Kent Nagano in Hamburg, Die Trojaner (Berlioz), B-Premiere, 23. 09. 2015

  • Der Einstand mit dem Philharmonischen Staatsorchester gelang grandios, auch der Chor sang überzeugend. Die (sehr zurückgenommene, fast oratorienhafte) Inszenierung stammt von Michael Thalheimer, das reduzierte Bühnenbild (beidseits Holzwände, im Hintergrund eine weitere, hoch aufgehängte und um die Achse drehbare breite, hohe Holzwand, aus der bei szenischem Bedarf Blut sprudeln konnte) schuf Olaf Altmann. Die sängerische Leistung der Hauptpartien konnte da nicht ganz mithalten. Catherine Naglestad, von Thalheimer mit ihrer Rolle als hellseherische Kassandra weitgehend auf der leeren Bühne allein gelassen, vermochte mit ihrer kaum raumfüllenden, wenig im Ohr haftenden und in den tiefer gelegenen Passagen eher farblosen Stimme meiner Ansicht nach nicht, die psychischen Alterationen dieser führ wahnsinnig gehaltenen Frau ausreichend wiederzugeben. Torsten Kerl (Äneas) wurde als gesundheitlich angeschlagen angesagt, so dass sich seine sängerische Leistung der Bewertung entzieht. Für die Rolle der Dido war die gertenschlanke Elena Zhidkova engagiert, die über eine schöne, auch tragfähige, aber wenig farbenreiche Mezzostimme verfügte. Der Stimmklang war in allen Lagen ähnlich, manchmal mit einem kaum wahrnehmbaren, aber dennoch vorhandenen, beigemischten Klirrton, vor allem in den dramatischen Passagen. Mehr als Didos zog der Gesang ihrer Schwester Anna (Katja Pieweck) das Ohr an. Ich vermute, sie wäre eine ideale Dido, nicht nur vom gestalterisch einsetzbaren Farbreichtum ihrer Stimme und ihrer zusätzlichen Höhenpräsenz her, sondern sie würde von der Person her auch besser zu dem robusten Äneas passen. Es gab darüber hinaus einige kleinere, gut besetzte Rollen. Dazu gehörten Christina Gansch als Äneas‘ Sohn Askanius, Julian Prégardien, der mit schönstimmigem Tenor das Lied des Matrosen Hylas sang und ein Bass, der aufhorchen ließ (Petri Lindroos). Der Beifall war freundlich, Katja Pieweck und Elena Zhidkova erhielten einzelne Bravos.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Lieber Ralf
    vielen Dank für deinen Bericht. Ich habe bislang die Trojaner nur im Radio gehrt, da der Videostream auf Arte noch nicht funktioniert. Der Kritiker vom DLR Berlin fand die Inszenierung langweilig und handwerklich schlecht gemacht, der Chor hätte sehr viele ungenaue Einsätze gehabt und das Dirigat von Nagano wäre auch nicht grade packend gewesen. Die Kürzungen haben mich jetzt nicht gestört , aber ich frage mich immer warum eine Oper so stark gekürzt werden muss. Eine Stunde mehr von der herrlichen Musik wäre auch nicht schlimm gewesen. Ist der Schlussapplaus in Hamburg immer so kurz ? Bei der Premiere dauerte er knapp für Minuten. Bei der Premiere war Thorsten Kerl , den ich oft in Gelsenkirchen gehört habe, auch schon gesundheitlich angeschlagen. Der Sänger des Matrosen hat mir auch sehr gut gefallen.

  • Lieber Ralf,


    danke für deine Schilderung. Wahrscheinlich hätte mich diese Inszenierung enttäuscht. Eigentlich handelt es sich bei den Trojanern ja um zwei Teile, die für zwei Abende gedacht sind und zwei völlig voneinander unabhängige Handlungen haben, im ersten Teil der Untergang Trojas (3-aktig), im zweiten Äneas in Karthago (5-aktig), die je für sich über zwei Stunden lang sind. Leider werden diese Opern sehr selten gespielt und dann meist - leider nach entsprechenden Kürzungen - in einer zusammengefasst. Ich kenne die Trojaner schon seit Jahren von der CD mit Jon Vickers, Josephine Veasey, Berit Lindholm usw.
    Später habe ich Ausschnitte aus der modernen Inszenierung aus Valecia von 2010 gesehen, die mir nicht gefielen. Inzwischen habe ich mir die DVD mit einer Inszenierung aus der Met mir Placido Domingo, Jessynorman, Tatyana Troyanos usw. gekauft, von der ich vollauf begeistert bin.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard,
    an der Rheinoper wurden die Trojaner an einem Abend in Duisburg und in Düsseldorf gespielt. Der erste Teil wurde in Duisburg aufgeführt fing um 17 Uhr an und dauerte 90 Minuten und dann wurden wir mit einem Schuttlebus nach Düsseldorf gefahren und der zweite Teil ging von 19.30 Uhr bis 22.45 Uhr mit einer Pause.

  • Lieber Rodolfo, lieber Gerhard
    Wahrscheinlich ist diese Oper sängerisch so anspruchsvoll, dass nur eine Besetzung wie mit Domingo, Norman und Troyanos (die wie Domingo früher häufig in Hamburg gesungen hat) überzeugen kann. Per Zufall hörten mein Frau und ich am Nachmittag vor der Aufführung im Radio eine wunderbare Sängerin, bei der wir rieten, wer das sein konnte. So raumfüllend und farbenreich singend, das konnte nur, wir kamen beide gleichzeitig darauf, Jessye Norman sein. Sie war es auch (selbst habe ich sie nie gehört, obwohl sie auch in Hamburg mehrfach auftrat, allerdings zu unverschämten Preisen, die ich mir damals noch nicht leisten wollte). Mit Jessye Norman im Ohr tat ich abends dann möglicherweise Frau Naglestad Unrecht in der Beurteilung.


    Zur Länge des Stücks und zur Kürze des Beifalls: Das Stück war recht lang, es begann um 19 Uhr und endete erst kurz vor 23 Uhr. Da war das Publikum eher schon erschöpft, und emotionierend wie die Götterdämmerung sind die Trojaner nun ja auch nicht. Zumindest das Thema der verlassenen Frau, deren Liebe in Hass umschlägt (obwohl er ihr aus einer Not heraushalf und sie von vornherein wusste, dass er nicht ewig bleiben würde) ist schon etwas ermüdend. Ich persönlich fand die Dauer des Beifalls eher angemessen, es liegt am Stück und an der Zeit.


    Zur Inszenierung: Was daran handwerklich schlecht gewesen sein soll, entzog sich meinem Blick, es gab nur die beiden Seitenwände und die hintere Drehwand sowie das herabfließende Blut. Vielleicht hatte Didos Halsstich (bei dem ordentlich das Blut spritzte) bei der Premiere nicht ordentlich funktioniert. Langweilig war das Ganze wohl nur für einen Kritiker, dem die Augen wichtiger als die Ohren sind. Die orchestrale Basis und der Chor waren schon sehr eindrucksvoll, schon dadurch wurde die Spannung gehalten. Eigentlich wäre es gut, wenn Opern nicht für Profikritiker inszeniert würden, da diese sehr an einer quer im Magen liegenden Inszenierungsidee hängen. Das Gesangliche geht bei den Profikritikern meist unter, die Nebenrollen werden zumeist gar nicht gewürdigt. Die Inszenierung ist insgesamt sehr zurückhaltend (aber für mich auch überzeugend), für Jessye Norman wäre sie gerade die richtige gewesen.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv