Wolfgang Fortner (1907-1987):
BLUTHOCHZEIT
Lyrische Tragödie in zwei Akten
Text von Enrique Beck nach Federico García Lorcas „Bodas se sangre“ von 1933
Uraufführung am 8. Juni 1957 in Köln, Städtische Oper
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Die Mutter (dramatischer Sopran)
Die Braut (Sopran)
Die Magd (Mezzosopran)
Die Frau Leonardos (Alt)
Die Schwiegermutter Leonardos (Alt)
Die Bettlerin/Der Tod (Chansonpartie)
Das Kind (jugendlicher Sopran, evtl. Kinderstimme)
Ein Mädchen im 2. Bild (Koloratursopran)
Drei Mädchen im 4. Bild (2 Soprane, 1 Alt)
Zwei Mädchen im 7. Bild, nicht identisch mit Mädchen aus dem 4. Bild ( 2 Alt)
Der Mond (Tenor)
Leonardo (Bariton)
Zwei Burschen (Tenöre)
Drei Gäste (Baritone)
Nachbarin/Bräutigam/Vater der Braut/Drei Holzfäller (Sprechrollen)
Gäste, Burschen, Mädchen, Nachbarinnen, Stimmen hinter der Szene,
Tänzer, Tänzerinnen
Die Handlung ist in der Gegenwart eines südspanischen Ortes angesiedelt.
INHALTSANGABE
ERSTER AKT
Die Vorgeschichte, die im Handlungsablauf immer wieder in Teilen erklärt wird, sei hier kurz skizziert: Eine Frau hat durch Blutrache einer verfeindeten Familiensippe ihren Mann und ihren ältesten Sohn verloren. Ihr blieb nur ein zweiter Sohn, dem nun ihre ganze Liebe gilt. Trotz der schon viele Jahre zurückliegenden Tat kommen der Frau die schmerzlichen Ereignisse immer wieder hoch, wenn sie ein blankes Messer sieht oder auch nur das Wort hört. Dann sieht sie die Blutlachen auf der staubigen Straße, die toten Körper des Mannes und des Sohnes, das Blut an ihren Händen...
Erstes Bild: Gelb gestrichener Wohnraum im Hause der Mutter.
Gerade ist der „Bräutigam“ auf dem Weg in den Weinberg, als er bemerkt, daß ihm ein Messer zum Schneiden der Weintrauben fehlt. Er bittet seine Mutter um dieses Messer - und die erschauert: Da ist es wieder, dieses blanke Entsetzen, da ist sie wieder, die traurige Erinnerung an den Tod des Gatten und des ältesten Sohnes! Und sie räsoniert: Was ist schon das Zuchthaus, in das die Mörder kamen? Dort essen, rauchen, trinken und spielen sie, während aus ihren beiden Toten das Unkraut wächst! Die Mutter verlangt von ihrem Sohn, kein Messer zu tragen. Und sie bedauert, daß er kein Mädchen geworden ist, denn dann könnten sie zusammen stricken.
Um sie abzulenken, nimmt der Sohn sie in die Arme und tanzt mit ihr; er sieht sie mit großer Zärtlichkeit an und bringt das Gespräch auf seine Heiratspläne: Er hat sich, so erzählt er, in ein Mädchen verliebt. Das gibt ihr einen Stich! Wieder ein Verlust für sie! Die Mutter hat natürlich nichts gegen eine Heirat, aber es kommt ihr zu plötzlich. Auch wenn die Braut gut ist und fleißig, tut es ihr weh, von ihr zu hören. Und sie wird allein sein. Aber sie könnte doch zu ihnen ziehen, wirft der Sohn ein. Doch genau das will sie nicht, denn sie muß ihre beiden Toten jeden Tag besuchen.
