Cosima Wagners Tagebücher

  • Ein Zitat aus dem letzten Jahrgang aus Cosimas Tagebüchern, das mir "R." durchaus sympathisch macht, weil es zeigt, dass auch er mitunter selbstkritisch sein konnte:


    Dienstag 7ten(07.02.1882) R. schlief aber unruhig, er wacht auf, von dem einen bösen Traum verfolgt, dass ich mit Hohn mich von ihm abwende!... Er klagt in der Frühe sein Temperament an, und dass, wer sich diesem anvertraue, den wildesten Irrfahrten ausgesetzt sei;

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hier erscheint er mir schon weniger sympathisch:


    Montag 13ten(13.02.1882) (...) Sehr niedergedrückt und verstimmt ist R. am Nachmittag, die Korrektur des 3ten Aktes macht ihm keine Freude, und die materiellen Schwierigkeiten des Lebens, wie ungenügende Möbelstücke, erregen seinen Unwillen.

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  • Das finde ich einfach nur lustig:


    Mittwoch 8ten (März 1882) Beim Frühstück kommen uns ernste Gedanken an, ob wir nicht doch Siegfried in die Schule schicken sollten, da er keinen Knaben-Umgang hat. Gestern hat er zum Scherz seiner älteren Schwester das Haar gemacht, und das hat Richard sehr beängstigt.

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  • Das finde ich zuerst auch komisch, aber beim letzten Satz bleibt mir das Lachen im Halse stecken:


    Mittwoch 5ten (05.04.1882) (...)Schulgedanken, den R. bereits fast aufgegeben, lässt ihn erwägen: »Was braucht der Junge Knaben-Umgang? Lernt er die Welt nicht so am besten kennen. Lassen wir das Schicksal walten! Die Erziehungsanstalten sind da für Wesen, die nicht hätten geboren werden sollen!« ruft er aus

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das erinnert mich an Nietzsches Heine-Auslassung ("Man wird einmal sagen, daß Heine und ich bei weitem dieersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind"):


    Sonntag 21ten(21.05.1882) Bei Tisch erklärt R., er läse nur noch Gobineau, Schopenhauer und sich. Über ersteren sagt er dann zu mir, er habe großen Scharfsinn, keinen eigentlichen Tiefsinn.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Hier kommt wieder der Witzbold Wagner durch:


    Montag 3ten(03.07.1882) (...) Um 5 Uhr ist Probe (Klavier und Gesang); R. bittet die Herrschaften, seine Rhythmen zu beachten: »Das, glaube ich, habe ich getroffen; ich habe schlecht komponiert, aber mein Rhythmus ist gut.«

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hier spürt man den rührenden Tierliebhaber:



    Donnerstag 13ten (13.07.1882) (...) Wir sind allein zum Abendbrot, die Kinder erzählen, dass unsre gute liebe Hündin Molly krank sei, der herbeigerufene Tierarzt sagt, es sei eine unbedeutende Erkältung. Vor einiger Zeit schon, da ihr Gesichtsausdruck mir sehr verändert erschien, frug ich Dr. Landgraf, und dieser sagte, sie sei ganz wohl, äße nur zu viel, müsste viel laufen.


    Freitag 14ten (14.07.1882) (...) Gegen 10 Uhr bringt mir Georg die Nachricht, dass das schöne, liebe Tier gestorben sei! (...) Am Nachmittag ist Probe, ich sage R., dass die Kinder erkältet seien; sie bleiben daheim (die jüngeren), und nach der Sektion bestatten sie unsere liebe Molle!


    Sonnabend 15ten (15.07.1882) R. frägt nach Molle, Georg sagt ihm, man dürfe sich auf das Schlimmste gefasst machen, er geht um die Mittagszeit in den Garten, setzt sich in die Laube, bemerkt Marke, wie er nach der Seite des Grabes schnüffelt! Bei Tisch, wo wir unter uns sind, spricht er den Namen aus, und wir brechen in Tränen aus, da wir wohl sehen, dass er alles weiß. Er dankt es uns, es ihm nicht gesagt zu haben!(...) Wie ich, als mein Vater ausruht, in mein Stübchen kehre, höre ich R. in dem Garten rufen: Molle! und schluchzen. Ich stürze zu ihm, und wir weinen zusammen in der Laube! ...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Und hier kommt der Antisemit zum Vorschein:



    Montag 24ten (24.07.1882) (...) Zu mir macht er die Bemerkung, er möchte nicht als Orchester-Mitglied von einem Juden dirigiert werden!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hier kommt seine ganze innere Unruhe und Zerrissenheit zum Ausdruck:


    Mittwoch 26ten(26.07.1882) R. hat eine unruhige Nacht, ich höre ihn leise im Traum sagen: »Kinder, ich scheide, leide.« - - Auch ist er nicht zufrieden mit der gestrigen Wendung der Toaste, hat übrigens alles vergessen, was er gesagt, erkennt es nicht in den Zeitungsbericht[en]. Um halb vier, bei leider nicht gutem Wetter, fahren wir fort. Gleich beim Eingang erregt seinen Ärger das Begucktwerden. Der erste Akt geht noch so ziemlich nach seinem Wunsch, nur das viele »Komödiantische« ist ihm zuwider. Wie nach dem zweiten Akt stark gelärmt und gerufen wird, tritt R. an die Brüstung, sagt, dass die Beifallsbezeugungen seinen Künstlern und ihm zwar sehr willkommen, dass sie aber übereingekommen seien, sich, um den Eindruck nicht zu stören, nicht zu zeigen, also das »sogenannte Herausrufen« fände nicht statt. Nachdem wir gespeist haben, sind R. und ich zusammen in der Loge! Große Rührung überkommt uns. Doch am Schluss ärgert R. das stumme Publikum, welches ihn missverstanden hat, er redet es noch einmal von der Galerie an, und wie darauf der Beifall sich entladet und immer wieder gerufen wird, tritt R. vor den Vorhang und erklärt, er habe seine Künstler versammeln wollen, aber diese seien schon halb entkleidet. Die Heimfahrt, mit diesem Thema erfüllt, ist ärgerlich. Gar lange Zeit bedarf es auch zu Hause, um R. zu beruhigen, da die allerverschiedenartigsten Eindrücke sich bei ihm kreuzen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hier kommt der Räsonierer durch:


    Sonnabend 2ten(02.09.1882) (...) Abends bricht R. in bittere Klage über Bayreuth aus, dass ihm niemand gefolgt wäre und sich hier angesiedelt, und dass der Ort auch nicht das mindeste Verständnis ihm entgegengebracht hätte. Mit Ausnahme der wenigen Freunde sei alles anteilslos geblieben; mit allen Ständen hätten wir es hier versucht, er habe im historischen Kränzchen sich aufnehmen lassen, auf nichts hätte er Einfluss gewonnen, und es habe ihn durch's Herz geschnitten bei seinen Aufführungen, die Offiziere sich herumlümmeln zu sehen und die Bayr. Bürgerschaft wie zu irgendeinem Spektakel, und keinem es beigekommen, ein Mal einen Platz zu nehmen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Und jetzt noch einige Beispiele zu einer seiner größten Charakterschächen: Undankbarkeit gegenüber Menschen, die SEHR viel für ihn getan haben (in diesem Fall: Franz Liszt):


    Freitag 17ten(17.11.1882) (...) Nachrichten über Lohengrin geben den Wunsch ein, nach Bologna zu fahren; dass wir den Vater erwarten, macht R. unwillig wie jedes Hindernis; er ergeht sich über das Wesen meines Vaters

    Mittwoch 29ten(29.11.1882) (...) Er beginnt heute abermals und gar schroff in seiner Wahrhaftigkeit über den Vater zu sprechen; [als »keimenden Wahnsinn« bezeichnet er die Arbeiten, er habe [etwa 12 Wörter unleserlich] den Missklängen abzugewinnen unmöglich,] und anhaltend setzt er mir das auseinander, ich schweige still, traurig, dass ich nichts erwidern kann!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Folgender Tagebuchausschnitt ist ein erschütterndes Dokument von Cosimas wie Richards Persönlichkeit, was ich nicht als Verurteilung missverstanden wissen möchte:


    Donnerstag 30ten(30.11.1882) R. hatte eine unruhige Nacht, (...) Er trägt mir aber gleich in der Frühe im Bette auf, ein hübsches Weihnachten für die Kinder zu besorgen. Dann meint er, mein Vater habe nicht gut ausgesehen gestern, ich: Er ist nicht wohl, er: Ob man nicht einen Arzt fragen solle. Ich: Er habe Brehm konsultiert und lebe nach der Verordnung, worauf R. sehr heftig mir das widerstreitet; wie ich ihm sage, ich sähe ihn nur Marsala mit Wasser trinken, wirft mir R. vor, ihm zu widersprechen; das entzündet bei mir großen Ärger, ich lege es heftig R. vor, wie es mein ganzes Bestreben sei, ihm nie in irgend etwas entgegen zu sein, worauf er heftig vom Bett aufspringt mit der Bemerkung: ich glaubte, ich sei die Tugend selbst. Kaum ist er fort, dass ich mir gar wehmütig sage, wie ich bei seinem Widerspruch meiner Mitteilung, mein Vater lebe nach der Verordnung des Arztes, hätte schweigen sollen; sein Wort über meine Meinung von mir schien mir zuerst eine gar schmerzliche, bittere Strafe, im nächsten Augenblick - wenn auch unter Tränen - nehme ich sie von ganzem Herzen hin; ist sie gerecht - als heilsame Strafe, ist sie aber ungerecht - (bewusst bin ich mir keiner guten Meinung von mir, denn nicht über einen hab ich je mich gefühlt) als Segen! Segen des Leidens, er walte! Verdient habe ich den Kummer durch meine Heftigkeit gewiss.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • und wieder gegen Liszt:


    [color=#000000]Mittwoch 3ten (03.01.1883) (...) Und bei Tisch gibt es viel Durcheinander; auch glaubt mein Vater einen Augenblick, dass über ihn gelächelt wird, was mich sehr schmerzt. (...) Abends wird geplaudert, mein Vater ist nicht da, er kommt etwas später hinzu, [verlangt Bier,] und die Aufgeregtheit R. 's hierbei gibt - ach! - Veranlassung zu einer kleinen Auseinandersetzung zwischen uns!


