Beiträge von tastenwolf

    Wegen seiner guten Leistungen war er im Herbst 1920 in die Meisterklasse von Franz Schreker aufgenommen worden, der zu dieser Zeit schon ein bekannter Opernkomponist war und nun als Hochschuldirektor von Wien nach Berlin berufen wurde. Zu seiner Zeit bei Schreker meinte Schmidt-Isserstedt rückblickend:

    »Ich habe bei Schreker eigentlich nicht viel gelernt. Er war ein wunderbarer Instrumentator, aber im Grunde hatte ich zu seiner Musik, die sehr impressionistisch war und eigentlich, wie ich zu sagen pflege, keine Knochen hatte, nicht sehr viel Einstellung«.

    Schmidt-Isserstedt schaffte es auch auf die sogenannte »Gottbegnadetenliste«, welche 1944 von Hitler und Goebbels zusammengestellt wurde. Da waren 1.041 Künstler verschiedener Kunstgattungen aufgelistet, die man vom Kriegsdienst bewahren wollte, die als unabkömmlich galten; Schmidt-Isserstedt war einer von insgesamt16 Dirigenten.

    ich finde, es macht keinen guten Eindruck, wenn in einer Biografie eine Kritik eines offensichtlich regimefreundlichen Dirigenten an einem jüdischen Komponisten als musikalisches Werturteil darstellt.
    Zitat Wikipedia: Bereits in den späten 1920er-Jahren war Schreker Angriffsobjekt der Kulturpolitik der Nationalsozialisten. 1932 wurde auf Grund des NS-Terrors die in Freiburg geplante Uraufführung seiner Oper Christophorus von Schreker selbst zurückgezogen, und er wurde zum Rücktritt von seinem Amt als Direktor der Berliner Musikhochschule gezwungen, die er seit 1920 geleitet hatte. Von 1932 bis 1933 war er außerdem Leiter einer Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste. Einer seiner Schüler dort war Wladyslaw Szpilman. Kurz nach seiner Zwangsversetzung in den Ruhestand, die Max von Schillings verfügte, starb er am 21. März 1934 an einem Herzinfarkt, dem ein Schlaganfall vorausgegangen war, und wurde auf dem Waldfriedhof Dahlem beigesetzt.

    in diesem Zusammenhang wirkt das Zitat des Dirigenten für mich eher wie eine Rechtfertigung einer unmenschlichen Vorgangsweise.

    Ich finde, das Forum könnte auch hier Sensibilität entwickeln... Aussagen von parteitreuen Deutschen über jüdische Komponisten halte ich für entbehrlich.

    Zudem ist die subjektive Aussage: "die Musik hatte keine Knochen" viel zu vage, um künstlerisch wirklich von Bedeutung zu sein... musikanalytisch läßt sich vermuten, daß mangelnde Formstrenge gemeint ist - aber die ist ein beliebiges Kriterium und nicht entscheidend für Geschmacksurteile.
    Oder soll es eine Kritik am impressionistischen = französischen Einfluß sein, der dem linientreuen Dirigenten nicht gefallen hat.

    Ich denke, daß das Werk Franz Schrekers auf jeden Fall mehr Bedeutung hat als die Leistungen von Schmidt-Isserstedt, die Nachwelt wird letztlich entscheiden...

    Ich glaube, da wären viele Kabarettisten, die sich dieser Aufgabe annehmen, ziemlich beleidigt... Gerhard Ernst wird hoffentlich ab nächster Saison wieder häufiger zu erleben sein... unübertroffene Komiker gibt es für mich nur innerhalb einer Generation, die Nachfolgenden erfassen die Texte anders und wollen neue Pointen.

    Die Veränderung der Sprache ist wohl das Hauptproblem der Operette. Unglaublich viele Bemühungen um Neufassungen bleiben erfolglos - es wird wohl das: neuer Wein in alte Schläuche- Problem sein.
    Die Themen sind veraltet (z.B. fideler Bauer) - selbst, wenn es mit viel Fantasie gelingt, Parallelen zu ziehen, hat es weniger Wirkung und selten Zugkraft.
    Gesellschaftliche Probleme des 19.Jh. ständig aufwärmen zu wollen, ist schon fragwürdig.
    Und für den historisch-musealen Aspekt sollten DVDs doch ausreichen.

    Wer hat etwas von Paul Hertel: Die Rose des Kaisers mitbekommen?



    Eine nette Nachschöpfung mit bedenkenlosen musikalischen Zitaten, kombiniert mit einem turbulenten Filmdrehbuch der 60er Jahre.
    Zweifellos unterhaltsam...

    Jetzt rechnen wir mal: 2 x 2 Dienste für zwei Konzerte mit diesem Programm, 6 Dienste für die Proben, macht zehn Dienste. Ein "normales" Programm braucht hingegen 2 x 1 Dienst für die Konzerte und 3 Dienste für die Proben, macht fünf Dienste.


    Das heißt, das Orchester spielt bei identischen Fixkosten nur halb so viele Konzerte. Oder Karten und Zuschüsse müssten doppelt so teuer bzw. doppelt so hoch sein, damit man das Personal entsprechend aufstocken kann.


    Der Wunsch nach Casella ist verständlich, aber kein Schwein im Orchester kennt das Stück. Da braucht man Probenzeit - und die kostet Geld und ist daher eine beschränkte Ressource, die man immer nur einmal ausgeben kann.

    Perfekt zusammengefasst,
    da fehlt lediglich noch der Hinweis auf die GEMA/AKM Gebühren... bei geschützter Musik wird es nämlich teuer, berechnet wird die Gebühr nach prozentuellem Anteil des Stücks am Gesamtprogramm sowie der maximalen Anzahl an Besuchern. (unabhängig davon, wieviele tatsächlich kommen.
    das muß in die Kalkulation der Eintrittspreise einberechnet werden...

    ich halte die Leistungsrechte ohnehin für den einzigen Grund, daß sich jeder 3 mal überlegt, ob er zeitgenössische Musik aufs Programm setzt. (abgesehen von der Spielbarkeit - dem höheren Probenaufwand... ) (ich habe erlebt, daß ein Orchester eines Stadttheaters 60 Proben für eine Lulu Produktion angesetzt hatte... )
    Da warten die meisten Veranstalter lieber, bis die 70 Jahre nach dem Tod vorüber sind...

    Vielen Dank für die ausführlichen Beschreibungen, es freut mich sehr, daß so viel Energie in Regers Liedwerke investiert wurde, nur schade, daß so wenige Musikbeispiele dabei waren...
    Wäre es sinnvoll, ein Kandinski Bild nur durch Beschreibungen erfassen zu wollen?


    Man darf wohl, ohne den Wert und die musikalische Substanz von Regers Liedschaffen schmälern zu wollen, feststellen, dass es ihm nicht gelungen ist, eine Liedsprache zu entwickeln, die dem Anspruch gerecht wird, eine Synthese zwischen den traditionellen Elementen des romantischen Klavierliedes und den Anforderungen der musikalischen Moderne zustande zu bringen.

    das kann ich nicht ganz unkommentiert stehenlassen... im Gegensatz zum verflachenden Kitsch und der populären Melodik anderer Kollegen hat Reger kompositorisch eine Synthese zwischen einer freien Harmonik des Spätwerk von Franz Liszt, der farblichen Möglichkeiten von Debussy und einer strengen Regulierung der Akkordverbindungen gefunden, die nicht irgendwelchen zufälligen Klaviergriffen entspringen, sondern seinen komplexen Berechnungen.

    Welcher Komponist hätte denn diese Synthese geschafft? Strauß hat nichts Modernes in seinen Liedern, nicht mal die beliebten op.68 können ernsthaft modern genannt werden. (gemessen am einzigen Modernen Stück von Strauß... der Elektra)
    Mahler hat Volkslieder umgestaltet und Stravinskys Methoden vorweggenommen
    Zemlinsky? Schreker? Schönbergs Frühwerk enthält alle seine klanglichen Vorbilder (darunter noch sehr viel Wagner)
    Solche Ansprüche hat vielleicht später erst Benjamin Britten (mit 50 Jahren Abstand) geschafft, aber kein Deutscher, bestenfalls Alban Berg.


    Regers Akkorde waren vermutlich immer harmonisch begründet (was man von ganz wenigen seiner Zeitgenossen sagen kann, die eher Effekte komponierten.) - er konnte nicht anders komponieren,
    Daß die Zeitgenossen das nicht leicht zu singen oder hören fanden ist verständlich. Deren Kritik an der Melodik Regers werde ich nach und nach im Detail zurückweisen und aufblättern... Es ist leicht, etwas herabzusetzen, was man nicht begreift.

    Regers "heiße Phase" seiner 70er und 80er Opuszahlen enthalten die kompliziertesten Werke wie die Orgelvariationen op.73, die Bach Variationen op. 81, aber auch die Schlichten Weisen. der Unterschied zwischen op.75 und 76 ist eklatant.
    Es war also kein unkontrollierbarer Drang, nur in der äußersten Komplexität zu komponieren, aber die "harmonische Unruhe" muß wohl als Grundbedingung Regers akzeptiert werden - vor allem aber das Eingeständnis, für längere Zeit erst mal nicht zu begreifen, was Reger in einer Komposition beabsichtigt... die harmonischen Umdeutungen, die komplexer sind als alles, was R.Strauß versucht hat... Reger lässt die Zuhörer bei seinen Melodischen Linien gerne im Unklaren, wie wenn man bei einer Bergwanderung eine Zeitlang Nebel gehen muß um sich den Ausblick auf den Gipfel erst zu verdienen.


    Ich möchte mit einer Aufnahme der Flötenspielerin op. 88/3 eins der für mich wichtigsten Reger Lieder präsentieren.
    Meine Partnerin Katharina Gebauer ist in der beneidenswerten Lage, durch ihr absolutes Gehör auch Reger Lieder mühelos singen zu können. Die musikalische Arbeit besteht zunächst in absolvierten musikalischen Kilometern, erst ein Überblick über viele verschiedene Werke eröffnet Einblicke in die schwierigen Fälle. (Ich spiele seit 30 Jahren Reger: Orgel-, Klavierwerke und Lieder)



    Viel Vergnügen,
    Wolfgang

    mein Ausgangspunkt für dieses Thema ist die Tatsache, daß Vokalmusik nicht ausschließlich nach der kompositorischen Struktur beurteilt werden kann sowie die Konsequenzen dieser Tatsache.


    Vereinfacht gesagt, lässt sich keine Entscheidung fällen, welches der folgenden Werke objektiv das beste sei:

    Bachs Matthäuspassion oder Händels Messias

    die 9.Symphonie Beethovens

    oder die Opern Carmen und La Boheme


    Die akademische Sichtweise bevorzugt gerne klare Kompositionstechniken oder mathematische Konzepte.

    Dem Publikum ist die unmittelbare Wirkung der Musik meist lieber als die Gewißheit, komplexe Algorithmen akustisch wahrzunehmen.

    Aber über die "reine Notenbehandlung" hinaus, ist ja in all diesen Fällen eine Textbehandlung gegeben, ein Zusammenwirken von Ton und Wort, welches die Wirkung der "absoluten Musik" um ein Vielfaches steigert.


    Gerade in der Gegenwart hat jene absolute Musik einen schweren Stand. Sie wird meist dramaturgisch benutzt oder dient weiterhin einem Interpretenwettbewerb um die tiefste Deutung...
    Ich nehme an, daß der historische Ausgangspunkt bei Beethovens berüchtigtem Spätwerk liegt. Kompositionen, über die sich vortreffliche Romane verfassen lassen, Deutungsansätze, die tiefenpsychologischen Ansprüche stellen und gleichzeitig behaupten, sich klar aus der Anordnung der Töne herauslesen zu lassen.
    Ich stehe diesen Werken neutral gegenüber und kommentiere sie daher nicht weiter.


    Die Vokalmusik hat noch zwei weitere Kriterien, nämlich die technische Behandlung der menschlichen Stimme und die Qualität des Textes.

    Damit wird es schon recht kompliziert, zu klaren Ergebnissen zu kommen.


    Da mittlerweile die geistlichen Werke keinen Sonderstatus mehr besitzen, können sie keinen Wert aus der Tatsache schöpfen, daß der Text aus der Bibel stammt.
    Vielleicht sind Passionen ein gutes Beispiel, um zu erkennen, daß die kompositorische Struktur auch hinter der Aussage des Stücks zurückstehen kann - die Intensität einer guten Passionsaufführung wird in den Zuhörern die gleichen Emotionen hervorrufen.

    (in diesem Zusammenhang wäre es doch an der Zeit, Telemann ein wenig mehr zu fördern!)


    Händel hat mit dem Halleluja einen ewigen Welthit gelandet...und den Beweis geliefert, daß harmonische Komplexität nicht alles ist, um eine Aussage zu treffen. (Persönlich halte ich den 4.Satz der Neunten für einen Abklatsch des Halleluja, nicht nur wegen D-Dur...)
    Aber als kompositorisches Meisterwerk lässt es sich nicht so leicht ergründen - vielleicht ist Mozarts Jupitersymphonie in der Prägnanz der Themen des 4. Satzes vergleichbar.

    Bei Geistlicher Musik wird gerne verschwiegen, daß das Erzeugen von Stimmungen und emotionalen Reaktionen - ähnlich wie in der Oper - von Grund auf beabsichtigt sind.
    Die Vorgaben der geistlichen Texte sind meistens klar, in welche Stimmung die Hörenden versetzt werden sollen.
    (Nur beim Kyrie oder Agnus Dei der Messvertonungen gibt es Bedeutungsunterschiede.)


    Eine Oper ist aufgebaut auf reiner Manipulation - das Konzept eines Hollywoodfilmes unterscheidet sich nicht von dem einer Oper.
    Ein guter Komponist wie z.B: Bizet weiß genau, mit welchen Melodien er das Publikum lockt, abwechselnd leichtere und schwerere Gefühle (Blumenarie) oder auch mitreißende Tanzmusik, dann wieder ein Zwischenspiel (die Intermezzofunktion der Oper muß ich einmal untersuchen). Das ist ein psychologisches Konzept, keine kompositorische Berechnung.

    Die durchkomponierten Opern bei Puccini bieten eine größere Vielfalt an Übergängen und Zwischenspielen, sind aber dadurch in der kompositorischen Struktur wesentlich einfacher gestrickt.
    Außerdem war zu Puccinis Zeit bereits der Instrumentationswahn voll ausgeprägt, sodaß das Erzeugen von Farben wichtiger wurde als kontrapunktische Kunst. (Die Ouvertüre zu Butterfly ist eine Fuge, Puccini kann auch das - wenn er will) Viele italienische Opernkomponisten haben als Kirchenmusiker angefangen.



    Das ganze Thema ist aber viel umfangreicher - daher möchte ich zum nächsten Punkt übergehen:

    was hat Goethe eigentlich gestört an Schuberts Vertonungen?

    zu sagen, er war als Dichter eifersüchtig über die enorme Wirkung der Musik, das finde ich banal - Schubert war jung und unbekannt.
    Wieso ist er überhaupt darauf gekommen, sich an den berühmten Dichter zu wenden? Protektion?

    Vielleicht war es ein Unglück, daß Goethe nicht die Lieder der Winterreise oder den Schwanengesang als ersten Eindruck zu sehen bekam? - ich denke schon, daß das Wort/Textverhältnis bei späteren Liedern Schuberts wesentlich besser war.
    Erkennbar ist das daran, daß bei vielen klassischen Liedern eine Transkription möglich ist, ohne daß das Stück an Wirkung einbüßt.
    Liszts Bearbeitung des Erlkönig sollte Beweis genug sein... es ist auf modernen Klavier höllisch schwer, die permanente Triolenbewegung durchzuhalten, in der Lisztfassung wird sie an einigen Stellen bewußt durchbrochen, um die rechte Hand zu entspannen. Das hat Liszt nicht ohne Absicht gemacht...
    Viele Lieder bauen auf einer eindrucksvollen Begleitung auf und die Singstimme ist halt auch vorhanden...

