Werkszyklen auch zyklisch hören: wie stehen die Taminos dazu?

  • Aber Musik muss ich normalerweise mehrfach hören und möchte zugleich mehr Abwechslung, als dass ich häufig mehrere Wochen lang nur Haydn-Sinfonien hören will. Ich sollte so ein Mammutprojekt vermutlich mal mit Bachs Orgelwerken machen...


    Mein Haydn-Projekt lief nur im Auto, zu Hause gab es dafür einen Querschnitt durch die ganze Musikgeschichte. Solche Mammutprojekte haben ja etwas für sich, ich habe da noch die sämtlichen Orgelwerke von Buxtehude liegen. Zur Orgelmusik muss ich sagen, dass ich das lieber live höre. Dazu braucht man eine Suchmaschine, die einem die Orgelkonzerte samt der zugehörigen Kirche anzeigt. Meist gibt es dort auch eine Anmeldung zu einem Newsletter. Der Eintritt ist so gut wie immer frei, weil sich herausgestellt hat, dass bei freiem Eintritt und Bitte um Spenden mehr Geld zusammenkommt. Die meisten Kantoren, vor allem, wenn sie eine A-Stelle haben, sind große Könner.
    Ein gescheitertes Objekt war übrigens, zeitlich vorzugehen und sich von hinten durch die Musikgeschichte zu arbeiten. Es geht überhaupt nicht, dass man nur Alte Musik hört.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ein gescheitertes Objekt war übrigens, zeitlich vorzugehen und sich von hinten durch die Musikgeschichte zu arbeiten. Es geht überhaupt nicht, dass man nur Alte Musik hört.


    Ich habe ein solches Projekt mit Opern begonnen, begleitet durch die Lektüre von Schreibers "Opernführer für Fortgeschrittene". Allerdings bin ich nach vielversprechendem Start bei Peri und Caccini über Monteverdi und Cavalli hin zur französischen Barockoper bei Rameau steckengeblieben. Das hat aber mit äußeren Umständen zu tun, die sich bald ändern werden, so dass ich das Projekt hoffentlich in Kürze wiederaufnehmen kann. Der Anspruch ist, mir zumindest die wichtigsten Opern der Komponisten auf DVD/BluRay anzuschauen; im Ausnahmefall, wenn es keine Bildaufzeichnungen gibt, kommt auch mal eine CD in Frage. Aber natürlich höre ich zwischendurch auch etwas anderes, auch eine andere Oper wird dann schon einmal eingeschoben.


    Dieses Projekt hat schon die ersten Früchte getragen, weil ich dadurch die Opern von Lully kennen und lieben gelernt habe. Ich hoffe, auch künftig noch viele solche Entdeckungen zu machen. Außerdem führt es zu erhellenden Einsichten, wenn man die Musikgeschichte entlang hört.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lies mal "Die Familie Schroffenstein". Da kommt man aus dem Lachen nicht mehr heraus. […] Aber vielleicht, lieber Dieter, schreibst du noch mehr.


    Das mache ich. Meine Kleist-Lektüre liegt allerdings schon zu lange zurück, sodass ich mir die Familie Schrioffenstein heute noch einmal zu Gemüte geführt habe. Aber was heißt schon »zu Gemüte geführt«? Gemütlich geht es da ja ganz und gar nicht zu. Und zum Lachen war das für mich erst recht nicht, auch wenn Du das anders empfindest (und Dich da mit Wikipedia einig siehst). Ich war schon von den ersten Sätzen gefesselt, es hat mich hineingezogen (wenngleich das dann im Verlauf des Stückes nicht durchgehend so blieb). Wenn es bei Wikipedia heißt: »Am Ende ist keines der Probleme gelöst, der Zuschauer erfuhr keine Katharsis, sondern es entsteht eine komische Situation«, so ist das in Bezug auf die Katharsis sicher richtig, aber komisch ist daran für mich überhaupt nichts, und wenn Wikipedia weiter schreibt, die Katastrophe am Ende des Stückes werde verlacht: »Das ist ein Spaß zum/Totlachen!, lässt Kleist den während der Handlung in den Wahnsinn verfallenen Johann, unehelicher Spross Ruperts, sagen«, kann ich nur entgegnen: Ja eben, das sagt einer, der über den Geschehnissen verrückt geworden ist, weil das eben nichts zum Lachen ist.
    Dass man die Handlung an sich, je weiter sie fortschreitet, durchaus als lächerlich empfinden kann (das hat sie ja auch mit vielen Opern gemeinsam) räume ich gerne ein. Aber es kommt ja darauf an, was daraus gemacht wird. Und da kann ich mir gut vorstellen, dass die üblichen in Orthografie und Zeichensetzung »behutsam modernisierten« Fassungen gerade bei Kleist dem Original nicht mehr gerecht werden und die Sprache zu sehr an Wirkung verliert. Ich habe Kleist in der Fassung nach der Handschrift (Brandenburger Ausgabe) gelesen. Ich hatte aber mal ein paar ein paar Sätze, nicht aus Schroffenstein, einer anderen Ausgabe im Vergleich vor mir, und wenn man da die Kleistsche Kommasetzung bewusst mitgelesen hat, war das in der Tat etwas ganz anderes.

  • Dieses Projekt hat schon die ersten Früchte getragen, weil ich dadurch die Opern von Lully kennen und lieben gelernt habe. Ich hoffe, auch künftig noch viele solche Entdeckungen zu machen. Außerdem führt es zu erhellenden Einsichten, wenn man die Musikgeschichte entlang hört.


    Das Schreibersche Werk ist konkurrenzlos, obwohl ich es auch noch nicht viel benutzt habe. In der Musik geht es mir wie in der Literatur: ich finde, dass die Sekundärliteratur und die Bücher über Musik mir die Zeit rauben, mehr Literatur und mehr Musik zu genießen. Immerhin lese ich aber immer die booklets.
    Lully ist natürlich großartig. Mir gefällt jedoch Rameau noch besser. Hier ist meine Lieblingsoper "Zais" (Trema auf dem i). "La petite bande" unter Gustav Leonhardt. Ich weiß nicht, ob ich das 50x gehört habe, aber 30x waren es bestimmt.
    Wenn du dieses neue Projekt anfängst, mach doch bitte einen kleinen Thread daraus. Es muss ja nicht so etwas sein, wie Helmut Hofmann das kann. Eine Vorstellung mit Bild und kurzem persönlichen Kommentar reicht da schon.
    Ich habe ja gerade das Projekt "bellezza" gestartet, mal sehen, wie das läuft. Mein nächstes Projekt ist ein Risiko. Es soll heißen: "Alte Musik, sofort verständlich." Dazu als Beispiel: Händels "Lascia la spina", gut gesungen, wird jedem auf Anhieb gut gefallen, während man bei der Messe "Maria zart" von Obrecht nicht sofort eine begeisterte Gefolgschaft erwarten darf. Dann kommt noch ein drittes Projekt, da weiß ich aber noch nicht, ob das was wird.

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  • Lieber Dieter, danke für diesen ausführlichen Text. Ich habe die Schroffensteins das letzte Mal 2005 gelesen, da ist mir wenig geblieben. Aber im thread "Was lese ich gerade" habe ich das ja so formuliert: "Man steigt niemals zwei Mal in den gleichen Fluss!" Vielleicht sehe ich das beim Wiederlesen dann anders. Bei meiner Klassikerrunde von 2004-2010 habe ich neben Stifter und Fontane auch Theodor Storm sehr genossen. Spätestens in 2 Jahren werde ich die große Klassikerrunde wiederholen und daraus vielleicht ein eigenes Thema machen, denn es ist ja offensichtlich, dass wir hier alle auch Literaturkenner sind. Ein schmerzliches Problem habe ich jedoch: ich finde einfach nicht mehr immer alte Bücher, die in Frakturschrift gedruckt sind. Eigentlich ist das ein absolutes Muss.

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