Die schönsten Balladen - ihre Dichter und Komponisten

  • Vielleicht eine Anmerkung noch, - "Die beiden Grenadiere" betreffend:


    Was die sängerische Interpretation dieser Schumann-Ballade anbelangt: Es war reine Bequemlichkeit, die mich zu der Aufnahme von Fischer-Dieskau greifen ließ, als ich versuchte, diesem musikalischen Werk etwas näher zu kommen. Sie lag mir einfach näher zur Hand. Ich glaube nicht daran – und dies aufgrund langer Erfahrung -, dass die Wahl des Interpreten dafür maßgeblich und entscheidend ist, wie gut oder schlecht man an das Verständnis eines Liedes oder einer Ballade herankommt.
    Mit einer Einschränkung freilich: Es muss sich bei den Interpreten um wirkliche Könner handeln.


    Aus reiner Neugier und zum Vergleich habe ich einmal Matthias Goerne herangezogen. Er singt aus einer deutlich größeren epischen Distanz als Fischer-Dieskau. Zwar versetzt er sich auch in die innere Haltung der beiden Grenadiere und in die Situation, aus der heraus sie sich artikulieren, aber er entfaltet dieses Sich-Hineinversetzen nicht mit der Intensität und sängerischen Expressivität, mit der Fischer-Dieskau dies tut. Im Vergleich mit dessen Interpretation wirkt die von Goerne eher episch-balladesk, nicht so lyrisch empfindsam wie man das von Fischer-Dieskau hört.


    Aber ich höre in beiden Fällen die gleiche Komposition und vernehme ihre musikalische Aussage.

  • Dieser Tage ging eine Meldung durch die Presse, dass im Kölner Zoo ein Tiger seine ihm vertraute Pflegerin anfiel und tötete. Das Tier wurde darauf hin vom Zoodirektor erschossen.
    Da kommt einem die von Schumann vertonte Ballade „Die Löwenbraut“ in den Sinn, auch wenn es aktuell ein Tiger war.
    Eine alte Sage, die ins Jahr 1590 reicht, schildert einen ähnlichen Vorgang auf einem Jagdschloss bei Wien, wo eine Menagerie von wilden Tieren unterhalten wurde.
    Adelbert von Chamisso brachte diese Geschichte 1827 in Gedichtform und Robert Schumann vertonte das Stück im berühmten Liederjahr 1840.


    Es handelt sich um eine recht dramatische und dem Text durchaus adäquate Vertonung. Immer wieder wird auch die Vermutung angestellt, dass da ein Hinweis auf das besitzergreifende Verhältnis Friedrich Wiecks zu seiner Tochter versteckt sein könnte.


    Bei Opus 31 haben wir drei Gesänge: Die Löwenbraut / Die Kartenlegerin / Die rote Hanne


    „Die Löwenbraut“ ist das bekannteste und auch das dramatischste dieser Gesänge, es ist eine typische Ballade. Schon die ersten Takte des Klaviervorspiels klingen recht bedrohlich und nach der ersten Strophe deutet das Klavier nochmals den Ernst der Situation an.


    In der dritten und vierten Strophe denkt die junge Braut an Kindertage zurück. Bei der Frage „Verstehst du mich ganz?“ wird die Singstimme sehr verhalten, um so bedrohlicher klingen die folgenden Klavieranschläge, dann wird die Sache dramatisch und endet tragisch – während einiger Sekunden des Nachspiels kann man über das Gehörte nachdenken.


    Ein Gesangsstück bei dem es aus meiner Sicht durchaus Sinn macht, es in unterschiedlichen Interpretationen zu hören. An Darbietungen von Damen und Herren mangelt es nicht, denn, wie bereits erwähnt, es ist eine recht bekannte Ballade Schumanns, sehr viele gibt es ja nicht …


    Die Löwenbraut

    Mit der Myrte geschmückt und dem Brautgeschmeid,
    Des Wärters Tochter, die rosige Maid,
    Tritt ein in den Zwinger des Löwen;
    Er liegt der
    Herrin zu Füßen, vor der er sich schmiegt.


    Der Gewaltige, wild und unbändig zuvor,
    Schaut fromm und verständig zur Herrin empor;
    Die Jungfrau, zart und wonnereich,
    Liebestreichelt ihn sanft und weinet zugleich:


    "Wir waren in Tagen, die nicht mehr sind,
    Gar treue Gespielen wie
    Kind und Kind,
    Und hatten uns lieb und hatten uns gern;
    Die Tage der Kindheit, sie liegen uns fern.


    Du schütest machtvoll, eh wir's geglaubt,
    Dein mähnenumwogtes königlich Haupt;
    Ich wuchs heran, du siehst es: ich bin, -
    Ich bin das Kind nicht mehr mit kindischem Sinn.


    O wär ich das Kind noch und bliebe bei dir,
    Mein starkes getreues, mein redliches Tier!
    Ich aber muß folgen, sie taten mir's an,
    Hinaus in die Fremde dem fremden Mann.