    Der Aufbau von Gretchen am Spinnrad ist vielleicht zu ähnlich einer großen romantischen Arie, nicht umsonst wird es auch ziemlich laut und pathetisch am Ende... ob das wirklich der Absicht des Gedichts entspricht, wage ich zu bezweifeln.

    Aber meine Absicht ist nicht, ikonische Meisterwerke zu kritisieren, sondern solche Werke zu finden, in denen möglichst viele Erwartungen erfüllt werden.
    Und ich möchte zeigen, daß zum Komponieren eines Lieds verschiedene Fähigkeiten gehören, nicht nur die bloße Notensetzkunst.
    Denn es ist zu einfach, nur Lieder bekannter Komponisten für gut zu erklären, weil sie einen "Markennamen" tragen, wohingegen der unbekannte Meister oft von vornherein abgelehnt wird, weil man ihn nicht kennt.

    Ich habe die Hoffnung, daß diese engstirnige Haltung ein wenig aufgelöst ist in letzter Zeit, damit besteht die Chance, daß wir noch zahlreiche Meisterwerke entdecken, auch wenn wir uns über den oder die VerfasserIn wundern müssen.

    "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Dieses Bonmot von Gorbatschow gilt auch in der Musikgeschichte. Christian Sinding ist sicher ein Komponist, auf den dies zutrifft.

    Diese Ansicht, daß es nur eine Entwicklungslinie technischen Fortschritts geben kann, ist seit mehreren Jahren im Schaffen vieler Komponisten eindeutig widerlegt.
    Es geht mir nicht nur die Begriffe von Neoklassizismus oder eigentlich immer stattfindene Rückgriffe auf frühere Kompositionstechniken egal welcher Epoche, sondern vor allem um parallel stattfindende Entwicklungen, die es immer gegeben hat - der Kampf um die italienische Vorherrschaft in der Barockzeit oder die Frühromantik parallel zu Beethoven und vor allem die Brahms-Wagner Konflikte zeigen, daß es nicht eine richtige und eine andere falsche Auffassung gibt, sondern Strömungen der Mode, denen man folgen oder widerstehen kann.

    Mein populärstes Beispiel veralteter Romantik wären ja Strauss 4 letzte Lieder - aber warum sollte man sie als anachronistisch ablehnen, anstatt sich an diesem romantischen Werk zu erfreuen?

    Ich werde mich für eine Rehabilitierung der "Salonkomponisten" einsetzen, vor allem dort, wo sie mit diesem Begriff nur abgewertet wurden, um anderes daneben höher zu bewerten.

    Nun hast Du mir und sicherlich auch anderen den Mund wässrig gemacht. Wo kann man diese Lieder möglichst mit Deiner Mitwirkung hören, bzw. kannst Du Sie einstellen?

    Lieber Operus,

    vielen Dank für die Aufforderung, ich muß allerdings einiges vorausschicken:

    es handelt sich um eins meiner Coronaprojekte, daß darin besteht, unbekannte Musik, deren Musik ich auf der Petrucci Library finde, mit meiner genial blattsingenden Partnerin gemeinsam auf Internetstreams zu veröffentlichen.

    es handelt sich also nicht um geplante Studioaufnahmen mit technischer Nachbearbeitung, da es in jeder Hinsicht kostenfrei zustandekommt. Das heißt natürlich, daß es klanglich nicht mit Studioaufnahmen vergleichbar ist und wir arbeiten mit minimaler Vorbereitungszeit, wodurch die erwartete Perfektion nicht immer erreicht wird.

    Wenn du dich damit abfinden kannst, sozusagen eine Rohfassung dieser Musik zu hören, dann besuche folgenden Link: https://fb.watch/1s2Fw62_0p/ bzw. https://www.facebook.com/musikzumeinschlafen

    Bisher haben wir viele Lieder von Robert Franz aufgenommen, dazu Johanna Kinkel, Franz Abt, Josephine Lang (!) und Alexander von Dusch, aber auch zeitgenössische Lieder von Hatto Ständer

    Weitere Vorschläge seltener Komponisten nehmen wir gern entgegen, geplant sind z.B: Alexander Fesca und Christian Sinding

    Schönen Abend,
    TastenWolf-gang

    Ich gehe eher davon aus, dass die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert auch für die Kunst im weitesten Sinne eine scharfe Zäsur waren. Entwicklungen und Strömungen wurden jäh unterbrochen, später nicht wieder aufgenommen, weil sich andere Themen auf die Tagesordnung schoben.

    Ja, davon bin ich auch überzeugt, vor allem am Beispiel Max Regers, dessen Todeszeitpunkt als unglücklich bezeichnet werden kann. Nach Ende des Weltkriegs schoben sich andere Leute ins Rampenlicht, Reger hat in der Orgelmusiknische überlebt, ist aber im Konzertbetrieb kaum präsent. In seinem Fall würde ich davon sprechen, daß mehrere Generationen nach ihm künstlerisch zurückgefallen sind in der Behandlung der Tonalität: Reger konnte seine extravaganten Akkorde bis ins Detail erklären anstatt bloß "Etwas gut Klingendes" aneinanderzureihen. Ein seltsamer Vorwurf an andere Komponisten vielleicht, aber die klassische Moderne und die Entwicklung der Atonalität im deutschen Sprachraum haben immer mit dem Argument der Beliebigkeit zu tun.

    Die französische Entwicklung (trotz Debussy) war viel linearer...


    Bei Dusch vermute ich eher, daß er keine "Lobbyarbeit" für seine Musik betrieben hat, bzw. eigentlich zur eigenen Freude komponiert hat, ohne berufliche Ambitionen bzw. den Druck, Geld verdienen zu müssen. Das bedeutet, daß er vermutlich zu Lebzeiten auch nicht in den Metropolen präsent war, sondern eher innerhalb seines Umfeldes.


    Ob sich wirklich sagen läßt, daß Themen sich auf die Tagesordnung schoben, weiß ich bezüglich der Kompositionsausbildung nicht... die Tendenz, nach den beiden Kriegen neue Bewegungen zu erschaffen, hatte jedesmal einen monopolistischen Anspruch, als dürfe Musik nicht mehr anders geschrieben werden (Donaueschingen...), aber es gab neben den Avantgardisten immer auch Menschen mit einem Personalstil, die eigene Lösungen suchten und dadruch nicht klassifiziert werden konnten. (z.B: Walter Braunfels) und Konservative, die eine vorsichtige Erneuerung versuchten.


    Ich bin bezüglich der Zwischenkriegszeit ein wenig verärgert über die Einengung des Repertoires, die sich viel zu lange erhalten hat. Das begründet auch meine stärker werdende Ablehnung von Richard Strauss, dessen Bekanntheitsgrad ich immer mehr einer strikt marktwirtschaftlichen Einstellung und einem gezielten Networking zuschreibe, nicht der künstlerischen Qualität.


    Daher behaupte ich mal ganz unverfroren, daß es zahlreiche Komponisten gab, die zumindest gleichwertig, wenn nicht besser geschrieben haben...

    Aus dieser Diskussion müssen nur die Hoffmannsthal-Opern ausgeklammert werden, das war sicher ein kluger Schachzug, diesen Librettisten zu wählen und die Ergebnisse der Zusammenarbeit sind beinahe konkurrenzlos.

    Aber aus meinem Liedrepertoire werde ich Strauss langsam entfernen und bessere Werke auswählen.


    Vielen Dank für die Empfehlung mit Adolf Gunkel.

    Es dürften mehr Komponisten vergessen als in unserer Wahrnehmung präsent sein.

    schon in meiner musikalischen Früherziehung hab ich nur den starren deutschen Kanon von Bach bis Brahms gelernt, immerhin mit Verdi, Bizet und Bartok angereichert, aber beschränkt auf das, was man heutzutage "das Beste aller Zeiten nennen" würde...

    auf meinen Streifzügen durch die umfangreiche Petrucci Library bin ich auf Lieder von Alexander von Dusch gestoßen und ich möchte herausfinden, ob ich als einziger diesen Komponisten kenne und schätzen gelernt habe?

    Auf meiner Facebookseite unter dem Titel "Musik zum Einschlafen" finden sich mittlerweile mehrere Aufnahmen von Katharina J.A. Gebauer, Sopran und mir.

    Speziell möchte ich die geschätzte Aufmerksamkeit gleich auf Duschs op. 12 richten,

    die Noten sind unter imslp.org/wiki/9_Gedichte%2C_Op.12_(Dusch%2C_Alexander_von) zu finden.
    Die Texte sind von Alfred Bassermann.


    1 Die Sirenen, ein spannungsvolles Stimmungsbild, welches eine Bandbreite von Verführung bis Grauen umfaßt

    2 Riviera, Eine Schilderung mit harmonischen Wendungen - typische Musik der Jahrhundertwende mit überraschenden Wendungen von G nach Ges Dur.

    3 Letzte Fahrt, hier überrascht der raffinierte Rhythmus der Begleitung, der den 3/8 Takt der Singstimme mit Synkopen überlagert

    4 Allerseelen, gerade im Vergleich zum gleichnamigen Strausslied fällt mir die unvergleichlich bessere Konzeption auf, die aus einer düsteren Stimmung in eine freudige Erinnerung wechselt und wieder zum Anfang zurückkommt.

    5 Mittagszauber - mein persönlicher Favorit, eine zarte Atmosphäre, die mit Orchesterfarben von Debussy dargestellt werden könnte.

    6 Heimblick, eine melancholische Abschiedsszene.

    7 Das alte Lied - auch musikalisch mit dem Zitat "Innsbruck, ich muß dich lassen" deutlich stilistisch anders gestaltet, bzw. gekonnt in einem alten Stil gehalten.

    8 Ogiers Ausfahrt ist eine spannende Ballade, deren Inhalt an Carl Loewe erinnert. Die musikalische Form auch, jedoch mit modernerer Tonsprache.

    9 Quanto e bella giovinezza, der Text beschreibt Eindrücke aus Florenz, die Medici werden als Personen angesprochen. Der musikalische Satz könnte in der harmonischen Vielfalt auch von Richard Strauss stammen.

    Besonders hervorzuheben sind die schwierigen Klaviersätze, die außergewöhnliche Fähigkeiten des Pianisten und eine fantasiereiche Erfindungsgabe demonstrieren.
    Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil als Qualitätsbeweis für große Kompositionen fast immer an erster Stelle die Instrumentaltechnik steht... quasi: "was zu leicht zu spielen ist, kann keine große Kunst sein"


    Die Internetsuche brachte kaum Ergebnisse, 4 Briefe (kalliope-verbund.info/de/query?q=ead.creator.gnd%3D%3D%22117731587%22) und ein paar Bibliotheksfunde, jedoch so gut wie keine biographischen Details.

    Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf mein langfristiges Thema: Vergessene Komponisten in Deutschland in der ersten Hälfte des 20.Jh hinweisen, ein bis heute brisantes Thema, bei dem ich aufzeigen möchte, wie einzelne Komponisten und Künstler nur wegen gezielter Förderung zu Bekanntheit gekommen sind, während andere offensichtlich gezielt nicht gefördert werden.
    Es lassen sich hier auch keine einfachen politischen Linien ziehen (Pfitzner und Egk sind ja nach wie vor im Bewußtsein...), meine Vermutung geht in die Richtung purer marktwirtschaftlicher Strategie: ein Drängen in die Öffentlichkeit, das letztlich mehr Eindruck hinterläßt als künstlerische Qualität...

    Natürlich ist es dankbar, daß Komponisten, die in den 30er Jahren nicht die modernen Stile bedienten, auch weniger Aufmerksamkeit bekamen.
    Aber im Nachhinein sollte die Aktualität einer Komposition keine Rolle spielen, sonst hätte z.B: der Rosenkavalier nie akzeptiert werden dürfen, denn der künstlerische Rückschritt nach der Elektra dorthin ist frappant.

    mit neugieriger Erwartung,
    Wolfgang (Tastenwolf) Fritzsche

    Max Reger droht leider mit seinem gesamten Schaffen dem Vergessen anheim zu fallen.

    keine Sorge, die OrganistInnen sind viel zu interessiert an den großen Choral- und sonstigen Fantasien.

    Ich arbeite gerade am Liedwerk Regers, welches einige Parallelwerke zu Richard Strauss enthält. (gleiche Gedichte)


    Diese Linie wurde irgendwann wieder verworfen - Heute ist Mozart wieder zurückgekehrt: Ruppig und schrill, spröde und aggressiv.
    Man hat Mozart un unsere hssliche Zeit angepasst und wähnt sich als Besitzer der ganzen Wahrheit.

    bei deinen Beschreibungen denke ich eher an Barockinterpretationen :-D
    im Ernst, ich denke, alte Musik wird mißbraucht, um heutige Emotionen auszudrücken.

    Auf der weiteren Suche nach Argumenten für das kollektive Vergessen einzelner Künstler bin ich zwei weitere Argumente gekommen:

    zum einen: welches historische Interesse könnte bestehen, jemanden zu verschweigen, bzw. gering zu schätzen?
    Der "Kanon deutscher Komponisten" wurde ja in einer historisch problematischen Zeit mitgeprägt - ich fürchte, unsere moderne Auffassung ist nicht weit darüber hinweggekommen. Eine historische Neubewertung sollte auch beinhalten, zu erforschen, warum gewisse Menschen bevorzugt und andere konkret benachteiligt wurden.
    Die historische Benachteiligung von Komponistinnen wird bereits thematisiert, bei Männern sieht man vielleicht keinen weiteren Sinn darin, von dem üblichen Argument, der Beste habe sich durchgesetzt, abzugehen.

    Z.B: kann man heute durchaus hinterfragen, ob Liszt wirklich der einzige Pianist des anfangenden 19.Jahrhunderts war... Wenn man die Deutsch-Französischen Spannungen berücksichtigt, erklärt das vielleicht die Geringschätzung von Saint-Saens auf deutscher Seite, aber nicht die der deutschen Kollegen Liszts...


    daß es die Streitigkeiten über musikalische Richtungen immer schon gab (Gluck-Piccini, Brahms - Hanslick - v.Bülow - Wagner... ), ist bekannt, aber wie haben sich diese auf vielleicht unbeteiligte Personen ausgewirkt?
    Oder waren die Konflikte nur ein Betätigungsfeld der Medien, um indirekt Propaganda für die "interessanten, umstrittenen Künstler" zu schaffen?
    Die Rolle von Musikzeitschriften ist zu untersuchen...

    das zweite Argument wäre die Wiedererkennbarkeit, der "unverkennbare Stil", der die Unterscheidung für die Musikkonsumenten leichter macht.
    das ist verkaufstechnisch leicht zu erklären, jedoch führt es dazu, daß diese Eigenschaft fälschlich mit Qualität gleichgesetzt wird.
    Wären die Franz-Lieder bekannter, wären sie ebenfalls leichter unterscheidbar.

    als Beispiel dienen Werke von Komponisten, die nicht unbedingt einen Personalstil erkennen lassen ... oder Werke, bei denen der Komponierende eine Modeströmung mitgemacht hat (z.B: Beethoven Pastorale, Wellingtons Sieg, oder die zahlreichen Nachfolger Wagners oder Schönbergs...


    Die unselige Entwicklung durch die Tonträgerindustrie hat die "Bedeutung" von Künstlern zusätzlich zementiert, aber das bricht immer mehr auseinander, da vielen Menschen klar wird, von welchen Interessen diese Entscheidungen getragen wurden - zur Zeit der Produktion... in der Sammlung von Michael Raucheisen finden sich auch Franz Lieder...

