Walther Felsensteins „Komischer Oper“ Ära in Ostdeutschland und bis in die späten 60ger in Westdeutschland daraus bestehend, dass allemal das Bühnenbild „modernisiert“ wurde – der Sänger als Darsteller in seiner physischen Beweglichkeit aber im großen und ganzen in Ruhe gelassen wurde, bezog oder bezieht seine Berechtigung aus der Körperlichkeit des klassischen Gesangs.
Um gut singen zu können, sollte der Ausführende in möglichst ordentlicher Haltung mit dem Gesicht zum Publikum gewendet dastehen, dann kann er sauber atmen und die Stimme schön nach draußen projezieren. Das stimmt übrigens … so ist Singen am leichtesten (und leider oft durch die akustischen Verhältnisse an einigen Häusern notwendig). Die ersten Schritte … aber auch die weiteren Schritte, dies zu ändern stießen und stoßen auf Widerstand:
Erst einmal auf den der Sänger: … „so kann ich nicht singen“ … „so hört man mich nicht“ … „das ist viel zu anstrengend“ … „da mache ich mich ja lächerlich“ !
dann auf den des Publikums: „warum liegt denn der immer am Boden rum ?“ … „das sieht unmöglich aus, wie der sich bewegt“ … „ich komm doch her, um Oper zu hören und nicht, um mir irgendein Rumgezappel anzuschau’n“ …
„ dann hätte er Schauspieler werden sollen“
Mir kommt es so vor, als ob sich daraus ein lang anhaltender Konflikt in der Kunst des Musiktheaters ergeben hat, der eigentlich traurig ist. Durch die Trennung der Gedankengänge der Regisseure und der Musiker hat sich innerhalb der Produktion unserer Kunstform eine Kluft aufgetan, die einem Neuentstehen eines Gesamtkunstwerks (hoppalla, da ist ein unmoderner Ausdruck) schlicht und ergreifend im Weg stand und steht. Freilich wurde der noch unterstützt durch allerlei Unsitten – oft angefeuert durch die Politik – und die Lager (Regie – Musiker) entfernten sich immer weiter voneinander.
Ich glaube, daß der Hauptmangel in der „Spielbereitschaft“ liegt. Und hier ist das wirklich in direktem Bezug auf das Wort „spielen“ gemeint. Weder Regisseure, noch ausführende Bühnenmusiker scheinen innerhalb ihrer vorgefassten Meinungen – beim Regisseur das Konzept… beim Musiker die Partitur – spielbereit zu sein.
Das Herumspielen mit Ideen und Möglichkeiten auf der Probe ist aber der eigentliche künstlerische Schaffensprozess auf der Bühne. Das ist ja nun – angesichts der Fülle der Literatur über die Arbeitsweise der großen Opernschaffensmeister der letzten Jahrhunderte und letztendlich ihrer selbst geäußerten Meinungen– weiß Gott keine neue Erkenntnis. Ich möchte - um Gottes Willen - hier jetzt nicht so klingen, als ob ich diese Weisheit gepachtet hätte. Viele Sänger heute, junge wie alte, sind - auch schon viel früher als ich - zu dieser Erkenntnis gelangt und steuern ihr entgegen. Auch in dieser Produktion war die intensive und lustvolle Darstellung der Kollegen durchaus Zeichen für den Willen - und dies ist an der Komischen Oper Berlin fast schon Programm -, bestehende Strukturen zu brechen. Aber ich hab halt gedacht, daß diese Produktion mein persönlicher Kampf gegen den Musik - Theater - Konflikt werden soll.
Mit dem Angebot der Zusammenarbeit mit Calixto Bieito beschloß ich für mich auszuprobieren, wie weit ich gehen kann. Dazu war eine vernünftige Physis, eine bessere Kenntnis von Schauspieltechnik und eine ungewöhnliche Arbeitsweise im Rollenentwicklung – und Gestaltungsprozess notwendig.
Der Abnehm – und Fitnessvorgang war also schon im Gange. Mit Barrie Kosky in der Walküre, aber auch mit Sebastian Ukena in der Oldenburger Inszenierung Hindemiths Cardillac, habe ich ausprobiert, wie’s mit der Schauspielerei intensiver gehen könnte. Über die Limitationen der körperlichen Schauspielerei im Musiktheater werde ich mich irgendwann noch mal ganz ausführlich auslassen, genauso wie über die textuelle Rollenentwicklung, aber die Grenzen wurden mir sehr schnell klar … es ist für die Qualität der musikalischen Darstellung gefährlich, den Körper auf der Bühne zu schnell und zu stark zu entkräften und sich in einen Zustand der emotionalen Erschöpfung zu spielen.
Selbst die statische Körperspannung kostet Kraft – und Spannung die „Verspannung“ darstellt, kann gesanglich schädlich sein, da das Singen auch körperliche Entspanntheit erfordert. Im letzten Jahr habe ich dann während der Vorstellungen daran gearbeitet, die Körperkräfte während einer Vorstellung so einzuteilen, dass – aus meiner Sicht - ein vernünftiger Kompromiss zwischen physisch intensiver Darstellung und „Schöngesang“ erreicht werden konnte – teilweise – der Publikumsreaktion entnehmend – mit großem – teilweise aber auch nur mit mäßigem Erfolg.
In meiner Unbekümmertheit hatte ich aber fröhlich weiter vor, diese Entwicklung weiterzutreiben – Ziel war ja der Freischütz in Berlin…
Auf der in diesem Blog beschriebenen Rückfahrt vom Einspringer in Ostrava war mir noch eine Idee gekommen. Die Form der Arbeit, die ich mir zur Weiterarbeit an der Bühnenintensität vorstellte, schien mir mehr Arbeitskraft zu verlangen, als die einer (also meiner) Person und des „normalen“ Regieteams – das sich ja immer um alle Darsteller kümmern muss und nicht nur um mich … auch wenn der Tenor das gerne so sieht. Ich dachte mir, dass eine darstellerisch individuelle Betreuung notwendig sein würde, um im Detail mehr Fortschritt machen zu können, als durch die von mir bisher erfahrene szenische Arbeit in einer Produktion. Ich konnte Annika Maier, die die Regieassistentin des Cardillac in Oldenburg gewesen war, für diese Idee der persönlichen künstlerischen Assistenz gewinnen.
Die erste Erfahrung mit Calixto Bieitos Arbeitsweise war dann erst einmal verwunderlich, da garnix passierte. Heftigst motiviert reiste ich nach Berlin und der Probenbeginn wurde zweimal um je eine Woche verschoben. Einerseits wie auf glühenden Kohlen sitzend, andrerseits die Vorzüge der Stadt genießend, versetzte ich mich in einen seltsamen Zustand, der für immer die emotionale Grunderinnerung an diese Produktion sein wird, da er in seiner Aufgeregtheit bis zur Premiere anhielt.Die vom Theater gestellte Wohnung war cool gelegen – unter den Linden – mit einem milchglasumrandeten Bett – was ihr den Spitznamen „Aquarium“ einbrachte. Der Blick aus dem Fenster auf die bayerische Vertretung ließ eventuell aufkommendes Heimweh verschwinden.
Am 16. Dezember begannen dann endlich die Proben und schon nach dem Konzeptionsgespräch war mir klar, dass ich genau richtig vorausgeahnt hatte und Calixto der ideale Partner für meine Vorstellung von Musiktheaterdarstellung und meine Experimentierfreudigkeit sein sollte.
Also … mit voller Wucht an’s Werk ! Alles, was ich hatte, schmiss ihm entgegen, alles, was er von mir wollte, hab’ ich erst einmal ausprobiert. „Selbstzerstörungswut“ war noch eines der freundlichen Worte über meine Arbeitswollust und die stimmlichen Schwierigkeiten sollten mich zunächst nicht interessieren; das war ja klar, dass sich der Körper und die Stimme an so eine Extremsituation erst einmal gewöhnen werden müsste. Calixto Bieito ist ein Versucher und ein geschickter, diplomatischer Manipulator. Und – wie so oft in der Theaterwelt – sind solche Attribute durchaus nicht negativ zu verstehen. Er verfügt eben über die Fähigkeit, den Darsteller von Handlungen zu überzeugen – oder ihm sogar den Eindruck zu vermitteln, dass diese Handlungen die Idee des Darstellers gewesen sind, auf die er sich mit vielen anderen Regisseuren nicht einlassen würde. Seine Regie besteht in der Hauptsache aus Motivation und nicht aus Anweisung, sie baut auf Improvisation, Zufallsergebnisse und permanenter, fast chaotischer Weiterentwicklung. Hier konnte ich mir dann auch noch den Luxus erlauben und mich dieser Technik gnadenlos unterwerfen, da ich ja wusste, dass das wachsame Auge meiner Assistentin eingewachsene Schludrigkeiten sehen und wieder ausbügeln würde – so war’s dann auch …
Der Freischütz von Carl Maria von Weber geht so:
