KRENEK, Ernst: ORPHEUS UND EURIDIKE

  • Ernst Krenek (1900-1991):


    ORPHEUS UND EURYDIKE
    Oper in drei Akten - Libretto von Oskar Kokoschka


    Uraufführung am 27. November 1926 in Kassel


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Orpheus (Tenor)
    Eurydike (Sopran)
    Psyche (Sopran)
    Amor (stumme Rolle)
    Ein Krieger (Bariton)
    Ein Betrunkener (Baß)
    Ein Matrose (Tenor)
    Der Narr (Bariton)
    Drei Furien (Mezzosopran)
    Krieger, Matrosen, Bauern, Volk, Schatten


    Die Handlung spielt in mythischer Zeit im Haus von Orpheus und in der Unterwelt.


    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT


    Erste Szene: Garten und Haus des Orpheus.


    Der heimkehrende Orpheus wird von seiner Frau Eurydike liebevoll begrüßt; sie sprechen gegenseitig über ihr großes Glück. Dennoch ist im weiteren Verlauf der Unterhaltung ein gewisses gegenseitiges Mißtrauen festzustellen.


    Die hinzutretende Psyche spricht gleichnishaft von der Gefahr, die demjenigen droht, der zuviel wissen will. Dann fragt sie Orpheus nach ihrem Vater, da ihr in einem Traum drei merkwürdige Gestalten erschienen waren, die ihr aufgaben, genau diese Frage zu stellen. Orpheus antwortet, daß sie ein luftgeborenes Wesen sei, die nur den einen Auftrag habe, Eurydike als Gespielin und Schutzgeist zu dienen. Erneut versichern sich Orpheus und Eurydike ihrer gegenseitigen Liebe.


    Zweite Szene: Vor Eurydikes Gemach.


    Psyche hat sich vor der Tür zu Eurydikes Gemach niedergelassen. Sie erwartet hier Amor, ihren Geliebten, der ihr in jeder Nacht unter der Bedingung, daß sie ihn nicht sehen darf, beiwohnt. Mit dem unruhigen Licht von Fackeln, das Psyche unheimlich vorkommt, treten drei Furien auf und verlangen, in Eurydikes Gemach eingelassen zu werden. Zwischen Wachen und Träumen weist Psyche die Furien zunächst zurück. Als jedoch Amor naht, ist sie abgelenkt und die Furien können in Eurydikes Gemach eindringen. Psyche aber muß feststellen, daß ihr Geliebter vom Licht der Fackeln erblindet ist.


    Dritte Szene: In Eurydikes Gemach.


    Im Schlafgemach der Eurydike verkünden die Furien der Entsetzen, daß sie von Gott Hades ausgesandt wurden, um sie ins Totenreich zu bringen. Während voller sieben Jahre soll sie jegliche Erinnerung an das irdisches Leben und ihre Liebe zu Orpheus vergessen lernen - unvorstellbar für Eurydike. Sie weigert sich, den Furien und damit dem Befehl Hades' zu folgen, scheitert aber an der Unerbittlichkeit der Furien. Schließlich verlegt sie sich auf die Bitte, wenigstens noch eine Nacht mit Orpheus verbringen zu dürfen.


    Orpheus kommt aus dem Hintergrund auf die Szene und wirft Eurydike vor, ihn aus erloschener Liebe verlassen zu wollen. Er glaubt aus dem Gespräch zwischen Eurydike und den Furien, das er aber nur teilweise mitbekommen hat, diesen Schluß ziehen zu müssen. Genau diese Schlußfolgerung weist Eurydike jedoch vehement zurück und bemerkt daher nicht, daß die Furien eine Schlange auf sie angesetzt haben. Plötzlich sinkt Eurydike, von dieser Schlange gebissen, tot zu Boden. Ein Ring ihres Gemahls, einst als Zeichen der Liebe geschenkt, entgleitet ihr.


    ZWEITER AKT: Fünf Jahre später.


    Erste Szene: Im Hades.


    Orpheus kann seine Eurydike nicht vergessen und hat sich in Begleitung von Psyche in die Unterwelt begeben, um den Versuch zu wagen, Eurydike zurückzuholen. Psyche sieht Eurydike plötzlich unter den Schatten und führt sie Orpheus zu. Dabei erklärt sie ihm die Bedingung, unter der er allein Eurydike zurückerlangen kann: er darf sich in keinem Fall nach ihr umdrehen. Orpheus versteht zwar diese Bedingung nicht, gehorcht aber; er faßt seine Frau und geht rasch auf den Ausgang zu. Dabei erwacht plötzlich in Eurydike die Erinnerung an ihr früheres Leben mit Orpheus.


