Es handelte sich um die zweite Aufführung einer Übernahme vom Theater Basel, speziell um eine Inszenierung von Calixto Bieito. Meine Erwartungen waren daher nicht sehr hoch. Von den von mir im Laufe der Jahre in der Hamburgischen Staatsoper gesehenen knapp ein Dutzend Aufführungen dieser Verdioper war es wohl die musikalisch am wenigsten gelungene. Auf der Habenseite standen der Tenor Markus Nykänen als Cassio sowie Nadezhda Karyazina als Emilia, auf der anderen die Sänger der drei Hauptpartien. Alle waren stimmstark, aber nicht stimmschön. Am ehesten gefiel noch Claudio Sgura als Jago, der aber weder stimmlich noch darstellerisch die Dämonie dieser Rolle zum Ausdruck bringen konnte. In seiner ersten Arie wirkte er auf mich wie ein rezitierender Konfirmand. Marco Bertis (Otello) eher weiß-farbloser Tenor öffnete sich nur unter Druck, aber noch nicht beim „Esultate“. Wenn das nicht heldisch genug schallt, wie bei ihm, sind die Erwartungen schon etwas gedämpft. Der mehr lyrischen Part des Otello, vor allem im Liebesduett am Ende des ersten Aktes, klang bei ihm eher fahl und liebelos. Im Grunde reduzierte sich seine Rolle stimmlich (und darstellerisch) auf die eines Despoten, dem innere Gefühle, wie die Liebe zu Desdemona, abgehen.
Nun ist es heute wohl nicht einfach, einen gleichzeitig lyrisch singenden und zum Heldischen geeigneteten Tenor (wie Placido Domingo, der hier seinen ersten Otello sang) für die schwierige Rolle des Otello zu gewinnen. Wenn der Jago oder wenigstens die Desdemona das ausgeglichen hätten. Svetlana Aksenovas (Desdemona) Sopran geriet häufig grell und in der Höhe eng. Der Stimme fehlte heute (sie singt sonst an den großen Operhäusern bedeutende Rollen) der warme Klang und das für Verdi typische Aufblühen der Stimme, etwa am Schluss des Abengebets; schade. Der mangelnden stimmlichen Beseelung entsprach auch das aus meiner Sicht nur routiniert, aber ebenfalls emotionslos spielende Orchester unter der Leitung von Paolo Carignani.
Das Bühenbild (Susanne Gschwender) beieindruckte zunächst. Die schwarz ausgeschlagene, bis in die Seiten- und die Hinterbühne erweiterte Spielfläche dominierte ein mächtiger, auf Schienen fahrbarer Drehkran, neben und auf dem sich dann allerdings auch die gesamte Handlung vollzog. Zu Beginn fanden sich zum Publikum hin aufgebaute Stacheldrahtverhaue, dahinter stand der Chor mit gefesselten Händen. Nach Ankunft Otellos wurde der Stacheldraht entfernt und eine Schaumwein-Spritzorgie begann. Später wurde ein “Delinquent“ an einem Haken des Krans aufgehängt und zappelnd in die Höhe gezogen, zwischendurch vergewaltigte Otello seine Desdemona und gab sie später dem Volk zur Hatz frei. Das Abendgebet und die Ermordung Desdemonas fand auf einer der Kranebenen statt. Schließlich hängte sich Otello mit seinem Kopf am Ende des Kranauslegers, der nach vorn zum Publikum hin fuhr, in eine Stahlverstrebung und verschied. Alles wurde mit viel Schauspielerei dargeboten.
Das wäre vielleicht noch zu ertragen gewesen, wenn überzeugend gesungen worden wäre. Während das (eigentlich) berührende Liebesduett am Ende des ersten Aktes keinen Applaus (der auch ungerechtfertigt gewesen wäre) erhielt, wurde die Aufführung am Ende von Teilen des Publikums bejubelt, auch die Sänger der drei Hauptpartien. So unterschiedlich können die Meinungen ausfallen.