Eine Deutsche, barocke Jägerkommune lebt im tiefen Wald glücklich zusammen. Die Ehrbegriffe des jägerischen und des schützischen Wettbewerbs sind – neben des Fürsten und Gottes Wort - oberstes Gesetz. Der sich daraus ergebende Aberglaube ist nicht nur Begleiterscheinung, sondern Dogma. Die äußere Lebensform ist soziale Notwendigkeit, die Individualität verdächtige, ketzerische Ausgrenzung. Zu Beginn unserer Oper gibt es schon einen ausgegrenzten … Kaspar, den Jagdgesell, der aus Verzweiflung darüber, daß er seines Arbeitgebers Kuno schöne Tochter, die Erbförsterei und alles an Macht und sozialer Stellung, die er sich für sich selber erwartet hatte, nicht einfach so bekommen wird, sein Leben schon dem Teufel verschrieben hat. Inzwischen ist die vom Teufel erkaufte Zeit schon aufgebraucht und für Kaspar geht es gar nicht mehr um die Erlangung von irgendwelchen gesellschaftlichen Positionen, sondern nur noch um’s nackte Überleben, oder besser …nicht in der Hölle zu landen. Dies kann ihm aber nur gelingen, wenn er neue Opfer für den Teufel findet, die ihm seine Höllenfahrtfrist verlängern. Deswegen hat er vor Wochen schon den Jagdgesell Max verflucht, nix mehr zu treffen – weder Wild noch Scheibe – und ihn damit an den Rand der Verzweiflung gebracht. Die Oper beginnt also mit einem wichtigen Wettbewerbsschiessen, bei dem ausgerechnet der in der sozialen Stellung fünf Stufen unter Max stehende Kilian Maxes Ziel leicht trifft. Als dieser den dafür angemessenen Hohn vor versammelter Mannschaft äußert, bekommet er’s mit Max Temprament zu tun. Vom Oberförster geschlichtet, wird Max trotzdem die Situation vor Augen geführt: er hat versagt und wenn er am nächsten Tag nix trifft, gibt’s keine Oberförstertochter und keine Försterei. Max bleibt zurück und verleiht seiner Verzweiflung in einer langen, schweren Arie Ausdruck. Das Ende seiner Jammerei bekommt der wiederauftretende Kaspar noch mit und versucht den durch raue Mittel inzwischen besoffen gemachten Max dazu, sich in die Wolfsschlucht – den verruchten Eingang zur Hölle – zu begeben um dort mit Kaspar um Mitternacht Kugeln zu gießen, die alles treffen. Das da noch eine Extrakugel bei rausspringt, deren Ziel der Teufel frei bestimmt, scheint zu diesem Zeitpunkt für Max Nebensache.Nächste Einstellung ist die Charakterisierung Maxes Liebe Agathe und ihrer engen Freundin Ännchen. Agathe liebt Max, hat kein Interesse an dem ganzen Testosteronigedöns und will ihn so wie sie ihn kannte, lustig und unbeschwert. Ännchen sieht die Welt sowieso durch eine zwanghaft rosarot gefärbte Brille und ihr Rat, das alles nicht so ernst zu nehmen prallt an Agathes Sorgen ab. Als Max auftaucht und gesteht, dass er sich jetzt – um „irgendwas“ zu machen – in die Wolfsschlucht begibt, hängt der Hausfrieden schief und er muss das bisschen Charme, das ihm zur Verfügung steht, aufbringen um Agathe etwas zu beruhigen.Kaspar hängt inzwischen in der Wolfsschlucht rum und bereitet die Einflussnahme des Teufels – in dieser Oper mit dem gar nicht so bös anmutenden Namen „Kilian“ versehen – auf die Verfluchung von sieben Kugeln und den Untergang Maxes vor. Als Max ankommt, wird er sofort von der bösen Aura des Ortes in seinen Bann gezogen und die Visionen, die ihn in den Wahnsinn treiben, begleiten das Gießen der bösen Kugeln. Den Abschluss der kompletten Verdammung bildet die Fertigstellung der siebten Kugeln – Max hat sich dem Bösen verschrieben – sein Untergang ist ihm gewiss. Agathe sieht Max im Traum als Mann vor der Hochzeitsnacht. Sie erkennt seine Stärken und Abgründe und vertraut Gott sie in ihrem Verhältnis zu Max richtig zu leiten. Als die ankommende Brautjungferngesellschaft bis zur Unerträglichkeit zu nerven scheint, löst sich das allgemeine Unwohlsein in der Ankunft der ganzen Jägerkommune, die fröhliche einen unglaublich ohrenkleberischen Jägerchor intonieren. Danach ist es an Max seinen Probeschuss zu absolvieren, der trifft alles, nur nicht das Ziel und sein Heil muss durch einen Walderemiten gerettet werden, der für ihn bittet. Ach so, ja vor dem plötzlich anwesenden Fürsten … ach so ja, der Max eigentlich verbannen will …irgendwie sind dann immer alle irgendwie zufrieden.
Als Interpretationsansatz wollte Calixto die Natur … den Wald als zentralen szenischen und emotionalen Ausgangspunkt für die Inszenierung setzen. Nicht nur als eine Ansammlung von Bäumen, sondern als metaphysischen Zustand, ja als Bedrohung und Schutzhöhle, nicht nur für die Protagonisten dieser Oper, sondern für uns alle. In seiner Verzweiflung kehrt der Verzweifelte dahin zurück, wo es keine Verzweiflung geben kann, da außer den Naturgesetzen keine gelten … in den Wald. Dies ist in dieser Inszenierung durchaus nicht nur bildlich zu verstehen, sondern Max, der die Natur, den Wald immer als festen Bestandteil seiner Persönlichkeit gesehen hat – vielleicht in gewisser Weise mehr als die anderen Mitglieder der Jägerkommune – findet diesen Naturzustand Wald (und interssanterweise nicht Agathe) als völlig offensichtlichen Rettungsplatz, als er keinen Ausweg mehr im sozialen Gefüge der Menschenwelt sieht. Max rettet sich also in einen Natur – in einen Urzustand. Als Calixto mir den beschrieb, war mir völlig klar, dass da die leicht erwartete Nacktheit Realität werden würde. Ein Naturwesen, ein natürlicher Urzustand ist nicht bekleidet. Da mir das schon selber klar war (lassen wir es dahin gestellt sein, wer oder was mir diese Klarheit verschafft hat), kam mir die Nacktheit in dieser Inszenierung nicht nur logisch, sondern auch notwendig vor.
Nackt auf der Bühne:
Für alle szenischen Proben der Vorbereitungphase hatte ich Unterwäsche an. Die „Hauptprobe Klavier“ ist im Musiktheater meistens das Equivalent zur schauspielerischen AMA (alles mit allem) – das heißt, die erste Probe, in der möglichst viele Elemente der letztendlichen Darstellung entsprechen sollen. Dies war die Probe für die ich mir die erste Nacktheit vorgenommen hatte. Eigentlich nicht wirklich mehr aufgeregt als sonst (dies ist immer eine sehr schwierige Probe) stolperte ich in die Wolfsschlucht und den Zeitpunkt der Entblößung.
Bis heute finde ich, dass zu viel Gedönse um die Nacktheit – die im Schauspiel schon lange langweilige Nebenerscheinung ist – gemacht wird, aber die erste nackten Schritte auf der Bühne sind interessant. Scham wäre das Sentiment, das ich gefürchtet hatte – das blieb aus. Vor vielen Menschen nackt zu sein, löst bei mir genau das aus, was Max emotionaler Zustand ist. Verletzlichkeit, Assozialität, Entfremdung und Urzustand. Ich fühle mich während der Bühnennacktheit verwundbar, nehme meine Umwelt in großem Detail wahr und hab Spaß an einer ungewöhnlichen Sensibilität meinen Mitspielern – vor allem meiner bezaubernd spielenden Kollegin Ina Klingelborn – gegenüber.
Die schlimme Probe:
Bei der – eine Woche später folgenden – Hauptprobe war die Nacktheit sogar schon ein bisschen einfacher – trotz groß anwesender Pressepräsenz.
Und bei der Generalprobe ging’s schief. Zum ersten Mal wurde das Ende der Wolfsschlucht so ausgeführt, wie’s die finale Fassung vorsah: ich ende vor dem eisernen Vorhang (das ist der Brandschutzvorhang auf jeder Bühne – der inzwischen gerne als Inszenierungselement eingesetzt wird) – nackt auf einem umgestürzten Baumstamm kauernd, tierisch schnaubend ab … das Licht geht völlig aus und ich sollte zusammen mit einem getöteten Statisten im Dunkel von der Bühne huschen. Dies war nie so geprobt worden und als ich da im Dunkel auf meinem Stamm abendete, begann das Probenpublikum – das in seiner Anzahl ungewöhnlich beträchtlich war – mit kräftigen Unmutsäußerungen … Buhs. Ich sah mich auf einmal auf diesem Baumstamm hocken, nackt … vor ungnädigen Leuten, nicht mehr im Bühnenlicht, sondern exponiert – die Nacktheit nicht mehr Kostüm, sondern mein Körper als Spottbild des Publikumsunmuts. Und da – für einen Moment, den ich immer vermeiden will – denke ich auf der Bühne nicht über meinen nächsten Schritt nach, steige vom Baumstamm und gehe dahin, wo ich den Ausgang vermute. Ich bin dann in der Dunkelheit auf den Statistenkollegen gestiegen und hab ihm wehgetan … interessanterweise lag der auch nicht in Richtung Ausgang, sondern in Richtung Orchestergraben, was bedeutet, dass wenn ich weitergewandert wäre, ich im Graben gelandet wäre. Das war nicht schön !