Wissen will sie aber schon, seit wann er das Mädchen kennt; auf seine Antwort „seit drei Jahren“, fragt sie weiter, ob es schon früher mal einen Bräutigam hatte. Der Sohn muß eingestehen, daß nicht zu wissen, er ist sich aber sicher, daß die Mutter die Braut mögen wird. Sie ist dann sogar, wenn auch widerwillig, einverstanden, die Brautwerbung bei dem Vater des Mädchens auszusprechen. Froh begibt sich der Sohn und Bräutigam zur Arbeit in den Weinberg.
Kaum ist er weg kommt die Nachbarin. Auf die Frage nach dem Sohn antwortet die Mutter, er sei in den Weinberg gegangen. Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu, daß er bald heiraten werde. Offensichtlich weiß das die Nachbarin schon und sagt, sie kenne die Braut, die mit ihrem Vater zehn Meilen entfernt wohnt und sogar schon einmal verlobt war - mit Fünfzehn. Auch weiß sie, daß dieser erste Verlobte später eine Kusine des Mädchens geheiratet hat und Leonardo Félix heißt. Die Mutter zuckt zusammen - der Stich traf ins Herz wie in Todesstoß. Vor diesem Namen, so sagt sie, muß sie ausspeien, um nicht zur Mörderin zu werden. Die Nachbarin wiegelt ab; das sei doch schon so lange her, sie solle dem Glück ihres Sohnes nicht im Wege stehen und, vor allen Dingen, ihm nichts sagen - dann geht sie. Die Mutter bekreuzigt sich - der Vorhang fällt.
Zweites Bild: Rosa gestrichenes Zimmer im Hause Leonardos.
Die Schwiegermutter hat ihr Enkelkind auf dem Arm; sie wiegt es, beruhigend dabei singend. Die Tochter strickt Strümpfe, fällt aber in den Gesang ihrer Mutter ein. Als sie merken, daß das Kind eingeschlafen ist, bringen sie es in den Nebenraum.
Leonardo tritt ein, er hat beim Hufschmied sein Pferd neu beschlagen lassen. Seine Frau kommt gerade von nebenan und antwortet auf seine Frage nach dem Kind, es sei endlich eingeschlafen. Leise die Türe schließend kommt auch die Oma zurück und hört, wie ihre Tochter sich nach Leonardos Ritt zum „Ödland“ erkundigt und was er dort gewollt habe. Auch die Schwiegermutter will eine Antwort haben, auch sie interessiert es, warum er sein Pferd fast zu Tode hetze - aber Leonardo geht darauf nicht ein, läßt sogar deutliche Verärgerung erkennen.
Während die Frau eine Limonade zubereitet, erwähnt sie, daß um die Hand ihrer Kusine angehalten wurde und die Hochzeit in einem Monat stattfinden soll. Die Schwiegermutter mischt sich mit der Bemerkung ein, daß die Mutter des Bräutigams mit der Heirat ihres Sohnes nicht einverstanden sei - wie man hört. Leonardo antwortet, daß die Frau vielleicht recht habe; seine Frau verlangt, über ein anständiges Mädchen nicht schlecht zu reden. Die Mutter weist die Tochter darauf hin, daß Leonardo drei Jahre mit dem Mädchen verlobt war und sie daher kennt. Brummig meint Leonardo, daß er das Mädchen für seine jetzige Frau aufgab. Dann geht er mit seiner Frau zum Kind ins Nebenzimmer.
Ein Mädchen kommt und erzählt aufgeregt, daß der Bräutigam mit seiner Mutter im Laden war und nur das Beste gekauft habe. Leonardo, mit seiner Frau soeben aus dem Nebenzimmer zurückgekommen, sagt barsch, das diese Nachricht keinen interessiert. Das Mädchen entschuldigt sich und geht weinend hinaus. Das Kind beginnt wieder zu weinen und die Oma holt es, auf dem Arm wiegend, und beide Frauen singen abermals das Einschlaflied singend.
Drittes Bild: Inneres der in den Berg gehauenen Behausung der Braut.
