Haydn Streichquartett op.42 d-moll - ein Waisenkind

  • Liebe Forianer ,
    heute möchte ich ein paar Gedanken zu einem der unscheinbarsten Werke Haydns - nämlich dem Streichquartett op. 42 d-moll - einbringen.
    Auffallend ist ja zunächst schon , daß das Werk in keine der damals üblichen Sechsergruppen eingebunden ist ; dann seine extreme Kürze ; zuletzt sein schlichter und biederer Satz. Bezüglich der beiden letzteren Punkte steht es den 6 Quartetten op. 3 nahe , die ja jetzt wohl endgültig dem Romanus Hofstetter zugeschrieben werden können .
    Ich muß zugeben , daß sich dieses Quartett mir am wenigsten erschließt , d.h. auch mehrmaliges Hören inkl. Mitlesen der Partitur hinterläßt keinen bleibenden Eindruck - es wird im Gegensatz zu den anderen Haydnquartetten (selbst die ganz frühen mit eingeschlossen)bei mir nicht "abgespeichert".
    Es fehlen die sonst bei Haydn so reichlich vorkommenden Überraschungseffekte - es scheint keine Spur von Witz und Originalität darinzustecken.
    So stellt sich die Frage , wie letztlich ein derartiges Werk aus Haydns Feder kommen konnte - wo doch vorab bereits die geniale und zukunftsweisende op. 20-iger Gruppe und die originelle und witzige op. 33-iger Gruppe vorausging.
    Haydn reiht sich mit diesem Werk in die große Schar der Kleinmeister ein , die heute kaum mehr einer kennt und deren Werke immer wieder sporadisch auftauchen und verschwinden (z.B. Kozeluch, Fiala,Hoffmeister aber auch Michael Haydn oder Dittersdorf).
    Ist dieses Werk überhaupt von Haydn ?
    Eine andere Erklärung wäre , daß Haydn durch die Konfrontation mit den ihm gewidmeten sechs Mozartquartetten derart verwirrt und verunsichert war, daß eine Antwort auf diese Meisterwerke zunächst nicht möglich war.
    Seine Sprache findet Haydn erst wieder bei op. 50 - der alte Witz (siehe z.B. Froschquartett op. 50/6) ist wieder da.
    Es ist übrigens lohnend sich einmal (zumindest stichprobenweise) Haydns und Mozarts Quartette in ihrer chronologischen Reihenfolge anzuhören - und man ist dann immer wieder erstaunt , wie Haydn die Anregungen seines jüngeren Freundes übernimmt und auf seine Weise zu neuen Höhen führt.
    Nun würde mich eure Meinung zu dem Solitär-Quartett op. 42 brennend interessieren.
    Viele Grüße
    Santoliquido

    M.B.

  • Hallo,


    das ist ja ein schöner "Neubeginn" - ja, machen wir mit den Haydn-Quartetten weiter:


    Zitat

    Original von santoliquido
    Ist dieses Werk überhaupt von Haydn ?


    Es gibt ein Autograph in Haydns Handschrift, welches (zudem) jede Menge Korrekturen aufweist. Die Authentizität ist also gesichert.


    Zitat

    So stellt sich die Frage , wie letztlich ein derartiges Werk aus Haydns Feder kommen konnte - wo doch vorab bereits die geniale und zukunftsweisende op. 20-iger Gruppe und die originelle und witzige op. 33-iger Gruppe vorausging.


    Deine Spekulationen um Mozart und "seine" Zeitgenossen herum sind vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen. László Somfai (ARCANA-Booklet) meint, daß es sich bei op. 42 um einen übergebliebenen "Rest" einer von Haydn für einen spanischen Auftrag vorbereiteten Serie von Quartetten handelt, die ganz bewußt ganz klein, und nur mit drei Stück (meint: dreisätzig) verfertigt wurden, von denen bereits die helffte fertig ist (Brief Haydns vom 5. April 1785). Daß das Quartett nunmehr viersätzlig überliefert ist, mag ggfs. daran liegen, daß Haydn den Auftrag nicht fertigstellte und das Quartett vervollständigte, um es bei Artaria drucken zu lassen.


    Georg Feder (Hayns Streichqartette, Ein musikalischer Werkführer, Beck'sche Reihe) ist der Meinung, daß die Quartettserie (bis auf. op. 42) verlorengegangen ist, teilt aber ansonsten meine Ansichten.


