Flavius Bertaridus, König der Langobarden in Hamburg

  • Liebe Forumsmitglieder,


    ich bin neu hier und möchte mich bei Ihnen kurz vorstellen. Ich heiße Kerstin Reinhardt, komme ursprünglich aus Hamburg und wohne seit einigen Jahren im Ruhrgebiet. Meine Interessen liegen v.a. im Bereich Oper und Ballett, wobei ich mich mit der Hamburgischen Staatsoper und dem Hamburg Ballett seit 20 Jahren verbunden fühle und daher versuche jeden Hamburgbesuch mit einem Operabend zu verbinden.
    Mein letzter Besuch war am 23.10. die Premiere von Flavius Bertaridus, König der Langobarden. Ich bin eher zufällig dort rein geraten und war so begeistert, dass ich diese Empfehlung gerne an Sie weitergeben will. Es gibt noch Aufführungen am 12. 11 und 16.11. Diese Oper wurde zuletzt 1736 in Hamburg gespielt und es ist ein großes Glück, dass sie jetzt zum Jubiläum der Gänsemarktoper wieder ausgegraben wurde.
    Die Inszenierung von Jens Daniel Herzog unter der musikalischen Leitung von Alessandro de Marchi ist in jeder Hinsicht lohnenwert. Es ist eine spannende Geschichte mit wundervoller Musik, die von de Marchi genial umgesetzt wird. Das Orchester mit vielen alten Instrumenten wurde entsprechend bejubelt. Die Sänger waren durchweg gut besetzt. Allen voraus natürlich Maite Beaumont als Flavius, Besonders gut hat mir Ann Beth Solvang in der Rolle der Flavia gefallen, ihre wundervolle Stimme und auch ihr leidenschaftliches Spiel.
    Das Bühnenbild wurde von Mathis Neidhardt nach meiner Ansicht perfekt gestaltet. Durch verschiebbare Wände würden immer wieder neue Räume, z.T. mit großer Tiefe, z.T wie kleine Kammern hergestellt.
    Jens Daniel Herzog setzt den alten Stoff mit vielen Einfällen um und lässt auch Interpretationen zur heutigen politischen Situation zu.
    Für die Musiker und Sänger gab es viel Applaus und Standing Ovations. Beim Auftritt von Regisseur und Bühnenbildner kam es zu einigen Buhrufen, die ich in diesem Fall überhaupt nicht verstehen kann.
    Ein wunderbarer Opernabend, wärmstens zu empfehlen.
    viele Grüße Kerstin Reinhardt

  • Danke, liebe Kerstin, für diesen interessanten Beitrag und herzlich willkommen hier im Forum.


    Die Neuproduktion der Oper "Flavius Bertaridus, König der Langobarden" ist eine Koproduktion mit den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Als diese Oper im August in Innsbruck erstmals aufgeführt wurde - es ist immerhin Telemanns einzige erhaltene Opera Seria - gab es viele negative Kritiken, vor allem an dem Regiekonzept von Jens Daniel Herzog.


    Für die Übernahme nach Hamburg mußte er die Oper von über 5 Stunden auf knapp dreienhalb Stunden kürzen - ich weiß nicht, was er alles weggelassen hat. Die vielen da-capo-Arien vielleicht?


    In meinem Archiv befindet sich aus der Oper nur eine einzige Arie: "Lieto suono di trombe guerriere" - gesungen von Jochen Kowalski. Maite Beaumont kann das sicher besser!


    Immerhin eine interessante Ausgrabung zum Jubiläum "333 Jahre Hamburger Oper am Gänsemarkt", Deutschlands erster Bürgeroper.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo Kerstin,


    auch von mir ein Willkommen im Forum und Danke für den Bericht. - Die Karten für die Vorstellung am 16.11 hängen schon lange - nicht zufällig, sondern mit voller Absicht ;) - an meiner Pinnwand und Dein positiver Eindruck hat mich natürlich noch neugieriger gemacht. Der Dirigent de Marchi gilt ja als ausgesprochener Barockspezialist, was ich nach Glucks Iphigénie en Tauride ebenfalls hier in Hamburg nur bestätigen kann.


    @Harald:

    In meinem Archiv befindet sich aus der Oper nur eine einzige Arie: "Lieto suono di trombe guerriere" - gesungen von Jochen Kowalski. Maite Beaumont kann das sicher besser!

    Ich kenne leider die Aufnahme nicht, auf welche ich bei der Suche nach Vorbereitungsmaterial zum Flavius auch gestoßen bin, aber ein sooo schlechter ist Kowalski m.E. doch auch nicht!? Habe ihn hier in Hamburg in den '80ern und '90ern zweimal erlebt:


    Zum ersten mal in Mozarts La clemenza di Tito. Die Rolle weiss ich nicht mehr; es war mein erster selbständiger Opernbesuch und ich habe tatsächlich damals noch gedacht, dass die Frau aber schön singt :stumm: Was ich aber noch erinnere, war eine ebenso beachtliche Judith Beckmann und Hans Zender am Pult. Beide damals noch feste Größen an der Hamburgischen Staatsoper. Fr.Beckmann habe ich später persönlich kennengelernt, eine absolut sympathische Person voller Humor! - Das zweite mal konnte ich Jochen Kowalski dann als Daniel in einer der letzten Vorstellungen der legendären Belsazar-Inszenierung von Harry Kupfer erleben. Diesmal an der Seite von Harald Stamm, dem - neben Kurt Moll - zweiten "Hamburger Groß-Baßisten" :jubel:


    Tja, lang ist´s her ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Viel Vergnügen MSchenk am 16.11. Ich bin sicher, dass es ein Erlebnis wird.
    Danke an Harald Kral für den Hinweis, dass die Aufführung stark gekürzt werden musste. Davon war natürlich im Programm nichts zu lesen... Es gab allerdings auch einige Stimmen über Insbruck (FAZ) die großes Lob zollten.
    Ich weiß nicht was gekürzt wurde, ich fand die Geschichte in sich stimmig und das Regiekonzept wie gesagt sehr gut.
    Da Jens Daniel Herzog ja jetzt in Dortmund ist, freue ich mich sehr, weiteres von ihm zu sehen. Als nächstes dann also Wagner.
    LG.

  • ein sooo schlechter ist Kowalski m.E. doch auch nicht!?


    Ich wollte nichts gegen Kowalski gesagt haben, habe ihn selbst schon als Orlowsky gesehen, da war er nicht schlecht, aber diese Musik höre ich lieber von einer Frauenstimme! Echte Kastraten, für die Telemann das komponiert hat, gibt es ja nicht mehr.


    ******************


    Die Kritiken nach der Aufführung von "Flavius Bertaridus, König der Langobarden" im Sommer in Innsbruck habe ich auch verfolgt - der neue Dortmunder Chef scheint ein ziemlicher Regietheater-Freak zu sein - Freund Knuspi hätte sicher seine helle Freude daran.
    Ich zitiere hier mal aus einer Kritik im Deutschlandradio:

    Zitat

    Jens-Daniel Herzog .... sein Tyrann ist ebenso ein Dominique Strauss-Kahn im schummrigen Hotelzimmer, ein tumber Naziführer in brauner Uniform wie auch ein aalglatter russischer Oligarch, der sich alles nimmt: Öl, Geld, Frauen, Politiker. Zeitlos und topaktuell. Selbst der halbstündige innige Flirt des vom Pech verfolgten Offiziers Orontes mit der Königin gerät witzig und kurzweilig - inmitten von kotzenden Soldaten, abgewrackten Nutten und verschlafenen Kassierern im Eingangsbereich eines öffentlichen Klos.


    Um ehrlich zu sein: Dafür würde ich nicht nach Hamburg pilgern....


    :stumm:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Vom 12.11.2011


    Antonio Abete war an diesem Abend leider indisponiert und sang teilweise eher sprechenderweise die Rezitative, die Arien hingegen fielen aus.


    Maite Beaumont ( Flavius ), die in diesem Haus bereits in Alcina ( recht gute Leistung ) und La Cenerentola ( leider eher mäßig, da etliche Koleraturpassagen ausfielen ) gesungen hatte und deren Arien CD leider wenig persönliche Stimmfarbe erahnen ließ, wuchs an diesem Abend förmlich über sich hinaus ( nein sie war nicht plötzlich 2 Meter 10 groß ).
    Ihr Stimme hatte an Größe und Dynamik enorm dazugewonnen.
    Ein weiteres Highlight an diesem Abend war Ann-Beth Solvang ( Flavia ), die erst seit kurzem an diesem Hause singt, ihr Mezzo ist deutlich tiefer und wärmer als der von Maite Beaumont.
    Auch sie lieferte ein wahres Feuerwerk an Koleraturen und war auch auf gesanglicher Ebene voll in der Rolle drin.
    Erfreulich auch, daß der Countertenor David DQ Lee zurückkehrte und ebenfalls hervorragend sang.
    Alessandro De Marchi ( nicht der Bart dafür aber ist der Zopf ab ), den ich schon als Dirigenten von Händels Julius Caesar sehr zu schätzen gelernt hatte, führte das Orchester und das Ensemble zu Höchstleistungen.
    Ich habe selten einen Dirigenten mit solch einer Begeisterung dirigieren sehen ( zuletzt Mark Minkowski der nach seiner Wiener Alcina im letzten Jahr einen Kniefall vor seinem Orchester aufs Parkett legte ).
    In weiteren Rollen waren hier noch Tatiana Lisnic ( Rodelinda ), Katerina Tretyakova ( Cunibert ), Jürgen Sacher ( Orontes ) und Melissa Petit ( Regimbert ) zu erleben.
    Ein durch und durch homogenes Ensembles.
    Nach dieser Aufführung kann mit Sicherheit niemand mehr behaupten Barockopern wären langatmig.
    Falls das Werk jemals wieder ins Programm aufgenommen werden sollte, kann ich nur allen Barockmusikgeschädigten von NDR Kultur raten sich vor Ort eines besseren belehren zu lassen.