Der Bräutigam und seine Mutter haben sich zur Brautwerbung im Haus der Braut und ihres Vaters eingefunden; den Weg haben sie zu Fuß zurückgelegt. Noch bevor die Mutter ihre zukünftige Schwiegertochter und den Vater kennengelernt hat, erinnert sie ihren Sohn schon an den langen Rückweg und fordert ihn auf, die Uhr im Auge zu behalten,
Da kommt der Brautvater, ein Mann mit weißem Haar. Mutter und Sohn erheben sich und man gibt sich die Hände. Mit der Wahl und Heirat seiner Tochter ist der Vater durchaus einverstanden. Nachdem sich die Mutter über den beschwerlich-langen Weg ausgelassen hat, schwärmt sie von ihrem rechtschaffenen Sohn, worauf auch der Vater seine Tochter als ebenso arbeitsam lobt. Die Magd bringt Getränke und Süßigkeiten und der Vater fordert sie auf, die Braut zu holen. Die erscheint in bescheidener Haltung. Die Mutter des Bräutigams äußert ihre Zufriedenheit über die Schönheit der Braut, will aber wissen, ob sie sich über ihre Situation im Klaren ist. Das Mädchen bejaht, denn sie gab das Jawort, weil sie es wollte. Die Mutter übergibt die Geschenke, die höflich dankend angenommen werden. Der Vater bietet Getränke und Naschwerk an. Braut und Bräutigam nehmen Kleinigkeiten, aber die Mutter drängt schon zum Aufbruch. Der Brautvater sagt, er werde die Gäste einige Schritte begleiten.
Kaum sind sie fort, will die Magd unbedingt die Geschenke sehen, doch die Braut lehnt ab, macht sie sogar wütend. Nach einem Moment der Stille stellt die Magd die Frage, ob sie in der letzten Nacht den Reiter unter ihrem Fenster gehört, vielleicht sogar gesehen habe? Nein, ist deren Antwort, aber es könnte vielleicht der Bräutigam gewesen sein. Nein sagt auch die Magd, es war nicht der Bräutigam, sondern Leonardo. Erregt verlangt die Braut von der Magd, sie solle ihre „verfluchte Zunge“ schweigen lassen. Und gerade in diesem Moment kommt wieder ein Reiter mit seinem Pferd am Haus vorbei. Die beiden Frauen rufen gemeinsam aus: „Er!“ Schneller Vorhang.
Viertes Bild: Vorraum im Heim der Braut; es ist noch Nacht.
Die Braut und Magd kommen, beide in weißem Unterrock und ärmellosem Mieder, auf die Szene. Sie stöhnen wegen der Hitze, die in dieser Gegend nicht einmal um diese Zeit erträglich ist. Die Magd frisiert die Braut, die sich dabei in einem Handspiegel betrachtet und von ihrer Mutter spricht, die aus einer Gegend stammte, in der es viele Bäume gab, die Schatten spendeten und die sehr fruchtbar war. Die Mutter verkümmerte hier, wie alle hier verkümmern.
Die Magd schwärmt der Braut von der körperlichen Liebe vor, was dieser unangenehm ist, denn sie verlangt aufbrausend, den Mund zu halten. Die jedoch, einmal in Fahrt, läßt sich von ihrem Thema nicht abbringen und meint, die Hochzeit und die damit verbundenen Geschenke, Süßigkeiten und Blumensträuße seien unwichtig, was zähle, sei einzig und allein das Bett. Sie nimmt den Brautkranz und will ihn der Braut aufsetzen, doch die sträubt sich, was die Magd irritiert: „Willst du nicht heiraten? Noch ist es Zeit.“ Die Braut, plötzlich entschlossen, sagt, sie habe es gelobt und läßt sich mit dem Kranz schmücken.
Da klopft es stark an der Türe. Die beiden Frauen erschrecken, und die Braut eilt in einen Nebenraum. Die Magd aber geht, trotz der leichten Bekleidung, an die Tür und öffnet; zu ihrer Überraschung steht Leonardo dort. Das erstaunte Gesicht der Magd veranlaßt ihn, auf die erhaltene Einladung hinzuweisen. Auf die Frage, wo denn seine Frau und das gemeinsame Söhnchen seien, antwortet er, die Frau käme ohne das Kind, zu Fuß nach.
