Es gibt Aufnahmen, die erfrischen so das Gemüt, dass man sich beim Hören wie neu geboren fühlt. Einer dieser seltenen Glücksfälle ist Wilhelm Kempffs wunderbare letzte Einspielung der Sonate op. 2 Nr. 3 bei der DGG. Kempffs Musizieren beglückt immer wieder durch seine Musikalität, es ist geradezu die Verkörperung von Musikalität. So auf Kempffsche Weise „musikalisiert“ erscheint diese Beethoven-Sonate mehr als nur nachschöpferisch realisiert, vielmehr wie wiedergeboren, zu neuem Leben erweckt. Und es bedarf des Genies eines Wilhelm Kempff, einfach vergessen zu machen, dass er nun mal kein Übervirtuose ist, indem sich Virtuosität nicht in sportlicher Tastenakrobatik, sondern einer auf höchste Weise gesteigerten, stets geistreich-begeisternden Spielfreudigkeit zeigt. Das Geheimnis von Kempffs Spiellebendigkeit heißt Flexibilität: Starr Metrisches hat sich in höchst bewegliche Rhythmik verwandelt, kleine und kleinste Verschiebungen, kräftige oder auch kaum auffällige Akzente. Dabei wird das musikalische Geschehen getragen von einem sich durchhaltenden rhythmischen Puls und seinen verschiedensten Verwandlungen, der den Hörer unaufhörlich weiter trägt: Mal ist er scharfkantig, mal wechselt er zum lyrisch Weichen. Sogar das Seitenthema „lebt“ von einer solchen rhythmischen Transformation. Den erste Satz präsentiert Kempff mit Witz, sprühend von jugendlicher Energie, aber ohne jede Derbheit. Dabei bringt Kempff seinen großen Sachverstand in Sachen Beethovenscher „Logik“ völlig ohne belehrenden Zeigefinder ins Spiel. Da spielt einer überlegen, sozusagen mit schalkhaftem Lächeln aus, was er von Beethoven weiß und in einem langen Musikerleben erprobt hat. Altersmüdigkeit ade – ein immer musikalisches und zugleich seriöses Spiel, dem rhetorische Gewaltsamkeit ebenso fremd ist wie jede Form akademischer Verkrampfung. Wie schön schlicht und poetisch er doch das Adagio aussingt und wiederum spritzig das Scherzo vorführt! Das Finale ist natürlich kein virtuoser Tempo-Renner. Aber Kempff weiß eben, wie er seine Möglichkeiten so einsetzt, dass das, was er kann, das Ohr betört, das was er nicht kann dagegen erst gar nicht zu hören ist. Bewundernswert sein Instinkt, wie er im finalen Rondo die Musik flexibilisiert, die dynamischen Kontraste elegant etwas entschärft, um Gravitätisches ins Schwerelose zu heben, die Bewegungen so freier und ungezwungener ausschwingen zu lassen. Was soll man dazu noch sagen? Das ist schlicht eine der großartigsten Aufnahmen von Kempff überhaupt. Ich zögere keine Sekunde, ihr das Prädikat einer „Referenz“ zu verleihen.
Schöne Grüße
Holger