Fragen und Antworten der Hirnforschung, die wir schon immer wissen wollten


  • In welchem Forum befinden wir uns denn hier? Wenn Wissenschaftler glauben, ihre Steckenpferde hier galoppieren lassen zu müssen und dann schlußendlich "wissenschaftlich fundiert" feststellen dürfen, dass manche Taminos geistig überfordert sind, fühle ich mich in den Vermessungswahn der Nazi-Ideologie zurückversetzt. - Mit "Wissenschaft" kann man alles begründen, deshalb: Vorsicht!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Hallo MSchenk,


    mit diesem Fragenkomplex habe ich mich nicht beschäftigt, da es doch sehr ein Randgebiet ist. Allerdings glaube ich gelesen zu haben (bin mir nicht ganz sicher?), dass Schlaganfallpatienten mit gestörtem (wie lange?) Sprachzentrum im Musikverständnis kein Problem haben.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    5. Kapitel: Kognitive Leichtigkeit


    Erneut geht es im Prinzip um das, was im Kapitel 4 "Die Assoziationsmaschine" schon gesagt wurde:


    "Wir wissen viel weniger über uns selbst, als wir zu wissen glauben ".
    (Im Kapitel 5 des Buches steht am Schluss: "Die Psychologie hat große Fortschritte gemacht.")


    "Wenn Sie bei Bewusstsein sind - und vielleicht auch wenn Sie es nicht sind - laufen viele Berechnungen in Ihrem Gehirn ab", betreffend z. B. "neue, unbekannte Situation - Bedrohung- oder läuft alles gut - soll ich meine Aufmerksamkeit neu ausrichten?" usw. Diese Bewertungen werden automatisch vom System 1 durchgeführt und dabei geprüft ob es Sinn macht, System 2 einzuschalten. Eine hohe kognitive Leichtigkeit lässt das sich schnell entscheidende System 1 anspringen eine niedrige das rational laaaangsaaaame System 2.



    Domenico Scarlatti wurde 1660 geboren
    Domenico Scarlatti wurde 1680 geboren


    Beide Aussagen sind falsch, er wurde 1685 geboren, aber: In vielen Testungen hat sich bewiesen (mit anderen Namen), dass die Aussage 1 - dicke Schrift und auch noch unterstrichen - für richtig gehalten wurde, allein weil der Aufmerksamkeitswert gegenüber der 2. Aussage höher ist. Das gilt auch, wenn dies mit der Hand geschrieben wäre und eine Handschrift gut lesbar ist, die andere weniger.
    Gleiches gilt für eine oftmals wiederholte falsche Behauptung, solange diese falschen Behauptungen nicht offensichtlich grob falsch sind, es also eine gewisse Berechtigung gibt, diese als richtig zu akzeptieren und das allein aus dem Grund, weil die falsche Behauptung im Gedächtnisspeicher - durch die vielen Wiederholungen - bereits einen hohen Aufmerksamkeitswert erreicht hat.
    Auch eine zwar falsche, aber mit einfachen Worten, ohne schwer verständliche oder mit unbekannten Fremdworten ausgedrückte Botschaft hat den ähnlichen Effekt - sie hat den höheren Aufmerks… als eine langatmige, das System 2 fordernde Aufmerksamkeit.
    Anders ausgedrückt: Das System 2 ist in der Regel (denk-) faul und verlässt sich viel lieber auf die im System 1 getroffenen Entscheidungen, die nicht rational, vielmehr durch ganz andere Gründe - eben die kognitive Leichtigkeit - emotional getroffen werden und deshalb falsch sein können.



    Wenn die Namen


    David Stenbill
    Monica Bigoutski
    Shana Tirana


    gelesen werden und einige Tage später diese Namen unter vielen anderen erneut gelesen werden und gefragt wird, welche/r Name/n bekannt vorkommt/en - David Stenbill wird genannt, weil sich dieser Name aufgrund der Einfachheit besser im Gedächtnis einprägt und deswegen einen höheren Aufmerks…hat. Eine Eigenschaft, die bei Firmennamen, -logos usw. inzwischen beachtet wird. (Kein Mensch spricht mehr z. B. von der Versicherung "Witwen und Waisenkasse", das sind nun die "wwk -Versicherungen", ganz abgesehen davon, dass schon die Worte unangenehme Assoziationen auslösen. Oder: Warum heißt das smarte Auto "smart" und nicht "Winzling"?)


    Wenn der Text einer Denksportaufgabe in schwer leserlicher Handschrift vorliegt, hat das zur Folge, dass System 1 nicht lange fackelt und entscheidet - NEIN - eben nicht, die schwer lesbare Schrift löst keine kognitive Leichtigkeit aus, System 1 delegiert an System 2.


    Der "Mere-Exposure-Effekt" (Effekt der bloßen Darbietung): Unterschiedlich oft dargebotene Schriftzeichen, Bilder, Eindrücke werden später umso positiver erinnert, je öfter diese dargeboten wurden, dabei war es noch dazu von Vorteil, wenn diese Darbietungen so kurzfristig erfolgten, dass sie diese den Eindrücken ausgesetzten Menschen nicht einmal bewusst wurden - "…Wie mittlerweile klar sein sollte, kann System 1 auf Ereignisse reagieren, die System 2 nicht bewusst registriert hat…"



    Auch die Assoziationen mit bekannten, positiv, angenehm, lustvoll empfundenen und so abgespeicherten Erlebnissen, Erfahrungen, Meinungen usw. lösen eine kognitive Leichtigkeit aus mit den o .g Folgen.


    "In den letzten Jahrzehnten haben wir ein Menge über die automatischen Funktionsmechanismen des Systems 1 kennen gelernt…Es lag jenseits der Vorstellungskraft, dass eine undeutliche Schrift z. B. Wahrheitsurteile beeinflusst….Ich bin heute bei bester Laune und mein System 2 ist schwächer als gewöhnlich, ich sollte besonders sorgfältig sein"



    Viele Grüße
    zweiterbass
    (Welche Laune ich wohl bei dieser Arbeit hatte?)

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Der Dank freut mich - Fortsetzung der Reihe folgt.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Zwischenbemerkung


    Hallo,


    die zwei Bücher, aus denen ich zitiere (und große Teile meines Wissens zu diesem Thema aus diesen Büchern gewonnen habe), haben sehr unterschiedliche Ansätze geschrieben worden zu sein:


    1. rororo-Handbuch "Musikpsychologie" - bedarf keiner Erklärung.



    2. "Schnelles Denken - langsames Denken" von Daniel Kahneman - er bekam den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften - was hat das mit Musik zu tun?


    Im Teil 1 des Buches - Kapitel 1 - 9 - geht es um die zwei grundsätzlichen und sehr unterschiedlichen Verarbeitungsprozesse im Gehirn - dem emotionalen schnellen "Denken" und dem rationalen langsamen Denken. Dieser Teil 1 hat grundsätzliche Bedeutung für alle Verarbeitungsprozesse im Gehirn und hat deshalb auch sehr enge Verbindungen zu den Ausführungen über die Gehirnfunktionen im rororo-Handbuch.


    In den Teilen 2 - 4 werden die Erkenntnisse aus Teil 1 auf Entscheidungsprozesse in der Wirtschaft bezogen, sowohl unter wissenschaftlichen, als auch unter praktischen Gesichtspunkten, d. h.: Dort getroffene Fehlentscheidungen, weil im "Schnellen Denken" entschieden, werden auf die Ursachen zurückgeführt, weil emotionale Entscheidungen oft auf Gründen beruhen, die mit den zu treffenden Entscheidungen in der Wirtschaft in keinem Zusammenhang stehen. Andererseits werden für die täglichen Entscheidungsfindungen in der Wirtschaft die entscheidungsrelevanten Gründe beleuchtet.


    Im Teil 5 werden nochmals grundsätzliche Überlegungen angestellt.



    Dies als kleine Erläuterung, weshalb ein Buch eines Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften auch im musikalischen Bereich sehr Nützliches zu sagen hat.


    Ich werde meine Beiträge fortsetzen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    ich kann nachvollziehen, dass meine 3 Buchempfehlungen und mein daraus angelesenes Wissen, was ich hier einstelle, auf "überschaubares" Interesse (Ablehnung?) stösst.


    Wer das in der FAZ am 15.11. veröffentlichte Interview mit D. Barenboim gelesen hat, kann sein Interesse ja noch revidieren.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich habe die Ausführungen und Erklärungen zu Kahnemans Buch "Schnelles Lernen, langsames Lernen" mit Interesse gelesen.

    Ich nehme an, die Verbindung von Emotion und Ratio, lymbischem System und Frontallappen im Gehirn, wird im Buch behandelt. Diese Mechanismen werden im Verhaltenstraining benutzt, um Verhaltensänderungen herbeizuführen. Es würde zu weit führen, dies hier weiter zu erläutern.


    Meine Frage ist: Wie ist der Zusammenhang von Erlernen und Abrufen des Gelernten, dem Erinnern und der Gedächtnisleistung?


    Profimusiker und Musikerinnen, Instrumentalisten, Instrumentalistinnen, Sänger und Sängerinnen üben stundenlang über Jahre und prägen sich Partituren mit allen Noten, Tempoangaben, dynamischen Anweisungen, Text ein.


    In einem komplizierten Prozess im Gehirn wird das Eingeprägte abgerufen: Hören, Bewegungsmuster abrufen, Text erinnern, Emotion steuern. Bei Instumentalisten, Instrumentalistinnen und Sängern, Sängerinnen sind andere Gehirnregionen gefordert, nehme ich an. Sie sind fähig komplizierteste Werke auswendig abzurufen. Das nötigt mir höchste Bewunderung ab. Eine phänomenale Leistung des menschlichen Gehirns.


    ***


    Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern in der Schweiz untersuchte, wie Jodlerinnen und Jodler im Appenzellerland und Toggenburg (Regionen der Schweiz) die Melodien auseinanderhalten, memorieren und abrufen können. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt. Ende September 2021 erschien ein Buch darüber.

    Die Untersuchung finde ich deshalb bemerkenswert, weil Menschen ohne musikalische Bildung nur durch Hören sich Melodien einprägen und später wiedergeben können. Das Zusammenspiel von Erlernen und Abrufen der Melodien interessiert mich.


    ***


    Zum Auswendig-Dirigieren gibt es einen Thread Ist es nicht eine Überforderung?

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928