Tizian Pietà

  • Liebe Tamino-Kunstkenner, bevor ich mich auf die Suche mache, frage ich erstmal euch zwielichtige Audi- Waldis und Genossen:


    ich stand am Sonntag wieder einmal staunend vor Tizans letzem Wek der Pietà, aus der ich wohl mein Lebtag nciht schlau werde. Was ja nicht weiter schlimm,sondern sehr schön ist.
    Was ich aber doch gerne besser verstehen würde, sind die beiden Säulen mit den zähnefletschenden Löwen rechts und links auf denen "Moyse" und " Hellespontica" steht.
    Hat jemand eine Idee was diese beiden Aufschriften sagen wollen?


    F.Q.

  • Liebe Fairy,
    bin leider keine Kunsthistorikerin, aber ich dachte immer, die beiden Säulen ymbolisieren das Alte (Moses als Gesetzgeber) und Neue Testament. Mit Hellespontica kann ich aber leider auch nix anfangen..... ?(
    SChön, dass du wieder da bist! :]
    lg Severina :hello:

  • Die Inschriften "Moyses" und "Hellespontica" beziehen sich auf die beiden Statuen, die auf den beiden Löwenkapitellen "agieren": links Moses mit den Gesetzestafeln (auf den ja schon Severina richtig hingewiesen hat), rechts die sog. hellespontische Sibylle. Die Sibyllen waren ursprünglich antik-pagane Prophetinnen, deren Weissagungen seit den Anfängen der christlichen Religion auf Christus und seine Vita bezogen wurden. So haben sie auch Einzug in die christliche Bildtradition gehalten, am bekanntesten in der Sixtinischen Decke Michelangelos. Die hellespontische Sibylle ist im Gegensatz z.B. zur tiburtinischen aber nur selten dargestellt worden - warum Tizian sie hier augewählt hat, weiß ich auf Anhieb nicht.


    Moses und die Sibylle präfigurieren bzw. prophezeien Christus, deshalb sind sie als parallele Figuren dargestellt. Durch Christi Kreuzestod wird ja nach christlicher Auffassung das alte mosaische Gesetz außer Kraft gesetzt und durch die lex nova abgelöst - nach einer Formulierung von Paulus: die steinernen Tafeln (des Moses) weichen den fleischgewordenen Tafeln des Herzens (Christi). Dass die hellespontische Sibylle die Passion Christi weissagt, ist ja hinreichend dadurch deutlich gemacht, dass sie Kreuz und Dornenkrone trägt.


    Die Kombination des alttestamentlichen Moses und der antik-paganen Sibylle steht auch für die jüdischen und die antiken Wurzeln des Christentums (im übertragenen Sinne wohl auch: für die Wurzeln von Tizians Kunst). Beide sind gemäß ihrer präfigurierenden Funktion als Statuen dargestellt, also in einem anderen Realitätsmodus als die "gegenwärtigen" Trauernden rund um Christus - was spätestens seit dem 15. Jahrhundert ein beliebter Kniff ist, bei Tizian aber durch die extreme Lebendigkeit der Statuen konterkariert wird. Die Löwen, auf denen sie stehen, lassen sich vielfältig deuten, verweisen in Venedig aber immer auch auf den Markuslöwen.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Grand merci- ich wusste doch gleich, dass ihr besser seid als alle Bibliotheken.


    Das mit Moses hatten wir uns zwar schon gedacht,aber bei deiser Bildkonstellation stand ic hziemlcih im Finstern.
    Aber man kennt ja gottseidank studierte Fachmänner und -frauen :]
    Ist das Gemälde eigentlich nun ganz vollendet und die düsteren bzw Nichtfarben dann genau so gewollt? Ich steh immerwieder vollerStaunen vor diesem mir so sehr modern erscheinenden Bild.


    Liebe Sevi, eigentlich bin ich noch unterwegs- aber hatte heute mal einen Computer zur Hand. Von Dir vermisst zu werden,tut immer wieder gut :hello:


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ist das Gemälde eigentlich nun ganz vollendet und die düsteren bzw Nichtfarben dann genau so gewollt? Ich steh immerwieder vollerStaunen vor diesem mir so sehr modern erscheinenden Bild.


    Liebe Fairy,


    die Frage hat man gestellt, seitdem das Gemälde existiert - und oft mit "nein" beantwortet, so dass auch nach Tizians Tod Ergänzungen vorgenommen wurden. Allerdings ist heute unumstritten, dass gerade das non finito, die bewusst fragmentarische Gestaltung eines Werks, zu den zentralen und "modernsten" Merkmalen von Tizians Spätwerk gehört.


    Die spezielle Farbigkeit (bzw. Nichtfarbigkeit) kennzeichnet Tizians Spätstil ja generell: vgl. etwa in Venedig selbst die Marter des Hl. Laurentius in der Gesuiti-Kirche (Nähe Fondamente Nuove) oder sonst z.B. die Dornenkrönung in der Alten Pinakothek in München.



    Viele Grüße


    Bernd