Nach der Pause ist dann Agathes Traum noch so inszeniert, dass ihr der nackte Max in ihrer Vorstellung der Hochzeitsnacht folgt und ihr gegenüber eindeutige Posen einnimmt. Als dann dieses Publikum auch noch – aus welchem Grund auch immer – während dieser Szene lachte, war ich voll von der Rolle. Mehr als einmal kam mir der Gedanke, die ganze Nacktheitsgeschichte sein zu lassen – die Menschen da draußen scheinen sich mehr über einen nackten, 45 Jahre alten Männerkörper aufregen zu können, als darüber, dass eine Bundesregierung Hochverrat begeht, damit Bankeninvestoren Profit machen können.
Ich muss dann meinem Premierenpublikum und vor allem dem Publikum der zweiten – gefürchteten – Vorstellung das Kompliment machen, dass von dieser Feindseligkeit, oder peinlichen Berührtheit dann nichts mehr zu spüren war … Danke !
Die Premiere verlief sehr gut. Ich war stimmlich zufrieden (nachträglich – nie ein gutes Zeichen) und fand der ganze Abend verlief reibungslos. Bravo und Danke an die lieben Kollegen ! Der Applaus war warm und kräftig, die Buhs für die Regie nicht über dem „normalen“ Maß für eine Inszenierung dieser Tage. Die Reaktion meiner “Entourage” bestehend aus einem harten Kern von Familie und Freunden aber auch die von Bekannten und Kollegen auf der Premierenfeier war anders als sonst - fast ein unterliegendes Gefühl von Entsetzen war da zu spüren aber in der allgemeinen Wirrnis der Premierenfeier hatte ich nicht das Gefühl, dass der Abend sich großartig von meinen bisherigen Premieren unterschied.
Auf der Heimfahrt von Berlin nach München am nächsten Tag hörte ich dann auch prompt die erste Kritik – 10 Minuten lang auf BR Klassik, mit einer sehr netten Bemerkung über mich und war auf durchaus positive Pressereaktion eigestellt.
Ich habe in meiner gesamten (allerdings recht kurzen) Karriere erst eine richtig schlechte Kritik erhalten – und die verdient, da ich vor der Premiere nicht die nötige Disziplin eingehalten hatte, um ordentlich zu singen. Was jetzt kam war echt hart. „O-beinig“ (ich hab’ O-Beine, aber was hat das mit meiner Darstellung zu tun ?) „es fehlt ihm der Wille zur lyrischen Gestaltung“ „ohne dramatische Durchschlagskraft“ „(verkrampft)“ … in Klammern erwähnt zu werden, ist irgendwie besonders beleidigend, „grobkörniger Tenor“ etc, etc… Ich weiß, ich weiß … über sowas sollte sich ein Künstler nicht aufregen, wer sich in die Öffentlichkeit begibt, sollte nicht verletzt sein, wenn sie ihn schlachtet. Nur die erste Erfahrung mit einer so geballten Feindseligkeit war ein bisschen viel. Ich gebe zu, dass ich immer noch daran nage und frage mich, wie lange wohl noch ….
http://www.komische-oper-berli…/der_freischuetz/trailer/
Es stellt sich also abschließend die Frage, ob meine Ergeiz die Bühnendarstellung betreffend falsch war. Je länger ich über diese Frage nachdenke, umso mehr habe ich den Verdacht, dass ich es übertrieben habe und mir die technischen Mittel zur überzeugenden schauspielerischen Darstellung immer noch fehlen. Also … das Experiment geht weiter - mehr gibt’s dazu einfach noch nicht zu sagen.
Jetzt – nach der zweiten Vorstellung – hat mich die umgehende Erkältung in ihren Griff genommen und gezwungen, die dritte Vorstellung abzusagen. Es liegt eine Woche der Reflexion, aber auch der abschließenden Vorbereitung meiner nächsten Produktion – Jenufa – in Innsbruck hinter mir.