Dr. Pingel´s Musiktheater im Revier

  • Natürlich ist dieser Titel abgekupfert; mein Dr. ist ja auch nicht echt. Aber das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen ist schon seit Jahrzehnten mein Stammhaus; da bin ich auch im Förderverein. Das MIR (so wird es abgekürzt) glänzt seit Jahren mit Opern, die sonst selten gespielt werden, schöne Ausgrabungen, ein inzwischen richtig gutes Orchester, vor allem aber ein gutes, festes Ensemble, das immer wieder große Sänger hervorbringt (z.B. Torsten Kerl, Mario Brell). Am liebsten sind mir die jungen Sänger und Sängerinnen aus dem Opernstudio, vor allem die Sopranistinnen. Sie werden hier behutsam an größere Rollen herangeführt. Das Theater ist wunderschön, überall sieht und hört man gut, allerdings ist der dritte Rang überflüssig; das hatte schon Rodolfo bemerkt. Die Preise sind zivil, das Personal im Haus ist eigenes Stammpersonal. Es gibt auch ein Kleines Haus, das früher regelmäßig bespielt wurde mit Kammeropern. Dort habe ich z.B. gesehen: "Der Leuchtturm" (P.M.Davies), "Lenz" (Rihm), "Der Bär" (Walton).

    In meinem Bericht über Boris Godunow in Krefeld habe ich mich ja zur deutschen Provinzoper (Düsseldorf und Essen gehören nicht direkt dazu) bekannt. Das wird hier fortgesetzt. Die Orte sind: Düsseldorf + Duisburg (Deutsche Oper am Rhein), Krefeld/Mönchengladbach (die können auch andre Sachen als Fußball; dieses Theater ist ein gutes altes Dreispartenhaus), Wuppertal, Hagen, Essen, Dortmund, Gelsenkirchen, Dortmund. Münster, eine Stadt, die ich im Studium gut kennengelernt habe, gehört auch dazu. In den Sechzigern gab es dort schon Opern wie Mathis der Maler, Die Ausflüge des Herrn Broucek, Katja Kabanowa usw.

    " ... wie weit soll unsere Trauer gehen? Wie weit darf sie es ohne uns zu entwurzeln...(Doe tote Stadt, Schluss)

  • Die erste Oper, über die ich aber bereits berichtet habe, ist Boris Godunow in Krefeld. Zu diesem Bericht gab es einige Ergänzungen und Kommentare. Dazu bitte ich, den Bericht hier im Forum nachzusehen, damit wir "Umsiedeln" vermeiden. Zu finden in der Rubrik "Gestern in der Oper).

    Der nächste Beitrag hier wird ein Bericht über die konzertante Aufführung von Händels Orlando am Sonntag in der Essener Philharmonie sein.

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  • Wie crazy war Orlando? Händel komponiert es.


    Die Vorlage

    Orlando furioso war eines jener berühmten "Lieder", die in frühen Jahrhunderten um sich griffen und heute praktisch nicht mehr gelesen werden. Wir haben das Nibelungenlied noch im Deutschunterricht gelesen und auch die schönsten Gedichte von Walther von der Vogelweide. Dessen ich saz uf eime steine/ und dachte bein mit beine (wobei dachte decken und nicht denken heißt) habe ich in der Abiprüfung aufgesagt (auswendig! Bis auf den Schluss kann ich das bis heute!); danach folgte eine Prüfung über das Glasperlenspiel von Hesse, ein Buch, nachdem es mich nie wieder gelüstete. Auch andere Lieder sind ja als Oper genießbarer, etwa Parsifal.

    Auch Ariosts (1474-1533) Orlando furioso ist als Opernstoff genießbarer. Es gibt einen kurzen Dialog zweier französischer Schriftsteller (der eine war André Gide), wo der eine denn anderen fragt: Gibt es etwas Langweiligeres als die Ilias? Der andere: Ja, das Rolandslied!

    Die Oper

    Orlando wurde 1732 in London uraufgeführt, mit großem Erfolg. In der Tat, es ist eine der perfekten Opern von Haydn. Sie ist in italienisch, mit deutschen Übertiteln. Worum es jeweils ging, hatte man schnell verstanden: Liebe, Trennung, Schmerz und Wahn. Und das drei Stunden lang. Eine halbszenische Aufführung wie in Essen ist eine sehr gute Lösung, weil Text und Bühne doch für uns eine arge Zumutung sind. Dazu kommt natürlich aus die Arienform ABA, mit der Händel uns nicht aus den Klauen lässt. Von der wunderbaren Händel-Oper Partenope habe ich mir eine Pingel-Fassung gemacht: keine Rezitative, Arien nur in AB. Allerdings hatte ich die ganze Oper vorher schon 30x gehört; dann darf man das.

    Musikalisch ist Orlando natürlich ein Hochgenuss; was ich bei Händel immer vermisse, sind mehr Duette oder Ensembles. Das konnte er nämlich exzeptionell gut, was der Schluss mit allen Musikern bewies.

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  • (Orlando Fortsetzung)

    Die Musiker

    Das kleine Orchester Il Pomo d´Oro (benannt nach der Oper Il pomo d´oro von Cesti, 1666) war unter seinem regulären russischen Dirigenten Maxim Emelyanychew schon im Jahr 2018 in Essen zu Gast, mit einer grandiosen Aufführung von Händels Serse. Der Dirigent diesmal (vom Cembalo aus), nicht minder kompetent, war Francesco Corti. Max Emanuel Cencic sang den Orlando, ein fabelhafter Counter. Die übrigen Solisten standen dem nicht nach. Für mich war es bezaubernd, drei meiner Lieblingssoprane in einem halben Jahr erlebt zu haben: Dorthee Mields in Herne, Hana Blazikova in Duisburg, jetzt Nuria Rial im Orlando.

    Die Hörer

    Der Saal war sehr gut besetzt, wie zuletzt, als die King´s Singers hier waren. Ich hatte von einem Ehepaar eine überzählige Karte an der Kasse erstanden; sie war für einen Platz in Reihe 2. Schon bald stellte ich fest, dass man den Sängern zu nah ist. Außerdem hatte der Solocellist für das Continuo wohl die Anweisung, sein Cello am Schluss zersägt zu haben. Der entscheidende Grund war der, dass mir der Gesamtklang fehlte. Das war dann weiter oben behoben, vor allem, weil die Akustik in der Essener Philharmonie legendär ist.

    Am Schluss sprangen alle auf und es gab langen lauten Beifall.

    Hinweis

    Ich verzichte hier auf die Verlinkung zu verschiedenen Aufnahmen; amazon hat hier die größte Auswahl. Ich kann mir vorstellen, dass die Aufnahmen mit Les arts florissants unter William Christie die empfehlenswertesten sind.

    Eine sehr gute und ausführliche Kritik der Aufführung kann man beim Online-Musik-Magazin nachlesen: http://www.omm.de.

    Mit Fahrt, Karte, Programm und einem kleinen Bier war das Weltklasse für weniger als 40 €.

    Zur gleichen Zeit dieses Orlando hier in Essen, gab es einen zweiten, nämlich die Premiere von Haydns Orlando Paladino im MIR in Gelsenkirchen. Auch dieser Orlando wird hier demnächst erscheinen.

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  • Elektra (Salzburger Festspiele 2020)


    Da es für mich keine Live-Oper gibt, steige ich um auf Home Office.

    Gestern war "Elektra" dran. Es ging los mit einem déjà vu: die Oper begann nicht mit Musik, sondern einer dramatischen Rezitation der Klytämnestra (wieder wurde mir klar, warum ich Lust nur auf Oper habe, nicht aber auf Theater). Ich nenne das die "Marthalerisierung der Oper", weil Marthaler das mit der "Sache Makropulos" so gemacht hat. Eine Oper mit aufgekitschten Texten statt einer grandiosen Musik zu beginnen, ist ein Kunstverbrechen. Hier muss ich auch den Dirigenten, Franz Welser-Möst, tadeln. Er ist doch der Berühmtere und kann sagen, dass vor der Musik nichts kommt. Den Text kann ich nicht beurteilen, weil ich erst den Ton eingeschaltet habe, als die Musik losging. (Nachträglich habe ich in einer Kritik gelesen, dass Klytämnestra hier den Mord an Agamemnon erzählt).

