Dieses Lied auf ein Gedicht von Heinrich Heine liegt in insgesamt vier Fassungen vor. Die erste entstand 1848, die letzte, die hier besprochen werden soll, vermutlich im Jahre 1860. Es steht im Dreivierteltakt und ist mit „Poco andante“ überschrieben. Von seiner musikalischen Faktur her gehört es - in dieser, seiner letzten Fassung! - zu jenen Liedern, die die relativ „einfache“ musikalische Faktur von Liszts Spätwerk aufweisen.
Anfangs wollt ich fast verzagen,
und ich glaubt´, ich trüg es nie;
und ich hab es doch getragen,
aber fragt mich nur nicht: wie?
Geprägt wird das Lied durch ein musikalisches Motiv, das, wie das oft bei Liszt der Fall ist, gleich am Anfang in der Klaviereinleitung aufklingt. Es besteht aus einer Aufeinanderfolge von zwei Viertel-Akkorden und einem Achtelakkord, vor dem eine Achtelpause steht, so dass ein stockender Rhythmus zustandekommt. Liszt hat die Anweisung „Schwankend“ darübergesetzt. Eingelagert in diese in Moll gehaltene Akkordfolge ist eine fallende und danach wieder ansteigende melodische Linie, die dann von der Singstimme aufgegriffen wird, - nicht in völlig identischer Form, aber in der Grundstruktur übereinstimmend.
Diese melodische Linie, die mit einem Quintfall einsetzt und danach mit einer Aufwärtsbewegung über eine Oktave fortgesetzt wird, weist einen zugleich klagenden wie expressiven Grundton auf, - eben wegen der großen Intervalle, von denen sie geprägt ist, und dem nachfolgenden Verharren in großer Lage, aus der sie sich nicht recht herunter wagen will. Sie bewegt sich dort nur in Sekund- und Terzschritten hin und her.
Auch in diesem Lied arbeitet Liszt wieder mit dem kompositorischen Mittel der Wiederholung. Auf den Worten „und ich hab es doch getragen“ liegt ein Klageton in Form einer melodischen Abwärtsbewegung in kleinen und großen Sekunden. Die Worte „ich hab es“ werden danach auf einem Ton deklamiert, und nach einer zweifachen Viertelpause kommen die Worte „doch getragen“, - wieder auf einem Ton mit nachfolgendem Abfall um eine kleine Sekunde gesungen.
Das „aber fragt mich nur nicht: wie?“ erklingt ohne Klavierbegleitung. Mehr gesprochen als gesungen wirkt das, weil syllabisch exakt auf einer im Sekundschritt absteigenden melodischen Linie fast stockend deklamiert. Auf dem „fragt“ liegt eine halbe Note, und nach dem „mich“ kommt eine Viertelpause in die Vokallinie.
Nach dem einen ganzen Takt lang gehaltenen „wie?“ erklingt in Form eines Zwischenspiels die Klavierbegleitung, die den Schluss des Liedes prägt: Sie besteht aus in Achtel aufgelösten Akkorden im Diskant, die von einfachen Oktavsprüngen im Bass in Form von halben Noten getragen werden. Über dieser Begleitung werden die Worte „aber fragt mich nur nicht; wie? / nicht: wie?“ auf einem einzigen Ton deklamiert (einem hohen „cis“), wobei die melodische Linie am Ende in äußerst expressiver Weise zu einem „fis“ steigt, das wiederum einen ganz Takt lang gehalten wird.
Wie ein Klageschrei wirkt das. Danach wird das „aber fragt mich nur nicht: wie?“ noch einmal in tiefer Lage wiederholt. Mit zwei lang gehaltenen Akkorden im Klavier klingt das Lied aus.