Kap. 3: „Der Fischer“
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor;
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
»Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund!
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew’gen Tau?«
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
Netzt’ ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war’s um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.
(J.W. Goethe)
Das ist – ähnlich wie der „Erlkönig“ – eine Ballade mit einem naturmagischen Motiv. Die Magie geht zwar vordergründig von einer Nixe aus, die hier in der für Goethe so bezeichnenden Konkretheit und Plastizität seiner lyrischen Sprache als „feuchtes Weib“ bezeichnet wird, in Wahrheit ist es jedoch das Wasser, das hier lockt und dem Fischer zum Verderben wird.
Bemerkenswert ist, wie der „Fischer“ eingeführt wird: Er sitzt „ruhig“ vor seiner Angel und ist „kühl bis ans Herz hinan“. Ein Mensch also, der sich in seiner Haltung jenseits von jeglicher emotionalen Erregbarkeit durch von außen auf ihn zukommende sinnliche Einflüsse befindet. Gleichwohl vermag ihn dieses „feuchte Weib“ zu erreichen. Zunächst kommt ihm die Nixe gleichsam rational: Sie verweist ihn auf das, was er den Fischen antut, wenn er sie aus ihrer Lebenswelt in die „Todesglut“ zerrt.
Hier aber klingt schon das zentrale Motiv dieser Ballade an, das im Grunde eines der Romantik ist, mit der Goethe – so lese ich diese Ballade – sich hier dichterisch auseinandersetzt. Das „Fischlein“ fühlt sich „wohlig“ auf dem Grund, in dem es lebt. Und der Mensch, der in seiner Lebenswelt der ihn „krank“ machenden Individuation ausgesetzt ist, würde „wieder“(!) „gesund“ werden, könnte er sich zurückbegeben in das alle Individuation auflösende Urelement des Wassers, aus dem er ursprünglich einmal kam. Schließlich ist es die Ratio, sind es „Menschenwitz“ und „Menschenlist“, mit denen er die Fische aus ihrer heimischen Welt hinauf in seine für das Leben tödliche Welt herauszuholen vermag.
Das ist eine rein romantische Verlockung, die dieses „feuchte Weib“ da vorbringt. Im Wasser findet alles wieder zusammen, was getrennt ist: Die „liebe Sonne“ und der Mond. Und nicht nur das: „Wellenatmend“ kommen sie in ihrer Spiegelung im Wasser schöner daher. Und auch der Fischer kann das, indem er sich – in narzisstischer Weise – im Wasser spiegelt. Das ist der erste Schritt der Vereinigung mit diesem Element.
Und es ist daher ganz konsequent, dass er am Ende gar nicht mehr ins Wasser „gezogen“ werden muss. Nur noch „halb“, halb aber sinkt er von sich aus hinein. Die Magie des Wassers weckt im Menschen eine in ihm angelegte Sehnsucht: Die nach der Verschmelzung mit dem Ur-Einen und dem Verlassen der existenziellen Nöte der Individuation.
Das ist das Basis-Theorem der Romantik. Und Goethe rechnet auf lapidare Weise damit ab: "Und ward nicht mehr gesehn."
Franz Schubert: „Der Fischer“, op. 5,3 (D 225)
Die Komposition entstand im Juli 1815. Sie liegt in zwei Fassungen vor, beide sind als Strophenlied angelegt, die nachfolgende Besprechung bezieht sich auf die zweite.
In der Gestalt der melodischen Linie der Singstimme und in dem ihr zugeordneten Klaviersatz ist dieses Lied einfach angelegt. Dieser folgt in seiner Kombination aus Achteln und Sechzehnteln in fester Anbindung an die Bewegung der melodischen Linie, - bis hin zur weitgehenden Identität der Führungslinie der Sechzehntelfiguren im Diskant mit dieser. Zudem bewegt er sich harmonisch fast ausschließlich im Raum von Tonika, Dominante und Subdominante. Eine Anmutung von Volksliedhaftigkeit bringt auch die Tatsache mit sich, dass die Melodiezeile, die auf dem ersten und dem zweiten Vers der Strophe liegt, sich beim dritten und vierten wiederholt. Und nicht nur dieses. In der Art, wie die melodische Linie sich bewegt, ähneln auch die beiden folgenden Melodiezeilen dieser ersten. Mit einer Ausnahme: Die beiden letzten Takte der vierten Zeile weichen in der Struktur der Vokallinie und ihrer Harmonisierung deutlich von dem Vorangehenden ab.