    Ich wollte erst abschalten, bin aber dann doch hängengeblieben - und habe es nicht bereut. Endlich mal wieder ein gewaltiges, toll aufspielendes Orchester. Das ist ja auch ein Kennzeichen der Janacekschen Opern, dass das Orchester eine so wichtige Rolle spielt. Für Salomé wusste ich das, aber in meinem Kopf spukte "Elektra" nur als überdrehtes Stück mit endloser Länge herum. Das glaube ich jetzt nicht mehr, was hier natürlich auch an den Ausführenden lag. Drei Frauenstimmen mit ungeheurer Kraft und Präzision in drei mörderischen Partien; ich kannte keine einzige, aber selten habe ich so eine Rollenkonformität erlebt wie hier. Besonders "Chrysothemis" hatte ich in Erinnerung als "Weichei", wenn ich mal so salopp sagen darf. Nichts davon hier; überwältigend der Dialog der Schwestern am Anfang, großartig auch die Ausrufe der Elektra ("Agamemnon" am Anfang, "Orest" am Schluss).

    Was die Regie betrifft: sie hatte das Geschehen doppelt angelegt, vorne die Schwestern, im hinteren Teil das, was am Hof im Hintergrund spielt. Das konnte man als Fernsehzuschauer nicht so richtig mitbekommen. Das machte auch nichts, denn die Frauen auf der Vorderbühne spielten grandios, da muss man den Regisseur loben, vor allem, da es kein Regietheater war und auch der Regisseur das Statuarische nicht scheute.

    Leider gab es doch einen sehr erheblichen RT-Effekt, nämlich in der Person des Orest. Der Name "Orest" ist von Strauss gewaltig auskomponiert worden, von daher ist klar, dass er eine Hauptperson ist, auch wenn er nicht viel zu singen hat.

    Ich wollte nicht glauben, was die Macher aus der Figur des Orest gemacht hatten. In der Erscheinung erinnerte er mich sofort an Diether Krebs als "Martin". Eine schlabbrige Jogginghose, dann ein besonders hässlicher Norwegerpullover. In der letzten Szene wandert er zwischen Bühne und Orchester von einer Seite zur anderen, ach was, er tapert und das mit einem debilen Grinsen.

    Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er in der Mitte noch mit einem Brei gefüttert worden wäre. Orest als Volltrottel, gab es das schon mal? Zum Glück nahm die Oper nach seinem Erscheinen noch einmal Fahrt auf.

    Wenn man den "Orest" abzieht, war das meine spannendste Oper in den letzten Jahren ohne irgendeine Gedanken an die Fernbedienung.

    P.S. Die beiden Sängerinnen der Schwestern stammen aus Litauen.

    P.S.2: Ein richtiger Könner hat die Untertitel erstellt, die auch wirklich parallel und zur rechten Zeit sichtbar wurden.

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  • "Ich kenne dich, Josquin, lass deine Hand..." Szene der Alten Meister - Pfitzner Palestrina


    Es mag jetzt ganz unwissenschaftlich sein, aber ich finde, dass in den großen mehrstimmigen Szenen der nachbarocken Oper die Polyphonie nachklingt. Der größte Meister dieser Ensembles war für mich Mozart. In allen drei da-Ponte-Opern finden sich die wundervollsten Szenen für Ensemble. Auch wenn ich manche Arien von Mozart nicht mehr so gerne höre, weil ich sie so oft gehört habe: die Ensembles sind immer frisch. Besonders bei der Gastmahlszene im Don Giovanni kann ich nicht begreifen, wie ein Mensch so etwas Grandioses komponieren kann. Allerdings braucht es auch drei Spitzenbässe, wie sie etwa Otto Klemperer hatte.

    Eine andere solche Szene findet sich in Pfitzners Palestrina. Die Kubelik-Aufnahme erschien 1973 als Platte und kostete 100 Mark. Dann endlich gab es die CD, nachdem ich für die Platten schon 300,-- ausgegeben hatte. Bis heute kann ich große Teile der Oper mitsingen.

    Im ersten Akt befiehlt der Kardinal Borromeo dem Komponisten Palestrina (von Nicolai Gedda gesungen), eine Mustermesse zu schreiben, die sowohl dem kirchlichen Gebrauch (fromm und textverständlich) als auch der modernen Musik der Polyphonie verpflichtet ist, damit die Kirchenmusik nicht zur Gregorianik zurück muss. Als Palestrina sich weigert, weil er vor allem nach dem Tod seiner Frau Lucrezia jeden Lebensmut verloren hat, wird er vom Kardinal bedroht. Allein klagt er seine Not und Einsamkeit, als der Reihe nach neun verstorbene Meister der Musik erscheinen, wie etwa Josquin und Heinrich Isaac ("tedesc' Enrico nannt' ich dich so gern"). Sie trösten ihn, aber weisen ihn darauf hin, dass er als Musiker seine Pflicht tun muss und sein Werk vollenden ("dein Erdenpensum ist noch nicht getan").

    Für diese Szene und den 2. Akt braucht man einige hochkarätige Tenöre, besonders aber Baritone und Bässe.



    Bei Kubelik trifft sich hier eine ganze prominente Sängerriege: John van Kesteren, Friedrich Lenz und Adalbert Kraus (Tenor),

    Gerd Nienstedt, Theodor Nicolai (Bariton), Franz Mazura, Peter Meven, Victor von Halem und Karl Ridderbusch (Bass). Im 2. Akt, dem Konzilsakt, kommen noch weitere hinzu, wie etwa Hermann Prey.

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  • "Wie einst im himmlischen Zion"


    Richtige Arien gibt es im "Palestrina" eigentlich nicht, es sind eher Solo-Szenen. Davon gibt wenige, die aber alle keinen Konzertschluss haben.

    Im dritten Akt ist die "Missa Papae Marcelli" dann mit Erfolg aufgeführt worden und Palestrina aus der Erzwingungshaft frei gekommen. Der Papst persönlich erscheint in Palestrinas Haus und singt diese wunderschöne kleine Szene, die mit dem Bass von Karl Ridderbusch adäquat besetzt ist (Gottlob Frick singt das auch sehr gut, aber die Aufnahmetechnik ist nicht zufriedenstellend).

    Diese Arie kann ich sogar "ohne alles" singen, allerdings bis auf den letzten Ton, der doch sehr tief ist.

    "Bis an dein Ende bleibe bei mir, Fürst der Musik aller Zeiten, dem Papste Diener und Sohn!"



    Die richtige "Missa Papae Marcelli" ist meine erste Bekanntschaft (durch Singen) von großer Polyphonie. Eine Messe, die mit den einzelnen Messteilen immer komplexer und klangschöner wird und mit dem 2. "Agnus Dei" einen Punkt erreicht, in dem man es bedauert, dass das Stück hier aufhört. Zum ersten Mal in meinem Chorleben fing ich an, auch lange Proben zu lieben, hier etwa fast 3 Stunden.

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  • L´histoire du soldat (1917)


    Diese kleine Oper kenne ich schon lange, habe sie aber noch nie live gesehen, allerdings auch nicht auf irgendeinem Spielplan. 1917 war Strawinski in der Schweiz im Exil. Gemeinsam mit dem Dichter Ramuz plante er, mit einem kleinen Wandertheater durch die Schweiz zu ziehen, mit dem Text des Stückes von Ramuz. Aus diesem Plan wurde nichts, sodass Strawinski die Musik für andere Ensembles bearbeitete.

    Die Geschichte erzählt von einem Soldaten, der einen Pakt mit dem Teufel macht, indem er dem Teufel seine Geige gibt, dieser ihm ein Buch, das dem Soldaten zu Reichtum verhilft. Er ist aber ohne seine Geige nicht glücklich, bekommt sie auch wieder und heilt mit seinem Spiel die kranke Prinzessin, die er heiratet. Seine Heimat darf er nicht mehr betreten. Er tut es trotzdem, und der Teufel erwartet ihn schon. Wie es ausgeht, bleibt offen.

    Es gibt verschiedene Fassungen von diesem Werk.

    1. Kleine Oper: 7 Instrumente, Erzähler, 3 Darsteller (Soldat, Teufel, Prinzessin; sie ist eine Tänzerin)

    2. Kammermusik: 7 Instrumente, ein Erzähler

    3. Eine reine Suite für Geige, Klarinette und Klavier.


    Bei YouTube gibt es von allen Fassungen endlos viele Aufnahmen. Ich habe mich für eine holländische Fassung entschieden (Sprache niederländisch), weil sie musikalisch ein hohes Niveau hat, nicht zuletzt durch Janine Jansen (Violine).