    Beim Liedwerk von Robert Franz fällt mir jedesmal ein ausgeklügelter feiner Klaviersatz auf, den ich bei Schubert oft schmerzlich vermisse (Schuberts Begleitungen passen zu einem Streichquartett viel besser), auch Mendelssohn Lieder sind weniger raffiniert ausgearbeitet, erst bei Hugo Wolf finden sich wieder ähnliche Strukturen. Liszt Lieder sind im Liszt Stil komponiert und enthalten jedesmal dessen pianistische Handschrift.

    Ich freue mich sehr, die Lieder von Robert Franz - wie auch diesen Thread - spät, aber doch entdeckt zu haben.

    Bitte um Verständnis, wenn ich auf die ausführlichen Analysen erst im Laufe der Zeit antworten werde.

    Ich versuche ebenfalls der Ursache der Vergessenheit dieses Komponisten auf den Grund zu gehen und kann zwei Argumentationen anbieten:

    das Manko des "reinen Liedkomponisten" im Gegensatz zu den Allroundern... Von manchem Komponisten hätte ich mir gewünscht, er hätte nicht bloß jede Instrumental und Vokalform einmal "abhakt", aber offensichtlich ist es für die Verbreitung immer schon wichtig gewesen, das eigene Werk in vielfältigen Teilen anzubieten.

    (ein Notenblatt von Francks Panis Angelicus mit 17 aufgezählten Arrangements auf der Titelseite ist eins meiner Leitbilder dazu)

    und damit bin ich schon bei Punkt zwei... die Bedeutung der Verlager, die Taktiken, bestimmte Werke zu fördern und Mainstreams zu erzeugen...
    Immerhin erfüllt Robert Franz ähnlich wie Hugo Wolf alle Bedingungen, um guter deutscher Komponist zu sein.

    Wem war Robert Franz im Weg? - wer hat sich durchgesetzt? (die Antwort liegt auf der Hand, nur warum und wie?)
    Haben Komponisten in einflußreicheren Positionen mit Zugang zur Fachpresse vielleicht mitgeholfen, begabte Konkurrenten in der Versenkung verschwinden zu lassen...

    Wie es auch sei, ich werde mit meiner Partnerin in den nächsten Monaten auf Youtube einige Lieder von Robert Franz anbieten.
    Vor allem sein Zugang zu Heine gefällt mir sehr gut...

    Einen wunderschönen guten Tag, der Tastenwolf meldet sich zurück....

    wie gewohnt mit einem heißen Eisen, zu dem er allerdings reichlich Erfahrung gesammelt hat.

    Vielleicht vorweg die Frage - was denn die Unterscheidung von Opern- und Operettensänger_innen heutzutage noch soll?

    Die Anzahl der Theater, die überhaupt Operette auf die Bühne bringen, ist recht gering. Reine Operettenhäuser gibt es schon lang nicht mehr und die Trennung bzw. Definition der Genres wäre ohnehin zu hinterfragen.

    Kleine Theater, die in der Saison eine Operette produzieren, tun das in der Regel mit dem eigenen Ensemble, also vielseitigen Opernsänger_innen.

    Die Mode, Operetten im Musicalstil flott zu inszenieren gemeinsam mit der Schar an arbeitslosen, ausgebildeten Musicalsänger_innen führt zu einer musikalischen und choreografischen Kombination, meistens wird auch die Instrumentation aufgepeppt. (der Werbegag, daß die Operette entstaubt und mit neuem Schwung versehen wird, ist schon sehr alt...)

    Ich komme in Besetzungsfragen immer wieder auf die alte praktische Frage der KBB Chefs zurück: was sollen sie denn den fix angestellten dramatischen Sänger_innen eines Hauses zu singen geben?
    Aktuelle Beispiele bietet die Volksoper Wien: Vincent Schirrmacher singt Kalaf und Manrico, sowie nächste Saison den Alvaro in Forza (leider auf Deutsch), aber natürlich nach Bedarf des Hauses auch Operettenrollen.

    Soweit meine erste Schlußfolgerung: Sänger_innen suchen sich die Rollen nicht aus, sondern werden nach Bedarf zugeteilt bzw. verwendet.

    Der nächste Punkt betrifft natürlich die tänzerischen Fähigkeiten der jeweiligen Künstler.
    Der Trend zu schwergewichtigen Stimmen führte auch dazu, daß sich jene zwangsläufig auf der Bühne nicht gerne viel bewegen... und daher heute auch nicht so häufig besetzt werden.

    Aber ich gebe zu - am Beispiel von E.Kalman: Mariza: Grüß mir mein Wien - die bekannten Aufnahmen von Opernsängern bleiben im Ohr und setzen sich von stimmlich leichteren Ausführungen deutlich ab.
    Allerdings: die tenorale Marotte, hohe Töne als olympische Leistung darzustellen, ist wohl eher eine technische Schwäche, keine Besonderheit.
    Man hat die hohen Töne - aus körperlichen Gründen - und wegen dem dazugehörigen Training. Alles weitere ist Eitelkeit, oder sogar Unvermögen...

    Weiters: die Anforderung, Singen und Sprechen zu müssen - von manchen als Makel oder ungesunde Anforderung dargestellt wird - seit den ersten Singspielen rund um Mozarts Entführung mussten Sänger_innen auf der Bühne auch Dialoge sprechen.
    Leider zeigen Dialoge die mangelhafte Beherrschung einer Sprache noch deutlicher als Arien - bei mancher Königin der Nacht muß man diese Erfahrung machen...
    Aber auch die Dialogfassung von Carmen offenbart so manche Schwäche.


    Musikalisch gesehen gibt es keinen Grund, warum ein Unterschied gemacht werden sollte.
    - vielleicht eher darstellerisch: Die Operette verzeiht keine selbstgefällige Haltung eines Stimmbesitzers, der meint, Gold in der Kehle zu haben.
    Der Wille zu schauspielerischer Gestaltung sollte vorhanden sein, ich erinnere an das notorische Beispiel der Callas als Tosca, die die Rolle nicht nur gesungen, sondern auch dargestellt und gelebt hat.

    Ironie und Selbstironie sind für mich wichtige Merkmale dieser Kunst, kein "sich wichtig und ernst nehmen".

    Ob Operette mit Mikroport gesungen werden sollte, sei dahingestellt...

    Ich halte es auch für, höflich ausgedrückt, kurzsichtig, eine Opernaufführung zu verwerfen, nachdem man ein Foto gesehen hat, das einem nicht zusagt.


    Ein herzliches Vergelt's Gott für die Aussage. (meine katholische Prägung ist z.T noch vorhanden...)



    Und bei Musik habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass es Jahre dauern konnte, bis ein bestimmtes Stück gezündet hat. Aber ich kann auch nachvollziehen, dass jemand keine Lust oder Ausdauer hat, ein Stück, von dem er/sie nicht erwartet, dass es jemals gefallen wird, zehnmal anzuhören. Ich würde das auch nicht bei jedem Stück machen.


    Man muss bestimmt nicht alles in seinem Leben gehört haben. Aber eine starre Erwartungshaltung kann viele Erkenntnisse verhindern, wenn nicht gar die Erleuchtung.

    Ach ja...


    Bei Musik darf man etwas schräg finden und mehrere Jahre brauchen, um heranzukommen, bei Bildern weiss man sofort, woran man ist??



    La Roche[/quote]

    Boshaft wie ich nun mal bin lege ich einige klischeehafte Antworten vor:


    Weil sie unvergleichlich schöne Melodien im Angebot hat
    Weil das die Musik der gebildeten und kultivierten Menschen ist


    Das ist der eigentliche Lacher in diesem harmlosen Thread...

    Und da Harnoncourt ja nicht ein angestellter Kapellmeister ist, der spielen muss, was andere gerne hören, sondern immer an den Sachen gearbeitet hat, für die er gerade brannte, kann und konnte er sich natürlich die Werke aussuchen.

    Darauf möchte ich in einem eigenen Thread antworten... ;)



    Für mich sehe ich es so, dass ich bei der Eroica, bei Sachen von Mozart oder einer Brahms-Symphonie davon mehr erfahren kann, als es mir bei Rossini möglich wäre.
    Beim Spielen eines Schubert-Impromptus etwa können einem in der Musik mitschwingende Dinge klarwerden, auf die man nur anhand der blossen Noten oder mit Hilfe einer musikwissenschaftlichen Analyse nie und nimmer käme. Warum das Herz aber so denkt und woher dieses Bewusstsein kommt, ist kaum zu erklären, und man sollte es auch nicht versuchen, finde ich.

    Mir kommt auch vor, dass hier die alte Denkweise der "ernsten deutschen Musik im Gegensatz zur Musik anderer Länder" durchscheint.


    Interessant, dass du das Wort Dogma bei Harnoncourt verwendest. Es sind ja leider die nicht ebenso reflektierenden Anhänger bzw. Fans von Harnoncourt, die auf Ex cathedra Aussprüche warten.
    Und er bedient sie regelmässig damit. Komischerweise finde ich oft eine recht einfache und genauso griffige Entgegnung, die "hätte gesagt werden müssen...".


    @ William:
    meinst du jenes häufig veröffentlichte Foto mit den weit aufgerissenen Augen, das immer wieder von "der Furor" oder ähnlichen Kommentaren begleitet wird?
    Eine gute PR Masche... bei Karajan waren es die geschlossenen Augen und die charakteristische Wellenbewegung der Finger...

    als ich seinerzeit im Fernsehen die Übertragung der Lucrezia aus München sah, empfand ich die Vorstellung doppelt peinlich - einmal, weil man Frau Gruberova die Mühe mit ihren Piani und Spitzentönen deutlich anmerkte, was ihr Spiel doch sehr beeinträchtigte und bei mir immer den Eindruck "ich bin die Diva, schaut, was ich alles kann" - hervorruft,


    Ich hätte nicht gedacht, dass es jetzt doch schon gestattet ist, die Gruberova zu kritisieren... 8-)
    bin jedenfalls erleichtert über diese Tatsache :)


    Einfach schade, wenn Stars nicht in Würde aufhören können...

    Intendanten die versuchen ihr Haus mit derlei Publikum zu füllen begehen eine gefährliche Gratwanderung. Sobald das "normale" Theater wieder sie Oberhand gewinnt werden sie von der dann agierenden konservativen Mehrheit in die Hölle geschickt - mitsamt ihren Regisseuren - und die Chancen stehen mittelfristig nicht allzu schlecht.....


    Inhaltlich gebe ich dir sofort recht.
    Man kann dieses Denken auch als recht kurzfristig bezeichnen - aber auch in der Wirtschaft sehe ich das Bevorzugen des schnellen, grossen Erfolges gegenüber langfristiger Planung.


    Ob es eine agierende konservative Mehrheit gibt, sei dahingestellt. Dass sich manche Theater in Zukunft einmal zutrauen werden, sich ausschliesslich konservativ zu positionieren, halte ich für möglich.
    Ob das ein Erfolgsrezept ist - den Vergleich mit Opernevents bei Sommerfestspielen halte ich für unpassend, ich denke, dass Festivals ein ganz anderes Publikum anlocken - das wird sich erst zeigen.


    Viel interessanter erscheint mir auch die Rolle der Medien, wobei ich kaum erkennen kann, dass die auflagenstarken Zeitungen hier eine Vorreiterrolle übernehmen wollen oder können.
    Woran kann das liegen?
    Vielleicht ist die Bewerbung durch Krone, Bild und Blick doch nicht so effizient?


    Hier kann ich leider nicht widerstehen

    Das heißt, dies ist eine uralte Masche, die ewig wiedergekäut wird. Wie öde.


    sollte eine uralte Masche durch eine noch viel ältere ersetzt werden?

    Ein weiterer Themenbereich wäre die Ausarbeitung einer Liebesszene auf der Bühne...
    Im Schatzgräber von Franz Schreker findet sich ein hervorragendes Beispiel, hervorragend wegen des Mangels an Regieanweisungen...
    Den gesungenen Text werde ich genau übertragen... es handelt sich um die 4. Szene des 3. Aufzuges der Oper:


    die Handlung der Szene ist ungefähr: Die Wirtstocher Els hat den Knecht Albi zu mehreren Morden angestiftet, um an den sagenhaften Schmuck der Königin zu gelangen. Sie verliebt sich in den Spielmann Elis und rettet ihn vor dem Galgen. In der besagten Szene verführt sie ihn, indem sie praktisch nur mit verschiedenen Schmuckstücken bekleidet ist.


    die Szene ist ungewöhnlich lang, enthält zwei Zwischenspiele, wovon das zweite eine Art Nachtstimmung darstellt, danach folgt eine Morgendämmerung, Els schickt Elis mit dem Schmuck zur Königin, er soll das gestohlene Gut zurückbringen.
    Ich behandle nur die ersten 200 Takte.. also vermutlich zwischen 15 und 20 Minuten.
    gleich vorweg, der Text enthält nichts explizit anstössiges, aber die Handlung dürfte ziemlich deutlich erkennbar sein.
    die Angaben in Klammern sind musikalische Tempobezeichnungen, kursive Texte die Regieanweisungen, farbige Texte meine Kommentare
    ich beginne kurz vor der 4.Szene:
    längerer Monolog des Elis:

    .... Welch ein Geheimnis verbirgt dieser Raum? Welch' ein Grauen umschwebt die Gestalt des berückenden Weibes, das bald mich in Liebe umfängt?
    (Langsam)
    Els: steht unter dem Vorhang im hellen Licht des Mondes. Ihre zarten Glieder sind nur durch leichte Schleier verhüllt. Im Mondlich glitzert in überirdischer Pracht der Schmuck der Königin, den sie angetan. Sie hat die letzten Worte Elis vernommen.
    Kein Grauen, Freund! Die Geister der Sehnsucht sind's, die dich bezaubern. Dein Glühen nach mir ist's, das dich verwirrt. Ein Lenz lacht uns beiden, wie keiner noch war - ein Glühen eint uns, von einer Macht, so leuchtend hehr, daß zum Leben der Tod ward und die Nacht zum Tage.
    Elis: sie wie eine Erscheinung fasziniert anstarrend, langsam langsam von Begriff
    Du bist kein Wesen, erdgeboren. Du bist eine Göttin entschwundner Zeiten - Du bist ein Traum, der Wirklichkeit ward. Armselig dünkt mich mein törischt Streben. Was sind die Schätze der ganzen Welt - was ist der Glanz dieser armen Erde?- Du bist das Licht und das Leben, die Freude! Du bist der Hort, den das Schicksal mir wies. Der Kleinoden Kleinod, Schönheit Symbol!
    Auf meinen Knien nur laß mich dir nahen - zitternd, du könntest entschwinden mir Armen, trink ich den Blütenhauch deiner Nähe, will ich die Luft kosen, die dich umgibt.
    Wunderbar! Ein Romantiker, wie er im Buch steht, eine nackte Frau kommt zu ihm, "die bald ihn in Liebe umfängt",das weiss er und er singt 40 Takte lang schöne Phrasen.

