HUMMEL, Franz: AN DER SCHÖNEN BLAUEN DONAU

  • Franz Hummel (*1939):


    AN DER SCHÖNEN BLAUEN DONAU

    Kammeroper in einem Akt


    Libretto von Elisabeth Gutjahr nach dem Fragment „Die Lehrerin von Regensburg“ von Ödön von Horváth


    Uraufführung 1994 in Klagenfurt



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Elli Maldaque Lehrerin (Sopran)

    Irenes Stimme (Mezzosopran)

    Mechaniker / Vater (Bariton)

    Die Fischmaulmeier, Tratschweib (Bass)

    Der Unbekannte Geliebte (Tenor)

    Der Zuständige (Sprechrolle)



    Die Geschehnisse ereignen sich in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts.



    INHALTSANGABE DES EINZIGEN AKTES


    Alle Gedanken an Walzerseligkeit, wie sie Johann Strauß-Sohn zu Papier gebracht hat, sind fehl am Platze. Hier geht es um Leben und Tod, denn geschildert wird die Tragödie der Elli Maldaque, die in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Regensburg und in der Folge auch darüber hinaus viel Wirbel gemacht hat. Die Autoren dramatisieren zwar einen damals sechzig Jahre zurückliegenden Fall, aber das mit kleinen künstlerischen Freiheiten bebilderte Geschehen ist immer noch hochaktuell - gerade in Zeiten der „Social Media“, wo mit wenig Aufwand der gute Ruf von Menschen zerstört werden kann.


    Die Geschichte beginnt - im März 1927 - mit einem Lied im Lullaby-Takt, das Elli ihrer verstorbenen Mutter singt:

    Leis' wiegen Weiden / Dich im letzten Traum.

    Im Garten winkt der Bruder, / Die Wasser steigen.

    Im Schatten der Jahre / Sind die Sommer vereist.

    Die heiligen Worte sind verstummt.

    Namenlos und leer / Warte ich auf Zeichen.

    Im Schatten der Jahre sind die Sommer vereist.

    Windsamete Vorhänge / aus harzigem Leinen / die Bahre geflochten.

    Leis' wiegen Weiden / Dich im letzten Traum.


    Die geachtete und bei Schülern wie Eltern beliebte Lehrerin hat die Bekanntschaft von Irene Neubauer gemacht, die wiederum mit einem schriftstellernden Franzosen verbandelt ist, der ein Faible für die Ideen von Karl Marx hat. Das kommt - besonders in Regensburg - beim Klerus und dem großen Teil der Bevölkerung nicht gut an. Elli dagegen kann Marx‘ Theorien etwas abgewinnen, besucht deshalb die Versammlungen der kommunistischen Ortsgruppe und spielt dort Klavier, wird aber kein Mitglied. Elli glaubt jedenfalls eine Kompatibilität zum Christentum zu erkennen, weil hier wie dort die Gleichheit aller Menschen und das Eintreten füreinander propagiert wird. Die Impulse, die sie aus jenen Treffen mitnimmt, geben ihr für den Schulunterricht Auftrieb.


    Dass sich aber um Elli etwas zusammenbraut, nimmt sie nicht wahr, wie überhaupt Betroffene oft als letzte von Unannehmlichkeiten erfahren. Ein Gespräch macht die Gefahr für die Lehrerin deutlich:

    Zuständiger: Nicht schlecht, nicht schlecht, die Kommunistin.

    Unbekannter Geliebter: Wie meinen Sie das?

    Zuständiger: Wenn die so weitermacht, rennt sie ins offene Messer.

    Unbekannter Geliebter: Sie beobachten sie schon länger?

    Zuständiger: Ein gutes halbes Jahr, schwerer Fall.

    Unbekannter Geliebter: Aber sie ist doch ein guter Mensch.

    Zuständiger: Meiner Meinung nach ist sie entweder besonders raffiniert oder besonders naiv.


    Elli war auf einer (wie sie es nennt) „Revolutionsfeier“ und empfand die Teilnehmer zur „niedersten Stufe des Menschentums“ gehörend. Die tabakgeschwängerte Räumlichkeit und die alkoholisierten Gesichter gefielen ihr nicht. Jetzt aber konzentriert sie sich auf den Umzug in ihre neue Wohnung, in der Orleanstraße gelegen. Hier gefällt ihr nicht nur das neue Heim, sondern auch die Umgebung mit „blühenden Linden“ vor den Fenstern. Außerdem ist es hier viel ruhiger und sie kann träumen, aber auch weinen. Der Unbekannte Geliebte warnt sie vor Gefahren, aber Elli ist nicht bei der Sache, achtet nicht auf seine Worte.


    Sie hat eine Reise an den größten Strom Europas, die Wolga, ins Auge gefasst. Was will sie dort, fragt die Fischmaulmeier. Elli empört die Frage, worauf ihr schnippisch entgegnet wird, dass man doch wohl noch fragen dürfe. Die Tratsche weiß aber noch mehr, nämlich, dass der Herr Oberschulrat Elli vorgeladen hat und genau das lässt sie doch ins Grübeln kommen. Was wird aus ihr? Doch Elli kann auch schnippisch: „Die Gedanken sind frei!“ Die nächsten Fragen „Was sagt denn ihr Vater dazu?“ und „Sind Sie Kommunistin?“ lassen Ellis Blutdruck steigen und entsprechend antworten: „Fragen Sie ihn doch selber“ und „Nein, ich bin die Heilige Elisabeth von Regensburg!“ Elli verlässt das Geschäft und nennt die Fischmaulmeier ein „spießiges Klatschmaul“ und eine „Närrin“.


    Der Unbekannte Geliebte ist enttäuscht, dass Elli für ihn unsichtbar geworden ist:

    Am Tage ohne Schatten, / Schwarz in der Nacht.

    Nie konnten meine Arme dich halten, / Du Unberührbare.

    Jetzt werf ich in deine Seele ohne Widerstand

    Auf deine haltlosen Worte das Gewicht meiner Sehnsucht.


    Brüllend verkündet der Zuständige („für Recht und Ordnung in unserem Staat“, wie er ausdrücklich hinzufügt) Elli die Entlassung aus dem Schuldienst. Leiser, aber die Stimme schneidend wie ein Messer einsetzend, informiert er sie, dass ihr Vater sie in die Psychiatrie einweisen lassen will. Sofort danach brüllt er „Sie sind entlassen“- um dann wieder leise, aber wiederum schneidend, hinzuzufügen, dass ihr Anwalt sein Mandat niedergelegt hat und auch die Presse inzwischen informiert ist. Fast gönnerisch wirkt seine Schlussfrage, ob sie noch ein paar Worte an ihre Eltern richten will. Elli brüllt, dass sie „mein Recht“ verlangt und von ihm nicht angefasst werden will.


    Elli liest aus einem ihr zugestellten Schreiben vor:

    Gemäß Artikel 5, Absatz 2, des Volksschullehrgesetzes und des Paragraphen 46 der Formationsordnung vom 17. Dezember 1925 wird ihr Dienstverhältnis als Volksschullehrer mit Wirkung vom 1. Juli 1930 aufgelöst. Vom gleichen Zeitpunkt ab verlieren Sie den Anspruch auf das Diensteinkommen und auf die Standesbezeichnung sowie die Aussicht auf eine Ruhestandsversorgung. Das Gesetz bestimmt, dass die Haltung gegenüber einer auf gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staats- und Kulturordnung hinarbeitenden Bewegung mit der Stellung eines Beamten und Lehrers unvereinbar ist. Ihr noch widerrufliches Dienstverhältnis war daher zu lösen.


    Ist es - trotz Einschüchterung - ein Aufbäumen gegen die Realität, dass Elli sich gegen den Bescheid wehren will? Der Unbekannte Geliebte jedenfalls hilft ihr beim Abfassen eines Einspruchs gegen den Behördenakt:

    Die Unterzeichnete stellt das Ersuchen, beiliegendes Tagebuch bezüglich meiner fristlosen Dienstentlassung vom 27. Juni 1930 entgegennehmen zu wollen und zu studieren. Bisher war ich nicht in der Lage, meine fällige Beschwerde an das zuständige Staatsministerium für Unterricht und Kultur fertigzustellen, da ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehe.


