ZitatAlles anzeigenOriginal von Thomas Pape
Lieber Barbirolli,
von den von Dir genannten Aspekten greife ich den Jazz auf. Bis zum Abschluß der Olympischen Spiele hat es hier kaum Restriktionen gegeben. Das Jazz keine originär weiße Erfindung ist und schon gar keine europäische dürfte unstreitig sein. Nehmen wir also die Swing Orchester heraus (auf britischer Seite etwa Bert Ambrose oder Lew Stone), dann hätte ich auf deutscher Seite zu vermelden Ensembles wie Will Glahé, Jan Omer (ein Belgier), Kurt Widmann, James Kok (zugegeben, der musste das Orchester, weil poltisch missliebig, 1934 abgeben) Bernard Etté, "Die goldene 7" , Ernst Bauschke und noch einige mehr. Bei Harry van Dyck und Meg Tevelian bin ich mir nicht sicher, ob die erst nach dem Krieg an den Start gingen, ich notiere die Namen hier alle aus dem Gedächtnis und bitte dafür um Nachsicht. Europäischen Jazz mit amerikanischem zu vergleichen, nun, da wären wir bei den berühmten Äpfeln und den Birnen. Aber wir haben hier ja auch ein Jazz-Forum. Da lasse ich mich gerne eine Besseren belehren.
Liebe Grüße vom Thomas
Lieber Thomas und alle anderen, die es interessiert.
Um den Egk-Thread nicht zu belasten an dieser Stelle meine Gedanken zum Jazz im Dritten Reich. Ich möchte meinen Halbsatz im erwähnten Thread gerne relativieren, denn die dortige Diskussion hat mich dazu gebracht, mal wieder die Ergebnisse der Darmstädter Jazz-Forschung zu studieren. Unter dem dem Titel "Artfremde Kunst und Musik unerwünscht - Jazz im Dritten Reich" hat Horst H. Lange dort einen kenntnisreichen Aufsatz verfasst, den ich mir nach langer Zeit wieder einmal zu Gemüte geführt habe. Wozu einen Tamino doch bringen kann! Zitate aus dem Artikel (That's Jazz - Der Sound des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 1988 ) bilde ich kursiv ab.
Vergegenwärtigen wir uns vorweg den Stand des Jazz im Mutterland dieser Musik in jener Zeit, erkennt man, dass er weit davon entfernt war, die Massen zu erreichen und in breite Schichten vorzudringen. Vergessen wir nicht, dass in Amerika tiefgreifender Rassismus und ethnische Trennung vorherrschten und um 1930 der Jazz auch jenseits des Atlantiks rassistischen Vorurteilen ausgesetzt war. Nicht unbedingt von oben angeordnet, aber inmitten der Gesellschaft tief verwurzelt. Schwarze Musiker arbeiteten unter unwürdigen Bedingungen oder wurden gar daran gehindert, ihre Musik auszuüben.
Nun nach Deutschland: Berlin war Ende der 20er-Jahre durchaus ein Zentrum des internationalen Jazz, angeblich nach New York und London möglicherweise das drittgrößte, da habe ich allerdings meine Zweifel. Die Weltwirtschaftskrise und die "damit verbundene sinkende Kaufkraft und Rückgang der Vergnügungsindustrie" setzten dem Jazz hierzulande bereits mächtig bei. Und auch vor 1933, zum Ende der Weimarer Zeit, gab es bereits offizielle "Ächtungen" und wohl auch ein Verbot der Ausstrahlung und Aufführung des Jazz in Thüringen. Die Nazis hingegen haben den Jazz zu keiner Zeit gesetzlich verboten. Das einzige Verbot, ohne allzu augenfällige Verbindlichkeit, erließ der "Reichssendeleiter" im Jahre 1935. Dazu ein Auszug aus dem "Völkischen Beobachter": "Der Niggerjazz ist von heute ab im deutschen Rundfunk endgültig ausgeschaltet." (... es folgt eine Aufführung, welche Gremien und Personen in Zukunft zu entscheiden haben, was gespielt werden darf...) "Alle Sender des deutschen Rundfunks bringen heute zu noch unbestimmter Zeit innerhalb eines Unterhaltungskonzerts eine Jazzparodie, der Art, wie sie in Deutschland zukünftig nicht mehr geduldet werden. Eine gleich darauf folgende, der deutschen Tanzmusik entsprechende Instrumentierung der gleichen Melodie soll die Unterschiede klar machen, die zwischen Niggersang und deutschem Tanzlied bestehen."
Angesichts solcher Zitate meine Frage im oben erwähnten Thread: Wie soll in solch einer Atmosphäre Kunst entstehen, sich der kreative Geist entfalten, wenn von kleinbürgerlichem, angstvollem, rassistisch verseuchtem Gedankengut so etwas verordnet wird? Zu meiner Überraschung: Es ging! Nehmen wir die Verbreitung von Schallplatten: Deutsche Plattenfirmen waren vertraglich international gebunden, dass "selbst die Nazis aus devisenrechtlichen Gründen nichts gegen die Einfuhr amerikanischer und englischer (auch Jazz-)Schallplatten unternehmen konnten" (...)
Und dann nahm der Jazz kurz nach der Machtergreifung auch noch jene Wende zum allseits gefälligen und unglaublich populären Swing, erstmals auch von weißen Musikern in Amerika entscheidend geprägt, dass er "nunmehr als kultivierter Überwinder des alten "wilden" Jazz der dekadenten 20er Jahre angesehen wurde." Um 1936 erlebte die "reinliche" Swing-Welle gar eine Blütezeit in Deutschland, man nehme beispielsweise Teddy Stauffer, "von den Nazis als schräge Musik bezeichnet, aber zunächst noch halbwegs toleriert, da man ja das internationale Flair Berlins erhalten wollte." Und hier revidiere ich meine Meinung gerne: Dass nämlich auch in Deutschland ganz hervorragende Musiker zugange waren, die sowohl instrumentalistisch, als auch vom Ausdruck hervorragende Leistungen gebracht haben.
Swing war - nahezu einmalig in der Jazz-Geschichte - nicht zuletzt auch ehrliche Tanzmusik. Laut Horst H. Lange stieß den Nazis vor allem das "undeutsche Niggergebaren" beim Ausüben des Tanzes, weniger die Musik selbst derart übel auf, dass es Ermahnungen der Reichsmusikkammer hagelte. Man konnte sich aber anscheinend dennoch einigermaßen durchlavieren, was nicht zuletzt an der Cleverness der Jazz-Ausübenden und der Bräsigkeit der Funktionäre lag, denen man "die Swingmusik oft als neuen deutschen Tanzstil aufschwatzen konnte."
Kriegsbeginn. Die Lage ändert sich entscheidend. Jazz - von den deutschen Machthabern immer wieder auch mit England in Verbindung gebracht - war jetzt endgültig die Musik des Feindes. "Feindsender" hören konnte man mit dem Leben bezahlen. Die in Deutschland tätigen Jazzorchester stellten ihre Arbeit ein, nicht zuletzt dadurch, dass ihre Mitglieder zur Wehrmacht einberufen wurden. Außerdem hatte sich im Ursprungsland des Jazz der Wind musikalisch entscheidend gedreht. Die jungen Wilden machten Furore: Charlie Parker, Thelonious Monk, die die Grundfesten der leichten Muse Swing erschütterten und das Tor zum modernen Jazz aufzustoßen begannen.
Der Krieg tobte an vielen Fronten, im Westen rückten Harry James, Glenn Miller & Co im Zuge der allierten Truppenbetreuung vor, Jazz wurde zum Soundtrack der Befreiung. Und auch in Deutschland selbst war es plötzlich wieder möglich, Jazz zu hören. Musiker wie Kurt Widmann, Michael Jary oder Helmut Zacharias hatten hörenswerte Ensembles, durchaus eigenständig musizierend im Vergleich zu ihren amerikanischen Vorbildern. Nicht zuletzt Goebbels veranlasste "nicht so hart gegen die Landserwünsche von schräger Musik vorzugehen, um in ernsten Zeiten eine Lebensfreude zu erhalten." Ein absurder Zynismus. Der brachte immerhin sogar wieder deutsche Rundfunk-Swing-Orchester auf den Plan. Selbst im Elend von Theresienstadt, wo auch Krasa noch wirken "durfte", tolerierte man die "Ghetto Swingers", deren berühmtestes Mitglied, Gitarrist Coco Schumann, noch bis vor nicht allzu langer Zeit beredtes Zeugnis jener Tage ablegen konnte. Der "totale Krieg", der Kampf ums nackte Überleben in nahezu jeder deutschen Großstadt, beendete dann das Jazzleben, wohl auch nahezu sämtliches andere kulturelle Leben.
Meine Lektüren, die ich hier nur in kurzen Schlagworten zusammenfassen kann, überraschten mich selbst, ob der Komplexität, wie der Jazz im Dritten Reich gegängelt wurde, sich Nischen gesucht hat, dann wieder gefördert wurde und sich immer seinen Weg bahnen konnte. Klar ist aber auch - und da wären wir noch einmal bei Werner Egk: Wirkliche Größe kann sich nur in Freiheit entfalten. Das Ranwanzen an die Herrschenden ging eigentlich immer einher mit der Aufgabe der eigenen künstlerischen Souveränität und Klasse. In der Grauzone, in der Subversivität und mit der Intelligenz, die kulturlosen Machthaber mit größter Intelligenz zu übertölpeln, sind durchaus große Leistungen machbar gewesen. Ich denke da z.B. an Schostakowitsch.
LG
B.