Beethoven, 9. Sinfonie d-moll op. 125, WDR-Sinfonieorchester, Marek Janowski, 8. 11. 2019, Philharmonie Köln

  • Beethoven, 9. Symphonie d-moll op. 125, am 8. 11. 2019, 20.00 Uhr, Philharmonie Köln

    Regine Hangler, Sopran

    Wiebe Lehmkuhl, Alt

    Christian Elsner, Tenor

    Andreas Bauer Kanabas

    NDR Chor

    WDR Rundfunkchor

    WDR Sinfonieorchester

    Marek Janowski


    Es war dies das zweite Mal innerhalb von neun Tagen, das ich Marek Janowski und dem WDR Sinfonieorchester begegnete nach einem Konzert am Reformationstag mit Wagners Vorspiel zum 1. Akt des Lohengrin, einem anschließenden Vortrag von Rüdiger Safranski über Musik als Kunstreligion mit den besonderen Aspekten auf Richard Wagner und Anton Bruckner und demzufolge nach der Pause Bruckners Siebte.

    Nun also Beethovens Neunte, am Vorabend des 30. Jahrestages des Mauerfalls in Berlin. Da ich immer rechtzeitig im Saal sitze, hatte ich genügend Gelegenheit, die Bestuhlungsgröße zu studieren. Es war nicht mehr viel Platz auf dem Podium, knapp 60 Streicher, doppeltes Holz, vier Hörner und die üblichen Trompeten und Posaunen und die Schlagbatterie der Neunten, da hatte man schnell ein Brucknerorchester zusammen oder?

    Wie ich lesen konnte, hatte Beethoven bei der Uraufführung am 7. Mai 1824 im Wiener Kärtnertortheater vor über 2000 Zuhörern ein ähnliches Aufgebot beisammen, allerdings nur 50 Streicher, dafür 90 Sängerinnen und Sänger. Hier und heute waren es 74, 28 aus Hamburg und 46 aus Köln, davon 40 Sängerinnen und 34 Sänger.

    Beim Musikfest in Aachen 1825, also noch zu Beethovens Lebzeiten, waren es bei der Aufführung der Neunten gar 400 Mitwirkende, und von einem Rezensenten ist folgende Behauptung überliefert: „..das Lied der Freude… kann nur in möglichst großer Masse gesungen Wirkung thun“.

    Nun, das sehen Musikfreunde, die jemals eine Aufführung von Sir John Eliot Gardiner, dem Orchestre Révolutionnaire et Romantique und dem Monteverdi Choir gehört haben, sicherlich anders, denn von den 36 Sängerinnen und Sängern, die dort weiland aufgeboten waren, ging eine kaum glaubliche Stimmgewalt aus.

    Wie dem auch sei, die 74 Sängerinnen und Sänger war jederzeit in der Lage, sich gegen die gut 90 Instrumentalisten zu behaupten.

    In den Tutti hatten dagegen erstaunlicherweise die vier Hörner Schwierigkeiten, sich zu behaupten.

    Was nun die der voraufgehenden 3 Instrumentalsätze betrifft, so hatten wir hier einen Dirigenten, der dafür bekannt ist, die multiplen Strukturen einer solchen Partitur so genau wie möglich herauszuarbeiten, und er hatte dafür die amerikanische Sitzordnung gewählt, was ja vor allem bei der Neunten Sinn macht, weil fast die ganze hintere Reihe vom Schlagwerk belegt ist.

    So konnte man nicht so genau die ersten und zweiten Geigen unterscheiden, jedoch bewundern, wie zart und transparent die dreißig tiefen Streicher zu Werke gingen, und es ist kaum zu glauben, dass die fast dreißig Geigen mühelos in der Lagen waren, die vier Hörner in Schach zu halten, die dafür in den Solosequenzen ihren warmen, strahlenden Klang entfalteten.

    Erstaunlich war nicht nur im ersten Satz, sondern eigentlich in der ganzen Sinfonie, wie agil der immerhin 80jährigen Marek Janowski zu Werke ging.

    So ergab meine private Spielzeitenfeststellung round about in den vier Sätzen: 14-14-14-24 = 66 Minuten. Das ist nicht besonders schnell möchte man meinen. Aber wenn man dann Karajan z. B. als Vergleich heranzieht, der das Scherzo in 10:26 min (70er Jahre) spielt und meint, dieser dirigiere schneller als Janowski, so geht man fehl. Karajan dirigiert nur weniger, und im ersten Satz ist er über eineinhalb und im dritten Satz zwei Minuten langsamer als Janowski. Janowski dirigiert alle Wiederholungen, und dafür sind 66 Minuten ein flottes Tempo, aber eben kein rasendes wie z. B. im Adagio Gardiner und Norrington mit gut 12 Minuten. Was das Tempo betrifft, da gibt es an Janowski nichts zu bemängeln. Das ist über die ganze Sinfonie ungeheuer organisch aufgebaut, und der Meister hat während der ganzen (mit Pausen) knapp 70 Minuten den riesigen Orchesterapparat stets im Blick, gibt stets präzise Anweisungen, und das Orchester reagiert blitzschnell. So entstehen die reichlichen Kontraste in allen Sätzen folgerichtig, sowohl die dynamischen als auch die melodischen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Scherzo, dieser fabelhafte Paukensatz, in dem der ebenfalls fabelhafte Solopaukist des WDR-Orchesters, Werner Kühn, mit einer (jedenfalls für mich) Neuigkeit aufwartet. Jedenfalls meine ich, das noch nicht gehört zu haben. An bestimmten wiederkehrenden Stellen spielt er jeweils einen heftigen Paukenwirbel.

    Und auch das überaus melodische Trio, das von den Oboen und den vorwitzigen Fagotti eingeleitet wird, kommt hier besonders schön zur Geltung.

    Auch das Adagio hat mich in keiner Phase enttäuscht. Wie schon erwähnt, kamen an diesem Abend die Strukturen in den fabelhaften tiefen Streichern sehr schön zum Tragen.

    In dem durch das Hinzutreten der menschlichen Stimme noch einmal gewaltig erweiterten musikalischen Raum im Finale erwies sich der Rückgriff auf die Originalorchestrierung und –besetzung m. E. ein weiteres Mals als Glücksgriff, zumal ich wie in zahlreichen Aufführungen zuvor, sei es bei Beethovens Neunter oder Mahlers Zweiter, die außerordentliche stimmliche Potenz dieser beiden Chöre oder auch des verschiedentlich vertretenen Südfunkchores schätzen gelernt habe.

    Auch im heutigen Konzert waren sie wieder in Bestform und konnten die gewaltigen Bögen der Partitur unerschütterlich aufbauen, ohne ins „Schreien“ zu geraten und, in einem weiteren Kontrast, ihre fabelhafte Pianissimokultur unter Beweis stellen.

    Marek Janowski erreichte es schließlich auch, diese singuläre Sinfonie auf den Punkt zur atemberaubenden finalen Coda hin zu entwickeln, was großen Jubel beim Publikum auslöste.

    Nun geht es am kommenden Abend weiter mit Beethoven.

    Ich werde weiter darüber berichten.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    3 Mal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • William B.A.

    Hat den Titel des Themas von „Beethoven, 9. Sinfonie d-moll op. 125, WDR-Sinfonieorchester, Janowski, 8. 11. 2019, Philharmonie Köln“ zu „Beethoven, 9. Sinfonie d-moll op. 125, WDR-Sinfonieorchester, Marek Janowski, 8. 11. 2019, Philharmonie Köln“ geändert.
  • Danke, lieber Willi, für diese detaillierte Beschreibung deines Konzertbesuchs. Eine wahre Fleißaufgabe mit vielen interessanten Aspekten!

    Was kannst du noch über das Solistenquartett sagen? Von seiner Präsenz hängt doch viel ab, welchen Eindruck der Finalsatz beim Hörer hinterlässt.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Bevor ich zum Frühstück gehe, nur so viel:

    Die Sopranistin Regine Hangler, die zum ersten Mal in Köln weilte, war, wie das oft bei der Neunten ist, sehr durchsetzungskräftig, hatte auch die entsprechende Konstitution, offenbarte aber an entsprechenden Stellen auch manchmal doch Schärfen, während die Altistin Wiebke Lehmkuhl es im Ensemble schwer hatte, sich Gehör zu verschaffen. Aber ist das in der Neunten nicht oft so?

    Über den Tenor Christian Elsner habe ich mich richtig gefreut, denn er war im Gegensatz zu seinem Auftreten im gleichen Werk vor zweieinhalb Jahren (damals unter Jukka Pekka Saraste) in hörbar besserer Verfassung und sang diesmal auch eine beachtliche Marcia. Auch der Bass Andreas Bauer Kanabass wusste durchaus zu überzeugen, was schon im einleitenden "Oh Freunde, nicht diese Töne", hörbar zum Ausdruck kam mit sicheren Höhen und einer guten Diktion. Alles in allem ein Solistenquartett, das das hohe Niveau der Aufführung (fast) halten konnte.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).