Gegründet 1992, ist das ACT Label als eines der führenden Entdeckerlabels für neuen Jazz zu verstehen. Der Katalog umfasst mehr als 500 Veröffentlichungen und nicht zuletzt das sagenhafte Esbjörrn Svennson Trio, rund um den tragisch verstorbenen namensgebenden Pianisten gehören zu den gezeichneten Künstlern.
Daneben ist auch hier die Klassik kein Fremdwort und spätestens wenn Dieter Ilg den Jazz-Klassik Crossover startet können beide Lager glücklich werden.
Anstatt die Gründungsstory umzuformulieren, erlaube ich mir einfach mal das Zitat über die Entstehungsgeschichte und den Gründer Siggi Loch von der Webseite:
ZitatAlles anzeigen„Ich will nicht mehr wichtig, sondern nützlich sein.“ Mit dieser Aussage beendet Siggi Loch nach 30 Jahren eine beispiellose Karriere als Manager im internationalen Musikbusiness, die er 1960 als Vertreter der EMI Electrola begonnen hatte und die ihn bis in die Konzernspitze von WEA International (Warner) brachte. Einst mit 25 Jahren Deutschlands jüngster Schallplattenchef, entschied sich Loch mit Anfang 50 zu einem radikalen Schnitt: Mit der Gründung von ACT erfüllte er sich seinen Jugendtraum vom eigenen Jazzlabel. Er wurde Deutschlands ältester Gründer eines Independent-Labels und begann damit einen kompletten Neustart. Die Gründung von ACT fand statt, als der Siegeszug des Internet begann und das internationale Musikgeschäft zunehmend erodierte. In der folgenden Dekade schrumpften die Märke um die Hälfte. ACT entwickelte sich gegen diesen Trend zu einem der wichtigsten Jazz Labels weltweit. Und zu einem der beliebtesten wie jüngst die vierfache Echo Jazz-Publikumsauszeichnung zum Label des Jahres 2010, 2011, 2012 und 2013 belegt.
Was 1992 begann ist gut 20 Jahre später zu einer Erfolgsstory geworden: „Musik für Menschen mit offenen Ohren und offener Denkweise“, mit diesem Leitsatz stürzte sich Siggi Loch einst in das Abenteuer ACT. Nichts anderes war das Unternehmen am Anfang. Denn Musik, die bekannte und konventionelle Pfade verlässt, ist stets beides: Herausforderung und Risiko. Nur wenn sich Künstler und Hörer gleichermaßen auf neue Klänge einlassen, dann können die berühmten „Magic Moments“ entstehen, mit denen die ACT-Historie in den letzten reich gesegnet ist. Eine Zeit, in der Künstler wie Nguyên Lê, Esbjörn Svensson, Nils Landgren, Michael Wollny, Viktoria Tolstoy, Lars Danielsson, Wolfgang Haffner und Youn Sun Nah die Musikwelt begeistert und geprägt haben. Eine Zeit voller magisch-musikalischer Momente auf fast 400 ACT-Veröffentlichungen. Eine Zeit, in der der europäische Jazz endgültig zu einer festen Größe wurde und ACT dabei behilflich war.
Der Jazz ist in Europa genauso zuhause und sicherlich nicht weniger reich an musikalischen Schätzen wie in seinem Mutterland der USA. Um diese zu entdecken, ist eine Navigationshilfe von Vorteil. ACT ist der verlässliche Kompass für Hörer, die neuen Jazz suchen und zugleich offen sind für aufregende Musik, die ihren Spirit nicht nur aus der Jazztradition, sondern auch aus der europäischen Folklore, aus der Klassik-Tradition, aber auch aus anderen Kulturen bezieht. Exemplarisch für dieses Jazzverständnis ist die erste ACT-Einspielung „Jazzpaña“ (ACT 9212-2) von 1992: Im Aufnahmestudio des WDR in Köln brachte Siggi Loch zusammen mit Wolfgang Hirschmann damals einige der besten Flamenco-Spieler Spaniens mit US-amerikanischen Jazz-Größen wie Michael Brecker und Al Di Meola zusammen. „Jazzpaña“, arrangiert von Filmkomponist Vince Mendoza, war ein multikulturelles Statement. Flamenco meets Jazz – eine Blues-Spielart aus dem alten Europa und die Blue Notes aus der Neuen Welt. Eine aufregende Verbindung, die schon Miles Davis gereizt hatte, und die nun ganz neu erstrahlte. Das Album erwies sich als großer Erfolg, wurde gleich in zwei Kategorien für den Grammy nominiert und erhielt später den German Jazz Award. Mit „Blauklang“ brachte 2008 eine weitere Zusammenarbeit von ACT und Vince Mendoza eine erneute Grammy Nominierung ein.
Bei den Live-Aufführungen von Jazzpaña lernte Siggi Loch auch den ersten exklusiven ACT Künstler kennen, den Gitarristen Nguyên Lê. Aufgewachsen bei vietnamesischen Eltern in Paris, entwickelte sich dessen musikalische Vita zu einer höchst spannenden Identitätssuche zwischen Jimi Hendrix, dem ethnischen Schmelztiegel Paris und der traditionellen Musik aus dem Land seiner Familie. Nguyên Lê‘s Debüt „Million Waves“ (ACT 9221-2) erschien 1995. Mit einer beachtlichen Diskografie von 14 Alben ist er der ACT Family bis heute treu geblieben.
In der Jazzsymphonie „Europeana“ (ACT 9804-2) verbindet sich die reiche europäische Musiktradition mit der Sprache des Jazz. Das 1995 veröffentlichte Album aus der Feder des englischen Komponisten und Arrangeurs Michael Gibbs wurde mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik gewürdigt. Mit Joachim Kühn, Jean-François Jenny-Clark, Jon Christensen, Django Bates, Klaus Doldinger, Richard Galliano, Christof Lauer, Albert Mangelsdorff und Markus Stockhausen fand hier die Créme der zeitgenössischen europäischen improvisierten Musik zusammen, getragen von der NDR Radio Philharmonie Hannover.
Das Freiheitsgefühl des Jazz und die berührende Unschuld von Musik, die tief in unserem Unterbewusstsein schlummert, fließt bei ACT oft auf wundersame Weise zusammen: Anders gesagt: Das genaue Gegenteil vom Jazz der kopflastigen, sperrigen Art. Diese Prämisse gilt im besonderen Maße für den bis heute größten Verkaufserfolg in der ACT-Geschichte: Im Jahr 1998 nahm der norwegische Pianist Bugge Wesseltoft ein Album mit traditionellen weihnachtlichen Volksliedern auf. Bis heute wurde die Winterabend-CD „It´s Snowing On My Piano“ mehr als hunderttausendmal verkauft. Weil die zarten, eindringlichen Interpretationen von zeitloser Schönheit sind und sie wie ein längst vergessenes Balsam gegen den aufdringlichen Kitsch unserer Zeit wirken.
„Meine Philosophie war stets, nicht allein Musiker, sondern Künstlerpersönlichkeiten von hoher Eigenständigkeit zu finden. Zugleich sollte sie der unbedingte Wille auszeichnen, das Publikum zu begeistern.“ Diesem Credo von Siggi Loch entspricht auch Nils Landgren, der sympathische Tausendsassa aus Schweden, der seit den Anfangstagen zur ACT-Familie gehört. Der Mann mit der roten Posaune trägt den feurigen Funk in sich. Zugleich singt er hingebungsvoll Balladen und schöpft immer wieder aus dem Fundus skandinavischer Musik. Landgrens herausragende Stellung als erfolgreichster ACT-Künstler zeigt sich auch darin, dass er neben seinen eigenen Projekten, aktuell dem exquisiten Vocal-Album „The Moon, The Stars And You“ (ACT 9505-2), das Label immer stärker auch als Produzent und Ideengeber mitprägt. Über die enge Freundschaft zu Siggi Loch sagt er: „Siggi hat mir die Kraft gegeben, über mich hinaus zu gelangen. Und von dem fließt nun auch viel zurück.“
Über die fruchtbare Schweden-Connection wurde Siggi Loch auch auf Esbjörn Svensson aufmerksam, den damaligen Keyboarder der Nils Landgren Funk Unit. Mit e.s.t. wurde er zum größten Erneuerer des Piano-Trios der letzten 20 Jahre. Mit „From Gagarins Point Of View“ (ACT 9005-2) gab er 1999 seinen ACT-Einstand und schaffte in der Folgezeit eine wahre Jazz-Revolution. Durch seine intensive, genreübergreifende Performance erschloss sich das Esbjörn Svensson Trio auch ein Publikum, das sonst eher die Dynamik des Rock schätzt. Als das Trio als erste europäische Band das Cover des amerikanischen Magazins Downbeat schmückte, war das mehr als ein Achtungserfolg. Mit dem phänomenalen Aufstieg von e.s.t. wurde Siggi Lochs Vision greifbar: Jazz ist cool. Und muss kein wehleidiges Nischendasein führen, sondern kann auch die großen Säle erobern. Der Konzertmitschnitt „Live in Hamburg“ (ACT 6002-2) avancierte 2007 zu einem Jazzmeilenstein, die London Times kürte es zum besten Album der Dekade 2000 bis 2010. Tragischerweise riss der Unfalltod Esbjörn Svenssons im Jahr 2008 eine große, schwer zu schließende Lücke auf, gleichsam lebt dessen Pionierarbeit im zeitgenössischen europäischen Jazz bis heute weiter. Aus dem hohen Norden kamen neben Landgren und Svensson weitere etablierte Jazzstars wie Lars Danielsson, Viktoria Tolstoy und Rigmor Gustafsson und ACT wurde zum erfolgreichsten Label für schwedischen Jazz. Im Jahr 2010 ernannte der schwedische König Carl XVI. Gustaf Siggi Loch für seine Verdienste um die schwedische Kultur in Deutschland zum Ritter des Nordsternordens 1. Klasse.
„Jazz Made in Germany“ liegt ACT ebenso am Herzen: 2005 hört Siggi Loch auf einer Demoaufnahme erstmals den jungen Pianisten Michael Wollny und ist begeistert. Sein ACT-Debüt „Call it [em]“ (ACT 9650-2) im Trio mit Eva Kruse und Eric Schaefer erscheint als erste Produktion in der „Young German Jazz“-Reihe. Der Startschuss für eine beispiellose Karriere: Neben Duoaufnahmen mit Heinz Sauer und Joachim Kühn sowie zwei Soloprojekten folgen drei weitere gefeierte Alben des Trios. Das letzte, „[em] Live at JazzBaltica“ (ACT 9668-2), nennt Stuart Nicholson, Großbritanniens renommiertester Jazzjournalist, „das beste Jazzalbum der letzten 25 Jahre“. Und das Hamburger Abendblatt erklärt Wollny zur „stärksten (Jazz)Musikerpersönlichkeit, die Deutschland seit Albert Mangelsdorff hervorgebracht hat.“ Weitere deutsche Jazztalente wie Julian & Roman Wasserfuhr, Matthias Schriefl, Jan Zehrfeld’s Panzerballett oder ganz aktuell Three Fall und Mo’ Blow schaffen durch die „Young German Jazz“ Reihe ebenfalls den Sprung ins Rampenlicht. Auch etablierte deutsche Jazzmusiker haben ihre Heimat bei ACT gefunden: Deutschlands gefragtester Schlagzeuger Wolfgang Haffner ist erfolgreichster deutscher Künstler des Labels. Sein 2006 erschienenes Album „Shapes“ (ACT 9603-2) erhält den German Jazz Award für über 10.000 in Deutschland verkaufte Exemplare. Joachim Kühn, Heinz Sauer, Jens Thomas und Christof Lauer sind ebenfalls Teil der ACT Family.
„ACT ist auf einer Mission, der Welt Europas aufstrebende Jazzpianisten vorzustellen“, schrieb die bedeutende englische Tageszeitung The Guardian kürzlich. Und in der Tat, blickt man zurück auf 20 Jahre ACT, sind zahlreiche internationale Pianogrößen zum Aushängeschild des Labels geworden: Von Joachim Kühn über Esbjörn Svensson, Iiro Rantala und dem Grammy nominierten Amerikaner Vijay Iyer, bis zu jungen Virtuosen wie Yaron Herman, Gwilym Simcock und natürlich Michael Wollny. Auch ein polnischer ACT-Tastenkünstler sorgt gerade mit seiner Hommage an den Urvater des polnischen Jazz, Krzysztof Komeda, für Furore: Das Soloalbum „Komeda“ von Leszek Możdżer erklomm in Polen kurz nach Veröffentlichung den ersten Platz der Pop (!)-Charts, und ließ somit Weltstars wie Sting und Beyoncé hinter sich.
Mit einem ganz außergewöhnlichen Ort in Deutschland ist ACT spätestens seit den „Swedish–German Friendship Concerts“ im September 2008 besonders eng verbunden: Dem malerisch in den bayerischen Bergen gelegenen Refugium Schloss Elmau. Elf Konzerte mit ACT Künstlern wie Nils Landgren, Michael Wollny, Viktoria Tolstoy und Lars Danielsson stehen ganz im Zeichen der Erinnerung an den nur drei Monate zuvor verstorbenen Esbjörn Svensson. Verewigt wurden die Konzerte auf „Magic Moments @ Schloss Elmau“ (ACT 9480-2). Dies war zugleich die Initialzündung für eine ganze Reihe weiterer Aufnahmen an diesem magischen Ort: Mit Produktionen von Gwilym Simcock, Joachim Kühn & Michael Wollny, Danilo Rea & Flavio Boltro, Vladyslav Sendecki und Dieter Ilg etabliert ACT den Namen „Schloss Elmau“ als Markenzeichen für herausragenden kammermusikalischen Jazz.
Im Jahr 2010 feierte Siggi Loch gleich zwei runde Jubiläen: Am 26. Januar 2010 ehrt ihn die MIDEM in Cannes mit einer Jubilee Night anlässlich seines 50-jährigen Branchenjubiläums und am 6. August 2010 feiert er außerdem seinen 70sten Geburtstag. Im Jubiläumsjahr erscheint auch seine Autobiografie „Plattenboss aus Leidenschaft“. Die Lebenserinnerungen bestätigten, dass Lochs gewaltiges Branchen-Wissen und seine persönlichen Erfahrungen im Umgang mit sensiblen Musikernaturen allein nie ausgereicht hätten. Um ein Label wie ACT voranzubringen, bedurfte es einer Seele, in der es innerlich noch brennt, letztlich eines suchenden Charakters, ähnlich den Musikern, die er immer wieder um sich versammelt.
ACT ist zu einem äußerst vitalen Twen herangereift, wie auch die ACT Aktivitäten zum 20-jährigen Labeljubiläum 2012 zeigen. Mit der Koreanerin Youn Sun Nah hat sich eine der aktuell erfolgreichsten Jazzsängerinnen in Europa dem Label angeschlossen. Der große Durchbruch gelingt ihr mit ihrem aktuellen Album „Same Girl“ (9024-2). In Frankreich ist sie bereits ein Star und hierzulande erhielt sie im Frühjahr 2011 den ECHO Jazz als beste internationale Sängerin. Nach Vijay Iyer kam ein weiterer US-Shooting Star zu ACT: Der amerikanische Altsaxofonist des Jahres 2011 (Downbeat Critics Poll), Rudresh Mahanthappa. Mit seinem im Herbst 2011 erschienenen ACT-Debüt „Samdhi“ (ACT 9513-2) lotet er das Spannungsfeld von elektro-akustischem Jazz und indischer Musik aus.
Mit gut 20 Jahren ist ACT in der Reihe der bedeutenden europäischen Jazzlabels eines der jüngsten. In dem Bewusstsein, gerade mal Erwachsen geworden zu sein und mit Respekt vor den bereits fortgeschritteneren Lebensleistungen der Münchener Label-Legenden ECM und Enja bedeutet das Jubiläum für Siggi Loch und sein Team nur ein Etappenziel, das erlaubt, auf das bisher Erreichte ein wenig stolz zurückzublicken, aber zugleich auch Ansporn und Verantwortung ist, das Jazzpublikum rund um den Globus auch in Zukunft für viele weitere Jahre mit Musik zu begeistern.
Das Jahr 2013 stand noch mehr im Zeichen der Youn Sun Nah als das Jahr 2012. „Lento“ (ACT 9030-1) übertraf sogar den Erfolg des Vorgängers in Frankreich sowie ganz Europa. Darüber hinaus erreichte das Album Goldstatus in Deutschland und wurde mit dem „German Jazz Award“ ausgezeichnet.