    Els: antwortet, wie eine normale Frau vermutlich antworten würde
    Ich bin kein Schemen, mein süßer Liebster, bin kein Gebilde aus Träumen und Schaum. Du sollst mich halten und sollst mich umfangen, du sollst mich küssen und trinken in dich. also eine sehr fortschrittliche Frau (Musik: allgemach beschleunigen.)
    Du sollst mich pressen mit Macht und mich schlagen, und, willst du's, mich töten in dieser Nacht. Holla, das sind ja ganz klare sadomasochistische Vorstellungen der guten Dame, die Regieanweisungen jedoch fehlen.
    Elis: aufspringend das ist jetzt aber nicht alles, oder?
    Ah - wie sprichst du- ich komme von Sinnen! (Musik: mehr und mehr drängen) So ist es Wahrheit, du bist es, du!
    Els, die ich halte! Els, die ich küsse! Els, die mich liebt, die sich jauchzend mir gibt!
    ab hier singen sie zusammen... (Musik: Festes Tempo, in leidenschaftlich überströmender Bewegung)
    Elis und Els: Dann ströme hin in tosendem Wallen, blühendes, rotes, tobendes Blut!
    Brande dich müd' in den fieb'rigen Adern, lodre in wilden, verzehrenden Flammen! (Musik: Noch etwas lebhafter werdend. (allgemach) ) Schlage zusammen, Welt, über uns! Nimm uns auf, Nacht! (Musik: bei Takt 381 Orgiastisch. (sic!) eine sehr seltene Tempoanweisung ) Nimm uns auf!
    Els: (Musik: Mit grösster Leidenschaft, Poco ritenuto) Du mein Geliebter, nimm mich, nimm mich! (Mehr und mehr verlangsamen)
    Elis: (Musik sanft ruhiger Bewegung) Ah, fühlst du's Holde... nicht, was man denken mag...
    Ferne Musik, Düfte von Rosen, der Himmel, das Eden! Ach, nicht doch...


    So wie die Musik verläuft, muss man folgendes vermuten... die Bezeichnung Orgiastisch steht 3 Takte vor ihrem Ausruf: Nimm mich! und innerhalb von 8 Takten verändert sich die Musik von grösster Leidenschaft in sanft ruhige Bewegung
    hmmm, dass kann ja jedem Mann passieren... halb so wild, denn es folgt das erste Zwischenspiel, das nicht weniger als 76 Takte umfasst, dem dynamischen Verlauf nach zu schliessen, finden wenigstens zwei Fortissimo Höhepunkte im Orchester (wo denn sonst) statt. die Regie schweigt sich über das Geschehen auf der Bühne aus.
    Aber keine Angst die einzige Anweisung lautet (Der Mond ist während des letzten Gesanges langsam vom Himmel verschwunden, es ist tiefste finstere Nacht)
    Die Szene ist aber noch lang nicht zu Ende.
    wenn man die 76 Takte im Finstern abgewartet hat, singt Els leise zitternd, doch deutlich hörbar (dann war er also nicht ganz untätig im Zwischenspiel) unterstützt von 3 Chorsängerinnen ein Lohengrin Zitat (nur Text)

    Els: Du sollst mich nie fragen, du mein Geliebter. Mich nie fragen, wie alles kam, mich nie zu quälen mit kränkendem Argwohn!.
    Elis: erwartungsgemäß: Nie, nie- ich schör's dir! Denk nicht daran - Ich lieb dich- lieb dich! Ewig - ewig!
    Danach folgt das zweite Zwischen - Spiel beginnend bei Takt 485; bei Takt 540 liest man Langsame Morgendämmerung; bei 579 ist vom ersten Rot der Morgensonne die Rede.


    Eine echte Herausforderung für Regisseure - oder auch nicht?
    Das Libretto bietet keine direkten Anweisungen...die Gesangstexte hingegen schon... also möchte man meinen, dass die von ihr beschriebenen Handlungen während der 2 Zwischenspiele im Finstern vorgenommen wurden.
    :|
    .. an dieser Stelle hat man entweder die Möglichkeit, das Libretto in den nächsten Müllcontainer zu werfen, da diese Scheinheiligkeit schon kaum mehr zu überbieten ist.
    Die Frau ist mit leichten Schleiern bekleidet und hat recht eindeutige Forderungen an einen Mann, aber dieser gibt romantische Phrasen von sich und hört ferne Musik... dann geht das Licht aus... das Orchester spielt wenigstens 5 Minuten alleine weiter... danach singt sie leise zitternd eine Phrase, danach ein weiteres Zwischenspiel....
    Man redet also recht konkret über die Sache, aber alles soll nur in der Phantasie entstehen, nichts soll dargestellt werden.
    Das ist gute Tristantradition... und der Ärmste bekam nicht mal Zwischenspiele im Finstern, nur die wenigen Takte vor dem 'nun sink hernieder...'


    Und wer soll sich das ansehen wollen? Klare erotische Handlung, aber auf der Bühne ist finstere Nacht...


    Oder man lässt sich etwas dazu einfallen... das ist gar nicht so leicht, wie man denkt, denn die Zeit wird einem recht lang dabei, wenn man so gar keine Hilfe aus dem Textbuch hat.
    Das ist der Punkt, wo man dann beginnt, Verantwortung zu übernehmen, denn ein Regisseur ist hier komplett auf sich allein gestellt. Oder sollten die Sänger zuerst nur so rumstehen, wie im Libretto beschrieben? Oder sollen sie nach eigenem Gutdünken und Talent handeln, wobei man nur hoffen mag, die beiden Hauptdarsteller finden einander sympathisch... da muss nämlich die Chemie auch stimmen, damit so eine Szene gelingt...


    Und die Gretchenfrage lautet hier: was und wieviel darf gezeigt werden? und wer entscheidet das?


    Viel Vergnügen

    Lieber Gerhard,


    das habe ich tatsächlich falsch verstanden...


    in Klagenfurt hab ich einen umstrittenen Einsatz eines Falken in der Zauberflöte miterlebt... dem Tier war anzumerken, dass es nervös und unruhig wurde in Gegenwart vieler Menschen.
    Bei einer Probe - - 1. Finale... vermutlich Pamina: Herr, ich bin doch Verbrecherin... wo fast alle Personen auf der Bühne versammelt sind, passierte folgendes:
    der Falke war angebunden und sass auf einer Stange... zusätzlich hatte er eine Haube über dem Kopf...
    Dennoch war er so beunruhigt, dass er plötzlich losfliegen wollte und natürlich wegen Haube und Leine kläglich scheiterte und hilflos herumflatterte... Einige Anwesende drohten an dieser Stelle mit Anzeige wegen Tierquälerei... (der Besitzer des Tieres war natürlich anwesend.)
    die Inszenierung wurde dennoch planmässig mit Falke durchgeführt. Klar sah es gut aus, wenn Sarastro (Günter Groissböck) beim ersten Auftritt den Falken auf dem Arm trug.


    Aber es ist leider immer wieder eines der an den Haaren herbeigezogenen Argumente derjenigen, die das Verunstaltungstheater befürworten (ich meine dich dabei nicht persönlich!), die Anhänger des konventionellen Theater verlangten die genaue Umsetzung des Librettos, Wort für Wort.


    genau so eine Diskussion hatte ich hier im Forum schon einmal. Vielleicht finde ich den Thread.
    Vielleicht wäre das eine Gelegenheit, um klarzustellen, dass es "die Anhänger des Regietheaters" genausowenig gibt wie "die Schauspielregisseure, die ein Werk verunstalten"... von Einzelfällen zu reden ist viel korrekter.
    Ausserdem bedeutet dein Einwand, dass die Diskussion um Werktreue noch komplizierter wird, als ich angenommen hätte.



    Übrigens ist die Analogie im Titel des Sammelplatzes beabsichtigt... soll heissen: absurde Regieanweisungen können zu absurden Inszenierungsideen führen... ich erkenne da eine Logik in manchen Inszenierungen

    Rheingold1876
    Vielen Dank für die Blumen - das war nur der bescheidene Anfang... ich habe vielleicht 50 Klavierauszüge zuhause... bis die durchgeackert sind, dauert es ein wenig...
    Siegfried 1. Akt arbeite ich gerade, daneben ist La Gioconda und die Tote Stadt... letztere ist äusserst ergiebig.


