Würzburg, Mainfrankentheater, "Der Vampyr", Marschner, 22.04.2008

  • Heinrich-August Marschner gehört zu jenen Komponisten, die heute nicht mehr allzu oft aufgeführt werden. Dabei ist gerade Marschner ein wichtiges Bindeglied zwischen Weber und Wagner, nicht nur von den Stoffen her, sondern auch musikalisch entdeckt man Ähnlichkeiten zum frühen Wagner der „Feen“ und des „fliegenden Holländers“.


    Der „Vampyr“ erzählt die Geschichte des Lord Ruthwen, der, damit er nochmals drei Jahre auf der Erde bleiben darf, der Hölle innerhalb eines Tages drei Bräute zum Opfer bringen muss. Schon beim ersten Versuch klappt nicht alles, wie geplant: das Opfer wird zwar gebissen, aber der Vampyr auch durch den Brautvater tödlich verwundet. Rettung naht durch Edgar Aubry, der den verwundeten Vampyr findet und diesen auf dessen Wunsch hin ins belebende Mondlich schleppt. Aubry muss schwören, über diese Geschichte stillschweigen zu bewahren.


    Das zweite Opfer ist ausgerechnet die Geliebte von Aubry, Malwina – und deren Vater, Schlossbesitzer Sir Humphrey, will seine Tochter mit dem Earl of Marsden verloben, welcher kein anderer als Lord Ruthwen selbst ist. Aubry erkennt den Lord, wird aber an seinen Schwur erinnert und – schweigt.


    Zwischendrin erledigt der Vampyr das Bauernmädchen Emmy und kehrt zwecks Verlobung ins Schloss zu Malwina zurück. Aubry gelingt es, die Vermählung über den gesetzten Zeitrahmen hinaus zu verzögern, der Vampyr hat sein Ziel nicht erreicht und muss in die Hölle einfahren.


    Die Musik ist abwechslungsreich, es finden sich melodramatische Passagen, Rezitative, die in ariose Momente übergehen, die grosse Arie genauso, wie balladenhafte Stücke.


    Besonders reich ist die Partie des Lord Ruthwen bedacht worden, eine dankbare Rolle für einen Bariton.


    Richard Wagner hat für eine Aufführung des „Vampyr“ in Würzburg im Jahr 1833 für seinen Bruder Albert, der den Aubry sang, die Tenor-Arie: „Wie ein schöner Frühlingsmorgen“ um einen abschliessenden Allegro-Teil verlängert und in dieser Version kann man das Werk auch in diesem Jahr in Würzburg hören.


    Der Tenor Matthias Schulz bemüht sich redlich um eine angemessene, sängerische Ausgestaltung seiner Partie, die sympathische Stimme tut sich allerdings vor allem mit der Höhenexpansion und den Verzierungen etwas schwer, da fehlt es an der nötigen Lockerheit.


    Die Bühne in Würzburg zeigt keine konkreten Räume, sie bleibt bei Andeutungen. Die Vampyrhöhle ist nicht besonders aufregend gestaltet, mehr eine Tür zu einer rotglühenden Hölle, der Vampyrmeister wird mit Kothurnen übermenschlich vergrössert und der Chor gibt recht beliebige, dunkle Höllengeister.


    Lord Ruthwen sieht aus wie eine Figur aus einem B-Movie, mit Plastilin-Runzelhaut auf der rechten Wange, blutroten Lippen und kalkweissem Gesicht. Bariton Stefan Stoll reisst immer wieder dämonisch die Augen auf, das ist lächerlich am Rande der Karikatur. Sein Gesangsstil ist altmodisch, Konsonanten werden herausgeknallt und manches Wort künstlich pathetisch aufgeblasen. Das alles hätte der Bariton nicht nötig, eine diszipliniertere Vortragsweise brächte seine Qualitäten deutlich besser zum tragen, als diese Outriertheiten.


    Die Handlung wird von Regisseur Stephan Suschke am Stück entlang erzählt, oftmals mit Tableaus, bei denen sich keiner mehr bewegt, es wird viel gestanden in dieser Inszenierung und lauch hin-und-wieder nicht sehr zwingend agiert.


    Das kommt offensichtlich der schauspielerisch nicht glänzenden Sopranistin Anja Eichhorn entgegen, die sich wirklich darauf beschränkt auf der Bühne anwesend zu sein und ihre Partie gesanglich ansprechend zu exekutieren.


    Im zweiten Teil gibt es dann noch eine angedeutete Vergewaltigung bei einem Fest und am Ende eine kleine Wendung bei der Vermählung Malwinas mit Ruthwen: ein grosses Neonkreuz senkt sich vom Schnürboden herab, zuerst erschrickt Ruthwen, dann lacht er, packt ordentlich Knoblauch aus und beisst herzhaft hinein: gegen den Vampyr ist kein Kraut gewachsen. Das Neonkreuz färbt sich rot und Ruthwen verschwindet in der Hölle. Aber anstatt das Malwina jetzt ihren Edgar nimmt, entledigt sie sich des Brautschleiers und blickt sehnsüchtig ihrem Vampyr nach – klar, der wäre ein interessanter Liebhaber gewesen, kein Vergleich zu dem langweiligen Edgar Aubry.


    Als Gast aus Freiburg sang Sigrun Schell von der Seite sehr engagiert die Emmy, während die Rolle von der Regieassistentin gespielt wurde.


    Sollte diese Vorstellung für den Würzburger Chor typisch gewesen sein, hat der Chordirektor Markus Popp ein reichhaltiges Betätigungsfeld: unsicher und intonatorisch ungenau stellte sich der Chor vor, was zu deutlich mehr Probenarbeit Anlass bieten sollte.


    Das Orchester agierte unauffällig, Dirigent Jin Wang beschränkte sich auf routinierte Taktstockarbeit, sehr spannend war das nicht.

  • Lieber Alviano,



    herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Bericht, auf den ich schon mit Spannung gewartet habe.


    Leider liest er sich so, als sei hier eine Chance vergeben worden. Schade, denn diese schöne Oper wäre es m.E. wert, wieder häufiger aufgeführt zu werden.


    LG, Elisabeth

  • Auch von mir herzlichen Dank für die Erfüllung dieser undankbaren Aufgabe, lieber Alviano.


    Die Oper scheint wirklich unter einem Unstern zu stehen, den sie wahrlich nicht verdient. Immerhin spricht es für sie, dass man es immr wieder damit versucht.


    Wer übrigens mehr über diese Oper und ihre Enspielungen erfahren möchte, möge mal hier nachlesen: Der Lösungsthread zu "Grisetten, Treulose, Kurtisanen - Das erste luderliche Rätsel"


    Auch zu Marschner allgemein gibt es einen interessanten Thread, der diesen Bericht recht sinnvoll ergänzen kann: Marschner


    Vielleicht hilft das ja, einmal die Grundlage für eine werkgerechte Inszenierung zu schaffen, womit nicht unbedingt eine schlicht-wörtliche Bebilderung des zwar hochinteressanten, nicht aber zwangsläufig hochliterarischen Librettos gemeint ist.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Keine Frage, es ist absolut begrüssenswert, wenn ein Werk wie der "Vampyr" überhaupt aufgeführt wird. Das Mainfrankentheater hat in den letzten Jahren auch Wagners "Feen" und Pfizners "Herz" gezeigt, da darf man gespannt sein, was denn im nächsten Jahr folgt.


    Der Regisseur Stephan Suschke hat in einem Interview, das im Programmheft abgedruckt ist, mehrere Deutungsebenen für eine szenische Umsetzung dieser Marschner-Oper angesprochen, die allesamt interessant sind. Er scheitert letztendlich daran, dass er sich für keine wirklich entscheiden mag. Mir ist eine Inszenierung lieber, die etwas wagt (die vielleicht auch nicht hundertprozentig gelingt), als eine, die sich nicht traut.


    Ja, der Text... Rideamus hat recht: freundlich könnte man das als "Zeitgeschmack" deklarieren. Aber: er hat auch intererssantes zu bieten, beispielsweise die grosse Szene des Lord Ruthwen: "Meinst du? Ha, versuch es nur". Dem steht z. B. die Romanze der Emmy entgegen mit dem Reim: "denn still und heimlich sag ichs dir: der bleiche Mann ist ein Vampyr" (dramaturgisch allerdings ein Vorläufer der Senta-Ballade aus Wagners "Holländer") oder der wirklich schlechte Text des Chores: "Blumen und Blüten im Zephyrgekose".