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  • Dido und Aeneas - Purcell


    Diese einzige "richtige" Oper von Purcell schildert die Liebe von Aeneas und Dido in Karthago. Aeneas ist der einzige Überlebende von Troja; auf seinen langen Irrfahrten kommt er nach Karthago, wo sich Aeneas und Dido ineinander verlieben. Auf Befehl der Götter verlässt Aeneas Dido und segelt nach Rom, um diese Stadt zu gründen. Vom Meer aus sieht er den Scheiterhaufen brennen, in dem Dido liegt, nachdem sie sich mit einem Schwert, einem Geschenk des Aeneas, selbst getötet hat. Diese Geschichte beruht vor allem auf der Aeneis des Vergil, die man auch als Gründungssage der Stadt Rom verstehen kann.

    In Henry Purcells Oper, vor allem in der hier zitierten Aufnahme, vergiftet sich Dido. Ihr Todesgesang ist eine der ergreifendsten Klagen in der Alten Musik: When I am laid in Earth.

    Bei YouTube finden sich besonders viele Aufnahmen mit Andreas Scholl. Hier habe ich aber als Dido keinen Counter im Kopf, sondern eine Sopranistin. Emma Kirkby singt die Arie sehr schön, aber eigentlich zu schön. Daher habe ich eine reale Darstellung aus einer abgefilmten Oper gewählt.

    Es singt Malena Ernman oder Emman (es gibt beide Schreibweisen). Mit dieser Sängerin hat es eine bestimmte Bewandtnis, die ihr hier im Schreibtisch unter den "Miniaturen" nachlesen könnt (Nr. 74).



    Meine Lieblingsoper des Dido-Stoffs ist übrigens Cavallis "La Didone", in der sich Dido nicht umbringt, denn man war damals auf ein "lieto fine" aus. Sie heiratet einen König.

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  • Die Bescheidenheit der Deutschen Oper am Rhein


    Ein schönes Stück Selbstironie fand sich im letzten Newsletter aus Düsseldorf (fett ist auch im Original so).

    Es sei uns in der Vorankündigung eine ordentliche Portion Enthusiasmus gestattet. Morgen beispielsweise ist unsere großartige Adela Zaharia mit einem herausragenden Ensemble und den fantastischen Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung des fulminanten Antonino Fugliani in einer der zu Recht berühmtesten Opern der Welt zu erleben. Wir freuen uns auf die Wiederaufnahme von Verdis Meisterwerk "La Traviata". Und unser hin- und mitreißendes Ballett am Rhein probt derweil für seine nächste aufregende Premiere. Der wunderbare Doppelabend "I am a problem" steht ab 28. Januar auf dem Spielplan.

    (Da hoffen wir doch, dass beides nicht "mördermäßig" in die Hose geht).

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  • Die schärfsten Kritiker der Elche....

    Parsifal 2013 in Salzburg


    Dies ist ein wenig OFF Topic, da ich die Oper weder live noch auf DVD noch bei YouTube gesehen habe. Es geht hier mehr um den Vorwurf, ich hätte erfunden, dass Johan Botha den Parsifal nur gesungen, ein Tänzer ihn gespielt habe. Mir wurde vorgeworfen, dass niemand die entsprechende Szene finden konnte. Nun, ich habe gegoogelt und innerhalb einer Minute hatte ich das, was ich suchte. Außerdem gibt es das Werk als DVD.

    Ich siedele den Beitrag hier an, weil er umfangreicher sein wird und ich das Hauptthema nicht noch mehr überfrachten. Dort findet sich der große "Angriff" von Melomane und ein Hinweis von mir auf den Beitrag hier. Dort kann auch kommentiert werden, hier nicht.

    1. Meine Behauptung war, dass Botha nur gesungen hat und von einem Tänzer auf der Bühne gedoubelt wurde. Diese Behauptung wurde als Lüge bezeichnet. Eine Lüge bedeutet Vorsatz, dies war ein Irrtum, und ein besonders fruchtbarer, wie sich noch zeigen wird.

    2. Meine Hauptthese legte nicht so sehr Wert auf das Double (der Tänzer), sondern auf die Tatsache, dass Botha nicht spielte, weil er nicht konnte. Nun, die einhellige Meinung der Kritik ist tatsächlich die, dass er auf der Bühne spielte, es aber nicht konnte. Das ist die Pointe, um die es mir geht.

    3. Die Musik bleibt außen vor, an Johann Bothas Gesang habe ich nie etwas kritisiert.

    4. Pressezitate:

    -"Auf der Bühne tummelte sich derweil eine seltsame Gesellschaft... zwei männliche Muskeljungs, die sich als Jesus-Verkörperungen entpuppten (also hier doch Doubles, 2 Tänzer)...sowie ein starr herumstehender Parsifal, der eine Entourage junger Männer dabei hat, die sich stellvertretend von den Blumenmädchen verführen lassen."

    (Deutschlandfunk, Archiv)

    - Unübersehbar war das Volumen von Bothas Parsifal, noch dazu ungünstig verpackt (nmz)

    - Vor allem de Parsifal ist mit seinem imponierenden XL-Heldentenor die vokale Dominanz in Person. Aber darstellerisch eine Herumsteh-Katastrophe. Die Regie versucht sich mit ein paar jungen, beweglichen Doubles aus der Affäre zu ziehen. (Online Music Magazin)

    NA??

    -In the title Role, Johan Botha sings with marvellously easy, silvertoned lyricism, but refuses to act. It´s a problem that no number of supernumeraries can solve. (Financial Times, "supernumeraries" sind Statisten)

    AHA!!

    5. Fazit: Ein Journalist schrieb, Michael Schulz, der Regisseur, hätte Botha ans Messer geliefert, indem er ihn spielen ließ. Das heitß, dass das, was hier als dreiste Lüge gebrandmarkt wurde, in Wirklichkeit die rettende Idee gewesen, Botha nicht der Lächerlichkeit auszusetzen. Zitat: "Zwar singt Johan Botha seine Partie vorzüglich, kann aber aufgrund seines Übergewichts kaum spielen und wird von der Regie geradezu vorgeführt."





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  • Das schlaue Füchslein in Gelsenkirchen (2023)


    Eine meiner liebsten Opern in meinem Lieblingsopernhaus - darauf habe ich lange warten müssen. Dass es auch so eine wunderbare Inszenierung mit sehr guten Sängern und einem ebenfalls sehr guten Orchester war, machte das Glück vollkommen. Die nächste Vorstellung werde ich mit einer 14jährigen Tochter von Freunden besuchen. Dabei ist es durchaus kein Kinderstück und auch keine Fabel.

    Die Dramaturgie dieser Oper ist anders als bei vielen anderen Opern, die eine fortlaufende Geschichte erzählen. Hier ist es eher ein Bilderreigen, bei dem jede Szene ziemlich für sich steht, also eine Art episches Theater. Auch Janaceks letzte Oper ist so strukturiert; sie besteht aus den Erzählungen der Strafgefangenen: "Aus einem Totenhaus".

    "Der philosophische Kern des Märchens: Janacek zeigt ein Panorama der Natur, der Wildheit im Tier und der Sehnsucht im Menschen. Doch die Grenzen zwischen Mensch und Tier verwischen, wenn Tiere, wie bei der Balz zwischen Fuchs und Füchslein, menschliche Züge entwickeln. es gibt auch zum Teil vom Komponisten selbst geschaffene Parallelen zwischen menschlichen und tierischen Rollen, wie bei Pfarrer und Dachs. Das Füchslein und der Förster verbleiben dagegen ohne Äquivalent in der Welt des jeweils anderen." (Zitat aus dem Programmheft)

    Musikalisch war die Aufführung auf höchstem Niveau. Johannes Martin Kränzle als Förster ragte heraus. Am Abend selbst gab es krankheitsbedingte Umbesetzungen. Die Füchsin wurde gespielt von der Regieassistentin, gesungen von der Seite von einer ganz wunderbaren jungen Sopranistin (vom Blatt), deren Namen ich nicht nicht behalten habe. Eine andere Rolle wurde von der Souffleuse gespielt, die als Tschechin auch die Sprachunterweisung geleistet hatte. Es gab ein paar Regietheaterelemente, etwa ein Flipperautomat in Paseks Gastwirtschaft, aber nichts störte.

    Der Dirigent, Rasmus Baumann, ließ das Orchester dramatischer spielen, als man es normalerweise hört; aber es bekam dem Stück gut, denn es ist ja kein Idyll.

    Das Haus war gut gefüllt, obwohl man leicht an Karten kam; das Publikum war sehr begeistert, und das zu Recht.

    Ganz vorzüglich auch die Übertitel, die dazu auch immer rechtzeitig kamen. Programme und Garderobe sind in Gelsenkirchen immer kostenlos.

    Es gibt noch drei Vorstellungen, 2 im Februar und eine im März.

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  • Boris Godunow

    1.

    Ich hatte vor ein paar Monaten die Eröffnungsvorstellung der Mailänder Scala besprochen. Da kam mir die Handlung so seltsam vor, dass ich beschloss, mehr über diese Oper zu erfahren. Die Verwirrung lag daran, dass in der Scala eine Mischfassung gespielt wurde, was ich erst jetzt weiß. Die Urfassung lief in Krefeld (2022), da war ich noch nicht so weit, sie als Urfassung zu identifizieren.

    Dann habe ich mal unseren "Tamino-Boris" durchgesehen, wobei mir nach Alfred auch auffiel, dass Edwin Baumgartner ein ziemlicher Verlust für das Forum ist.

    Nach diesem Vorgeplänkel hatte ich verstanden, dass es von der Oper unverschämt viele Fassungen gibt. Da wurde mir klar, dass ich die Urfassung von 1869 nur unzureichend kannte, obwohl ich sie letztes Jahr in Krefeld gesehen habe.

    Bei YT wurde ich fündig. Eine Aufnahme aus dem Mariinsky-Theater in Kooperation mit Arte, dirigiert von Gergiev. Die Kooperation war deshalb so günstig, weil sie Untertitel auf französisch hatte, was ich im Untertitel-Format verstehen kann. Ein Grundsatz war da schon klar: Russisch als Sprache für diese Oper ist eine musikalische Form, die man nicht ersetzen kann. Mozarts Opern werden ja auch nur noch italienisch gesungen.

    2. Die Fassungen

    1869: die sog. Urfassung. Sie endet mit dem Tod des Boris. Der Usurpator Grigorij tritt nur am Anfang auf (mit Pimen und an der litauischen Grenze). Der Polen-Akt fehlt ganz. Die Oper endet mit dem Tod des Boris.

    Diese Fassung war kein Erfolg: keine Frauen, keine Liebesszenen und ein Usurpator, der nichts usurpiert.

    Also entschloss sich Mussorgski, eine neue Fassung herzustellen,

    1872: die sog. Originalfassung

    Der Usurpator Grigori flieht nach Polen (dies ist der sog. Polenakt). Er verspricht, die Polin Marina in Russland zur Zarin zu machen und sammelt ein Heer, mit dem Ziel, Boris Godunow zu stürzen und die Macht an sich zu reißen. Unterstützt wird er von der katholischen Kirche. Er gibt sich als Dmitri aus, also als Zarewitsch, den Boris Godunow ermorden ließ, der diesem Mordversuch aber entging.

    Dann folgt der Mittelteil mit der Szene, in der sich Boris von seinen Kindern verabschiedet, dem Wahnsinn verfällt und stirbt.

    Neu ist jetzt das Ende: der Usurpator tritt siegreich auf, er wird Boris beerben.

    1881 Die Rimsky-Korsakow-Fassung

    Sie ist identisch mit der Originalfassung. Allerdings hat Rimsky-Korsakow die Instrumentier aufgepeppt zu einer Art Grand -Opéra nach Meyerbeerschem Muster.

    Diese Fassung wurde bis vor kurzem noch regelmäßig gespielt. In den Siebzigern konnte man Martti Talvela als Boris in Düsseldorf erleben; ein Triumph, vor allem für Talvela.

    Hier in unserem thread "wütet" (ist anerkennend gemeint!) Edwin Baumgartner gegen diese Fassung, die ja unter Karajan vorliegt. Diese Fassung höre ich auch manchmal. Auch wenn es insgesamt "Las Vegas" ist, sind doch die Sänger ausnahmslos Weltspitze, angefangen von Ghiaurov (Boris), Talvela (Pimen),Maslennikow (Schuisky und Gottesnarr), L. Spiess (Grigorij).

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  • Boris Godunow - Mariinsky - Gergiev - Vick


    Diese russische Aufnahme (2012) ist komplett bei YT zu sehen und zeigt die Urfassung, also ohne den Polenakt und die Revolutionsszenen am Schluss. Die Inszenierung ist eine seltsame Mischung aus Regietheater und prachtvollem Kostümtheater. So sieht Pimen wie ein alter russischer Mönch aus, schreibt seine Chronik aber auf einem Tablet. In dieser Chronik beschreibt er, wie Boris den Zarewitsch Dmitry ermorden ließ. Das Volk ist nach der Mode der russischen Gegenwart gekleidet, die Geheimpolizei sieht aus wie eine Geheimpolizei. Die Sitzung der Bojaren könnte eine Sitzung eines russischen Politbüros sein, alle Kostüme sind streng modern. Auch sind Kameras im Raum, die alles dokumentieren. In der Szene mit der Familie spielt Fjodor, der Zarewitsch, auf einer großen Russlandkarte mit Autos und Panzern. Eine Whisky-Flasche Marke Jack Daniels steht auf dem Tisch. Als der Vater nicht hinsieht, versteckt sie der Junge.

    Sensationell ist die Regie von Graham Vick. Alle Darsteller spielen neben dem Singen so natürlich, wie man es sonst nur im Sprechtheater sieht. Unglaublich, dass Fjodor, der Sohn, von einem russischen Jungen so gekonnt gesungen und gespielt wird statt von einem Sopran.

    Sängerisch ist diese Aufnahme sehr gut besetzt, obwohl ich mir den Boris immer "bassiger" wünsche. Da bin ich durch Ghiaurov vorgeprägt.

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  • Der Mai ist gekommen...


    nicht nur die Bäume schlagen aus, es gibt auch wieder frische Opern. Am Anfang jeden Monats sitze ich vor dem PC und klicke die Spielpläne aller umgebenden Opernhäuser an. Umgebung heißt hier:

    Das Ruhrgebiet und Rheinland: Gelsenkirchen, Essen, Dortmund, Hagen, Düsseldorf, Duisburg, Krefeld. Etwas weiter weg: Wuppertal und Köln. Bei ganz seltenen Fällen fahre sich sogar nach Münster.

    Im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) galt immer schon, dass die Eintrittskarten gleichzeitig die Fahrkarten für den ÖPNV waren. Jetzt erweitert sich das durch das 49er-Ticket. Damit werden Theaterkarten faktisch billiger.

    Bei den Opern gibt es bestimmte Auswahlverfahren. Im Mai werde ich keine Verdis, Wagners und italienische Opern des 19. Jahrhunderts sehen. Mozart ist auch nicht dabei.

    Alle Daten beziehen sich auf MAI!


    1. Gelsenkirchen - Musiktheater im Revier


    Die Perlenfischer: 7, 14, 19, 28

    Billy Budd: 13, 24


    2. Deutsche Oper am Rhein - Düsseldorf - Duisburg

    Atlantis: 6, 17

    Die tote Stadt: 4, 18, 26


    3. Dortmund

    La Juive 6, 19


    4. Wuppertal

    Poppea: 7, 12


    5. Hagen

    Fanciulla 12

    Blaubarts Burg: 13

    Eötvös Drei Schwestern 20, 28


    6. Köln

    Händel Giulio Cesare: 10, 14, 18, 21, 29

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  • 3.5.2023


    Ein paar schöne kleine Operngeschichten


    Wernickes Blaubart

    1988 in Amsterdam und 1994 in Frankfurt am Main ließ Wernicke (den Dirigenten konnte ich nicht ermitteln) Herzog Blaubarts Burg von Bartok an einem Abend zweimal hintereinander spielen. Das hätte ich vor einigen Jahren in Essen beinahe auch geschafft, weil Blaubart mit Schönbergs Erwartung kombiniert war, und das an zwei Abenden direkt hintereinander. Da habe ich halt den Blaubart zweimal hintereinander gesehen, und es war overwhelming.

    In Berlin hat ja vor einiger Zeit Barrie Kosky alle drei Monteverdi-Opern an einem Tag spielen lassen.



    Jimmy Levine und der Ring

    Otto Schenk (Regie) und Schneider-Siemssen (Bühne) stellten in der MET einen Ring auf die Bühne, der von Wagner selbst hätte stammen können. "A fairy tale from the Bavarian Woods, with monsters, dragons, giants, stage elevators ascending and descending and an apocalyptic final scene of carnage (Gemetzel)." James Levine, dem Dirigenten gefiel das. Dafür wurde er verhöhnt: "Jimmy´s musical taste was formed by Callas and Toscanini, but his visual taste is straight from the Cincinnati Zoo Opera."


    Macbeth mit strippenden Stripperinnen im prüden Amerika

    1982 wurde die Saison in der MET mit Macbeth eröffnet. In Theaterkreisen schien es damals üblich zu sein, das Stück niemals Macbeth zu nennen, sondern so etwa wie The Scottish Play. Bei der Eröffnungsszene brach ein Lachsturm im Publikum aus, vor allem wegen der Hexen. Verdi sieht nur 18 vor, aber auf der Bühne tummelten sich gefühlte Hunderte Hexen, die sich an Besen oder schwarze Katzen klammerten, umflügelt von Fledermäusen aus Gummi. Dann der Höhepunkt: "Hecate arrived onstage completely naked, except for an illuminated crown." Mit dieser Inszenierung tingelte die MET dann durch das prüde Amerika, das so prüde ist, dass stillende Mütter in der Öffentlichkeit fast als Exhibitionistinnen betrachtet werden. In Memphis hatten die Stadtväter den Striptease verboten. Die lokalen Stripperinnen hatten sich Tickets für Macbeth besorgt, und als die nackte Hecate auf die Bühne kam, strippten sie auf dem Balkon "and shone flashlights on their bare breasts".


    Der ultimative ubiquitäre italienische Tenor

    Massimo Tartucci, Augusto Nebrasco, Marco Pietrelli, Pietro Damasio, Domingo Portalescha, Pier Luigi Montanello, Gianandrea Portobene: was sagen uns diese Namen? Nun, es sind italienische Tenöre, die die Opernwelt durchstreifen und das italienische Fach ausfüllen. Wir lesen ihre Namen auf den Besetzungszetteln und fragen uns, ob das verschiedene Sänger sind und ob nicht ein einziger Tenor mit immer neuen Namen durch die Opernhäuser wieselt.

    Die Lösung ist einfach: diese Tenöre gibt es nicht, ich habe sie erfunden. Aber es könnte sie geben, genau wie diese Tenöre, die an der MET wirklich gesungen haben: Giorgio Merighi, Giorgio Lamberti, Giuliano Cianella, Bruno Beccaria, Amadeo Zambon, Vasile Moldoveano. "A board member was heard to observe that he believed they were all actually the same person." Es gab eine Ausnahme, der Einspringer per se: Carlo Bini, der überall bekannt und beliebt war, obwohl er kaum Englisch konnte. An der MET mussten alle großen Rollen mit einer Zweitbesetzung versehen sein, für den Tenor war das Carlo Bini, der ideale Zweittenor. Sein Ende kam, als er für Placido Domingo einspringen musste, aber die Rolle kaum kannte und nicht eingesungen war.


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  • Boris Godunow - zwei verschiedene Opern


    Ich habe mich in letzter Zeit viel mit den verschiedenen Fassungen von Boris Godunow befasst. Im Grund sind es zwei verschiedene Opern. In der Urfassung (1869) sieht es so aus: Boris lässt sich widerwillig krönen. Der Mönch Pimen schreibt seine Chronik und dort steht ganz klar, dass Boris seinen Nachfolger, Dmitrij (ein Kind) ermorden ließ. Grigorij, ein Mönch hört ihm zu und beschließt, in Ableugnung dieser Mordtat als lebendig gebliebener Dmitry den Zaren Boris zu entthronen.

    Als er nach der Krönung aus der Kathedrale kommt, trifft er auf den "Gottesnarren", der Boris beschuldigt, Dmitrij ermordet zu haben. Den Gottesnarren haben Kinder bestohlen; er verflucht sie. Die Wachen wollen ihn festnehmen, Boris verhindert das und will ihm das geraubte Geld erstatten. Der Gottesnarr nimmt es aber von einem "Herodes redivivus" nicht an.

    In dieser Fassung tauchen der falsche Dmitry und der Gottesnarr nicht mehr auf. Dann folgen in der Urfassung die Szene mit den Bojaren (auch mit Pimen) und in der Familie, wo Boris von seinem Wahn erdrückt wird und stirbt. Hier endet die Oper. In unserem Opernführer ist diese Fassung, die Urfassung, nicht vertreten.

    In der Originalfassung (1872) gibt es einen neuen Akt, den Polenakt, in dem der falsche Dmitrij (alias der Mönch Grigorij) Marina, die Tochter eines polnischen Fürsten, als Zarin mitnehmen will, wenn er Boris in Moskau stürzt. In dieser Fassung folgt auf den Tod des Boris noch zwei Szenen, die den Erfolg des Usurpators zeigen. Den Schluss bildet hier die Klage des Gottesnarren über das Elend seiner Zeit.

    In unserem Opernführung ist diese Fassung gut vertreten, allerdings mit dem seltsamen Umstand, dass der Gottesnarr nicht erwähnt wird.

    Diese Originalfassung von 1872 war es, die Rimsky-Korsakow bearbeitet hat, vor allem durch eine üppigere Instrumentation. In dieser Fassung wurde der Boris erst berühmt.

    Diese Fassung hat auch Karajan eingespielt, die natürlich in allen Facetten (Orchester, Soli, Chor) grandios ist. Aber auch die Urfassung hat ihren besonderen Reiz, worin gerade die karge Instrumentation zu einem Qualitätsmerkmal wird.

    Diese Fassung wird heute öfter gespielt als die sog. Originalfassung oder die Bearbeitung von R.-Korsakow.

    Das war auch die Urfassung, die ich in Krefeld vor einiger Zeit gesehen habe.

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  • Pelléas et Mélisande




    In der Geschichte der Oper gibt es einige Werke, die man als "Solitäre" bezeichnen kann. Sie haben keine Vorbilder und manchmal auch keine Nachahmer. Ich würde Jenufa, das Totenhaus, Salomé, vielleicht auch Palestrina und Mathis dazu rechnen. Auf jeden Fall gilt das von Debussys Pelléas und Mélisande (dies sind keine musikwissenschaftlichen Kategorien!).

    Zum Inhalt und Texten zum Verständnis muss ich hier nichts sagen, das hat der Kollege "musikwanderer" in unserem Opernführer hervorragend geleistet. Das stammt von 2014, und die wichtigsten CDs und DVDs sind dort besprochen. Danach gab es weitere Aufnahmen, von denen eine Vielzahl bei YT in voller Länge zu sehen ist. Es scheint so zu sein, dass jeder große Dirigent diese Oper in seinem Repertoire haben muss, sodass man die Qual der Wahl hat.

    Vor vielen Jahren spielte das Moerser Schlosstheater, eine kleine Bühne mit großem Renommée, die literarische Vorlage von Maurice Maeterlinck. Es war gut gespielt, trotzdem habe ich praktisch die ganze Zeit die Musik "ergänzt", weil ich die Oper schon gut kannte. Am nächsten Tag (!!) gab es den Pelléas in Düsseldorf 1981 (Ponnelle). Da ging es mir wie vorher schon oft, wenn ich eine Bibelstelle las und sofort die Musik von Heinrich Schütz im Kopf hatte.

    Die Aufnahme, die ich vorstelle, ist aus der französischen Provinz (Rouen) mit einem hervorragenden Orchester und mit einem großartigen jungen Ensemble. Ich kannte keinen der Sänger und Sängerinnen. Was den Ausschlag gab, mir am PC dieses Werk anzusehen, waren die französischen Untertitel, die sehr genau den Sängern folgten. Auch weil ich den Text schon kannte, hat mein Schulfranzösisch mich nicht im Stich gelassen. Was mir auch sofort klar war, dass man diese Oper nicht übersetzen kann, denn es ist eines ihrer Geheimnisse, dass der Text mit dieser Musik "zusammenfließt"!

    Die Oper wurde 1965 in Düsseldorf gespielt, mit Peter Christoph Runge. Dazu die legendären Bühnenbilder von Heinrich Wendel.

    1981 gab es eine neue Inszenierung in Düsseldorf, unter der Leitung von Jena-Pierre Ponnelle , mit Rachel Yakar als Mélisande und einer Besonderheit, dass der Yniold nicht von einem Sopran, sondern von einem Jungen aus dem Tölzer Knabenchor gesungen wurde

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  • Pelléas et Mélisande, Teile 2 und 3


    2. Dieser Teil wird etwas dauern, weil ich nämlich Szene für Szene mit dem Theaterstück von Maeterlinck vergleichen werde. 3.Dazu werde ich noch kurze Besprechungen der Aufnahmen, die ich besitze, schreiben; besonders die Aufnahme von Boulez, an der ich die Oper "gelernt" habe, und die von Rafael Kubelik, der in punkto Oper für mich immer einer der größten Dirigenten war (Jenufa, Palestrina, Mathis der Maler).

    Noch eine kurze Bemerkung zum französischen Text. Wenn man dies hier liest, kann man davon ausgehen, dass ich die französischen Akzente auch kann; mein PC aber nur aigu und grave.



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  • 3. Maeterlinck, Pelléas et Mélisande, die Vorlage zur Oper.


    Akt I, Scene 1, La porte du chateau

    Diese Szene spielt vor dem Haupttor der Burg, alle servantes der Burg bestürmen den Portier, alle Türen und Fenster aufzureißen, da es bald große Festlichkeiten geben wird. Licht und Luft und Sonnenschein sollen in die düstere Burg einziehen. Unverzichtbar auch der Blick aufs Meer. Dann wird viel Wasser geholt und gereinigt. Wasser spielt im ganzen Stück eine große Rolle, als Symbol der Tiefe, des Unheils und der Reinheit

    Es überrascht nicht, dass Debussy diese Szene nicht nur nicht am Anfang, sondern überhaupt nicht haben wollte. In der Tat ist seine Lösung, nicht mit dem optimistischen Tumult, sondern mit der düsteren Orchestereinleitung und der Szene zu beginnen, in der sich zwei Einsame finden, die aber später niemals zueinander finden werden.

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  • Akt II/3 Pelléas und Mélisande in der Grotte (Maeterlinck und Debussy identisch)

    Akt II/4 (nur Maeterlinck) König Arkel beschwört Pelléas, nicht zu seinem sterbenden Freund Marcellus zu reisen, hier im Land gebe es Feinde, Hunger, auch der Vater von Pelléas liege im Sterben. Außerdem wird der Freund Marcellus bestimmt schon tot sein! La vie a des devoirs plus graves que la visite d´un tombeau. Pelléas entschließt sich zu bleiben (:untertauch:schließlich wird er in diesem Stück ja noch gebraucht; dies schien Debussy wohl selbstverständlich, daher wurde diese Szene ausgelassen.)

    An diese Szene schließt sich sofort an Akt III, Szene 1. Auch diese Szene erscheint in der Oper nicht. Die Personen sind Pelléas, Mélisande und der kleine Yniold, Golauds Sohn aus erster Ehe. Der Kleine will nicht schlafen gehen; außerdem fürchtet er, dass seine petit-mère, Mélisande, die er sehr liebt, weg will, ebenso wie sein petit-père, Pelléas. Beide beruhigen ihn, das sei nicht geplant. Mélisande singt ein kleines Lied, da bemerkt Yniold, dass sein Vater Golaud gekommen ist. Dieser wundert sich, dass die beiden im Dunklen sitzen. Yniold bemerkt, dass beide geweint haben.

    Warum Debussy diese Szene nicht übernommen hat, liegt vielleicht daran, dass Yniold zu früh eingeführt wird und dass Golaud vielleicht zu früh ahnt, dass er der Verlierer sein wird.

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  • Akt IV Bis auf Kleinigkeiten ist dieser Akt in der Oper identisch mit Maeterlinck Vorlage. Bemerkenswert war für mich anhand dieser Aufführung die Tatsache, dass Arkel durchaus keine Nebenrolle ist. Es braucht einen stattlichen Mann mit einem sonoren Bass. In dieser Aufnahme (Jean Teitgen) gab es einige Irritationen, ich hätte den Bass lieber bassiger gehabt (wie etwa Peter Meven, Karl Ridderbusch). Oft gelingt es Debussy, mit einer kurzen Phrase eine bezwingende Wahrheit musikalisch perfekt auszudrücken. Die singt hier Arkel: Si j´étais Dieu, j´aurais pitié du coeur des hommes... Das erinnert an Georg Büchner (entweder aus Lenz oder Wozzeck): Wenn ich allmächtig wäre, ich würde retten, retten...

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  • Akt V

    Die erste Szene spielt unter der Dienerschaft (9 servantes, also alles Frauen); sie reden durcheinander, wissen nicht oder meinen zu wissen, was mit Pelléas und Mélisande geschehen ist, eine Art Wettstreit der machtlosen Helfer. Die zweite wichtige Funktion ist die Einführung des Kindes, das Mélisande geboren hat und an das sie sich in der letzten Szene gar nicht erinnert. Es ist ein sehr kleines Kind, eine Frühgeburt (man kann vermuten, dass diese durch die Attacken Golauds ausgelöst wurde). Allerdings verkünden die servantes auch, dass dieses Mädchen an die Stelle seiner Mutter treten wird.

    Servante: Une toute petite fille q´un pauvre ne voudrait pas mettre au monde... une petite figure de cire qui doit vivre de la laine d´agneau.

    Hier wird auf eine der Szenen im 4. Akt angespielt, in der ein Hirte und Yniold aufeinander treffen. Mit Bestürzung erfährt Yniold, dass diese Schafe heute Nacht nicht im eigenen Stall schlafen werden. Dies ist wahrscheinlich eine vorweggezogene Anspielung auf das "Lamm" Mélisande..

    Diese Szene hat Debussy nicht vertont, alle diese wichtigen Informationen lässt er gleich in die Sterbeszene einfließen. Warum Debussy diese Szene weggelassen hat, geschah vielleicht analog zu allerersten Szene; so wie damals die Szene im Wald brauchte auch die Sterbeszene keinen aufgeregten Vorlauf.

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  • 4. Die Oper - die Musik


    Jeder, der dieses Werk sieht oder hört, merkt sofort, dass es ganz anders ist als die Opern in der Operngeschichte davor, die ja vielfach in festen Formen komponiert waren, also die Barockoper oder auch die Klassik, etwa Mozart, mit ihrer Trennung von Arien und Rezitativen. Die Menschen hier sprechen/singen im Fluss der Musik, wobei Text und Musik sich bedingen. Daher ist es auch völlig unmöglich, diese Oper anders als auf französisch zu spielen. In der Klassik hatten wir das etwa bei Mozart oder auch bei Mussorgsky. Hier ist die Sprache Teil der Musik.

    Les personnages de ce drame tachent de chanter comme des personnes naturelles et non pas dans une langue arbitraire faite de traditions surannées (Debussy).

    Ein weiteres Merkmal, gleichermaßen im Text wie in der Musik, ist die ständige Wiederholung einzelner Wörter, extrem in der Liebesszene, kurz bevor Pelléas von Golaud ermordet wird.


    5. Symbole


    Maeterlinck ist ein Vertreter des französischen Symbolismus. Statt in Literaturgeschichten nachzusehen, habe ich versucht, in den Texten und in der Musik die Symbole zu entdecken, was nicht so schwer ist, weil es Debussy mit seiner Musik verstärkt hat (Zitate hier u.a. aus den Texten zu Maeterlincks Werk).

    La grotte, la foret, la fontaine, la mer

    La grotte, tout comme la foret et la fontaine, est évidemment chargée de connotations médieveale ou fantastiques; c´est surtout un nouveau lieu où se conjugent ténèbres mystère et imaginaire aquatique.


    La chevelure de Mélisande

    Szenen mit Mélisandes Haaren gibt es mehrere. Gleich in der ersten Szene taxiert sie Golauds Haare und schließt daraus, dass er schon älter ist.

    Als sie später von ihrem Zimmer ihre Haare herablässt, umhüllt sie Pelléas das erste Mal. Als sie ihre Haare wieder hoch zieht, verfangen sie sich im Blätterwerk, eine klare Anspielung auf den Tod Absaloms (frz. Absalon) aus dem 2. Buch Samuelis. Absalom, ein schöner junger Mann mit prachtvollen Haaren, rebellierte gegen seinen Vater David. Auf seiner Flucht blieb er mit seiner vollen Haarpracht an den Zweigen einer Terebinthe hängen. Dort tötete ihn Joab, der Feldherr Davids gegen dessen ausdrücklichen Befehl. Die ergreifende Klage des Vaters hat Schütz wunderbar vertont, einige Einspielungen finden sich hier im Thema "Sagittarius" (###5,9,10)

    Dann kommt die Szene, in der Golaud Mélisande angreift und sie an den Haaren mehrfach nach vorne und hinten sowie seitwärts reißt und dabei schreit Absalon, Absalon. Konnotiert sind hier Verrat und Mord.


    Einsamkeit, Hungersnot, Blinde (aveugles), Düsternis


    Diese Motive (Symbole) finden sich fast in jeder Szene, sogar in der Szene, in der Yniold versucht einen Stein zu heben, was ihm nicht gelingt. Er hört einen Hirten und fragt ihn nach seinen Schafen. Der sagt ihm, dass seine Schafe diese Nacht sicherlich nicht in ihrem Stall schlafen werden.

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  • 6. Szene und Kostüme


    In der Uraufführung des Maeterlinck-Stückes äußert sich der "Designer", dass die Bilder "poétique et sensible de l´oeuvre" sein müssen, "en créant les clairs-obscurs inscrits. Viel geschieht im Halbdunkel oder es werden nur Partien der Bühne erleuchtet. Die einzige Person, die dann mal im vollen Licht erstrahlt, ist Mélisande. "Le caractère de l´oeuvre étant mélancolique et mysterieux.." erfordert auch entsprechende Kostüme. Alle Figuren, selbst Yniold, tragen in Schattierungen dunkle Kostüme, außer Mélisande, die ein besonders prächtiges Kleid hat, allerdings gegen Ende, als Golaud sie misshandelt, auch nicht mehr. Hier wie in der Sterbeszene trägt sie reines Weiß.


    7. Die vorliegende Inszenierung


    Dies ist ein "joint venture" verschiedener Opernhäuser aus Europa (Rouen, Paris, Klagenfurt). Der Regisseur heißt Eric Ruf und hat Werk schon 2017 am Théatre de Champs-Elysées inszeniert. Gerade wegen einer durchweg etwas statischen Regie (geschuldet dem Text und der Musik) sind dann die Höhepunkte von großer Wucht.

    Bei den Sängern gab es darstellerisch keinen Ausfall. Yniold war eine junge Sängerin, die sich aber große Mühe gab, wie ein Junge zu singen und zu spielen. Pelléas war ein junger Engländer, der aber vorher ausgiebig in Französisch gecoacht wurde. Über Rollendeckung bei Mélisande haben wir uns hier woanders schon mal gestritten. Ich sage hier nur: die junge Sängerin war eine Augen - und Ohrenweide. Auch die anderen Sänger waren absolut überzeugend.

    Abschließend muss ich sagen, dass es eine ganz hervorragende geschlossene Inszenierung war. Viele hier bei uns wissen ja, dass in der deutschen Opernlandschaft die sog. Provinzbühnen ein absolut wunderbares Niveau haben. Ich sitze ja hier in der Rhein-Ruhrschiene mitten im Opernhimmel mit den großen Vorzügen, dass es nicht weit ist, die Eintrittskarte nach wie vor der Fahrschein ist und vor allem, weil man so gut wie immer noch an Karten kommt und sie auch bezahlen kann.

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  • Il Trittico - Suor Angelica - Asmik Grigorian


    Nicht nur die Zauberflöte, sondern auch Tosca und La Bohème sind ja die großen Namen, die an der Spitze der meistgespielten Opern stehen. In den letzten Jahren wird aber Il Trittico häufiger angeboten. Vor Jahren habe ich dieses Stück sowohl in Dortmund wie auch in Düsseldorf gesehen. Es wurde 2022 in Salzburg gespielt, in diesem Jahr in Hamburg (Berlin auch?).

    Puccini hielt den Mittelteil, Suor Angelica, für sein bestes Werk. Dem würde ich zustimmen. Bei YT fand ich jetzt die letzte Szene der Suor Angelica, gesungen und gespielt von Asmik Grigorian (Salzburg 2022, Dir. Franz Welser-Möst). Nun war mir diese Sängerin nicht unbekannt, sie ist ja der Shooting Star der letzten Zeit. Was sie besonders auszeichnet, ist, dass sie nicht nur großartig singt, sondern auch spielt.



    Angelica wurde von ihrer reichen Familie ins Kloster gesteckt, wo sie sich verzweifelt nach ihrem kleinen Jungen sehnt. Eine Verwandte, die Principessa, kommt und berichtet ihr, dass der kleine Junge gestorben ist. Sie lässt einen Koffer da, der ein großes Bild von ihrem Kind enthält. Jetzt kommt ein Einfall, der eigentlich RT ist, aber eben ein schlüssiger Einfall. In dem Koffer findet sich ein Kleid (das berühmte "Kleine Schwarze" und Zigaretten). Sie legt ihre Nonnentracht ab, zieht das schwarze Kleid an und raucht eine Zigarette. Sie verwandelt sich von einer Nonne zu der Frau, die sie früher war. In ihrer Verzweiflung erscheint ihr in ihrem Wahn ihr kleiner Sohn. Darauf sammelt sie giftige Kräuter (sie war die Nonne, die für den Kräutergarten des Klosters zuständig war) und vergiftet sich damit.

    Die ganze Oper, bzw. alle drei, waren auf YT nicht vorhanden. Aber ich bin bei JPC fündig geworden.


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  • Verwüstung und Tumult

    Janaceks "Aus einemTotenhaus"

    im Nationaltheater Prag (Narodni divalo)

    2015



    1. In den letzten Jahren wurde dieses Werk viel gespielt, meist in RT-Inszenierungen, was sich tatsächlich auch anbietet. Ich war immer schon der Meinung, dass dies die kühnste Oper der Vorkriegszeit war (1928).Ich mag sie auch lieber als Wozzeck, allerdings habe ich damals in Düsseldorf keine Vorstellung des Wozzeck verpasst, in der Hildegard Behrens die Marie sang.

    Diese Prager Inszenierung muss 2015 ein Ereignis gewesen sein, denn der designierte Schauspieldirektor in Prag hat inszeniert. Daniel Spinar (Häkchen auf dem S) war homosexuell, hat dann aber eine Geschlechtsumwandlung gemacht und nannte sich jetzt Daniela Spinar.

    Es wird tschechisch gesungen, leider gibt es keine Untertitel. Da ich das Stück gut kennen, war ich aber immer im Bilde.


    2. Normalerweise wird das Totenhaus relativ statisch inszeniert, vor allem, damit die Gefangenen ihre Geschichte in Ruhe erzählen können. Hier ging es anders zu. Der erste Akt spielte nicht im Hof, sondern in einem leeren, leicht ramponierten Saal mit einem verwüsteten Klavier (am Schluss versteht man, dass dies den im Janacekschen Libretto vorkommenden verletzten Adler darstellen soll!). Die Häftlinge sind nicht zerlumpt, haben aber die gleiche Kleidung mit Nummern auf dem Rücken. Gleich in den ersten Szenen ist Tumult und Eintracht, alles rennt durcheinander. Wenn man genau hinsieht, ist alles perfekt inszeniert und nicht nach dem Motto "Rennt mal alle durcheinander, das reicht schon!"

    Eine Besonderheit war ausgezeichnet gelöst: Luka Kusmitsch, der Erzfeind von Schischkow im 3. Akt, wird in 1 und 2 schon dauernd gezeigt.

    Eine perfekte Operninszenierungi st ja die Quadratur des Kreises. Bühne, Kostüme, Regie, Chor, Sänger, die auch spielen müssen, das Orchester. Dies war in Akt 1 und 2 sehr sehenswert und für mich völlig neu, wobei ich das "Totenhaus" ja schon sehr oft gesehen habe. Wenn man diese Aufnahme hier mit CD-Aufnahmen vergleicht, stellt man fest, dass sowohl das Orchester wie die Sänger keinen geschliffenen Klang haben (mir fehlt der richtige Ausdruck, ich meine so etwas wie die Mackerras-Aufnahme), aber sehr gut zur Inszenierung passen.