    Ich besitze das Werk in zwei Einspielungen:



    Quatuor festetics



    The Lindsays, live


    In der Tat ist das kleine Werk in die Nähe von z.B. Boccherinis Miniaturen op. 33 aus dem Jahr 1781 zu rücken. Vielleicht waren eher diese Vorbild als Mozart?


    Viele Grüße


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Genau. Die Dimensionen erklären sich also aus den Bedingungen des Auftrags. Ich halte sowohl für möglich, daß Haydn (vermutlich) das Menuett nachkomponiert hat als auch daß zwei Schwesterwerke verloren gingen.


    Zitat


    In der Tat ist das kleine Werk in die Nähe von z.B. Boccherinis Miniaturen op. 33 aus dem Jahr 1781 zu rücken. Vielleicht waren eher diese Vorbild als Mozart?


    Das Quartett gehörte zu den Haydn-Quartetten, die ich mit als erstes kennenlernte, nämlich auf einer Live-CD der Lindsays (in anderer Verpackung als oben gezeigt). Dort stand es natürlich deutlich im Schatten der "großen" op.64,5 und 76,5, aber es erschien mir nie als etwas, was völlig aus dem Haydnschen Rahmen gefallen wäre. Ich habe es eben nochmal gehört. Zwar direkt kein Werk Boccherinis oder Dittersdorfs im Vergleich, aber ich teile weder das geringschätzige Urteil von Santoliquido noch die Ansicht, daß es ein "unhaydnsches" Stück sei. Es ist allerdings richtig, daß man nicht von einem "Fortschritt" gegenüber op.33 reden kann.
    Finscher meint im Reclamführer tatsächlich, man könnte evtl. eine Reaktion auf Mozarts 6 Quartette darin sehen, wg. dem fugierten Finale (vgl. KV 387). Finde ich einigermaßen bizarr. ;)


    Es mag sein, daß man bei Boccherini ähnliches findet (auch den etwas melancholische Charakter), ich habe seine Werke glatter, galanter und oft auch konzertanter in Erinnerung. Die von Dittersdorf, die ich gehört habe, sind ganz anders, virtuos, pittoresk, aber ziemlich flach. Die Kürze, Schlichtheit und Konzentration ist m.E. ein gar nicht seltener Zug von Haydns Musik; es ist sozusagen keine Note zuviel, Beschränkung auf das Wesentliche. Gewiß ist der Anspruch und Umfang für ein Quartett eher bescheiden (eine entsprechend zurückgenommene Klaviersonate fiele dagegen gar nicht auf), aber das läßt sich wiederum aus den Rahmenbedingungen der Entstehung erklären.
    Also zwar vielleicht kein Geheimtip oder ein Werk, das man keinesfalls verpassen sollte, aber auch keines, das Haydns nicht würdig wäre.


    Man vgl. noch bei Beethoven Werke wie die Klaviersonaten op.78 u. 79 oder die Eigenbearbeitung von op.14,1 oder dieses kurze Stückchen für Trio, das dem kleinen Mädchen (?) gewidmet wurde.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das Quartett gehörte zu den Haydn-Quartetten, die ich mit als erstes kennenlernte, nämlich auf einer Live-CD der Lindsays (in anderer Verpackung als oben gezeigt). Dort stand es natürlich deutlich im Schatten der "großen" op.64,5 und 76,5,


    ...weshalb mich wundert, daß die Box (zumindest neuerdings) 'popular string quartets' heißt. Ist op. 42 wahrhaft so bekannt?


    Zitat


    Es mag sein, daß man bei Boccherini ähnliches findet (auch den etwas melancholische Charakter), ich habe seine Werke glatter, galanter und oft auch konzertanter in Erinnerung.


    Glatter, galanter kommt selbstredend auf die Interpretation an ;) Das dürfte für Dich ja nichts Neues sein. Mein Bezug auf Boccherini ist so zu deuten, daß sich Haydn wohl an ihm orientierte (zumindest, was den Umfang der Werke bzw. des übiggebliebenen Werkes betrifft), da der Auftrag wohl vom Spanischen Hof, für den Boccherini nunmal maßgeblich tätig war, ausging. Daß Haydn hier natürlich nicht von seinem Roß steigt, liegt auf der Hand.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)