    Donnerstag 4ten (04.01.1883) (...) Da R. das Beispiel des Nerva (ich glaube, er meint Otho) als eines Selbstmordes zum Besten der andren [anführt], will mein Vater das nicht gelten lassen, das ärgert R. sehr, (er klagt über das, was er die »turbulente Somnolenz« meines Vaters nennt) (...) Leider aber wird seine Stimmung gegen meinen Vater immer schwieriger und aufgebrachter!


    Freitag 5ten (05.01.1883) R. hat gut geruht, er hat von mir im Traum gesprochen. [Am Morgen ist er immer erregt gegen meinen Vater!]

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • und hier der schmerzhaft leidende, gesundheitlich angeschlagene Wagner - wobei das ärztliche Versprechen der "Erleichterung" dann fast auf den Tag genau erfolgte, wenn auch auf anderer Art, als der verhießenen:


    Freitag 12ten(12.01.1883) Die Krämpfe beginnen bei R. heute gleich in der Frühe und dauern über 2 Stunden! Er speist nicht mit uns und überhaupt gar nicht. Endlich um 5 Uhr kommt Dr. Keppler, der sich für Massage erklärt, gleich damit beginnt und R. eine Erleichterung für in einem Monat verspricht!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • nochmals große Undankbarkeit gegenüber einem - anderen - großen Gönner:
    Dienstag 30ten(30.01.1883) (...) Die Beschreibung des Schlosses des Königs in der Italie kränkt R.; [er schämt sich dabei des ganzen Verhältnisses. Beklagt es, dass nicht Rothschild ihm eine Million geschenkt] ...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Hier teilt "R." nochmal gegen Freund und "Feind" aus, dabei nicht sehr rational:


    Freitag 9ten(09.02.1883) Abends spricht R. über seine Parteigänger, die wie gemacht seien, um die Gedanken, die er ausspricht, der Lächerlichkeit preiszugeben. (Er nimmt Stein aus). Er sagt zu Jouk., dass er niemals daran gedacht haben würde, dass die Blätter mehr als zwei Jahre dauern würden; er überlegt es sich, wie es mit Wolz. werden soll. Und schließlich beklagt er es laut, dass er Wahnfried gegründet, auch die Festspiele scheinen ihm absurd! ... Mit unserem Freund Jouk., der allein abends gekommen, besprechen wir den Gesundheitszustand des armen K. meisters! R. meint, das Judentum sei ein furchtbarer Fluch;

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das sind so die Stellen aus dem letzten Jahrgang der Cosima-Tagebücher, die ich am interessantesten und spannendste finde und die - wie auch alle anderen Schriftdokumente insgesamt - ein höchst widersprüchliches und facettenreiches Bild vom Charakter dieses Menschen ergeben. Er ist sperrig in jede Richtung, lässt sich weder als "Gutmensch" oder Heiliger verklären noch als Dummkopf oder durch und durch bösariger Mensch verteufeln.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nun sei bedankt, mein lieber Stimmenliebhaber, für deine Fleißarbeit und die hochinteressanten Zitate, die du ausgesucht hast. Ich sagte es ja schon - Cosimas Tagebücher sind eine fantastische Quelle für jeden, der den Menschen Wagner studieren will.
    Das Zitat im Beitrag 153, das gerade von Cosima sehr viel preisgibt, finde ich wirklich erschütternd. Es ist mir unbegreiflich, wie man sich so selbst erniedrigen und sich für die Launen eines Ehemannes (wenngleich es sich um ein Genie handelt) verantwortlich machen kann. Könnte es damit zusammenhängen, dass Cosima auch im Mittelpunkt des hässlichen Trennungskriegs zwischen der d'Agoult und Liszt stand und schon in jungen Jahren schmerzhafte Erfahrungen machen musste, die die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins behinderten? Anders kann ich mir nämlich nicht erklären, wieso sie es so lange bei Hans von Bülow ausgehalten hat, der bekanntermaßen auch körperliche Gewalt gegenüber seiner Ehefrau als eine Art "Hausrecht" betrachtete.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Hallo miteinander,


    wie angekündigt wurden die Zitate Cosimas als Sachbeiträge wieder ins Forum gestellt, allerdings auf Vorschlag Theophilus' in einem neuen Thread, denn er befand, daß die Rolle Cosimas eine eigenständige Betrachtung verdient hätte.


    Des Weiteren erscheint ein eigener Thread auch deswegen sinnvoll, weil im ursprünglichen Wagner-Thread die Diskussion vorangeschritten ist und ein Wiedereinfügen alter Beiträge wie ein "Fremdkörper" wirken könnte.


    Falls jemand eine prägnantere Überschrift haben sollte: Her damit. ;)


    Viele Grüße


    Norbert als Moderator

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler