Leonin und Perotin

  • Leonin und Perotin sind die bekanntesten Meister der Pariser Notre-Dame-Schule. Alle anderen überlieferten Namen genießen heute deutlich geringeren Ruhm, seien es Adam von St. Victor (+ ca. 1140, Kantor an Notre-Dame) oder sein Nachfolger Albert (+ 1177).


    Beide Namen sind uns durch den Traktat eines namenlosen Engländers aus der Zeit nach 1280, den die Wissenschaft „Anonymus 4“ taufte, überliefert. Anonymus 4 gibt uns in diesem Traktat seine Version der „Musica mensurabilis“, die üblicherweise Johannes de Garlandia (* ca. 1195, + nach 1272) zugeschrieben wird. Darin heißt es:


    „Et nota, quod magister Leoninus, secundum quod dicebatur, fuit optimus organista, qui fecit magnum librum organi de gradali et antifonario pro servitio divino multiplicando. Et fuit in usu usque ad temporis Perotini Magni, qui abbreviavit eundem et fecit clausulas sive puncta plurima meliora, quoniam optimus discantor erat, et melior quam Leoninus erat.“


    „Und merke dir, dass der Magister Leoninus, wie berichtet wurde, der beste Organista gewesen ist; er verfertigte den Magnus Liber der Organa zum Graduale und Antiphonar zur Bereicherung des Gottesdienstes. Und dieses Buch blieb in Gebrauch bis zu der Zeit des Perotinus Magnus, der dasselbe gekürzt hat und viel bessere Klauseln und Punkta schuf, weil er der beste Discantor war, sogar besser als Leoninus.“


    Ohne diesen Traktat, in dem auch einige Organa und Conductus dem Perotin explizit zugewiesen werden, wären diese Namen wohl im Dunkel der Zeiten verschollen geblieben.


    Einen kürzestmöglichen Einblick in die Musik des Mittelalters gibt die erste CD, sie enthält ein zweistimmiges Organum von Leonin und ein vierstimmiges Organum von Perotin, beide über „Viderunt omnes“. Dazu Motetten aus der Ars antiqua und der Ars nova – wie gesagt: Ein höchst kompakter Rundumschlag.

    Deutlich ausführlicher beleuchtet die zweite CD das Schaffen der beiden Pariser Meister. Kern des Programms ist zum einen das zweistimmige Organum "Viderunt omnes" von Leonin, das einmal mit Männerstimmen, einmal mit Frauenstimmen (anstelle von Knaben) und einmal in einer gemischten Version erklingt. Ferner sind die beiden vierstimmigen Organa des Perotin enthalten: „Viderunt omnes“ und „Sederunt principes“ zu hören. Das Ganze wird abgerundet mit zwei Conductus, mit Gregorianischem Gesang und mit einer sehr hörenswerten Rekonstruktion eines Parallelorganums.

    In den folgenden Beiträgen soll auf die beiden Meister einzeln eingegangen werden.

  • Der Name Leonin ist abgeleitet von der lateinischen Verkleinerungsform von „Leo“ = „Leoninus“, der kleine Löwe, das Löwchen. In der Literatur tauchen die Namen „Leonin“, „Leoninus“ und „Magister Leoninus“ auf.


    Alles, was wir von ihm wissen, geht auf die Mitteilungen des Anonymus IV zurück. Seine Lebensdaten liegen daher im Dunkeln. Durch Studium der Pariser Klosterakten konnte man vermuten, dass der Komponist der Notre-Dame-Schule identisch ist mit dem Magister Leonius (kein Schreibfehler). Dieser wurde um 1135 herum geboren und wurde Kanonikus, zunächst an St. Benoît in Paris und ab den 1180er Jahren an Notre Dame de Paris. Im Jahre 1192 wurde er zum Priester geweiht. Dem Leonius werden homoerotische Dichtungen im Stile von Ovid zugeschrieben. Ab 1201 gibt es keine schriftlichen Zeugnisse mehr von ihm. – Sollte die Hypothese der Identität Leonin = Leonius nicht zutreffen, so können wir eigentlich nur darüber sicher sein, dass Leonin in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gelebt hat. Die oben genannte Naxos-CD gibt ca. 1163-1190 als Lebensdaten an.


    Anonymus IV nennt Leonin den Verfertiger des "Magnus liber organi" (" … qui fecit magnum librum organi …"). Dies lässt zunächst unklar, ob Leonin die darin enthaltenen Organa tatsächlich komponierte oder lediglich aufzeichnete und zusammenstellte. – Die Forschungen des amerikanischen Musikwissenschaftlers W. G. Waite (Dissertation an der Yale University über "The Rhythm of Twelfth-Century Polyphony: its Theory and Practice", 1951) ergaben, dass es Leonins Verdienst war, ein rationales rhythmisches System in die junge Kunst der polyphonen Musik eingeführt zu haben und dafür auch eine Notation erfunden zu haben.


    Die Worte "fuit optimus organista" = "er war der beste Komponist von Organa" legen allerdings mehr als nahe, dass Leoninus zumindest einige der Werke im "Magnus liber" selbst schuf. In wie weit jedoch die erhaltenen Abschriften (das Original ist ja verschollen) tatsächlich Leonins Werke wiedergeben oder bereits die von Anonymus IV genannten Überarbeitungen der Werke durch Perotin mitteilen, lässt sich kaum noch zweifelsfrei entscheiden.


    Die besten Abschriften F, W1 und W2 geben jedoch verschiedene Versionen dieser Organa wieder. Es gilt als gesichert, dass in W1 ältere Fassungen vorliegen als in F und W2. Mit einiger Vorsicht mag man die Versionen in W1 dem Leonin zuschreiben und diejenigen in F und W2 der Perotinschen Überarbeitung.

  • Außer den oben genannten CDs gibt es mittlerweile zwei CDs, die sich exklusiv den Werken Leonins widmen. Beide wurden von Ensemble „Red Byrd“, das sind John Potter und Richard Wistreich, zusammen mit der Cappella Amsterdam für das Label Hyperion aufgenommen und sind in der Serie „Helios“ günstig zu haben. – Die Organa wurden nach dem Manuskript „F“ (siehe Notre-Dame-Epoche ]hier[/url]) gesungen.


    Die erste der beiden CDs wurde im Dezember 1996 in der Grote Kerk zu Naarden (Niederlande) aufgenommen.


    Gleich das erste Organum zeigt die reichhaltigen Möglichkeiten der Komposition. Der Text „Alleluya. Non vos relinquam orphanos: vado, et venio ad vos, et gaudebit cor vestrum” ( = Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen; ich gehe und komme wieder zu euch, und euer Herz wird sich freuen. [Joh 14,18]) wird wie folgt vertont:


    Alleluya: Beginn „Alle-“ im Haltetonstil: Die Töne des vorgegebenen Gregorianischen Chorals werden lange in der Unterstimme gehalten, darüber singt die Obersti.mme weit ausschwingende Melismen. Auf der Silbe „-lu-“ hat nun der Gregorianische Choral selbst bereits ein reiches Melisma, so dass eine komplexe Zweistimmigkeit entsteht (Diskantusstil). Die Silbe „-ya“ wird wieder im Haltetonstil komponiert. – Das Alleluya wird von der Schola im Gregorianischen Choral (einstimmig) wiederholt.


    Non vos: Haltetonstil
    relin-: Diskantusstil
    -quam: Haltetonstil
    orphanos va-: Diskantusstil
    -do: Haltetonstil
    et ve-: Diskantusstil
    -nio ad vos: Haltetonstil
    et gaudebit: Diskantusstil
    cor vestrum: Gregorianscher Choral (einstimmig)
    Alleluya: Haltetonstil mit Ausnahme der Silbe „lu“, die wiederum im Diskantusstil gesetzt ist.
    Abschließendes „Alleluya“ als Gregorianischer Choral (einstimmig).


