Der Wildschütz - Bielefeld 06.06.2010

  • Ich bin ja ein großer Fan von Lortzings „Wildschütz“ (auch von seinem „Zar und Zimmermann“) und ich bedauere es sehr, dass diese Werke sich mittlerweile sehr selten auf dem Spielplan finden lassen. Dabei ist Lortzing der deutsche Mozart seiner Zeit und seine natürlichen Melodien lassen manch – auf den ersten Blick – kompliziertes Libretto doch sehr griffig erscheinen.
    Ob es an dem Publikum liegt, die Lortzing nicht besuchen, oder an den Theatern, die Lortzing einen Erfolgsgaranten nicht zutrauen – ich weiß es nicht.
    Bielefeld hingegen hat es gewagt und in jeder Hinsicht gewonnen. Was mich sehr freute, war die Tatsache, dass das Werk nur wirklich leicht gekürzt wurde. Die Inszenierung von Wolf-Dietrich Sprenger reduziert den Stoff nicht nur auf eine alberne Klamotte, sondern bringt auch genau die Sozialkritik zum Vorschein, die August von Kotzbue in seinem Lustspiel (Der Rehbock oder Die schuldlosen Schuldbewussten) erreicht hat. Nichts desto trotz bleibt dabei auch viel Komik übrig, auf die das Publikum immer gut reagiert hat.


    Im ersten Akt beobachtet der angetrunkene und gelangweilte Chor auf der quietschgrünen (Wiesen-)Bühne von Achim Röger, das nicht wirklich glücklich erscheinende Brautpaar Baculus und Gretchen. Auch wenn in der ersten Hälfte noch die (Situations-)Komik überwiegt, lassen die verkehrt herum aus der Bühnendecke wachsenden Tannen darauf schließen, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zu geht. Der Graf marschiert mit seinem Jagd-Gefolge wie aus der Wolfsschlucht herauf und zeigt sehr schnell sein blasiertes Ego, wenn er seelenruhig in die Ecke uriniert.


    Das kalte Weiß des gräflichen Hauses mit Hirschköpfen an den Wänden und griechischem Antlitz im Hintergrund kann nicht über die Verkommenheit der Bewohner hinwegtäuschen. Und der Graf sowie der Baron machen auch ziemliches Theater, um sich dem unbekannten Mädchen nähern zu können. Wo früher noch im Billard-Streit der Kronleuchter von der Decke geholt wurde, da macht der Graf heute einfach nur noch für seine Zwecke das Licht aus. Und wenn das Gewitter das Bauernmädchen zum Bleiben im gräflichen Hause zwingt, dann senkt sich ein großer kitschiger roter Blitz von der Decke.


    Dieses Theater entlarvt der Regisseur selbst im dritten Akt, der im heruntergekommen Atelier des Grafen spielt. Dessen Wände sind mit eisigen Berghängen bemalt und die Requisiten der vorigen Akte gammeln zwischen Maler-Planen in der Ecke herum. Die Show zwischen Fitness-Training und Morgen-Wäsche, die der Adelige zu seiner Arie absolviert, ist eindrucksvoll für die Öffentlichkeit einstudiert. Sein körperbetonter Flirt mit minderjährigen Mädchen (bei dem auch der Baron allzuleicht mitmischt) verrät da mindestens genauso so viel über den wahren Charakter wie der fast gewaltsame Übergriff auf seine Schwester, die jetzt ihre Maske fallen lassen muss.


    Wenn sich Geschwister- und Liebespaare voneinander abheben und die Schuldbewussten ihre Vergehen musikalisch harmonisch als Unschuld darstellen, geht auch das Licht im Zuschauerraum an und für einen Augenblick ist der Witz dieses Musikantenstadls vergessen. Auch das Finale, wo jeder die „Stimme der Natur“ als Verteidigung und Entschuldigung zugleich anführt, endet trotz bemühter Heiterkeit doch eher trist, wenn Landvolk und Adelige plötzlich im drohendem Gewitter stehen, Gretchen wegläuft und der Baculus zwischen den beiden adeligen Paaren alleine zurückbleibt.


