Diese beiden Produktionen von Jean-Pierre Ponnelle sollte man eigentlich in Watte verpacken und unter Naturschutz stellen, so schön sind diese. Immer wieder erfreut sich das Auge an dem Bühnenbild und an den passenden Kostümen, dem Licht. So wird – besonders bei der Cavalleria – die karge Landschaft im Hintergrund in das Geschehen mit einbezogen, da diese auch damit zu tun hat, dass diese Menschen auf ihre Weise sehr hart geworden sind.
Und schön wären wir mitten drinnen im Geschehen um die sizilianische Bauernehre. Dieses Stück wird allgemein als das schwächere der „Verismo-Twins“ angesehen, was der Rezensent allerdings nicht so sieht und er sich von der Musik und auch vom Libretto immer wieder überwältigen lässt. So ist die Santuzza sicherlich eine der tragischsten Frauenschicksale der Opernliteratur – wahrscheinlich nicht sehr hübsch muss sie zuerst als „Trostpreis“ für Turridu herhalten, wird von ihm geschwängert, dann trotz Eheversprechen sitzen gelassen und von ihm gedemütigt. Sie ist eine Ausgestoßene der Dorfgemeinschaft, sogar Turridus Mutter verhält sich ihr gegenüber ziemlich reserviert (auch nachdem Lucia erfährt, was für ein Schwein ihr Sohn ist) und ihr zukünftiges Schicksal ist ja auch schon besiegelt. Diese Frau hat vom Leben nichts, absolut gar nichts mehr zu erwarten.
Insofern ist es immer interessant zu sehen, wie die Darstellerin dieser Rolle diese auffasst und dem Publikum diese Gefühlswelt rüberbringt. Immerhin ist Santuzza vom ersten Takt des Vorspiels bis zum Schluss ununterbrochen auf der Bühne. Dieses Mal wurde diese Rolle mit einem dramatischen Mezzosopran besetzt (eine Wohltat nach der Sängerin der letzten Serie) – und nicht mit irgendeinem, sondern mit einer der besten Sängerinnen der letzten Jahre in diesem Stimmfach, der unglaublichen Dolora Zajick. Es stimmt, sie ist kein „Spring-Chicken“ mehr, aber was diese Stimme an Substanz und Ausdrucksfähigkeit hat – alle Achtung! Dolora Z (wie sie immer unterschreibt) sang ihre männlichen Mitstreiter aber so was an die Wand – das habe ich noch selten gehört. In den Duetten und gemeinsamen Szenen verkamen diese einfach nur zu Statisten. Wer früher in den Genuss gekommen war, die Sängerin als Amneris oder Eboli zu erleben, der wird wohl wissen, wovon ich spreche. Für diese Stimme war die Staatsoper fast zu klein!
Äußerst erfreulich auch Roxana Constantinescu als Lola. Welchem Mann wäre es zu verdenken, auf DIESE Lola so ein Loblied zu singen? Wunderbar, attraktiv (auch in der sizilianischen Tracht zum österlichen Messbesuch, natürlich noch viel mehr zu Beginn der Oper) und mit sinnlicher Stimme ist es ihr wahrscheinlich ein Leichtes, ihren Ex-Freund wieder für sich zu gewinnen. Und höchstwahrscheinlich wird ihr Alfio später auch verzeihen. Constantinescu reiht sich in die Sängerinnen-Riege ein, die mit dieser kleinen Rolle schon auf vielversprechende Karrieren hingewiesen haben (wie zum Beispiel auch Elina Garanca, um eine Protagonistin der letzten 10 Jahre zu benennen). Auch Aura Twarowska als Mamma Lucia war ein Gewinn – dass sie augenscheinlich jünger als ihr Bühnensohn und ihre Leider-Nein-Schwiegertochter ist, was soll’s.. Sie rundete den wirklich hervorragenden Eindruck der Sängerinnen in dieser Produktion ab.
Klingt das alles zu enthusiastisch? Vielleicht, aber da bei den Männern für Enthusiasmus keine Verwendung ist, konnte ich deren Anteil den Damen zuschlagen. Die für mich größte Enttäuschung des gesamten Abends war Alberto Mastromarino, der stimmlich gar nicht auf der Höhe (bzw. Tiefe) war. Ich nehme zwar an, dass er nicht ganz gesund war (an und ab nestelte er an seinem Hals herum) – dann hätte er aber angesagt werden sollen. „Il cavallo scalpita“ – das klang doch mehr als das Loblied auf eine Schindmähre als auf seinen Beruf und sein Leben (und die ach so treue Lola). Mastromarino blieb an diesem Abend wirklich blass.
Bleibt noch José Cura, der Lieblings-Verismo-Tenor der einen Hälfte des Publikums, der Freistil singende Gott-Sei-Bei-Uns des anderen Teils des Publikums. Zum ersten Mal präsentierte er seine persönliche Interpretation des Turridu in Wien und konnte einen großen Erfolg für sich verbuchen. Es ist ganz klar – wenn man nicht unbedingt Wert darauf legt, dass sich ein Sänger an die Notenhöhe und Notenlänge hält und es liebt, wenn „Oh Lola“ in Höllentempo ohne viel Hingabe einmal so vor sich hergesungen wird und wenn sich ein Sänger durch das letzte Viertel der Oper selbstmitleidig durch die Partie schluchzt, ja dann muss man zwangsweise begeistert sein. Cura ist sehr bühnenpräsent und gibt darstellerisch alles, was er hat. Das ist wirklich bewundernswert. Eine eigene Interpretation des Endes der Oper bietet er auch an. Beim Duell mit Alfio lässt Turridu relativ unmotiviert sein Messer fallen, breitet die Arme aus wie Christus am Kreuz und läuft ins Messer. Das ist sehr interessant – rundet allerdings das Rollenporträt perfekt ab. Dieser Turridu ist ein präpotenter Tunichtgut, der wahrscheinlich auch Lola nur benutzt, weil ihm das andere „Spielzeug“ lästig geworden ist. Ein Typ, dem das Leben egal ist. Eine Läuterung ist da nicht zu verspüren. Ja, man kann diese Rolle auch so singen wie es José Cura getan hat – ich bevorzuge da eindeutig die Interpretation eines Jussi Björling, di Stefano oder auch eines Peter Seiffert, um auch den Turridu der letzen Serie zum Vergleich herzunehmen.
Beim Prolog zu den Pagliacci durfte dieses Mal wieder ein Bariton ran. Lado Ataneli räumte da gleich ein „Bravo“ ab und wurde heftig akklamiert. Auch sonst überzeugte er als gar nicht so verkrüppelter und unattraktiver Tonio/Taddeo und war so ein ein Garant dafür, dass auch der zweite Verismo-Zwilling zu einem großen Erfolg wurde. Ebenfalls sehr gut dieses Mal Tae Joong Yang in der Rolle des Silvio – er überzeugte mich da viel mehr als bei seinem Rossini-Figaro. Herwig Pecoraro war ein routinierter und stimmsicherer Beppo, Wataru Sano als erster Bauer und besonders Wolfram Igor Derntl als zweiter Bauer sangen ihre Parts zufrieden stellend.
Neu an der Staatsoper ist Nicoleta Ardelean. Die Rumänin, die vor sechs Jahren in Toulouse erstmals die Nedda gesungen hat, kann in den letzten Jahren auf eine ziemlich erfolgreiche internationale Karriere zurückblicken. Ihre gesangliche und darstellerische Leistung war durchaus in Ordnung – nur ihr „Vogellied“ hinterließ nicht diesen Eindruck, den man von großen Interpretinnen dieser Rolle gewohnt ist.
Und wieder sind wir bei José Cura gelandet, der im Canio seine meiner Meinung nach beste Rolle gefunden hat und sie mit Leib und Seele ausfüllt. Man weiß, wie abwesend er manchmal sein kann – bei den Pagliacci ist dies nie der Fall. Vom ersten Erscheinen bis zum Ende der Komödie ist Cura derartig präsent und leidenschaftlich bei der Sache, dass er da keine Wünsche offen lässt. Das „Vesti la giubba“ zelebrierte er, genoss den berechtigten Jubel des Publikums. Es ist so interessant, dass er als Canio auf alle gesanglichen Mätzchen verzichtet, mit denen er andere Rollen ausstattet (mit Ausnahme des Stiffelio, eine andere seiner „Leibrollen“). Der Abend wurde insgesamt gesehen ein berechtigter Triumph für Cura, viele junge und ältere Mädels im Publikum hatten ihre Freude und die dem Sänger etwas kritischer eingestellten Besucher gingen wieder mit der Bestätigung heim dass Cura wirklich gut ist, wenn er sich in eine Rolle absolut rein versetzen kann und man dann sogar darüber hinwegsieht, dass er mehr wie ein Bariton als wie ein Tenor klingt.
Am Dirigentenpult stand Asher Fisch, der den von Thomas Lang einstudierten Staatsopernchor und das Staatsopernorchester kompetent leitete und ein guter Sängerbegleiter war, ohne zu viele eigene Akzente zu setzen (bei der Cavalleria fielen teilweise recht schnelle Tempi zu Beginn auf, beim Zwischenspiel tat er fast gar nichts und ließ bis knapp vor Ende die Philharmoniker einfach so spielen, wie es ihnen angemessen schien). Aber auch Fisch erhielt viel Applaus.
Fazit – Cura spaltet trotz des unbeeinspruchten Erfolgs das Publikum (aber genau solche Typen braucht die Oper ja), er ist bei Opern des Verismo am besten, man kann nur hoffen, dass Dolora Zajick noch einmal an die Staatsoper zurückkehrt – und Cav/Pag sollten häufiger angesetzt werden.