    Diese CD enthält sieben Alleluja-Gesänge mit Alleluja-Vers, dazu zwei Gradualgesänge, einer davon ist das wohlbekannte „Viderunt omnes fines terrae“.


    Viderunt omnes fines terrae salutare Deo nostri:
    Iubilate Deo omnis terra
    (Alle Enden der Erde schauen das Heil unseres Gottes:
    Jauchzet dem Herrn alle Welt = Ps 97/98, 3b-4a)

    Notum fecit Dominum salutare suum:
    Ante conspectum gentium revelavit iusticiam suam.
    (Der Herr lässt sein Heil kundwerden;
    Vor den Völkern macht er seine Gerechtigkeit offenbar. = Ps 97/98, 2)


    Viderunt: Haltetonstil
    om- : Diskantusstil
    -nes: Haltetonstil
    fines terrae … omnis terra: Gregorianischer Choral
    notum fecit: Haltetonstil
    Do-: Diskantusstil
    -minus salutare … gentium: Haltetonstil
    revela-: Diskantusstil
    -vit: Haltetonstil
    Iustitiam suam: Gregorianischer Choral

  • Die zweite der beiden CDs wurde im April 2001 in der St. Alban’s Church zu Holborn, London, aufgenommen. Entgegen meinen obigen Worten wirkt dieses Mal nicht die Cappella Amsterdam mit, sondern es ist das Ensemble Yorvox, welches die einstimmigen Abschnitte übernimmt.


    Dieses Mal wurden Organa zu Gottesdiensten der Weihnachts-, Oster- und Pfingstzeit eingespielt. Den Schluss der CD bildet ein „Benedicamus Domino“, wie es am Ende jedes Stundengebetes und am Ende jeder Messe, in der kein „Gloria“ gesungen wurde, zu hören war; also etwa in der Fastenzeit oder in der Adventszeit. Die Quelle „F“ (siehe Notre-Dame-Epoche ]hier[/url]) für das „Magnus liber organi“ enthält nicht weniger als elf solcher „Benedicamus“-Vertonungen, von denen hier die neunte ausgewählt wurde.


    Drei der anderen Organa sind Prozessionsgesänge, sie wurden an verschiedenen Stellen der Kathedrale Notre Dame und ihrer Umgebung gesungen.


    Das kompositorische Verfahren ist bei allen eingespielten Organa dasselbe wie auf der ersten CD: Abschnitt im Gregorianischen Choral, im Haltetonstil und im Diskantusstil wechseln einander ab.


    Man spürt die Wichtigkeit des Raumes für diese Art Musik, die auf uns vielleicht eher kontemplativ wirken mag, damals aber vielleicht ganz anders (erregend? ekstatisch?) aufgenommen wurde.

  • Der Name Perotin ist abgeleitet von der lateinischen Verkleinerungsform von „Petrus“ = „Peter“, heißt also „der kleine Peter“ oder „Peterchen“. In der Literatur tauchen die Namen „Perotin“, „Perotinus“ und „Perotinus magnus“ = „Großes Peterchen“ auf.


    Sind wir bei Leonins Lebensdaten durch die Forschungen von Craig Wright mit hoher Wahrscheinlichkeit darüber im Klaren, dass dieser von etwa 1135 bis etwa 1201 gelebt hat, so sind alle Daten zu Perotin mit deutlich größerer Ungewissheit behaftet.


    Es gibt eine Anordnung des Bischofs Odo von Paris, derzufolge am Neujahrsfest 1198 und am Stefansfest 1199 die Responsorien (das sind „Viderunt omnes“ und „Sederunt principes“) „in triplo vel quadruplo vel organo“ gesungen werden dürfen, also als dreistimmige, vierstimmige oder als „normale“ zweistimmige Organa. Das bedeutet, dass diese vierstimmigen Werke Perotins dann bereits vorlagen, zumindest in einer frühen Fassung.


    Amédée Gastoué fand um 1920 in den Akten der Notre-Dame zu Paris Notizen über einen Petrus, der um 1170 geboren sein soll und in den Jahren 1207 bis 1238 als „succentor“ (Nachfolger Leonins?) bezeichnet wird. Weitere Forschungen von Handschin ergaben, dass dieser Petrus vermutlich einer angesehenen Pariser Familie entstammte und dass sein Bruder Terry oder Ferry Erzbischof von Nikosia war. – Man merkt, dass diese Versuche am Rande der Spekulation stehen. Klar ist eigentlich nur, dass Perotin um 1200 herum lebte und Nachfolger des Leonin war.


    Anonymus IV ordnet sieben Werke dem Perotin zu, nämlich die Quadrupla (= vierstimmige Organa) „Viderunt omnes“ und „Sederunt principes“, die Tripla (= dreistimmige Organa) „Alleluja posui adiutorium“ und „Nativitatis“ sowie die Conductus „Salvatoris hodie“, „Dum sigillum“ und „Beata viscera“.


    Mit Ausnahme von „Salvatoris hodie“ finden sich alle diese Werke auf der ausgezeichneten Perotin-CD des Hilliard-Ensembles (links), das fehlende Werk ist auf der anderen CD „Vox sonora“ des Ensembles „Diabolus in musica“ zu hören:



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  • Für den Einstieg kann man es mit einer einzelnen Stimme versuchen: Perotin, Beata Viscera, interpretiert durch Tonus Peregrinus (siehe ersten Beitrag von Wolfram), ein einfaches aber schönes und stimmungsvolles Stück, bei youtube verfügbar.

  • Perotin, Alleluia Nativitatis, ist da schon gewöhnungsbedürftiger, ebenso Viderunt Omnes, beides hört sich für mich streckenweise wie von einem zeitgenössischen Komponisten verfaßt an, bei Viderunt Omnes entwickeln sich aber auch kurzzeitig Strukturen, die man wohl als "gregorianisch" bezeichnen würde.


    Zitat Wolfram
    Man spürt die Wichtigkeit des Raumes für diese Art Musik, die auf uns vielleicht eher kontemplativ wirken mag, damals aber vielleicht ganz anders (erregend? ekstatisch?) aufgenommen wurde.
    Zitat Ende


    Für Viderunt Omnes tippe ich auf ekstatisch, für ein kontemplatives Stück sind die Bögen viel zu kurz.

  • Vermutlich ist dieses vierstimmige Organum nach der „Messe de No(s)tre Dame“ von Guillaume de Machaut das meisteingespielte Werk mittelalterlicher Musik.


    Die Bedeutung dieses Werkes war schon seinerzeit klar: Die beiden vierstimmigen Organa „Viderunt omnes“ und „Sederunt principes“ standen am Anfang des „Magnus liber organi“, sie hatten sozusagen emblematischen Charakter, sie waren Prunkstücke der Epoche.


    Die Struktur der Komposition ist wie folgt:


    Viderunt omnes … - vierstimmiges Organum
    … fines terrae salutare dei nostri. Jubilate deo omnis terra. – Gregorianischer Choral
    Notum fecit dominus salutare suum ante conspectum gentium revelavit … – vierstimmiges Organum
    … justitiam suam. – Gregorianischer Choral



    David Munrow hat das Organum im Jahre 1975 mit „The Early Music Consort of London“ aufgenommen. In den vierstimmigen Abschnitten wird die Vox principalis, der Tenor, von mehreren Sängern gesungen (wie viele, sagt das Beiheft nicht) und zusätzlich von einer Orgel verstärkt. Die drei anderen Stimmen sind solistisch besetzt.