    Musikalisch muss man der Vollständigkeit halber anmerken, dass dieser Abend alles andere als fehlerfrei waren. Sowohl auf der Bühne wie auch im Orchestergraben (Streicher!) gab es einige Macken und jeder Sänger hatte so seine eigene Meriten. Zum Beispiel sang der fabelhafte Tenor Eric Laporte in den Ensembles immer eine Spur zu laut und Melanie Kreuter als Baronin Freimann hatte in der Mittellage doch einige Probleme, die sie manchmal an die Grenze zum Deklamieren brachte.
    Aber ganz ehrlich: Ich war von dem Gesamtergebnis begeistert. Auch auf den beiden CD-Aufnahmen (Klee mit Schreier, und Heger mit Wunderlich) mit denen ich sehr zufrieden bin, habe ich den „Wildschütz“ nicht mit so viel Schwung und Elan gehört wie hier in Bielefeld. Diese Interpretation verdient es – trotz aller Fehler – festgehalten zu werden. Das Finale des ersten Aktes habe ich nie so ausgefeilt, in der Dynamik so lebendig gehört, wie hier. Das lag natürlich auch an der musikalischen Einstudierung durch Leo Siberski und seinem Assistenten Christian van den Berg (letzterer dirigierte den Abend).


    Die Sänger lieferten eine fabelhafte Ensembleleistung ab und wussten die Charaktere genau zu zeichnen. Meik Schwalm war ein höhensicherer Graf (der auf seiner Homepage auch als Tenor angegeben wird.... komisch komisch), der den Adeligen wundervoll arrogant sang. Jacek Janiszewski gab den hölzernen Schulmeister Baculus großartige Kontur und Cornelie Isenbürger sang ein selbstbewusstes Gretchen. Die Gräfin von Sünne Peters wusste ihre Auftritte genau zu nutzen, um den Anschein von adeliger Größe im Haus zu demonstrieren. Noch zu erwähnen: Auch ohne Übertitel konnte man 85 % des Textes mühelos verstehen, was auch nicht selbstverständlich ist.


    Insgesamt ein ganz großer Wurf des kleinen Hauses und zur Wiederaufnahme nächstes Jahr werde ich vielleicht nochmal hinfahren.

  • Auch ohne Übertitel konnte man 85 % des Textes mühelos verstehen, was auch nicht selbstverständlich ist.


    Hat es bei diesem Wildschütz tatsächlich Übertitel gegeben? Ich habe diese Oper schon X-Mal gesehen, weil sie in den 1960er Jahren an vielen Opernhäusern gespielt wurde. Schwierigkeiten mit dem Text gab es da eigentlich nicht.

  • Zitat

    Original von hart
    Auch ohne Übertitel konnte man 85 % des Textes mühelos verstehen, was auch nicht selbstverständlich ist.


    Hat es bei diesem Wildschütz tatsächlich Übertitel gegeben? Ich habe diese Oper schon X-Mal gesehen, weil sie in den 1960er Jahren an vielen Opernhäusern gespielt wurde. Schwierigkeiten mit dem Text gab es da eigentlich nicht.


    Ne eben nicht, aber es ist ja mittlerweile bei Wagner und co schon üblich mit Übertitel zu arbeiten. Und ich fand es sehr gut, dass man auch ohne diese Hilfe als Zuschauer dem Text folgen konnte. :jubel::jubel:

  • Ich weiß nicht ob dies hierher gehört. Ich war Stammgast in der alten Bonner Oper, dem "Bürgerverein". Es gab hervorragende Opern- und Operetten-Aufführungen. Es waren auch sehr gute Sänger unter Vertrag. Z. Bsp. der südamerikanische Tenor Ray Arbizu, der schwedische Bariton Bengt Wisten oder die ungarische Altistin Magda Tisczay. Diese und andere Sänger gingen mehr auf das Publikum ein. Unvergessen "der Troubadour", "Hoffmanns Erzählungen" oder "die Macht des Schicksals". Diese Aufführungen habe ich wiederholt besucht. Es gab bei den bekannten Arien jedesmal Zugabe, auch in Originalsprache. So eine Athmosphäre vermisse ich heute oft.


    Gruß Wolfgang

    W.S.

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