Interpretationsvergleiche Klavier - Diskussionsforum

  • Und weil Musik zwar wütend, aufbrausen klingen kann, wir aber nicht wissen, auf welchen Gegenstand sich das bezieht (wir zürnen über etwas, lieben Jemanden), sagte Schopenhauer: Musik kann zwar nicht "über etwas" wütend sein (die Wut hat keinen intentionalen Gegenstand, philosophisch gesagt), aber nur die "Wut als solche" ausdrücken, die "Gefühlsidee" von Wut.


    Da hat er Recht, der Chopinhauer. Die Emotion Wut kann man als Hörer - bei entsprechender Sensibilität des Hörers und Geschick des Tonsetzers - spüren, den Verursacher nicht. Ob Beethoven ärgerlich auf seinen Weinlieferanten oder auf seine Putzfrau war, erschließt sich uns (jedenfalls mir) durch das Anhören mehrerer Triller nicht. Allenfalls frage ich mich warum der Meister in Dur tobt.

    Um es vorweg zu nehmen: Ich bin für die Einführung einer Wutpflicht für Musiker, der sog. Pflichtwut. Du ärgerst dich über zu warmen Wein? Ab an den Flügel und heftige Triller komponieren. Deine Liebste hat ein Verhältnis mit deinem Verleger? Das braucht dich nicht verlegen zu machen - wozu gibt´s die Appassionata (korrekt: wozu wird es in wenigen Stunden die Appassionata geben). Wohl dem, der seiner Wut durch wohlgesetzte Sechzehntel Luft schaffen kann! Was aber macht z. B. der immer noch nicht demotivierte Klavierlehrer, dem sein achtjähriger Eleve Kevin-Ron mit großen Augen und bestimmtem Tonfall erzählt, er - der Lehrer - habe ihm in der letzten Stunde beigebracht, das # erniedrige einen Ton, und warum er - der Lehrer - nun heute das Gegenteil behauptet (erfundene Geschichte? Von wegen!) Der arme Pädagoge geht nach Hause, öffnet sein 24 Jahre altes Förster-Klavier, kann aber mangels kompositorischer oder improvisatorischer Fähigkeiten nur auf Fremdwerke zurückgreifen, und so tobt er seine durchaus nicht unberechtigte Wut an Bachs zweistimmiger Invention in F-Dur aus - was den Frust nur vergrößert, da er feststellt, dass zur Beherrschung dieses Minimeisterwerks ebenfalls ein konsequentes Üben erforderlich gewesen wäre. Die nächste Lektion für den armen, kreuzlich und b-reichert fehlgeleiteten Knaben, würde ich nicht haben wollen!

    Also, jedem sein Stückchen Hammerklaviersonate, seine Appassionata! Man muss ja nicht das ganze Werk spielen - ein paar Wutpassagen reichen! Baut Wut ab und verhindert die stattdessen möglicherweise drohende allzu üppige Dezimierung der Weltbevölkerung!


    Gute Nacht


    Thomas

  • Da hat er Recht, der Chopinhauer. Die Emotion Wut kann man als Hörer - bei entsprechender Sensibilität des Hörers und Geschick des Tonsetzers - spüren, den Verursacher nicht. Ob Beethoven ärgerlich auf seinen Weinlieferanten oder auf seine Putzfrau war, erschließt sich uns (jedenfalls mir) durch das Anhören mehrerer Triller nicht.

    Lieber Thomas,


    "Chopinhauer" ist wirklich gut! :D Der sagt ja auch, das musikalische Gefühl hat weder Anlass noch Gegenstand. So ganz stimmt es allerdings doch nicht. Wenn man ein Musikstück als einen Dialog und ein Drama auffasst, dann kann auch ein musikalisches Ereignis B auf Ereignis A reagieren. Ärgert sich Beethoven in diesen Trillern vielleicht über seine viel zu lange Füge? Mein Beispiel ist da op. 110 - das steht auch im Text bei mir - wo man das Gefühl hat, Beethoven verliert die Geduld, hat von zu viel Fugentüftelei die Nase voll und pustet sie am Ende einfach weg...

    Um es vorweg zu nehmen: Ich bin für die Einführung einer Wutpflicht für Musiker, der sog. Pflichtwut. Du ärgerst dich über zu warmen Wein? Ab an den Flügel und heftige Triller komponieren. Deine Liebste hat ein Verhältnis mit deinem Verleger? Das braucht dich nicht verlegen zu machen - wozu gibt´s die Appassionata (korrekt: wozu wird es in wenigen Stunden die Appassionata geben). Wohl dem, der seiner Wut durch wohlgesetzte Sechzehntel Luft schaffen kann!

    Ich auch - genau deswegen:

    Baut Wut ab und verhindert die stattdessen möglicherweise drohende allzu üppige Dezimierung der Weltbevölkerung!

    :thumbup:

    Was aber macht z. B. der immer noch nicht demotivierte Klavierlehrer, dem sein achtjähriger Eleve Kevin-Ron mit großen Augen und bestimmtem Tonfall erzählt, er - der Lehrer - habe ihm in der letzten Stunde beigebracht, das # erniedrige einen Ton, und warum er - der Lehrer - nun heute das Gegenteil behauptet (erfundene Geschichte? Von wegen!) Der arme Pädagoge geht nach Hause, öffnet sein 24 Jahre altes Förster-Klavier, kann aber mangels kompositorischer oder improvisatorischer Fähigkeiten nur auf Fremdwerke zurückgreifen, und so tobt er seine durchaus nicht unberechtigte Wut an Bachs zweistimmiger Invention in F-Dur aus - was den Frust nur vergrößert, da er feststellt, dass zur Beherrschung dieses Minimeisterwerks ebenfalls ein konsequentes Üben erforderlich gewesen wäre. Die nächste Lektion für den armen, kreuzlich und b-reichert fehlgeleiteten Knaben, würde ich nicht haben wollen!

    Das ist das Schicksal von uns Lehrern. Wir brauchen unendliche Geduld... Kevin-Ron ist aber doch süß! Kinder sind immer seeehr überzeugend - wie auch unser 6 1/2 Jahre alter Enkel! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger