Leo Fall - Die Straßensängerin

  • Die 1921 uraufgeführte Operette Die Straßensängerin von Leo Fall war nicht erfolgreich ist heutzutage völlig unbekannt. Das Textbuch wurde von einem Lo Portem und August Neidhardt, dem Librettist des Schwarzwaldmädel verfasst und behandelte eine Art Nach- oder Umerzählung der Komödie Pygmalion von Bernhard Shaw, also gewissermaßen eine Vorwegnahme der Fair Lady. Vermutlich war die Umerzählung nötig, um Tantiemen zu sparen oder weil keine Genehmigung zur Vertonung vorlag. Stefan Frey urteilt in seiner Fall-Biographie jedenfalls, die Autoren hätten Shaws unkonventionelle Geschichte in ein stereotypes Operettenschema gezwungen. Aus Eliza wurde Sonja, zwar immer noch ein Blumenmädel, das aber zusätzlich noch schlüpfrige Chansons singt, aus Higgins ein blasierter Lebemann, der immer wieder bahnbrechende, aber nicht näher bezeichnete Erfindungen macht, aus Doolitle ein gewöhnlicher Schieber und aus Oberst Pickering ein Sekretär des Lebemannes. Bei der Wette geht es nicht mehr um die Sprache sondern ledig darum, aus einem gewöhnlichen Mädel eine interessante Frau zu machen. Es ist an dieser Stelle nicht nötig, die an sich uninteressante Handlung weiter zu erzählen. Sie kann in Stefan Freys Biographie „Leo Fall – spöttischer Rebell der Operette“ nachgelesen werden.


    Leo Fall hat die Musik zu dieser Operette in knappen zwei Monaten geschrieben. „Die Musik ist wie aus der Pistole geschossen“ beschrieb sie ein Kritiker. Da die Titelfigur im 3. Akt in den USA als Sängerin Karriere macht, kommt dort eine kleine Jazzband vor, die einen „Shimmy“ intoniert. Damit war Leo Fall, der sich ansonsten um moderne Einflüsse wenig scherte, der erste, der Jazz auf die Operettenbühne brachte.


    Vor allem aufgrund des Textbuches wurde die Operette kein Erfolg. Jetzt hat sie die Musikalische Komödie Leipzig wieder ausgegraben und im Rahmen eines einwöchigen Workshops, bei der drei Dirigenten dieses unbekannte Werk einzustudieren und zu leiten hatten und dabei noch innerhalb drei Tagen ein aufführungsreifes Notenmaterial aufgrund eines Klavierauszuges und einer autographischen Partitur erstellen mussten, konzertant aufgeführt. Die Aufführung wurde am 07.Januar 2023 im Rundfunk übertragen.


    Die sängerischen Darbietungen möchte ich jetzt hier nicht bewerten und die Leistung der Dirigenten kann ich gar nicht beurteilen. Mit geht es hier nur um die Musik. Wenn auch ein Kritiker anmerkte „Die Musik von Fall ist merkliche Schnellarbeit“, so gefällt sie mir streckenweise sehr gut. Die Introduktion, vorwiegend im Walzertakt, bringt gleich ein großes Ensemble, in dem Sonja bereits ein schönes Blumenlied singt. Dieser erste Auftakt klingt ein wenig wie ein später Johann Strauß, nur melodiöser. Dagegen erinnert die zweite Nummer, ein Männerduett, an so manche Buffo-Nummer von Suppé. In der Rundfunksendung wurde in einem Interview, das Stefan Frey mit dem Veranstalter führte, auch das teilweise Opernhafte in Leo Falls Musik betont, welches aber offensichtlich nicht den Publikumsgeschmack traf. Allerdings finde ich es ganz gut. Bereits die vierte Nummer ist ein Terzett, in welchem am Ende die drei Stimmen nicht miteinander sondern gegeneinander, also polyphon singen. Solche polyphonen Strukturen, wie man sie beispielsweise von Rossini, Donizetti, aber auch Verdi kennt, gab es in der sog. Klassischen Operette noch relativ oft; in der nachfolgenden, sog. Silbernen Ära sind sie dann fast völlig verschwunden. Lehár verwendete sie noch im Graf von Luxemburg („Ich bin verliebt bis über beide Ohren“). Das ca. 11-minütige erste Finale erinnert mich mit seinem Mix von Opern- und Operettenhaftem, Rezitativen, Solo- und Chorgesängen und einer oft gegenläufigen Orchesterbegleitung in seiner Struktur an das 2. Finale von Suppés vorletzter Operette Bellman, mit der ich mich gerade ausgiebig beschäftigt hatte. Auch die nachfolgende Eröffnungsnummer des zweiten Aktes ist wieder sehr ambitioniert, mit Solo und teils polyphonem Chorgesang und enthält auch noch eine hübsche, sehr originelle Melodie, die man gerne öfters hören möchte. Das zweite Finale ist dann, typisch für die silberne Operettenära, im Wesentlich eine Abfolge von Reminiszenzen aus den vorangegangenen Akten, was in diesem Falle sogar vorteilhaft ist, weil manche der schönen Nummern zuvor etwas „zu kurz“ gekommen sind. Gleichzeitig ist dieses Finale mit seinen dramatischen Überleitungen und einer ausgefeilten Instrumentation hervorragend gestaltet.


    Aber auch das Leichte kommt in dieser Operette nicht zu kurz. Neben dem bereits erwähnten Männerduett gibt es noch einige ohrwurmverdächtige Nummern, ein ansprechendes Duett und als Gipfel der Originalität im 3. Akt die bereits genannte Jimmy-Nummer.


    Sicher wird dieses Werk, nicht nur aufgrund des Librettos, sondern auch wegen mangelnder Zugnummern, kein großer Operettenhit. Es ist aber diese Bandbreite von ambitionierter Opernhaftigkeit über typischer Operettenmusik, mal karikiert, mal ernst, aber ohne „Operettenseligkeit“ und ganz leichten Schlagern, welche die Operette so interessant macht und, wie im Interview mit Stefan Frey erwähnt, auch die ausführenden Künstler vor große Herausforderungen stellt.


    :) Uwe