Jacques Offenbach: Orpheus in der Unterwelt - Versuch einer Würdigung

  • Kürzlich habe ich mir auf youtube Orpheus in der Unterwelt angeschaut, in der Inszenierung von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin aus dem Jahre 1984 (U.A. 18.12.1883), mit Julia Migenes als Eurydike, Donald Grobe als Orpheus, Hans Lohner als Styx usw.



    Trotz der schlechten Bildqualität habe ich die drei Stunden am Stück durchgehalten, so fasziniert war ich von dieser Inszenierung. Ich weiß nicht, woher die schlechte Bildqualität kommt, vermutlich eine Kopie der DVD, die es seit 2013 auch gibt, mit geringer Bildauflösung. Das einzige, was mich an der Inszenierung gestört hat, war die spärliche Ausleuchtung der Bühnenbilder. In der Unterwelt mag dies ja noch angebracht sein, aber selbst der Olymp hatte bei Tagesanbruch noch einen nachtschwarzen Himmel.



    Bei Recherchen hier im Forum ist mir aufgefallen, dass es über den Orpheus als Werk noch gar keinen Beitrag gibt. Es existieren zwar eine unkommentierte Inhaltsbeschreibung im Operettenführer und zwei Themen im Operettenforum, die sich aber um Referenzaufnahmen drehen und keine oder doch nur eine beiläufige Würdigung des Werkes selbst beinhalten.

    Im Vorspann der damaligen Fernsehübertragung der Götz Friedrich Inszenierung heißt es: „Neufassung Götz Friedrich, Thomas Woilkewitsch“. Hierzu ist wichtig zu wissen, und davon war in einem der früheren Themen ja auch mal irgendwann die Rede, dass es vom Orpheus zwei unterschiedliche Versionen von Offenbach selbst gibt. Die Urfassung von 1858 hat noch eine vergleichsweise schlichte Gestalt, nur 2 Akte aber drei Bilder, dennoch bereits eine abendfüllende Operette (Offenbachs erste). Und sie beinhaltete auch schon die meisten der weltberühmt gewordenen Nummern. 1874 überarbeitete Offenbach seinen Orpheus zu einem großen, revuehaften Spektakel. Er fügte neue Nummern und einiges an Balletmusik hinzu und vergrößerte die Finale. Grund für diese Änderungen war, dass Offenbach nach dem verlorenen Krieg 1871 als deutschstämmiger böse angefeindet wurde, sein bisheriges Stammpublikum aufgrund einer weiteren Revolution in Frankreich verloren und der Publikumsgeschmack sich komplett gewandelt hatte. Mit der sehr erfolgreichen Neufassung rettete er sein Theater vor dem drohenden Bankrott.


    Im einzelnen sind folgende Musiknummern außer den Balletnummern und den Erweiterungen in der Introduktion und in den Finale I + II in der zweiten Fassung hinzugekommen :


    • Eh Hop, Couplet des Merkur
    • Couplet der Euridike „A quelle triste destinée“
    • Septett vom Tribunal Minos
    • Rondo und kleines Rondo der Polizisten
    • Couplet des Cupido „Allons mes fins lumiers“.


    Die auch in den anderen Themen schon mehrfach erwähnte CD von Marc Minkowski basiert nun meines Wissens genau auf dieser erweiterten Version. Und soweit ich es aufgrund der Nummernfolge dieser CD vergleichen konnte, hat Götz Friedrich den Handlungsverlauf, wenn überhaupt, nur unwesentlich verändert. Sicherlich hat er und sein Mitautor, wie auch aus nachfolgend verlinkter Kritik hervorgeht, die Gesangstexte, die, wie man oft lesen kann, ohnehin schlecht übersetzt waren, z. T. neu gedichtet und auch die Dialoge modernisiert. Ich habe aber meine Zweifel, ob man deshalb bereits von einer Neufassung reden kann.


    Eine Mischung aus Urfassung und abgespeckter Erweiterung, zumeist unter Streichung der Revueszenen und einiger Titel ist die heute gängige Aufführungspraxis des Orpheus. Das erklärt auch die in früheren Beiträgen dieses Forums bemängelte Kürzungen auf der einen oder anderen CD.


    Hier noch ein Link auf eine Kritik zu der Inszenierung


    Nicht so ganz einverstanden bin ich über die Bemerkung in dieser Kritik, Götz Friedrich habe den Orpheus nicht als Operette, sondern mit allem Pomp als Grand Opéra inszeniert. Denn dieses Werk hat, auch und gerade in dieser Inszenierung, alles, was eine Operette von der komischen Oper unterscheidet: es ist frech, frivol, stellt alles auf den Kopf und schert sich nicht um irgendeine musikalische Ästhetik. Dabei ist aber die Musik von allerhöchster Qualität.


    Sicher ist Oprheus in der Unterwelt nicht Jedermanns Lieblingsoperette; dafür sind die Geschmäcker und Ansprüche zu verschieden. Aber ich glaube, man kommt nicht umhin, diese Operette in dieser Kombination in seiner gesamten Machart als das wahrscheinlich lustigste, geistreichste und genialste Werk dieses Genres anzuerkennen.


    :thumbsup: Uwe

  • Hallo, Uwe!


    Leider kenne ich nur einige Stücke aus dieser Operette. Ich müßte mir mal die angesprochene DVD zulegen. Denn von dieser Besetzung (mit Julia Migenes als Eurydike, Donald Grobe als Orpheus, Hans Lohner als Styx usw.) kann man heute wohl nur noch träumen.




    Herzlichst
    Wolfgang

    W.S.

  • Kürzlich erlebt in der Wiener Volksoper, 28. Jänner 2023: Die neue Produktion von Orpheus in der Unterwelt in der Regie von Spymonkey.


    So ähnlich wollte ich diese Operette immer erleben, und die Aufführung hat meinen Wunschtraum noch übertroffen. Nach der Lektüre von Edwin Baumgartners Besprechung in der Wiener Zeitung war ich noch skeptisch, aber es hat sich für mich alles bestätigt, was er schreibt. Eine einzige kleine unwichtige Ausnahme ist, dass ich mir von der Sängerin der Eurydike gelegentlich gewünscht hätte, sie hätte ihren Spitzenton eine Oktave tiefer gesungen.


    Hier der Artikel in der Wiener Zeitung:

    https://www.wienerzeitung.at/n…Zerberus-macht-Haufi.html


    Hier der Trailer von der Volksoper:


    Hier die sogenannte Kurzeinführung, in der die Regisseure zu Wort kommen:

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.