    Der Einspruch landet - wen wundert’s! - beim Zuständigen und der reagiert, nachdem er sich das Schreiben durchgelesen hat, wütend:

    Das Gesetz ist auf meiner Seite! Ich bin das Gesetz!

    Die Fischmaulmeier, die wieder informiert ist, kommentiert fragend, was der Einspruch der „Übergescheiten“ wohl noch nützen soll? Sie solle doch, gibt sie sich selbst die Antwort, lieber an ihr „armes Herz“ denken. Schließlich schiebt sie noch „Gott wird es schon richten!“ nach.


    Der Unbekannte Geliebte geht auf Elli zu und will sie trösten, doch sie fühlt sich bedroht und schlägt auf ihn ein. Die letzte Szene vor dem Epilog verläuft ohne Worte:

    Der Mechaniker und die Fischmaulmeier versuchen Elli wieder auf die Beine zu bringen.

    Der Zuständige zieht sich einen Arztkittel über.

    Der Unbekannte Geliebte protokolliert das Geschehen und fotografiert.

    Der Mechaniker übergibt dem Zuständigen die bewusstlose Elli, der sie auf ein Bett legt.

    Der Zuständige vertreibt alle und setzt sich dann hinter Elli.


    Der Epilog besteht aus Ellis surrealistischem Gestammel: Sie heißt Novemberkind, ihr Bruder starb in Flandern, und jetzt bewegt der Wind die Weiden. Draußen warten alle unter falschem Namen und „Er“ wird sie nicht kriegen. Noch zwei Schritte zum Appell und den Blick nach vorn gerichtet! Die tote Amsel. Der Zaunkönig ist ertrunken. Schwarz ist unsichtbar. Dann: Kein Wort mehr --- leichter werden.


    Elli stirbt.



    INFORMATIONEN ZU KOMPONIST UND WERK


    Franz Hummel, Komponist und Pianist, wurde am 2. Januar 1939 in Altmannstein (Landkreis Eichstätt) geboren. Wikipedia weiß, dass er schon in Kinderjahren entdeckt und von Richard Strauss, Eugen Papst und Hans Knappertsbusch gefördert wurde. Seine musikalischen Studien führten Franz Hummel nach Salzburg und München. Zunächst wurde er jedoch als Pianist bekannt, konzertierte in ganz Europa und machte über 60 Aufnahmen mit fast dem gesamten klassisch-romantischen Repertoire und viel zeitgenössischer Musik. Seit Anfang der 1970er Jahre widmet sich Hummel allerdings überwiegend dem Komponieren.


    Zu der hier vorgestellten Oper äußert sich der Komponist folgendermaßen:

    Die Geschichte der Lehrerin Elli Maldaque hat in den dreißiger Jahren in Deutschland viel Aufsehen erregt und sowohl die Psychiatrie als auch den Staat als Organ der Bespitzelung einmal mehr in Misskredit gebracht. Was ihr widerfahren ist und zu ihrem frühen und unerklärlichen Tod geführt hat, könnte vielleicht der „große Lauschangriff“ eines Tages in perfektionierter Form wieder leisten.


    Hummel gibt aber an, dass er und seine Librettistin Elisabeth Gutjahr nicht so sehr an der Schilderung der äußerlichen Lebensumstände von Elli Maldaque interessiert waren, sondern mehr die Bedingung, unter der die Vernichtung einer vorbildlichen, idealistisch gestimmten Persönlichkeit zustande kam.


    Weiter heißt es in seinem Vorwort zu dieser Oper:

    Ich weiß, dass der Titel meiner Oper […] in die Irre führen kann, doch die Bitterkeit, die in der Distanz zum Lebensdrama der Regensburger Lehrerin […] liegt, hat für mich eine ästhetische Nähe zu Ödön von Horváths „G’schichten aus dem Wienerwald“. Die Leichtigkeit des Titels steht hier mit böser Ignoranz über den tief tragischen Verflechtungen des Dramas. Horváth war es auch, der unserer Hauptfigur Elli das Schauspiel „Die Lehrerin von Regensburg“ widmete, das er allerdings nicht vollenden konnte.


    Die nebenstehende Einspielung - eine Live-Aufnahme aus dem Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt aus März und Juni 1995 - war die Grundlage für die obige Inhaltsangabe.


    :hello:

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    MUSIKWANDERER