Von weither sind die Stimmen der Gäste zu hören. Die Braut kommt, immer noch im Unterrock, aber mit dem Brautkranz auf dem Kopf, ins Zimmer. Es entspinnt sich ein Streitgespräch zwischen ihr und Leonardo, aus dem deutlich wird, daß die frühere Liebe noch nicht erloschen ist. Der Magd wird es schließlich zu dumm und sie weist Leonardo darauf hin, daß er kein Recht habe, die Vergangenheit auszugraben. Dem Argument folgt die Braut und schickt Leonardo hinaus. Aber so schnell gibt der nicht auf - er möchte gerne weiter mit ihr reden. Die Braut wird jetzt deutlich: Sie ist sich sicher, daß sie ihn vergessen wird, sobald sie verheiratet ist, also solle er sofort das Zimmer verlassen. Die Magd faßt Leonardo am Rockaufschlag, fordert ihn ultimativ auf, zu gehen und sich der Braut nie wieder zu nähern. Leonardo hat jetzt verstanden und geht. Die Magd führt die Braut zum Ankleiden ins Nebenzimmer.
Inzwischen ist es hell geworden und man hört die Stimmen der Gäste jetzt ganz nahe. Mit Mandolinen, Gitarren, Kastagnetten und Tamburins kommen die ersten Mädchen ins Zimmer und singen ein Brautlied. Den Mädchen folgen kurz darauf die Burschen, die in den Gesang einstimmen. Dann tanzt man zusammen und ruft nach der Braut. Die kommt in einer schwarzen Brautrobe, wie sie im neunzehnten Jahrhundert in Spanien Mode war. Unter Gitarrenklängen wird die Braut von den Mädchen geküßt.
Plötzlich rufen die Burschen, daß der Bräutigam eingetroffen sei. Auch er wird mit Liedern begrüßt, während er feierlich seine Braut küßt. Der Brautvater und die Mutter des Bräutigams kommen mit mehreren Frauen hinzu; ihnen folgt tatsächlich Leonardo, der es sich nicht nehmen läßt, den Bräutigam zu bekränzen. Die Braut möchte sofort zur Kirche gefahren werden und verspricht ihrem Bräutigam, daß sie immer bei ihm bleiben werde. Dann erfolgt allgemeiner Aufbruch in die Kirche.
ZWEITER AKT
Fünftes Bild: Vor der in den Berg gehauenen Wohnung der Braut.
Nach einem Vorspiel sehen wir als erste die Mutter des Bräutigams mit dem Brautvater auf die Szene kommen. Sie erfahren von der hinzukommenden Magd, daß Leonardo und seine Frau schon da seien. Während die Magd Becher und Schalen auf dem Tisch aufträgt, singt sie zur Erheiterung der Gäste ein Chanson.
Nur schwer kann die Mutter des Bräutigams den Anblick Leonardos ertragen. Sie schimpft gegenüber dem Brautvater, das „böse Blut“ dieser Sippschaft komme vom Großvater, der mit dem Morden begonnen und es in „dem elenden Gezücht“ fortgezeugt habe. Brautvater und Magd fordern sie auf, Leonardo und die alten Geschichten ruhen zu lassen, aber sie kann nicht anders, als ihre Rachegedanken herauszulassen. Sie bestreitet dem Brautvater, mitreden zu können, da er nicht weiß, was es heißt, Mann und Sohn auf blutgetränkter Erde liegen zu sehen. Trotz dieser dumpfen Rede gelingt es dem Brautvater schließlich, die aufgeregte Frau zu beruhigen.
Während einige der Gäste tanzen, unterhält sich die Mutter des Bräutigams mit ihrer Schwiegertochter über die Ehe: Das Sakrament, meint sie, wiege schwer und die Braut gesteht, es wiege so schwer wie Blei. Die Braut will wissen, ob die Mutter über Nacht bleiben will, aber sie lehnt ab. Das leere Haus erwarte sie...
Auf der Bühne herrscht ein lebhaftes Treiben; so geht gerade Leonardo vorbei und die Mädchen des Dorfes wollen der Braut die Nadeln abnehmen und gehen mit ihr ins Haus. Leonardos Frau wünscht dem Bräutigam viel Glück mit ihrer Kusine und mit seinem Dank äußert er auch seine Zuversicht über eine gute gemeinsame Zukunft. Dann will sie wissen, ob er ihren Mann gesehen hat; der Bräutigam verneint, vermutet ihn aber unter den vielen Gästen - dann werde sie ihn suchen gehen, antwortet sie.
Die Magd tritt zum Bräutigam erklärt ihm, daß sie diese Feier wunderschön findet. Auf seine Frage, warum sie denn nicht tanze, antwortet sie, es habe sie ja keiner geholt. Als sie nach seiner Braut fragt, sagt er, sie werde gerade vom Kopfputz befreit.
Da kommt die Braut schwermütig zurück auf die Szene. Ihr Mann umfaßt sie, aber sie wehrt seine Umarmung „wegen der Leute“ ab. Leonardos Frau tritt zu ihnen und fragt wieder nach ihrem Mann, denn keiner hat ihn gesehen und sein Pferd ist auch nicht mehr im Stall. Beunruhigt geht sie wieder davon. Der Bräutigam bittet seine Frau um einen Tanz, aber sie möchte sich lieber etwas hinlegen. Er schlägt vor, sie zu begleiten und ihr Gesellschaft zu leisten, doch sie lehnt ab und geht alleine ins Haus.
Während des nun einsetzenden Springtanzes will die Mutter von ihrem Sohn wissen, ob er glücklich ist. Seine Antwort ist ein einfaches „Ja“. Die Magd kommt suchend auf die Szene und geht dann eilig ins Haus; kurz darauf kommt sie wieder heraus und rennt in den Hintergrund davon. Der Springtanz bricht plötzlich ab und es entsteht ein allgemeiner Tumult. Der Brautvater ruft nach seiner Tochter und die Mädchen des Dorfes möchten endlich den traditionellen Bärenreigen des frischgebackenen Ehepaares getanzt wissen. Alles schwirrt umher, aber die Braut ist wie vom Erdboden verschluckt.
Als die Mutter sich beim Brautvater nach seiner Tochter erkundigt, ruft plötzlich eine Frau dazwischen, die Braut sei mit Leonardo auf dessen Pferd geflohen. Ein Mann stellt dem wütenden Bräutigam sein Pferd zur Verfügung und der macht sich mit zwei Burschen an die Verfolgung. Alles rennt aufgeschreckt durcheinander und die Mutter schreit es heraus: „Wieder ist sie da, die Stundes des Bluts!“
Sechstes Bild: Ein Wald in der Nacht.
Drei Holzfäller kommen auf die Szene und unterhalten sich über die schicksalhaften Ereignisse auf der Hochzeitsfeier; sie kommentieren die dortigen Vorkommnisse einerseits mit Sarkasmus, andererseits auch mit Anteilnahme. Schweigend horchen sie in die Stille, können aber nur das Zirpen der Grillen und das Quaken der Frösche wahrnehmen. Dann
meint einer, daß „Er“ sie jetzt umfange, ein zweiter meint, daß „Ihr“ Leib für ihn, und „Sein“ Leib für sie bestimmt war. Ein dritter ahnt, daß man „sie“ umbringen werde. Aber, so der erste Holzfäller wieder, Leonardo habe doch ein schnelles Pferd, daß ihm aber, wie der zweite sagt, wegen der mitreitenden Frau nichts nutze.
Plötzlich ein heller Schein aus dem Dunkel des Waldes: Ein in grelles Weiß geschminkter Mann, der Mond, tritt auf. Er schwärmt von seiner Aufgabe, Licht in die Dunkelheit der Nacht zu bringen, damit sich keiner verbergen kann. Überall sollen seine Strahlen leuchten und keiner soll diesem Leuchten entkommen. Seine Wangen werden sich in dieser Nacht noch „mit Blut röten“.
Eine Bettlerin, unzweifelhaft der Tod, taucht plötzlich aus dem Dunkel auf und spricht ihr Wissen aus, daß „sie“ jetzt kommen, daß „sie“ ihr nicht entrinnen können, nicht an ihr vorbeikommen werden. Aber es ist der Bräutigam mit den Burschen, die sich ärgerlich über die Ergebnislosigkeit ihrer bisherigen Suche auslassen. Der Bräutigam will von der Bettlerin wissen, ob sie einen Mann mit einer Frau auf einem Pferd gesehen habe. Sie sagt geheimnisvoll, daß „Er“ zwar ein stattlicher Bursche sei, aber nach seinem Tod noch „viel schöner“ sein werde. Der Bräutigam versteht nicht und fragt nochmals nach. „Da kommen sie vom Hügel herab. Hörst du sie nicht?“ Die Bettlerin will ihn begleiten - und beide eilen gemeinsam davon.
Leonardo und die Braut haben sich kurz zu einer Rast am Waldboden niedergelassen; ganz offensichtlich hat die Flucht der Braut schwer zugesetzt und sie ist am Ende ihrer Kräfte. Sie äußert ihre Gewissensqualen und bittet Leonardo, sie doch hier liegen zu lassen und sich selber zu retten. Die Verfolger sind schon sehr nahe. Leonardo lehnt ab und nimmt sie in seine Arme, was sie willenlos geschehen läßt. Er drängt sie, schnell auf die Beine zu kommen, um den Weg gemeinsam fortzusetzen.
Während die Bühne in ein starkes blaues Licht getaucht wird, ist plötzlich ein lauter und durchdringender Schrei zu hören. Vor einem zweiten, noch stärkeren Schrei, wächst die Bettlerin aus dem Waldboden heraus und steht mit dem Rücken zum Publikum. Sie öffnet einen Umhang und verharrt in der Bühnenmitte wie ein großer Vogel mit unermeßlich weit ausgebreiteten Flügeln. Der Vorhang fällt in absoluter Stille.
Letztes Bild: Weißer Raum mit Bögen, rechts und links weiße Treppen, großer Bogen im Hintergrund und eine große weiße Wand.
Zwei dunkelblau gekleidete Mädchen spulen eine Docke ab. Sie singen ein Kinderlied und fragen in die Runde, was wohl geschehen sei. Aber sie wissen es nicht, waren ja nicht dabei. Ein Kind lugt durch die Tür und erzählt, man habe „liegende Leiber“ gesehen.
Dann sieht man die Schwiegermutter Leonardos mit ihrer Tochter; verängstigt fragt diese, was wohl geschehen sei. Die Schwiegermutter ahnt Unheil und bittet ihre Tochter, nach Hause zu gehen und ein Aschenkreuz auf das Kopfkissen ihres Mannes streuen und die Fenster und Türen zu vernageln. Beide gehen gebeugt davon.
Das unausweichliche Schicksal ist eingetroffen, das die Mutter des Bräutigams in seiner ganzen Schärfe vorausgeahnt hat: Die Bettlerin tritt auf die leere Szene und berichtet, wie in einem Selbstgespräch, daß man zwei Männer hat kämpfen sehen, die nun still liegen, gefallen, die Augen gebrochen - aber die Braut werde gleich unversehrt zurückkommen. Die Bettlerin verschwindet. Auf die Bühne kommt jetzt die Mutter des Bräutigams mit der in Tränen aufgelösten Nachbarin. Die Mutter herrscht die Frau an, sie wolle hier im Hause keine Klagen hören. Nur ihr stehe das zu, zwar nicht jetzt, aber die Tränen werden unausweichlich kommen.
Nach und nach kommen die Frauen der Nachbarschaft auf die Szene. Plötzlich erscheint auch die Braut; in ihrer Verzweiflung will sich die Mutter auf sie stürzen um sie, die Ehebrecherin, zu töten, doch die Braut verteidigt sich, daß sie rein geblieben, aber bereit sei, von der Hand der Schwiegermutter zu sterben. Man möge sie dann ruhig neben dem toten Mann verscharren. Sie nennt sich ein „in Gluten verbranntes Weib“ und den Bräutigam „das Wasser“, von dem sie „genesen“ wollte.
In diesem Moment erscheint Leonardos Frau und berichtet, daß vier Burschen mit ihren starken Armen und Schultern die beiden Toten herbringen. Die Mutter läßt sich ein Kreuz geben und klagt jetzt nicht mehr die Braut an, sondern meint, daß die Braut schuldlos ist, wie auch sie selber keine Schuld trifft. Schuld sei das verfluchte Messer, das für sie aber jetzt jeden Schrecken verloren hat.
Die Nachbarinnen knien alle nieder und weinen - der Vorhang fällt langsam.
INFORMATIONEN ZUM WERK
Ausgangspunkt für Fortners BLUTHOCHZEIT war eine 1948 für eine Hamburger Inszenierung von Lorcas Stück komponierte Schauspielmusik, sowie eine Szene mit dem Titel „Der Wald“ von 1953, die als Versuch einer musikalischen Konkretisierung jener ungewiß-unheilvollen Stimmung, die Lorca in der Allegorie seines Waldbildes andeutet, gedacht war.
Der Komponist Giselher Klebe sagte von Fortners Oper in einem Vortrag (am 12. Oktober 1986 an der Rheinoper in Düsseldorf), daß DIE BLUTHOCHZEIT „ein so wunderbar leidenschaftliches Stück sei, das die menschlichen Urempfindungen (Liebe, Haß, Tod) in einer an die griechische Tragödie erinnernden Form“ zusammenbringe. Er erinnerte seine Zuhörer an die Tatsache, daß Fortner von Karl Heinz Stroux gebeten wurde, für eine Aufführung des Lorca-Stücks in Hamburg eine Bühnenmusik zu schreiben. Bei der intensiven Beschäftigung mit dem Werk habe Fortner gemerkt, daß, je „weiter das Stück läuft, von der ersten Szene angefangen bis zur Klimax in der sechsten Szene, die Schauspielkunst nicht mehr ausreicht, um - und ich spreche jetzt mit Fortners Worten - die Tragödie zu Ende zu singen“.
Die archaische Konsequenz des Handlungsablaufs und das strenge, karge Milieu realisierte Fortner, ausgehend von einer Zwölftonreihe, durch die fein stilisierte und sehr sparsame Verwendung folkloristischer Motive wie Bolero, Springtanz und dem signalhaften Einsatz einzelner Soloinstrumente: Zwei Violinen und kleine Schlagzeugbegleitung suggerieren die Waldstimmung, zwei Schreie und ein Schlagzeugwirbel illustrieren den Tod der beiden Rivalen.
DIE BLUTHOCHZEIT bietet mit der Partie der Mutter eine der interessantesten Rollen des modernen Musiktheaters. Die Oper wurde 1957 unter Günter Wand zur Eröffnung des neuen Kölner Opernhauses uraufgeführt, später unter Ferdinand Leitner und Günther Rennert ein großer Gastspielerfolg der Stuttgarter Oper.
© Manfred Rückert für Tamino-Opernführer 2011
unter Hinzuziehung des Klavierauszuges von Schott, Mainz
Giselher Klebe:Wolfgang Fortners „Bluthochzeit“ - Vortrag anläßlich der Premiere an der Deutschen Oper am Rhein;
Musikalische Leitung Hans Wallat, Inszenierung Kurt Horres, Bühne und Kostüme Andreas Reinhardt.