  • Besten Dank Alviano für die Schilderung Deiner Eindrücke. Ich möchte nun auch gern ein paar Worte von meiner Seite beisteuern, dabei will ich aber nicht verschweigen, dass ich gewissermaßen etwas befangen bin, da ich - in geringem Umfang - an der Produktion beteiligt war. Meine Eindrücke beziehen sich auf die Premiere am 29.03.


    Zu den Sängern:
    Was Stefan Stoll als Ruthven angeht, so stimme ich Alviano in Teilen zu. In den Gesangspassagen ist die Mimik zum Teil übermäßig theatralisch - nah an der Karikatur, wie Alviano es beschreibt. Als gezielter Effekt hätte es vermutlich eine gewisse Wirkung entfalten können, aber leider wurde es eher zu einem störenden Running-Gag. Dessen ungeachtet hat Stoll jedoch meiner Meinung nach eine gute Bühnenpräsenz, die man für die Figur des Ruthven auch braucht. Der von Alviano angeführte "altmodische Gesangsstil" ist mir in dieser Deutlichkeit nicht in Erinnerung. Stimmlich war er auf jeden Fall sehr robust und zeigte keine (kaum) Ermüdungserscheinungen, obwohl er in den Tagen zuvor noch als Scarpia in der "Tosca" einspringen musste (sehr gute Vorstellung übrigens!).


    Kommen wir zur Rolle des Aubry: In der Premiere wurde er von Edward Randall gesungen, Matthias Schulz habe ich aber in der Hauptprobe gehört. Beide Interpreten unterscheiden sich meiner Ansicht nach sowohl vom Timbre als auch vom interpretatorischen Ansatz erheblich. Während Randall ein helleres Timbre hat und der Rolle an einigen Stellen auch Comic-hafte Elemente gibt, wartet Schulz mit dunklerem Material und einer ernsteren, introvertierteren Gestaltung der Partie auf. Obwohl mir der Ansatz von Schulz generell etwas mehr zusagte, hat Randall die Premiere (bis auf einen kleinen Textpatzer am Ende) gut auf die Bühne gebracht, vor allem seine große Arie.
    Alvanios Einschätzung von Schulz kann ich im wesentlichen teilen. Ich finde seine Stimme auch recht sympathisch. Die Verzierungen waren tatsächlich eine Herausforderung, aber in dem von Wagner hinzugefügten Allegro-Teil der Aubry-Arie auch zugegebenermaßen recht undankbar.


    Kommen wir zu den Frauen:
    Anja Eichhorn als Malwina war schauspielerisch vielleicht nicht überragend, aber dafür gesanglich sehr souverän. Vielleicht war sie mit ihrem kräftigen jugendlich-dramatischen Sopran etwas zu schwer für die Rolle besetzt (ihre Tosca war hervorragend), aber technisch einwandfrei. Eine Stimme jedenfalls, die den Raum füllt.


    Im Gegensatz zur Aufführung, in der Alviano war, sang bei der Premiere Anja Kaesmacher die Partie der Emmy. Da gab es meiner Ansicht nach wenig auszusetzen. Schauspielerisch sehr überzeugend, gesanglich auch schön, vielleicht einen Tick zu viel Vibrato. Prima!


    Sabine Vinke machte ihre Sache als Janthe auch gut, ebenso wie Johan F. Kirsten als Davenaut und Uwe Schenker-Primus als Berkley.


    Noch ein paar Worte zur Inszenierung:


    Ich stimme Alviano soweit zu, dass es phasenweise etwas zu statisch angelegt war.


    Die Vampyrhöhle mochte relativ simpel wirken, ich fand sie aber im Zusammenspiel mit rotem Licht und Nebel durchaus ansprechend und wirkungsvoll, zumal sie im Bühnenbild der Drehbühne eine zusätzliche Bedeutung bekam : Der hintere Eingang im Schlosse Davenaut ist gleichzeitig der Eingang zur Vampyrhöhle und unterstützte damit das Regiekonzept, das u.a. darauf aufbaute, den Vampir als eine von der Gesellschaft kreierte Gestalt aufzufassen. Der Hinterhof der menschlichen Moral führt geradewegs in die Vampyrhöhle! Ich fand diesen Denkansatz ziemlich gelungen.


    Auch einige andere Ideen fanden meine Zustimmung: Es ist beispielsweise nur logisch - obwohl es nicht im Libretto steht -, dass die vom Vampir gebissenen Janthe und Emmy ebenfalls zum Vampir werden und wieder "auferstehen" - sie tauchen dann am Ende als Brautjungfern bei Malwinas geplanter Hochzeit wieder auf.


    Sehr ergreifend war für mich auch der Moment, in dem John Perth neben seiner toten Tochter Emmy kniet und die Bühne sich dreht, um eine andächtig betende Malwina und viel Raumtiefe zu enthüllen. Die Musik (die glaub ich Pfitzner eingebaut hat) greift dabei das Motiv aus Emmys Ballade ("Bewahr uns Gott auf Erden ...") wieder auf und weist damit auf das von Emmy besungene Schicksal hin, welches sie nun selbst ereilt hat. Leitmotiv at its best!


    Was ich allerdings sehr schade fand: das Duett Emmy/Ruthven ("Leise dort zur fernen Laube ...") wurde gekürzt. Für mich eine der besten Nummern aus der Oper.


    Das Streichen des Duetts Aubry/Malwina am Ende ("Halt ein, ich kann es nicht ertragen ...") kam dagegen der dramaturgischen Stringenz zugute, zumal es auch musikalisch eher zu den schwächeren Nummern der Oper gehört.


    Soviel erst mal von meiner Seite ...

  • Zitat

    Original von Diabolus in Opera
    Die Vampyrhöhle mochte relativ simpel wirken, ich fand sie aber im Zusammenspiel mit rotem Licht und Nebel durchaus ansprechend und wirkungsvoll, zumal sie im Bühnenbild der Drehbühne eine zusätzliche Bedeutung bekam : Der hintere Eingang im Schlosse Davenaut ist gleichzeitig der Eingang zur Vampyrhöhle und unterstützte damit das Regiekonzept, das u.a. darauf aufbaute, den Vampir als eine von der Gesellschaft kreierte Gestalt aufzufassen. Der Hinterhof der menschlichen Moral führt geradewegs in die Vampyrhöhle! Ich fand diesen Denkansatz ziemlich gelungen.


    Das ist genauso ein Moment, das sich im Programmheft besser liest, als es dann szenisch aussieht.


    Ich lasse mal die Deutungsebene, die hier beschrieben wird, weg: dann bleibt da eine Dekoration, die aus Praktikabilitätsgründen (um schnelle Verwandlungen zu ermöglichen) auf einer Drehbühne montiert ist. Logisch, dass das, was zuerst vorne war, dann im kommenden Bild hinten ist, sonst nichts.


    Der Regisseur müsste jetzt, um diese Hintereingangsidee zu transportieren, das ganze in seine szenische Realisation einbauen, nichts dergleichen geschieht, die Inszenierung bleibt (in nicht sonderlich attraktiven Räumen) völlig unverbindlich. Es ist bezeichnend das Suschke genau dieser Beliebigkeit im Programmheft das Wort redet, wenn er sich dagegen ausspricht, das Stück in einer bestimmten Zeit spielen und konkret werden zu lassen. Seine Inszenierung würde dadurch nicht verlieren, sie würde gewinnen, wenn er das, was er zur Vampyrfigur theoretisch anmerkt, auch in seiner Inszenierung zeigen würde.


    Kurze Anmerkung : Schade, das Würzburg in der kommenden Saison keine "Ausgrabung" bietet, dafür aber für ein kleines Haus ganz grosse Oper zeigt: "Turandot", "Hänsel", "Cosi", Tannhäuser" und "Zauberflöte", ergänzt von einer UA "Wunderhorn" und dem "Vetter aus Dingsda".