    Es fiel ihm ein, dass schön ich sei,
    Ich wurde gefreit, es ist nun vorbei:
    Der
    Kranz im Haar, mein guter Gesell,
    Und vor
    Tränen nicht die Blicke mehr hell.


    Verstehst du mich ganz? Schaust grimmig dazu,
    Ich bin ja gefasst, sei ruhig auch du;
    Dort seh ich ihn kommen, dem folgen ich muss,
    So geb ich denn, Freund, dir den letzten Kuss!"


    Und wie ihn die Lippe des Mädchens berührt,
    Da hat man den Zwinger erzittern gespürt,
    Und wie er am Zwinger den
    Jüngling erschaut,
    Erfasst Entsetzen die bangende Braut.


    Er stellt an die Tür sich des Zwingers zur Wacht,
    Er schwinget den Schweif, er brüllet mit Macht,
    Sie flehend, gebietend und drohend begehrt
    Hinaus; er im
    Zorn den Ausgang wehrt.


    Und draußen erhebt sich verworren Geschrei.
    Der Jüngling ruft: bring Waffen herbei,
    Ich schieß ihn nieder, ich treff ihn gut.
    Aufbrüllt der Gereizte schäumend vor Wut.


    Die Unselige wagt's sich der Türe zu nahn,
    Da fällt er verwandelt die Herrin an:
    Die schöne Gestalt, ein grässlicher Raub,
    Liegt blutig zerrissen entstellt in dem Staub.


    Und wie er vergossen das teure Blut,
    Er legt sich zur
    Leiche mit finsterem Mut,
    Er liegt so versunken in
    Trauer und Schmerz,
    Bis tödlich die Kugel ihn trifft in das Herz.

  • Heinrich Heines Ballade „Belsatzar“ nimmt Bezug auf die im Buch Daniel 5 (1-30) geschilderten Vorgänge um König Belsatzar. Schumanns Ballade auf diesen Text entstand im Februar 1840. Sie ist durchkomponiert, und im Unterschied zu „Die beiden Grenadiere“ weist sie eine Aufeinanderfolge von mehreren melodischen Motiven auf und ist klanglich sehr stark durch einen komplexen, tonmalerisch und auf dramatische Akzente ausgerichteten Klaviersatz geprägt.


    Belsatzar (die Gliederung in Verspaar-Strophen wird weggelassen, um Platz zu sparen)
    Die Mitternacht zog näher schon;
    In stummer Ruh lag Babylon.
    Nur oben in dem Königsaal
    Belsatzar hielt sein Königsmahl.
    Die Knechte saßen in schimmernden Reihn,
    Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
    Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht;
    So klang es dem störrigen Könige recht.
    Des Königs Wangen leuchten Glut;
    Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.
    Und blindlings reißt der Mut ihn fort;
    Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.
    Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
    Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.
    Der König rief mit stolzem Blick;
    Der Diener eilt und kehrt zurück.
    Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
    Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.
    Und der König ergriff mit frevler Hand
    Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.
    Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,
    Und rufet laut mit schäumendem Mund:
    Jehova! Dir künd ich auf ewig Hohn –
    Ich bin der König von Babylon!
    Doch kaum das grause Wort verklang,
    Dem König wards heimlich bang.
    Das gellende Lachen verstummte zumal;
    Es wurde leichenstill im Saal.
    Und sieh! Und sieh! An weißer Wand
    Da kams hervor wie Menschenhand;
    Uns schrieb und schrieb an weißer Wand
    Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
    Der König stieren Blicks da saß,
    Mit schlotternden Knien und totenblaß.
    Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
    Und saß gar still, gab keinen Laut.
    Die Magier kamen, doch keiner verstand
    Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
    Belsatzar ward aber in selbiger Nacht
    Von seinen Knechten umgebracht.


    Man hat Schumann vorgehalten, der Ballade fehle es an innerer kompositorischer Einheit. Diese Kritik ist unsinnig. Sie verkennt, dass die Großartigkeit dieses Werkes gerade darin besteht, dass es in der Abfolge der verschiedenen szenisch bedingten musikalischen Teile eine ganz eigene innere Dynamik entwickelt, die das Geschehen im dichterischen Text reflektiert.


    „Im Anfang nicht zu schnell, nach und nach rascher“ lautet die Vortragsanweisung am Anfang, womit genau diese innere Dynamik angesprochen ist. Die Ballade endet aber keineswegs in einer Art Aufgipfelung des Tempos. Im Gegenteil: Das kompositorisch Bedeutsame besteht darin, dass das Ungeheuerliche des Geschehens am Ende langsam, piano und in verhaltenem Ton dargestellt wird, um dann schließlich „Adagio und Ritardando“ in gleichsam atemlose Stille zu münden.


    Mit einer chromatisch eingefärbten Flut von Sechzehnteln vom Klavierdiskant abwärts in den Bass und wieder zurück setzt das Vorspiel ein. Diese unruhigen und schrill wirkenden Sechzehntel-Figuren bestimmen klanglich den ersten Teil der Ballade (bis zum vierten Vers). Offensichtlich spiegeln sie musikalisch das „Flackern“, dieses „Lärmen“ in Belsatzars Schloss.


    Die Singstimme setzt zunächst, von Pausen unterbrochen, in ruhigem Erzählton ein, scheinbar unberührt von der unruhig schrillen Begleitung. Aber schon bei den Worten
    „Nur oben in dem Königsaal…“ kommt ein Crescendo in die Vokallinie. Sie wird in ihren Bewegungen unruhiger, sinkt bei dem Wort „Königsmahl“ erst einmal in tiefe Lagen ab, um dann bei dem Bild von den „schimmernden Reihen der Knechte“ ins Forte einer hohen Lage aufzusteigen.


    Bei den folgenden Bildern des ausgelassenen Feierns bewegt sich die melodische Linie heftig auf und ab, und auch im Klavier herrscht Unruhe: Ein oktavisches Auf und Ab von Sechzehnteln im Diskant, das von Akkorden im Bass akzentuiert wird. Bei dem Bild von „des Königs Wangen“ behält die Klavierbegleitung das unruhige Auf und Ab bei, gibt ihm aber noch mehr klangliches Gewicht durch eingelagerte Akkorde.


    Bei den Worten „Und blindlings reißt ihn der Mut ihn fort“ deklamiert die Singstimme in markanter Weise auf einer Tonhöhe, während im Klavier unablässig Sechzehntel vom Bass in den Diskant hochstürmen. Die Dramatik wird auf diese Weise deutlich gesteigert. Bei dem Wort „wild“ hält die Singstimme inne, und im Klavier erklingen markante Achtelakkorde. Anschließend deklamiert die Singstimme in rezitativischem Ton: „Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.“


    Danach erklingen im Klavier wieder die chromatisch fallenden und steigenden Sechzehntel des Vorspiels, und die Singstimme verfällt ihrerseits wieder in den Erzählton: „Der König rief mit stolzem Blick…“. Bei den folgenden Versen wirkt die Klavierbegleitung mit ihrem triolischen Sechzehnteln im Diskant fast tänzerisch. Aber da die Vokallinie zugleich in immer neuen Anläufen ansteigt, wirkt das klanglich wie die Andeutung kommenden Unheils. Das Klavier stimmt auch prompt in Form eines Auf und Abs von Sechzehnteln im Diskant in die Unruhe der melodischen Linie ein. Im Ritardando deklamiert die Singstimme „Ich bin der König von Babylon“. Auf jeder Silbe sitzt ein Ton. Ein Oktavfall ereignet sich bei den ersten beiden Silben, und danach steigt die melodische Linie hinab bis zu einem tiefen „d“. In der nachfolgenden Pause für die Singstimme erklingen im Klavier wieder die chromatisch flutenden Sechzehntel.


    Achtelakkord-Repetitionen begleiten die Singstimme dann, wenn sie davon erzählt, dass dem König „heimlich im Busen bang“ wird. Diese Worte werden wiederholt, um ihnen musikalisches Gewicht zu geben. Wenn es „leichenstill im Saal“ wird, erklingen zwar weiter die Achtelakkord-Repetitionen, aber im Crescendo, und die Vokallinie wirkt mit einem Mal wie auf einer Tonebene festgenagelt: Sie pendelt um ein tiefes „e“ herum. In dieser Monotonie bekommt das Bild von der die weiße Wand beschreibenden Menschenhand starke Eindringlichkeit. Erst bei den letzten Worten dieses Bildes sinkt die Vokallinie bis zu einem tiefen „a“ ab.


    „In langsamerem Tempo, leise und deutlich zu recitieren“ lautet die Anweisung für den letzten Teil der Ballade. In tiefer Lage setzt die Singstimme bei den Worten „Der König stieren Blickes da saß“ ein. Das Klavier begleitet jetzt – und auch im folgenden – nur noch mit Akkorden, die, da von Pausen voneinander abgetrennt, wie ein lapidarer Kommentar zu dem wirken, was die Singstimme zu berichten hat. Nur kurz erhebt sich die melodische Linie noch einem zu mittlerer Höhe, - beim Bild von den Magiern, die die geheimnisvolle Schrift nicht zu deuten wissen.


    Dann aber erklingen die letzten beiden Verse in auffällig ruhiger, rezitativischer Deklamation. Die melodische Linie bewegt sich dabei nur noch auf zwei Tonebenen. Mit einem Ritardando endet sie dann in Form eines offenen Schlusses auf der Terz. Das Klavier begleitet mit einzelnen spitzen Akkorden. Den frevlerischen König hat das Schicksal ereilt, das er verdient hat.