    3. Eine der Hauptfiguren ist der junge Aljeja; bei Janacek ist das eine Hosenrolle. Diesem Aljeja hat der Regisseur eine besondere Rolle zugedacht. Ein sehr gut aussehender blonder junger Mann ist Aljeja, offensichtlich homosexuell, so eine Art Lagerhure. Als der politische Gefangene Gorjantschikow eingeliefert wird, werden die beiden ein Paar, was von den anderen ohne weiteres akzeptiert wird. In dieser Sichtweise finde ich die Umwandlung von Mezzo zu Tenor gelungen.

    Bemerkenswert im 2. Akt ist noch, dass die von Janacek im Libretto beschrieben Arbeit der Sträflinge, nämlich das Abwracken von Schiffen, hier durch Müllarbeit ersetzt wird, vor allem, weil der 2. Akt ja in einem Raum spielt. Das Theater, das die Häftlinge spielen, hat zum Thema: "Don Juan" und die "Müllerin". Hier gab es eine Choreographie eines grotesken Männerballetts in seltsamen "weiblichen" Kleidungsstücken. Alles in rascher Bewegung, aber gut durchchoreographiert.


    4. Der dritte Akt.

    Dieser Akt beginnt mit einer fulminanten Überraschung. Der Innenraum ist der gleiche wie vorher, keine Möbel, aber gepflegt. Das vollständige Klavier hängt umgekehrt an der Decke.

    Alle Häftlinge treten in den allerfeinsten Fräcken auf und benehmen sich wie Bürgerliche oder sogar der Adel.

    Da habe ich erstmal weggeschaltet und ein Interview mit Konwitschny gesehen, der das Stück in Zürich inszeniert hat, und zwar im RT-Modus. Da findet im xten Stock eines Hochhauses eine Mafia-Party statt, der niemand lebend entkommt. Das tertium comparationis zum Straflager ist das Motiv der abgeschlossenen Gesellschaft. Ein Clou bei Konwitschny: für das bei Janacek vorkommende Theater hat die Mafia eine billige Tanztruppe gemietet; die Mafiosi spielen die Zuhörer - und sind zum Gaudi als Sträflinge in Streifenjacken verkleidet.


    5. Inzwischen wissen wir ja alle, dass die ergreifendste Szene und Musik in dieser Oper die Erzählung von Schischkow ist, der berichtet, wie er mit Akulina verheiratet wurde, die aber nach wie vor Luka Kusmitsch liebt, worauf Schischkow sie auf dem Feld erstickt. In diesem Moment schreit einer der Gefangenen auf und stirbt. Es ist - Luka Kusmitsch.

    Am Schluss treten noch einmal alle auf und blicken nach oben dem gesunden Adler nach (wohlgemerkt, der wird durch ein Klavier dargestellt, das entschwindet). Gorjantschikow kommt frei, wobei der Lagerkommandant als Clown auftritt.

    Bemerkenswert an der Schischkow-Szene, dass Akulina tatsächlich auftritt - und zwar als halbnackte Tänzerin, die in allen möglichen Posen durch den Raum wirbelt.


    6. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es trotz Zügen von RT ein interessante Inszenierung ist. Allerdings gibt es zwei Wermutstropen. Die Idee der Tänzerin ist eigentlich nicht schlecht, allerdings ist viel zu auffällig, und damit eine zu große Ablenkung. Der andere Tropfen: der Sänger des Schischkow. Dies ist die wichtigste Rolle und wurde hier unzureichend besetzt. Vom Timbre abgesehen, sang er seinen Part im einheitlichen mf herunter. Ich habe ja das Totenhaus oft gesehen und gehört, live und auf CD/DVD; dieser Sänger ist da leider nicht konkurrenzfähig.

    Dennoch war es eine gute Erfahrung, mal eine solche Inszenierung zu sehen. Als nächstes kommt dann eine waschechte RT-Aufführung an die Reihe; davon gibt es einige im Netz.

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  • Gulag mit echten Frauen und falschen Hasen

    Aus einem Totenhaus

    München 2019



    Eine Inszenierung von Frank Castorf, die die Besonderheit aufweist, eine klassische Inszenierung zu sein, die mit RT-Elementen versehen ist. Ich habe mir angewöhnt, das zu akzeptieren, wenn es gut gemacht ist.

    Was hier Probleme macht, ist der optische Overkill, sodass man dauernd das Gefühl hat, was Wichtiges nicht gesehen zu haben. Es geht schon mit der Ouverture los: die wird bebildert mit einer Geschichte, die sich mir nicht erschlossen hat. Die Szenen im Gulag sind ziemlich traditionell erzählt, wobei eine gewisse Überkostümierung stört, dazu auch noch jede Menge Tattoos, Warzen und getrocknetes Blut.

    Vor dem 3. Akt erzählt (auf spanisch!!) einer einen Text aus dem Lukas-Evangelium: Jesus befreit einen von Dämonen Besessenen, diese fahren in eine Schweineherde, die sich in einen See stürzt und ertrinkt.

    Nach dem Schlussakkord geht nicht der Vorhang zu, sondern es erscheint ein Video, das einen Hasen im Stall zeigt. Da sage ich nur "Mein Name ist Hase..."

    Zwei Einfälle noch: Aljeja wird hier, wie von Janacek vorgesehen, von einem Mezzo gesungen. Gleichzeitig stellt diese Sängerin in einem prachtvollen Tierkostüm den Adler dar, der am Schluss noch mal erscheint. Die Sache mit dem Adler ist schlüssig, aber die Gleichsetzung mit Aljeja nicht.

    Im zweiten Akt führen die Sträflinge ein Theaterstück auf, dafür verkleiden sie sich auch, wenn notwendig, als Frauen. Das ist natürlich ein guter Gag, den man verschenkt, wenn man richtige Frauen aufbietet (bei Janacek gibt es eine Lagerdirne, die aber nur ein paar Takte zu singen hat). Was da als Theater auf dem Theater gespielt wird, ist mir leider verborgen geblieben.

    Die musikalische Seite dieser Aufführung war hervorragend. Die Dirigentin, Simone Young, wird in der Zeitung etwas gerügt, weil das Orchester ein wenig zu "weich gespült" war.

    Wenn man das Totenhaus die ersten Male hört, begegnet einem vor allem Schroffheit und brachiale Gewalt. Danach beginnt man, genauer auf das Orchester zu hören. Anders als besonders bei italienischen Opern spielt das Orchester nicht einfach mit, was gesungen wird, sondern führt ganz eigenständige Musik aus, die oft von überraschender Zartheit ist. Da hat Simone Young eigentlich alles richtig gemacht.

    Die Sänger waren tadellos, auch wenn Bo Skovhus als Schischkow hätte noch mehr differenzieren können.

    Fazit: eine durchaus ansehnliche Produktion, mit Elementen von RT.

    Das nächste Stück wird wohl die Zürcher Produktion des Totenhauses sein, diesmal aber waschechtes RT: eine Party der Mafia in einem Hochhaus, bei der am Ende niemand überlebt. Das kenne ich von Tatjana Gürbacas Salomé in Düsseldorf, die aber jetzt in Duisburg eine sehr gelobte "Jenufa" inszeniert hat.

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  • Sägen und Rasseln mit Ketten

    Eine Vorschau auf Janaceks Totenhaus

    Zürich



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  • Totenhaus Zürich Konwitschny


    In dieser Inszenierung verlegt Konwitschny das Straflager in eins der oberen Stockwerke eine Hochhauses. Dargestellt wird eine Mafia-Party, die niemand überlebt.

    Es gibt im Internet eine Reihe von berichten über diese Inszenierung, also Trailer, Interviews, Kritiken. Die Aufführung selbst konnte ich nicht finden, allerdings reicht es mir jetzt erstmal nach dem optischen Overkill von Frank Castorf. Das ist ein Beispiel dafür, dass schreckliche Geschehen durch opulente Bilder ihre Schrecken verlieren können, vor allem bei Janacek, wo der Schrecken in der Musik komponiert ist.

    Neu war mir, dass Janacek zu einer Endredaktion des Werkes nicht mehr gekommen ist. John Tyrell (und Mackerras) haben den optimistischen Schluss als Zutat von Janacek-Schülern identifiziert. Das heißt, dass der geheilte Adler am Schlus gestrichen ist. Konwitschny weist zudem darauf hin, dass die Heilung eines Adlers in einem Straflager nicht möglich ist. In der Bieito-Inszenierung (Nürnberg), über die ich auch nicht berichten will, ist der Adler mit einer Antonow-Propellermaschine "besetzt".


    https://www.deutschlandfunkkul…s-dem-gefaengnis-100.html

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