Ich habe versucht, das Thema an einem Thread "heute gehört kurz kommentiert" zu hängen, aber keinen für die Klassik und Romantik gefunden, und, obwohl hier auch Kurt Weill im Titel vorkommt, ist die Musik von Franz Schubert und damit zeitlich im Übergang der Klassik zur Romantik.
Weil ich jetzt einen Thread hier starte, muss ich doch mehr sagen, als ich anfangs wollte. Ich bin nicht der große Sängerverehrer, von denen es hier im Forum offensichtlich eine ganze Menge gibt. Für mich ist Gesang so intim, dass ich entweder damit zurechtkomme oder nicht, also so eine 0-1 Geschichte. Das hat mir bisher einige Musik schon sehr schnell ungenießbar gemacht. Durch die Lektüre der Forumsbeiträge bin ich wieder auf die Idee gekommen, Gesang zu hören. Dabei bin ich auf dieses Projekt des Bassbaritons Philippe Sly gestoßen, der die Winterreise neu interpretiert.
Die Winterreise ist für mich das überragende Musikstück (eigentlich ein Zyklus) Schuberts, wo er kompromisslos seine Musik findet und umsetzt. Es ist für mich eine sehr kondensierte Musik. Die eher mäßigen Verse von Wilhelm Müller gewinnen in der konzentrierten Melodielinie und der wundervoll dazugeschriebenen Klavierbegleitung ein Gewicht, was sie alleine bei weitem nicht haben. Schubert ist ungewöhnlich kurz. Innerhalb von Sekunden schwanken die Stimmungen (fast ein bisschen, wie bei Webern ) Ich liebe tatsächlich die Interpretation von Dietrisch Fischer-Dieskau mit Gerald Moore aus den siebziger Jahren (das scheint allerdings keine Seltenheit zu sein
). Dieskau singt mit hervorragendem Verständnis für Text und Melodie und Moore unterstützt den Gesang unvergleichlich.
Das Hören der neuen Aufnahme war also nicht unvorbelastet.
Zuerst das Oberflächliche: Die Klavierbegleitung wurde ersetzt duch ein Ensemble aus Posaune, Violine, Akkordeon, Klarinette und manchmal auch ein Piano . Die Konsequenz ist, dass die Begleitung an vielen Stellen laut (
) ist und das ganze nicht wie Gesang mit Begleitung herüberkommt, sondern wie ein Kammerensemblestück mit Gesang. Das ist aber erstmal völlig in Ordnung. Anklänge an die Dreigroschenmusik von Kurt Weill sind nicht zu überhören.
Zweitens: Ich habe alles bis zum Ende gehört. Entweder war es so schlecht nicht, oder man lernt eben im Forum .
Was ist anders? Der Text hat nicht mehr das Gewicht, wie in der reinen von Schubert konzipierten Liedversion. Das ist gut, denn der Sänger klingt zwar schön, hat aber bei weitem nicht das Textverständnis eines Fischer-Dieskau. Viele Nuancen werden einfach übersungen. Allerdings singt er nicht völlig am Text vorbei, so dass das Ganze schon eine akzeptable Melange darstellt. Insgesamt ist der Klang durch die Instrumentierung sehr viel "moderner" und "jazziger" geworden, was aber problemlos geht, ohne die Musik zu entstellen. Oberflächlich wirkt alles neu und modern.
Wenn ich einen Vergleich aus einem anderen Genre wählen darf, verhält sich Fischer-Dieskau/Moore zu Sly/Chimera Ensemble wie eine Dichterlesung zu einem Hörspiel.
Eine kleine ästhetische Schwäche hat die Neueinspielung aber doch: Das "Gute Nacht"-Lied wird wirklich zu einem . Von Schubert an den Anfang des Zyklus gestellt, wird es hier am Ende als Abspann genutzt und meines Erachtens leider auch so gesungen.
Aber trotz allem scheint mir die Realisierung der Idee hörenswert zu sein.
Es grüßt
Axel