    Zweite Szene: Am Ufer des Styx.


    Eurydike mag es einfach nicht glauben, daß sie zu ihrem Gatten und ins irdische Leben zurückkehren darf. Freudig folgt sie ihm und Orpheus führt sie eilig an das Ufer des Styx. Hier entdecken sie eine schwarze Segelbarke, die sich hervorragend zur Flucht aus dem Totenreich eignen würde. Während Orpheus ohne zu zögern mit Eurydike auf das Schiff zueilt, folgt sie ihm nur widerwillig. Kaum an Bord, legt die Barke ab und segelt auf dem Styx davon.


    Dritte Szene: Auf der Segelbarke. Nacht.


    Orpheus und Eurydike begeben sich in den unteren Teil der Barke. Plötzlich aber steht der Wind still und die Segelbarke macht keine Fahrt mehr - es herrscht eine bleierne Stille. Die Matrosen beten zu Amor, er möge Wind senden, schlafen dann aber, weil der Gott ihre Bitte nicht erfüllt, ein. An Bord der Barke sind aber auch die Furien; sie stricken an einem Netz, das sie schließlich über Bord werfen. Dann verführen sie einen närrischen Matrosen zu einem wahnsinnigen Treiben, von dem die übrige Mannschaft aufwacht. Die Matrosen holen das Netz der Furien ein und ihm entrollt ein menschlicher Schädel. Über diesen stolpert der vor den übrigen Kameraden flüchtende närrische Matrose. Als er ihn neugierig aufhebt, sieht er im Gebiß einen Ring.


    Vierte Szene: Im Innern der Barke.


    Unter Deck drängt Orpheus seine Gattin, ihm zu berichten, was sie im Hades erlebt hat; in ihm sind nämlich starke Zweifel an ihrer Treue aufgekommen. Eurydike wehrt seine Bitten zunächst ab, und der närrische Matrose tritt hinzu und übergibt Orpheus den Ring. Den erkennt er sofort als den Ring, den er Eurydike einst als Zeichen ewiger Verbundenheit schenkte. Allerdings ist die frühere Inschrift verschwunden; stattdessen stehen dort mehrdeutige Worte: „Glück ist anders“ und „Der andere glücklich“. Nun offenbart Eurydike ihrem Gatten ihre Erlebnisse: sie berichtet zunächst, daß die Erinnerung an das irdische Dasein und an ihren Gemahl nach und nach verblaßte, sie jedoch gleichzeitig von Gott Hades begehrt und umworben wurde. Sie aber blieb fünf Jahre standhaft und verweigerte sich Hades. Plötzlich gab er sie jedoch frei und gestattete ihr die Rückkehr ins irdische Leben - und da war es um sie geschehen. Indem er nämlich Desinteresse an ihr vorgab, brachte er sie dazu, sich ihm hinzugeben. Rasend vor Eifersucht sticht Orpheus mehrmals auf Eurydike ein, die zurücksinkt in das Totenreich.


    DRITTER AKT: Zwei Jahre später.

    Erste Szene:
    Vor dem verödeten Haus des Orpheus.


    Gebrochen kommt Orpheus zerlumpt zu seinem Haus zurück; erst allmählich wird ihm bewußt, daß dieses verfallene Gemäuer sein eigenes Haus ist. Es ist seine zerbrochene Leier, die er findet und ihn zu dieser Erkenntnis gebracht hat - und er beginnt auf ihr zu spielen. Die immer noch lieblichen Melodien, die er dem Instrument zu entlocken vermag, versetzen die Landleute und vorbeiziehenden Krieger in einen bacchantischen Taumel, der sich plötzlich gegen ihn richtet und in einen kollektiven Vernichtungsrausch mündet: die Krieger hängen Orpheus auf.

    Zweite Szene:
    Psyche und Amor.


    Psyche tritt mit ihrem Geliebten Amor auf die Szene und wäscht die Augen des erblindeten Amor mit den Tränen aus, die er in den vergangenen sieben Jahren um Eurydike geweint und die sie in einem Gefäß gesammelt hat. Sie benetzt seine Augen mit seinen eigenen Tränen und macht ihn damit wieder sehend.


    Dritte Szene: Nächtliches Dunkel in einem unwirtlichen Gebiet.


    Die Seelen von Orpheus und Eurydike begegnen sich zwischen Leben und Tod ein letztes Mal. In einer großen Abrechnung umkreisen sie jenes unentwirrbar scheinende Ineinander von Eifersucht und Begierde, von Liebe und Mißtrauen, dem sie beide nicht entkommen können. Am Ende sieht Eurydike ein, daß des Gatten Liebe zu ihr, die sie weder im Leben noch im Tod zur Ruhe kommen ließ, auf Haß beruht. Als er sie höhnisch auslacht, erwürgt Eurydike ihn, um endlich frei sein zu können.


    Nachspiel: Früher Morgen.


    Psyche erwacht nach einer Liebesnacht mit Amor. Sie findet auf ihrem Körper Blumen und neben sich Orpheus' Leier. Sie weckt die um sie schlafenden Knaben und Mädchen und erzählt ihnen von der Wiedergewinnung des geliebten Amor. Schon steigt die Sonne am Firmament empor und wirft ihren unendlichen Schein über die schlafen gehende Nacht. Psyche besteigt, Orpheus' Leier im Arm, die schwarze Segelbarke um dem geliebten Amor in den strahlenden Sonnenaufgang hinein zu folgen...

    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Kreneks ORPHEUS UND EURYDIKE liegt ein Drama von Oskar Kokoschkas zugrunde, zu dem der Komponist 1923 „wie in einem Rausch“ die Musik schrieb. Anna Mahler, Almas Tochter, die mit Krenek verheiratet war (seine 2. Symphonie ist ihr gewidmet), verfertigte den Klavierauszug. Die Uraufführung fand 1926 in Kassel, durchaus erfolgreich, statt, das Werk fand danach aber nicht auf die Bühne zurück; 2005 kam es zumindest zu einer konzertanten Aufführung bei den Salzburger Festspielen.


    Kokoschka schrieb das Drama 1916/1917 während einer Rekonvaleszenz nach einer schweren Verwundung an der russischen Front. Der Maler und Dichter verarbeitet in dem Stück seine gescheiterte Liebe zu Alma Mahler. In der Folgezeit entstanden zahlreiche Grafiken und Gemälde zu diesem Thema. Als Schauspiel wurde das Stück 1921 in Frankfurt uraufgeführt; Regisseur war Heinrich George, der auch die Rolle des Orpheus spielte. Kokoschka saß während der Proben in der ersten Reihe des Parketts. Albrecht Joseph, der spätere Ehemann Anna Mahlers, war Georges Assistent und erinnert sich:


    Immer wenn ich aus dem Parkett (…) auf die Bühne steigen mußte, um etwas mit George zu besprechen, sah ich unvermeidlich auf meinem Weg zurück Tränen über Kokoschkas Gesicht fließen. Ich wunderte mich, denn ich wußte nicht, daß Orpheus Kokoschka selbst war, Eurydike Alma, Psyche ihre Tochter Anna und Pluto Mahler. Ich ahnte nicht, daß für einige Jahre nach Mahlers Tod Alma und Kokoschka eine leidenschaftliche, wilde Liebesbeziehung miteinander hatten, die damit endete, daß Alma ihren Geliebten drängte, als Freiwilliger in den Krieg auszuziehen, obwohl er durchaus nicht zum Soldaten geschaffen war. Er kam schwer verwundet von der Front heim, und Anna sagt, ihre Mutter habe sich geweigert, ihn im Spital zu besuchen oder ihn später überhaupt wiederzusehen. (…) Aber Kokoschka konnte sie nicht vergessen. Es wurde erzählt, daß er eine lebensgroße Puppe machen ließ, ein Abbild seiner Liebesgöttin, die er mitnahm, wenn er reiste, auch ins Bett.“


    Krenek hat die Musik zu ORPHEUS UND EURYDIKE nach eigenen Worten viel höher eingeschätzt als die zu „Jonny spielt auf“. Sehr unterschiedliche Stilebenen zwischen Tonalität und Atonalität unterstreichen die Handlung. So wird das Inferno, wie von Oskar Kokoschka vorgeschlagen, durch mechanische Repetitionen zum Ausdruck gebracht, der glücklichen Vereinigung von Amor und Psyche entsprechen dagegen konsonante helle Streicherakkorde.


    © Manfred Rückert für Tamino-Opernführer 2012
    unter Hinzuziehung der Inhaltsbeschreibung von Jens Schubbe
    und Heinz Wagner: Die Oper
    Biographie über Alma Mahler

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    MUSIKWANDERER

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  • „ORPHEUS UND EURYDIKE“ (Ernst Krenek)



    Orpheus – Ivo Žídek / Eurydike – Gerda Scheyrer / Psyche – Laurence Dutoit / Drei Furien – Elisabeth Sobota, Helga Wagner und Sonja Draksler / Ein Betrunkener – Heinz Holecek / Ein Krieger – Kurt Ruzicka / Ein Matrose – Klaus Gerboth / Der Narr – Hans Strohbauer / Der Chor und das Symphonieorchester des Österreichischen Rundfunks, Wien / Chorltg.: Gottfried Preinfalk / Dirigent: Ernst Krenek (Wien, Konzerthaus, 5. 4. 1968). Eine konzertante Aufführung als Aufnahme des ORF Wien, die auch im WDR Köln in der Serie „Oper im zwanzigsten Jahrhundert“ gesendet wurde.



    Orpheus – Horst Hoffmann / Eurydike – Nelly Ailakova / Psyche – Patricia Barham / Drei Furien – Olga Voll, Edith Gruber und Erika Schubert / Ein Betrunkener – Helmut Berger-Tuna / Ein Krieger - Rolf Polke / Ein Matrose - Erich Seitter / Der Narr - Gottfried Hornik / Der Grazer Opernchor / Chorltg.: Ernst Rosenberger / Das Grazer Philharmonische Orchester / Dirigent: Hector Urbon (Graz, Opernhaus, 20. 10. 1973). Das war die Österreichische Bühnen-Erstaufführung (Regie: Hans Hartleb). Auch dieser Mitschnitt kam im WDR Köln zur Sendung.



    Orpheus – Ronald Hamilton / Eurydike – Dunja Vejzovic / Psyche – Celina Lindsley / Drei Furien – Cornelia Kallisch, Gabriele Schreckenbach und Jutta Geister / Ein Betrunkener – Hans Franzen / Ein Krieger und Der Narr – Bo Skovhus / Ein Matrose – Wilfried Gahmlich / Der ORF-Chor Wien / Chorltg.: Erwin Ortner / Das ORF-Symphonieorchester Wien / Dirigent: Pinchas Steinberg (Salzburg, Felsenreitschule, 23. 8. 1990). Ein Konzert im Rahmen der Salzburger Festspiele, mitgeschnitten vom ORF und 2014 veröffentlicht bei ‚Orfeo‘ auf zwei CDs. Anlässlich der ‚Documenta IX‘ gab es am 20. 6. 1992 im Staatstheater Kassel (1926 Ort der Uraufführung) eine Inszenierung von Michael Leinert mit Jayne Casselman als Eurydike, Aixa Rodríguez als Psyche und James McCray als Orpheus; Dirigent: Georg Schmöhe.



    Orpheus – Eduardo Santamaría (statt Jon Villars) / Eurydike – Susan Anthony / Psyche – Judith van Wanroij / Drei Furien – Carmen Solis (statt Marina Rodríguez Cusi), Cecilia Díaz und Itxaro Mentxaca / Ein Betrunkener und Der Narr - David Rubiera / Ein Krieger - Javier Galán / Ein Matrose – Roger Padullés / Coro del Teatro Real / Orquesta Sinfónica de Madrid / Dirigent: Pedro Halffter (Madrid, Teatro Real, 27. 4. 2008). Eine Aufführung in deutscher Sprache, die im Internet nachgehört werden kann.



    Orpheus – Daniel Kirch (statt Dominik Wortig) / Eurydike – Brigitte Pinter (statt Janice Baird) / Psyche – Claudia Barainsky (statt Lisa Milne) / Drei Furien – Christa Mayer, Barbara Senator und Kimara Pessati (statt Eva Vogel) / Ein Betrunkener – Tye Maurice Thomas (statt Christoph Sökler) / Ein Krieger und Der Narr – Christian Immler / Ein Matrose – Christoph Schröter (statt Wolfgang Frisch) / Der Ernst Senff Chor / Das Konzerthausorchester Berlin / Dirigent: Lothar Zagrosek / Regie: Karsten Wiegand (Berlin, Konzerthaus, 5. 2. und 6. 2. 2010). Die beiden halbszenischen Aufführungen waren gefährdet durch den Ausfall wegen einer Grippe-Erkrankung von gleich fünf Solisten, die sehr kurzfristig ersetzt werden mussten. Dennoch wurde es ein von Publikum und Presse gefeierter großer Erfolg, nachprüfbar auf zwei CDs und einer DVD von ‚nmzMedia‘.



    Carlo