    Gerade bei Anweisungen, die nicht realisierbar sind, bei denen es darum geht, einen Eindruck zu erwecken, kann schwer beurteilt werden, welche Mittel die richtigen sind.
    Wird nicht dadurch ein bisschen verständlich, warum Regisseure sich etwas einfallen lassen müssen.
    Die Leute, die sich der Illusion hingeben wollen, werden doch bei David Copperfield oder anderen viel besser bedient. Auch das ist ein Grund, den Wunsch des Publikums nach Illusion deutlich zu machen, oder auch in grober Weise blosszustellen.


    Es gibt wirklich viele riesige Themen... die Bedeutung der technischen Hilfsmittel wie Versenkung oder Hebebühne, die Notwendigkeit von Umbauten (Umbaupausen kennen wir fast nicht mehr, oder? Das hat auch mit der Orchesterorganisation zu tun... die Länge einer Vorstellung kann nicht beliebig ausgedehnt werden...)


    Das Ergebnis wird zeigen, dass es messbare Werktreue gar nicht geben kann...


    Natürlich gibt es Tiere auf der Bühne - wo habe ich das bestritten?
    Tiere und Kinder ziehen die Aufmerksamkeit des Publikums immer auf sich, weil ihre Handlungen unberechenbar sind... (soweit eine Binsenweisheit am Theater...)
    Man denke hier an den Rosenkavalier... die Tierhändler... Hundert, so klein und schon zimmerrein (wollen wir's hoffen)


    Und der Schluss der Oper stellt uns vor ein grosses Problem.
    Ja, die Figur, die im Originaltext als: der kleine Neger bezeichnet wird... soll das gezeigt werden, weil's ja so niedlich und herzig ist und weil wir mit einem Lächeln nach Hause gehen wollen...
    Oder denken wir historisch, dass das Kind vermutlich kein angenehmes Leben gehabt hat... warum sollten wir Sklaven auf der Bühne zeigen?
    Auch in der Zauberflöte ist es mit der aufgeklärten Haltung des Sarastro schwer zu vereinbaren, dass man Sklaven gehalten hat.

    Vielen Dank an Cartman für den konstruktiven Beitrag:


    das Thema Tiere auf der Bühne ist ein sehr ergiebiges...



    ich werde im März voraussichtlich eine konzertante Aufführung des 1.Aktes Siegfried spielen, daher ist es naheliegend, diesen Auszug zu untersuchen:


    Der Vorhang geht auf: Felsenhöhle im Wald; drin ein natürlicher Schmiedeherd mit einem grossen Blasbalg....


    wunderbar: der erste Satz und schon ist klar, dass es reine Illusion ist... nichts davon kann umgesetzt werden.


    bitte die erfahreneren Mitglieder um geographische Informationen... wo gibt es Höhlen, die gross genug sind, um darin einen Herd unterzubringen...
    Herd... also offenes Feuer, welche Art von Abzug? wo soll der Rauch hin?


    alles nur Illusion... kein echtes Feuer, kein echter Rauch, kein echtes Eisen, dass geschmiedet wird...


    Am Ambos davor sitzt Mime, eifrig an einem Schwerte hämmernd...
    Mime bemüht sich, den komplizierten Rhythmus mit dem ungewohnten Instrument irgendwie zu realisieren... mit Schmiedearbeit hat das wenig zu tun...


    vor kurzem hab ich einen Fernsehbeitrag über eine Österreichische Schmiedewerkstatt gesehen, in der neue Rüstungen für die päpstliche Schweizergarde hergestellt wurden... dort könnte man nachfragen...


    beim ersten Gesangseinsatz von Siegfried im 1.Akt:
    Siegfried in wilder Waldkleidung (AHA?!) mit einem silbernen Horn an einer Kette, kommt mit jähem Ungestüm aus dem Walde herein:
    er hat einen grossen Bären mit einem Bastseile gezäumt, und treibt diesen mit lustigem Übermuthe gegen Mime an.

    die wilde Waldkleidung wäre welche?


    ein grosser Bär? gross bezogen auf die Körpergrösse Siegfrieds? also ein Grizzlybär mit über 2 Metern?
    natürlich ein Statist im Fell - wie lächerlich


    später... gibt er dem Bären einen Schlag auf den Rücken - - der Bär läuft in den Wald zurück.


    soviel fürs erste zur Absurdität


    nebenbei ist es in allen Fällen ein musikalisches Problem, wenn jemand auf notierten Tönen lachen soll... das klingt nie natürlich und spontan :no:
    Siegfried hat einen Lachanfall, weil er Mime in Angst versetzt hat... das heisst aber logischerweise, dass er nicht zuerst lachen, dann 2 Sätze normal singen... ein paar Takte später steht kurz vor dem Einsatz: Siegfried setzt sich, um sich vom Lachen zu erholen.
    Diese Anweisung ist offensichtlich einige Takte zu spät geschrieben, wer sich setzen muss, um sich vom Lachen zu erholen, kann nicht normale Sätze singen oder sprechen...


    es geht gleich sehr sinnvoll weiter:
    Siegfried prüft das neue, von Mime geschmiedete Schwert...
    Anweisung: er zerschlägt es auf dem Ambos (sic), dass die Stücken ringsum fliegen; Mime weicht erschrocken aus.


    die Stücke des zerschlagenen Schwertes werden mit 100%iger Sicherheit nicht ringsum fliegen, sonst landen sie im Orchestergraben oder gar im Zuschauerraum.
    (das Thema: "Gegenstände, die in den Orchestergraben fallen können"... werde ich nicht näher erörtern.)
    Selbst bei (ich liebe das Wort: ) angefertigten Sollbruchstellen in dem Schwert werden die Stücke nur nach hinten oder zur Seite fliegen.


    Das Thema Sicherheit taucht am Theater häufig auf... allein was Flüge betrifft... (nur ganz selten setzt man halbwüchsige Kinder als 3 Knaben in ein Flugwerk...)



    Siegfried hat einen Wutausbruch und "wirft sich wüthend auf eine Steinbank"
    zu dumm, dass sie aus Holz ist...
    wie schwer ist eine durchschnittliche Bank aus Natursteinen? 200kg oder darüber? wer transportiert die?



    jetzt komme ich zu einer fragwürdigen musikalischen Anweisung: Mime: "Das ist nun der Liebe schlimmer Lohn." mit kläglich kreischender Stimme


    solche Anweisungen werden nur meist von solchen Buffotenören realisiert, deren Stimme auch ohne weitere Mühe kläglich kreischend klingt.
    Kein Mensch, der Gesang studiert, verstellt seine Stimme so, dass es hässlich klingt.
    zum einen: weil er danach noch über eine Stunde lang weitersingen muss und sich durch einen karikierenden Stimmeinsatz ernsthaft in Gefahr bringen kann.


    und zum anderen, weil das Publikum nicht unterscheiden kann, ob er diese Stelle absichtlich schlecht singt, oder einfach technisch nicht beherrscht.


    die Absicht Wagners, Mime als Karikatur darzustellen (vgl. Beckmesser...) ist klar, aber der Grad der Realisierung wird zum Glück von geschmackvollen Fachleuten bestimmt.


    ... Siegfried springt auf Mime und fasst ihn bei der Kehle.


    er springt auf ihn? ist sehr der Fantasie überlassen, was das sein soll... (er wirft Mime zu Boden und kniet auf ihm... wäre verständlich, steht aber nicht hier.)


    nächste Grundsatzsache... kein Sänger wird jemals gewürgt... die Gefahr, den Kehlkopf zu verletzen, ist zu gross...
    also: er packt Mime mit beiden Händen am Kragen - es sieht aus, als würde er ihn würgen.


    und er hält ihn 32 Takte lang fest... das sind ca 16 Sekunden... wenn wir annehmen, dass Siegfried ziemlich stark ist (grosser Bär), dann braucht er kaum besonders lange, um den deutlich schwächeren Mime schwer zu verletzen..
    wie sehr hat er seine Kraft unter Kontrolle? weiss er, wie lange es braucht, um einen Menschen zu erwürgen?



    das waren bloss 35 Seiten von 135 vom ersten Akt...


    es ist alles Illusion... nichts kann umgesetzt, alles nur angedeutet werden.


    was ist Werktreue?