    Das Tempo ist sehr bewegt, die Rhythmen werden scharf und eckig ausgeführt. Die Wirkung ist tendenziell hektisch, was auch von der trockenen Akustik nicht gemindert wird. Zum Kennenlernen der Faktur dieser Musik ist die Aufnahme ok, die CD versteht sich ja auch eher als Überblick von Leonin bis de Machaut. Aber die beiden anderen Einspielungen sind m. E. besser gelungen. Natürlich wissen wir alle nicht, wie es seinerzeit in Paris geklungen hat.



    Auch das Hilliard-Ensemble besetzt in seiner 1988 entstandenen Aufnahme den Tenor mehrfach (4 Sänger) und die drei anderen Stimmen solistisch. Es wird weich artikuliert, die Rhythmen werden nicht so scharf genommen, das Tempo ist durchweg ruhiger. Von dynamischen Möglichkeiten wird ausgiebig Gebrauch gemacht. Zusammen mit der halligeren Akustik entsteht ein völlig anderer Eindruck des Werkes, es wirkt hier sinnlich, geradezu ekstatisch, der Eindruck ist der einer vielfältigen Bewegung in gleichzeitiger großer Ruhe. Faszinierend, magisch, hypnotisch!



    Das Ensemble Tonus Peregrinus hat im Jahr 2004 Werke von Leonin und Perotin nebst einem anonymen Parallelorganum eingespielt. „Viderunt omnes“ wird von drei Solisten und drei weiteren Sängern für den Tenor gesungen. Das Organum erklingt in deutlich tieferer Lage als beim Hilliard Ensemble. Das Tempo ist noch langsamer, die Rhythmik wird ebenfalls weich artikuliert. Einige Akzidentienfragen werden anders entschieden als bei den Hilliards. Gefällt mir insgesamt nicht so gut wie die Aufnahme der Hilliards.

  • Der Name Perotin ist abgeleitet von der lateinischen Verkleinerungsform von „Petrus“ = „Peter“, heißt also „der kleine Peter“ oder „Peterchen“.


    Das musst du mir näher erklären. Für mich ist Petrus die lateinische Form des griechischen Petros (=Felsblock) und keine Verkleinerungsform.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,


    das habe ich wirklich nicht sehr gut formuliert!


    Petrus = Grundform ("Peter")
    Perotinus = Verkleinerungsform ("Peterchen", "der kleine Peter")
    Perotin = entlatinisierte Form der Verkleinerungsform


    :hello:

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  • OK, damit wird für mich ein Schuh daraus (bin bei der etwas unscharfen Formulierung gedanklich in die falsche Richtung abgebogen...)


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Kopie aus dem Therad "Was hört Ihr jetzt", gehört inhaltlich genausogut hierher.



    Gerade auf dem Teller die in den Threads zur Musik des Mittelalters hochgelobte Scheibe




    Man muß sich schon ziemlich fallen lassen, sich konzentrieren und eintauchen in diese Musik, die sich auf den ersten Blick gegenüber einem komplexen Werk des 19. Jahrhunderts so verhält wie Strichmännchen gegenüber einem Gemälde.


    Aber diese Strichmännchen haben bei genauerem Hinhören eine fast magische Feinstruktur, sie ziehen einen in ihren Bann, womöglich besser, als es viele Werke des 19. Jahrhunderts vermögen.


    Ich vermute, daß man barocken Klängen nicht unbedingt ablehnend gegenüberstehen sollte, wenn man diese Musik genießen will, die Architektur ist eher weitgeschwungen, Rhythmus- und Lautstärkeänderungen sind selten. Auf der Grundlage eines "Orgelpunktes" gibt es z.B. bei dem gerade laufenden Stück "Viderunt Omnes" 4 sich überlagernde Stimmen, die zum Teil den Eindruck erwecken, als suche hier jemand nach Polyphonie, ohne genau zu wissen, wie man es machen sollte, denn die Stimmen nähern sich einander an und laufen wieder weg, und über lange Zeit wird die durch Disharmonien erzeugte Spannung nicht aufgelöst. Das klingt manchmal etwas holzschnittartig, aber darin liegt eben auch ein großer Teil des Charmes.